Protokoll der Sitzung vom 17.10.2001

In den letzten Jahren ist vieles bewirkt worden, wodurch ein Wandel im Bewusstsein unserer Gesellschaft eingeleitet wurde. Traditionelle Vorstellungen über die Rolle von Frauen und Männern lassen sich jedoch nur mit viel Beharrlichkeit nachhaltig verändern. Das hat uns die Erfahrung gelehrt. Gesetzliche Maßnahmen waren und sind daher unerlässliche Instrumentarien, um das Tempo zu beschleunigen.

Gefordert ist aber nicht nur der Staat, gefordert sind Arbeitgeber, Gewerkschaften, Kirchen, Verbände und Parteien, in ihren jeweils zuständigen Bereichen Bedingungen zu schaffen, die es Frauen wie Männern gleichermaßen ermöglichen, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten und zu leben und unter den gleichen Bedingungen arbeiten und leben zu können. Das bedeutet Chancengleichheit. Nicht Gleichmacherei ist gemeint, sondern Gleichberechtigung.

(Beifall bei SPD und FDP)

Für Sozialdemokratinnen und -demokraten ist das Prinzip der Chancengleichheit Leitbegriff für eine moderne Gesellschaftspolitik im 21. Jahrhundert. Wir sehen uns ere Aufgabe darin, für Rahmenbedingungen für ein chancengleiches selbstbestimmtes Leben zu sorgen, Schutz vor Diskriminierung und Gewalt zu bieten und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass aus dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung auch Verfassungswirklichkeit wird.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP)

Die SPD-geführte Bundesregierung hat zahlreiche Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen

und Männern initiiert und umgesetzt, ob deren Vielfalt ich nur beispielhaft einige nennen kann: Die Einführung der Sozialversicherungspflicht für geringfügige Beschäftigung, wovon Millionen Frauen profitieren, das Programm „Frau und Beruf“, das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst, das Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft“, Förderung von Existenzgründerinnen, einen Bericht zur Lohn- und Einkommenssituation von Frauen und Männern, den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, die Novellierung des Bundeserziehungsgeldgesetzes, die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, der Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, der Einstieg in eine eigenständige Alterssicherung von Frauen und die Vereinbarung mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern.

In Rheinland-Pfalz gibt es seit der Regierungsübernahme durch die SPD-geführte Koalition im Jahr 1991 ein eigenständiges Frauenministerium, in dem immer unter der Maßgabe, Frauenpolitik ist Querschnittspolitik, wichtige Maßnahmen umgesetzt worden sind, das arbeitsmarktpolitische Programm zum Ausgleich beruflicher Wettbewerbsnachteile von Frauen mit den Beratungsstellen für Berufsrückkehrerinnen sowie zur Ein- bzw. Wiedereingliederung in das Erwerbsleben, die Kampagne „Frauen in Teilzeit“, die Berücksichtigung von Frauen im Landesplanungsgesetz, das „Ada-LovelaceProjekt“ zur Erhöhung des Frauenanteils in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen und gewerblichtechnischen Berufen, spezielle Programme für Existenzgründerinnen, der Wettbewerb „Frauenförderung durch Budgetierung“ und last, but not least, das Landesgleichstellungsgesetz, über dessen Umsetzung dem Landtag im vergangenen Jahr ein Bericht vorgelegt wurde und darüber hinaus die einzelnen Ministerien dem Ausschuss für Frauenfragen über die Einstellungspolitik in ihren jeweiligen Ressorts berichteten.

Erwähnt werden müssen aber auch der Ausbau der Kindertagesstätten, die Volle Halbtagsschule und die Einführung einer neuen Form der Ganztagsschule. Das sind alles unerlässliche Faktoren für die Gleichstellung von Frauen und Männern.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP)

Diese Bilanz lässt sich durchaus sehen. Sie ist aber in dem einen oder anderen Fall nicht ganz zufrieden stellend gewesen, weil notwendige Prozesse oftmals sehr schleppend und mühsam in Gang kamen und auch oftmals aus Nachbesserungen bestanden.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist aber nett formuliert!)

Nun taucht in den letzten Jahren zwar immer häufiger in Programmen und Beschlüssen von Regierungen und Gewerkschaften der Begriff „Gender Mainstreaming“ auf. Der ist aber im Vokabular der deutschen Politik noch relativ neu. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben im Amsterdamer Vertrag von 1999 die rechtliche Grundlage für diese Strategie geschaffen und setzt Gender Mainstreaming bereits in der Praxis um. So wird beispielsweise bereits bei der EU die Vergabe von För

dergeldern daran geknüpft, dass diese Methode Teil des Umsetzungsprozesses ist.

Um es gleich vorweg zu nehmen „Gender Mainstreaming“ lässt sich nicht mit zwei Worten ins Deutsche übersetzen; denn das Englische unterscheidet zwischen dem biologischen Geschlecht und dem sozialen Geschlecht, eben Gender. Mit Gender werden gesellschaftlich und kulturell geprägte Rollen, Rechte, Pflichten, Ressourcen, Interessen von Frauen und Männer bezeichnet. Mainstreaming heißt, dass ein bestimmtes Handeln, hier ein geschlechterbewusstes zum normalen und selbstverständlichen Handlungsmuster einer Organisation gehören. Nicht nur wegen der nicht möglichen Übersetzung, sondern auch wegen der internationalen Verständigung ist es sinnvoll, bei der englischen Bezeichnung zu bleiben.

Was ist nun eigentlich Gender Mainstreaming? Es ist eine neue Strategie in der Gleichstellungspolitik. Sie bedeutet, dass bei allen politischen Vorhaben, egal ob zum Beispiel in der Gesundheits- oder Innenpolitik oder bei den Kommunen im Städtebau die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein selbstverständlich berücksichtigt werden müssen.

Durch die Kombination von Gender Mainstreaming und der bisherigen Frauenförderpolitik soll die Wirksamkeit von Gleichstellungspolitik weiter verstärkt werden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Wie funktioniert Gender Mainstreaming? Um Gender Mainstreaming in Verwaltung und Politik erfolgreich umzusetzen, müssen vor allem folgende Voraussetzungen geschaffen werden:

Sichtbares Engagement der höchsten Führungs ebene, – konsequente geschlechterdifferenzierte Datenerhebung und Auswertungen, – Entwicklung von Genderkompetenz und Veränderung von Entscheidungsprozessen durch Fortbildung und Organisationsentwicklung, – Transparenz des Umsetzungsverfahrens, zum Beispiel durch die Benennung von Verantwortlichen und die Einführung von Checklisten.

Auf den verschiedenen politischen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – existieren bereits zahlreiche Aktivitäten. In Rheinland-Pfalz gibt es einen Kabinettsbeschluss aus dem vergangenen Jahr, der die Umsetzung des Gender Mainstreaming beinhaltet. Die Fachtagung für Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung – eine gemeinsame Veranstaltung des damaligen Ministeriums für Kultur, Jugend, Familie und Frauen und der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer – stieß auf außerordentlich großes Interesse. Andere Ressorts zogen bereits nach.

Für ganz besonders wichtig halte ich die frühzeitige Einbindung zumindest von Teilen der privaten Wirtschaft. Das Projekt „Gendertrainings – Baustein für ein

Management der betrieblichen Gleichstellungspolitik“ ist ein betriebliches Modellvorhaben mit kleineren und mittleren Unternehmen der Chemischen Industrie. Es ist in Rheinland-Pfalz angesiedelt und wird sowohl durch das Ministerium als auch durch den Europäischen Sozialfonds gefördert. Kooperationspartner sind der Landesverband der Chemischen Industrie Rheinland-Pfalz und der Landesbezirk Rheinland-Pfalz/Saarland. Wir haben jetzt zwei konkrete Firmen, mit denen dieses Projekt in den nächsten Monaten durchgeführt wird. Das ist zum einen eine Kunststoff verarbeitende Firma in Lahnstein und zum anderen die bekannte Firma Boehringer in Ingelheim. Betreut wird das Ganze durch ISA Consult, eine Beratungsgesellschaft für Innovation, Strukturpolitik und Arbeit. Ich erhoffe mir von dieser frühzeitigen Einbindung der freien Wirtschaft, dass die Akzeptanz für Gender Mainstreaming dort dann auch genau so wachsen wird, wie wir das in der Politik vorhaben.

(Glocke der Präsidentin – Beifall bei SPD und FDP)

Ich bin sofort fertig. Ich will nur noch die Begründung des Antrags vortragen.

Ihnen liegt ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der SPD und FDP vor, in dem sich der Landtag verpflichtet, in seiner Arbeit und in der Arbeit seiner Ausschüsse verstärkt auf die potenziellen geschlechtsspezifischen Auswirkungen seiner Entscheidungen zu achten und zu prüfen, inwieweit die jeweiligen Handlungsfelder für die Verwirklichung der Chancengleichheit und den Abbau mittelbarer Diskriminierungen genutzt werden können. Wir fordern die Landesregierung auf, uns in einem Jahr einen Bericht über die begonnene Umsetzung vorzulegen und über die ersten Erfahrungen zu berichten.

Frau Kipp, Sie müssen zum Schluss kommen.

Zu dem Alternativantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist eines zu sagen: In vielen Punkten sind wir uns sehr nah, aber im zweiten Teil tauchen auch wieder viele Punkte auf, die wir ein bisschen überzogen finden, Frau Thomas.

(Frau Kiltz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Seien Sie doch etwas mutiger!)

Deshalb beantrage ich die Überweisung der beiden Anträge in den zuständigen Ausschuss.

(Abg. Frau Kiltz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nicht so zaghaft!)

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD und der FDP)

Zur Begründung des Alternativantrags erteile ich der Abgeordneten Frau Thomas das Wort.

Meine Damen und Herren, es wurde darauf hingewiesen, dass wir einen Alternativantrag zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP eingebracht haben, nicht, weil es unbedingt Tradition ist. Aber Frau Kipp hat schon darauf hingewiesen, sie hat in der Vergangenheit kleinere Versäumnisse gesehen. Da unterscheiden wir uns in der Bewertung und natürlich auch in dem, was zukünftig notwendig ist. Ich glaube, wir können dennoch in einen durchaus produktiven Auseinandersetzungs- und Beratungsprozess kommen. Vielleicht wächst daraus noch einmal etwas ganz Neues.

Wenn man über Gender Mainstreaming spricht – Herr Dr. Gölter, Sie erinnern sich, auch in den vergangenen Jahren fiel das Wort schon ab und zu –, gibt es eine typische Reaktion bei dem einen oder anderen Herrn in diesem Parlament: Sie fragen: Gender was? –

Mittlerweile sind die beiden Begriffe im Wortlaut, in der Betonung und in der Aussprache bekannt. Die nächste Frage ist dann in der Regel: Was ist das überhaupt? – Das hat Frau Kipp schon in ihrer Definition zu erklären versucht. Ich will es noch einmal ganz kurz machen. „Gender“ bedeutet das soziale Geschlecht im Gegensatz zu „Sex“, dem biologischen Geschlecht im englischen oder amerikanischen Bereich. Mainstreaming kann man nicht mit Hauptstrom übersetzen. Aber vielleicht kommen wir der Sache nah, wenn wir sagen, dass etwas in das Zentrum des Geschehens oder in das Zentrum der Beurteilung gerückt wird. Das heißt, bei all diesen Maßnahmen, die wir im politischen Prozess, in einer Unternehmensführung, in der Art und Weise, wie Unterricht gestaltet wird, wie Bildungspolitik ausgeführt wird, unternehmen, soll die Überlegung stehen, ob die Einzelmaßnahmen den Interessen von Frauen und Männern oder Männern und Frauen in ihrem Lebenskontext gerecht werden. Das ist Gender Mainstreaming. Das ist eigentlich gar nicht so schwer. Ich bin sicher, in zwei Jahren kennt jeder nicht nur die Aussprache, sondern auch die Bedeutung, die Definition und wie es umgesetzt wird.

(Dr. Schiffmann, SPD: Auch Herr Gölter!)

Die dritte Frage, auf die man immer trifft, wenn über Gender Mainstreaming gesprochen wird und wenn man dann die Diskussion darüber führt, ist: Was ist daran denn eigentlich neu, weil wir schon immer der Meinung waren, dass Frauenpolitik Querschnittspolitik ist?

(Creutzmann, FDP: Genau!)

Das haben wir doch immer vertreten, und das wollten wir immer schon machen.

(Creutzmann, FDP: Genau!)

Ich will auch versuchen, das kurz und knapp zu erklären, was neu ist. Wir haben seit Ende der 70er-Jahre gesehen, die Hauptbemühungen in der Frauenpolitik gingen in die Richtung, dass man Frauenpolitik institutionalisieren muss. Wir haben Frauenministerien gegründet. Später haben diese dann noch weiter gehende, also andere Kompetenzbereiche dazu bekommen. Wir haben Frauenbeauftragte eingerichtet. Wir haben auch das Gleichstellungsgesetz verabschiedet. Das sind alles Maßnahmen, die durch die Überlegungen Ende der 70er-Jahre angeschoben wurden.

Ich habe vor kurzem noch einmal ein Zitat einer Frau gehört, die das alles mit in die Wege geleitet hat und sehr kritisch reflektiert hat. Sie hat gesagt: Wir waren Ende der 70er-Jahre so weit, dass wir gesagt haben, jetzt langt es uns, jetzt machen wir unsere eigenen Institutionen, jetzt schaffen wir Frauenbeauftragte und alles andere, aber zusätzlich machen wir noch den Marsch durch alle anderen Institutionen.

Dass das an Grenzen stößt, haben viele erlebt, wie ich glaube. Das heißt nicht, dass all diese Maßnahmen der institutionalisierten Frauenpolitik überflüssig sind, aber es verführte natürlich dazu – ich will das einmal an einem Beispiel deutlich machen –, dass in einem Kabinett in einer Landesregierung, in der es ein Frauenministerium gibt, immer die Frauenministerin zuständig war, wenn über Frauenpolitik geredet wurde. Sie musste sich im Kabinett – in diesem Herrenclub – durchsetzen. Sie war zuständig dafür. Sie musste dafür fighten. Sie musste das Geld dafür sammeln. Sie hat selten über ihren eigenen Etat hinaus Geld dafür bekommen. Das heißt, Sie war in persona dafür zuständig und war froh, wenn sie kleine Schritte vorangekommen ist.

Jetzt sieht das ganz anders aus. Jetzt heißt nämlich Gender Mainstreaming, dass nicht die Frauenministerin für die Frauenpolitik zuständig ist – ich hoffe, heute redet der Ministerpräsident zu diesem Antrag, weil ich glaube, das wäre eigentlich der Richtige an dieser Stelle –, sondern jeder Einzelne mit Führungsverantwortung im Kabinett, jeder einzelne Unternehmensleiter, jeder Schulleiter oder jede Schulleiterin muss sich mit dieser Frage beschäftigen und ist zuständig. Es werden Ziele formuliert, und nach einem bestimmten Ablauf müssen all die, die jetzt zuständig sind und sich dafür natürlich auch Kompetenzen erwerben müssen – das nennt man Gender-Training; schade, dass Herr Pörksen nicht anwesend ist –, darüber Rechenschaft ablegen.

(Jullien, CDU: Der trainiert gerade!)

Das ist immer der Erste, der mir bei dem Wort „GenderTraining“ einfällt. Also all diejenigen müssen sich nach einer bestimmten Zeit dafür erklären und überprüfen lassen, was sie für das Ziel „Chancengleichheit der Geschlechter“ erreicht haben.

Wir haben nicht nur neue Ziele, sondern wir haben auch eine neue Strategie und eine neue Methode. Ich finde, es lohnt sich, noch einmal mit neuem Schwung und neuem Engagement an die Frauenpolitik und an die Umsetzung der Chancengleichheit für Frauen und Männer heranzugehen.

Sicherlich ist die Frage der Kompetenz ganz bedeutend. Es ist nicht gleich jeder Gender-kompetent. Es sieht auch nicht gleich jeder, dass viele detaillierte politische Entscheidungsmöglichkeiten, zum Beispiel die Ausgestaltung eines Wirtschaftsförderungsprogramms, unter dem Gender-Aspekt anders zu beurteilen sind. Wenn ich Fördermittel vergebe, muss ich über Kriterien, Adressaten usw. dafür sorgen, dass dieses Programm in gleichem Maße den betroffenen oder interessierten Frauen wie den betroffenen interessierten Männern zugute kommt. Das bedeutet umzudenken.