Protokoll der Sitzung vom 27.08.2020

Die Grünen schlagen einen unabhängigen Beauftragten für Fragen der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vor. In ihrem Antrag führen sie aus, welche Aufgaben die Person übernehmen soll. Die Begründung, welchen Mehrwert eine solche Stelle haben soll, bleibt hingegen wolkig. Im Kern lautet das Argument: Der Bund hat eine solche Stelle. Also braucht Nordrhein-Westfalen auch eine. – Mit Verlaub, das ist mir doch etwas dünn. Aber ich halte es gleichwohl für einen bedenkenswerten Vorschlag, und es ist gut, dass wir die Idee in der Ausschussarbeit vertiefen können.

Denn ganz zentral ist es doch, herauszuarbeiten, welchen Mehrwert wir als Gesetzgeber von einer solchen Stelle erwarten. Die Forderung nach einem Beauftragten ist rasch gestellt, und sie kann für die Politik ungemein attraktiv sein. Eine Oppositionspartei kann damit demonstrieren, wie wichtig ihr ein Anliegen ist. Und der Regierung kann eine solche Stelle zur Verantwortungsverlagerung dienen, so nach dem Motto „Schaut mal her! Diese Person kümmert sich“.

Groß ist dann aber die Gefahr, dass eine solche Forderung zum Placebo verkommt. Dieses Ziel will ich den Antragstellern keinesfalls unterstellen, und darum ist es wichtig, eine genaue Ziel- und Aufgabenabgrenzung vorzunehmen.

Dabei denke ich ganz konkret an die Arbeit der Kinderschutzkommission. Für diese Kommission haben wir als Sozialdemokraten sehr gekämpft. Wir haben das gemeinsam mit den Grünen getan, und wir, CDU, SPD, FDP und Grüne, haben die Kommission in diesem Haus dann gemeinsam auf den Weg gebracht.

Ich glaube noch immer, dass es eine große Chance ist, wenn sich die Abgeordneten selbst dem Ziel widmen, die Strukturen des Kinderschutzes nicht nur unter die Lupe zu nehmen, sondern sie auch gezielt zu verbessern. Und auch wenn erste Schritte unternommen wurden, gibt es immer noch verdammt viel zu tun, um unser Land sicherer für unsere Kinder zu

machen. Niemand sollte glauben, dass uns ein Beauftragter diese Aufgabe abnehmen könnte.

Wir haben unsere Hausaufgaben in dem Bereich noch lange nicht erledigt. Ich will dies an drei Beispielen verdeutlichen, die Thema im jüngsten Familienausschuss waren.

Wir haben in der letzten Sitzung des Familienausschusses gehört, dass Kinderschutzkonzepte in vielen Kitas noch überhaupt nicht verankert sind. In der Kinderschutzkommission haben wir erfahren, dass es in vier von fünf Kitas in Deutschland kein Kinderschutzkonzept gibt, und Herr Bahr vom LVR hat uns auf den Weg gegeben, wo genau wir im KiBiz eine Stellschraube haben, um eine Veränderung herbeizuführen.

Wenn es aber in der gleichen Ausschusssitzung heißt: „Ja, aber eine Änderung des KiBiz ist zeitnah nicht vorgesehen“, dann halte ich das für eine falsche Prioritätensetzung.

Wir haben in dieser Ausschusssitzung gehört, dass es in Nordrhein-Westfalen keine Fachaufsicht gibt und dass den Landesjugendämtern als schärfstes Schwert die Empfehlungen zur Verfügung stehen. –

Ja, meine Damen und Herren, dann lassen Sie sie uns doch mit solchen Kompetenzen ausstatten, die eine Fachaufsicht benötigt, und dann darf man entsprechende Anträge, sofern sie denn im Familienausschuss gestellt werden, nicht ablehnen, wie das die übrigen Fraktionen an der Stelle beim SPDAntrag getan haben.

Wir haben auch über das Thema „Erzieherinnenausbildung“ diskutiert und erfahren, dass der Kinderschutz in der Erzieherinnenausbildung allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt.

Ja, dann darf man eine solche Forderung im Familienausschuss nicht ablehnen, wenn sie gestellt wird. Denn dann ist das nicht der richtige Weg.

(Beifall von der SPD)

Ich bin offen für die Frage, ob ein Beauftragter für Fragen der sexualisierten Gewalt gegen Kinder ein Baustein bei der Neuaufstellung unseres Kinderschutzes sein kann. Wenn wir aber nicht bereit sind, unter anderem die genannten offenen Punkte anzugehen, dann kann uns kein Beauftragter dieser Welt helfen. Also, lassen Sie uns gemeinsam unsere Hausaufgaben machen. Möglicherweise steht am Ende auch die Rolle eines Beauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Dr. Maelzer. – Jetzt spricht Herr Freynick für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Durch die Missbrauchsfälle in jüngerer Vergangenheit ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen stärker in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.

Lügde, Bergisch Gladbach und Münster – diese drei Orte zeigen uns exemplarisch, dass es wichtig ist, unser Problembewusstsein auf diesem Felde auszuweiten, ebenso was die Sensibilisierung und Enttabuisierung betrifft.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle in diesem Hohen Hause das Thema sehr ernst nehmen. Die Arbeit der Kinderschutzkommission im Landtag und die der interministeriellen Arbeitsgruppe auf Regierungsebene bezeugen einen deutlichen politischen Willen.

Wir haben unter anderem die Zahl der Polizeikräfte erheblich erhöht, die an den Ermittlungen in den Fällen von Kindesmissbrauch beteiligt sind, was in dieser Form in der Bundesrepublik einzigartig ist.

Zudem erarbeitet derzeit die interministerielle Arbeitsgruppe unter der Leitung von Staatssekretär Bothe ressortübergreifend ein Handlungs- und Maßnahmenkonzept zur Prävention und zum Schutz vor und zur Hilfe bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

Die Grundlage der Beratungen bildet dabei ein umfangreiches Impulspapier aus dem NRW-Familienministerium, das in engem und kontinuierlichem Austausch mit Expertinnen und Experten sowie weiteren betroffenen Akteuren entstanden ist. Bis zum Ende des Jahres soll hier ein Ergebnis vorliegen.

In der Kinderschutzkommission des Landtags, der ich selbst dankenswerterweise angehören darf, setzen wir uns darüber hinaus intensiv mit Kinderschutzthemen auseinander.

Eine für den 21. September geplante Anhörung wird sich mit der Prävention sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beschäftigen. Ziel dieser Anhörung ist es, Vorschläge für verbesserte Präventionsstrukturen zu erhalten, um Kindesmissbrauch, -misshandlung und -vernachlässigung in unserem Land effektiver verhindern zu können.

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert nun die Einrichtung einer Stelle eines unabhängigen Beauftragten für Fragen der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Selbstverständlich sind wir immer für Diskussionen und konstruktive Vorschläge offen; allerdings wird die Einrichtung einer solchen Position, wie Sie vermutlich selbst wissen, kein Allheilmittel sein.

Ich empfehle daher für uns in Nordrhein-Westfalen, die bisherigen Beratungen und vor allem die Handlungsempfehlungen der IMAG, also der Arbeitsgruppe, sowie der Kinderschutzkommission des

Landtags abzuwarten und keine Schnellschüsse zu produzieren.

Sollten die Beratungen auf Regierungs- und parlamentarischer Ebene zu dem Schluss gelangen, dass die Einrichtung einer solchen Stelle notwendig oder ratsam ist, sind wir für weitere Diskussionen – auch im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend – offen. Wir stimmen darum der Ausschussüberweisung gerne zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Rednerin erteile ich für die Fraktion der AfD Frau Kollegin Dworeck-Danielowski das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sexueller Missbrauch und die sexuelle Ausbeutung von Kindern bestimmen nunmehr seit fast einem Jahr einen großen Teil unserer parlamentarischen Arbeit hier im Landtag.

Als die Verbrechen von Lügde an die Öffentlichkeit gelangten, haben sich erst einmal eine große Betroffenheit und Fassungslosigkeit angesichts des Ausmaßes des Grauens breitgemacht.

Das Entsetzen über den Sumpf aus sexuellem Missbrauch von Kindern, der Darstellung des Missbrauchs in Bild und Video und das virtuelle Netzwerk der Täter hier in Nordrhein-Westfalen mitten unter uns hat uns parteiübergreifend geeint. Es kann und darf nicht sein, dass den Tätern ihr abscheuliches Handeln so leicht gemacht wird.

Diese Fassungslosigkeit hat in sämtlichen Ressorts dazu geführt, dass wir mehr Erkenntnisse darüber gewinnen wollten, wie diese Strukturen, die den tausendfachen Missbrauch von unschuldigen Kindern möglich gemacht haben, verändert oder abgeschafft werden können.

Die ganztägige Anhörung zum Antrag „Jeder Fall ist ein Fall zu viel“ im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch wurde kürzlich im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend noch als eine der wichtigsten und erkenntnisreichsten Anhörungen dieser Legislaturperiode bezeichnet – zu Recht, denn sie hat sehr deutlich gemacht, dass der Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern alle Ressorts betrifft.

Die Ermittler der Polizei müssen den Tätern besser auf die Spur kommen, und Täter müssen schneller und härter bestraft werden. Das Wissen um die Täterstrategie ist viel zu wenig bekannt.

Wie können Erzieher, Lehrer und Ärzte, eigentlich jeder, der mit Kindern zu tun hat, erkennen, ob gegebenenfalls eine Gefährdung vorliegt? Welche

Vorstellung hat jedermann eigentlich davon, wie sich ein Opfer regelmäßig verhält?

Die Anhörung hat sehr viele gute und wichtige Impulse gegeben. Sie hat verdeutlicht, dass es zahlreiche strukturelle Missstände gibt. Viele Fragen sind jedoch bis heute nicht abschließend geklärt:

Was hilft wirklich dabei, dass Jugendämter ihrer Verantwortung besser gerecht werden können? Hat die Größe des Jugendamts wirklich Aussagekraft über die Qualität seiner Arbeit? Helfen Fallober- oder -untergrenzen? Ist die Fachaufsicht der Landesjugendämter unabdingbar? Würde die Wiedereinführung eines praktischen Jahres im Rahmen der Ausbildung zu weniger falschen Fallbeurteilungen führen? Wie kann man mehr Personal rekrutieren usw.?

Die Kinderschutzkommission als weiteres Gremium wurde eingesetzt, um genau diese Fragen weiterführend zu erörtern. Das Familienministerium hat in seinem 24-seitigen Impulspapier zahlreiche Aspekte zur Prävention und Bekämpfung von sexuellem Missbrauch aufgegriffen. Was die interministerielle Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Impulse leistet, bleibt für das restliche Parlament allerdings leider bisher ein Mysterium.

Jetzt schlagen Sie von Bündnis 90/Die Grünen die Installation eines unabhängigen Beauftragten für Fragen der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vor; beispielgebend ist hier sicher der Beauftragte auf Bundesebene.

Auf Rückfrage hin teilte man uns mit, dass bisher lediglich die Bundesländer Thüringen und SachsenAnhalt einen unabhängigen Beauftragten installiert haben. Das Saarland hat vor, es zu tun, aber bisher noch nicht geliefert.

Ob dies für das Land Nordrhein-Westfalen der richtige Weg ist, können und müssen wir an dieser Stelle noch nicht abschließend beurteilen. Ihr Antrag wird in den Ausschuss überwiesen, und es wird mit Sicherheit zur Erörterung dieser Frage auch eine Anhörung geben.

Wir sehen dieser Beratung ergebnisoffen und mit großem Interesse entgegen, denn – und darin sind wir uns sicher alle einig – es muss alles getan werden, was möglich ist, um Kinder und Jugendliche besser vor Missbrauch und Ausbeutung zu schützen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Dr. Stamp das Wort.

Herr Präsident! Meine

Damen und Herren! Spätestens seit Bekanntwerden der schweren Missbrauchsfälle in Lügde im letzten Jahr und mit jedem neu aufgedeckten Fall ist uns allen klar, dass wir Kinder und Jugendliche besser vor sexualisierter Gewalt schützen müssen.

Dazu haben wir in der Landesregierung, aber auch Sie hier in diesem Haus seit Lügde an vielen Stellen und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen unsere Beiträge geleistet.