Protokoll der Sitzung vom 25.04.2002

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU – Zuruf des Abg. Rösch, SPD)

Das Wort hat für die Antrag stellende Fraktion Herr Abgeordneter Dr. Schmitz. – Da Sie darauf verzichten, erteile ich Herrn Dr. Enders das Wort.

Da die FDP Antragstellerin ist, hat sie auch das Recht, als Zweite zu reden.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dank mehrerer Kleiner Anfragen und einer Großen Anfrage unserer Fraktion und dank des Antrags des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist das Thema „Arbeitszeit in Krankenhäusern“ im Parlament in der Form besprochen worden, wie es notwendig war.

Die Koalition hat einen Alternativantrag gestellt, um auf diesen schon fahrenden Zug gerade noch aufzuspringen.

(Dr. Schmitz, FDP: Herr Dr. Enders, das ist nur ein zweiter Aufguss! Das haben wir alles schon gehört! – Hartloff, SPD: Haben Sie etwas gegen Alternativanträge?)

In Hessen sind sie schon weiter. Man konnte im Dezember letzten Jahres in der „FAZ“ unter der Überschrift „Überstunden für Gotteslohn“ lesen, dass im Januar zwei Studien – eine von der Landesärztekammer und eine vom Hessischen Sozialministerium – veröffentlicht werden sollten. Sie belegen im Ergebnis eindeutig, dass auch in Hessen, natürlich auch in anderen Bundesländern, unzumutbare Arbeitszeitbelastungen in den Krankenhäusern herrschen.

Das Landgericht in Hamburg hat festgestellt, dass der Bereitschaftsdienst von Krankenhausärzten Arbeitszeit ist. Hierbei handelt es sich um einen Beschluss, bei dem ein deutsches Gericht in zweiter Instanz zu diesem Thema, zu dem es auch schon Richtung EuGH geht, Stellung nimmt.

Ich hoffe, dass dadurch der Druck auf die vorhandenen politischen Mehrheiten stärker wird. Ich habe die Befürchtung, dass die Arbeitgeber erst zu Verhandlungen

bereit sind, wenn das Bundesarbeitsgericht diese Angelegenheit in dritter Instanz verhandeln wird.

Ein erster Zwischenbericht der Gewerbeaufsicht in Rheinland-Pfalz zu dieser Schwerpunktaktion hat ergeben, dass in 31 von 45 Kliniken in vielen Fällen die Arbeitszeiten überschritten wurden. Aufzeichnungen lagen in einem Großteil der Fälle nicht vor. Hierbei handelt es sich um die Realität. Ich habe diesen Beruf 15 Jahre ausgeübt und kenne die Realität.

Auf dem Papier haben gerade die jüngeren Kollegen frei, dürfen aber nach Marathondiensten morgens im Krankenhaus bleiben und verschiedenen Aufgaben im Haus, an Patienten oder der Dokumentation, die man nicht ohne weiteres an Hilfspersonal delegieren kann – das ist sehr blauäugig, das geht nicht, Frau Grosse –, nachkommen, also länger arbeiten müssen.

Einen enorm hohen Rücklauf hat die Fragebogenaktion der Landesärztekammer, die vor wenigen Monaten gestartet wurde und demnächst auslaufen wird, ergeben. Wir sind sehr gespannt auf diese Ergebnisse, in denen Kollegen ihre Probleme auf einem standardisierten Fragebogen schildern konnten.

Erfreulich ist, dass es mittlerweile in Ihrem Haus auch einen Arbeitskreis „Arbeitszeit“ gibt, Frau Dreyer. Dies muss man einmal positiv erwähnen.

Was mich im Land erschreckt, ist, mit welcher Einschüchterung und Verschwiegenheit teilweise gerade junge Ärztinnen und Ärzte auf die Anforderungen reagieren, die ihnen gestellt werden. Aus Angst, dass der Vertrag nicht verlängert wird, hält man den Mund. Das ist die Realität im Krankenhaus.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe viele Jahre in einem Bundeswehrkrankenhaus gearbeitet. Aber in vielen anderen Krankenhäusern herrschen in den Führungsstrukturen paramilitärische Verhältnisse.

Wir werden den Antrag der GRÜNEN unterstützen, nicht, weil wir eine Pressekonferenz diese Woche hatten, sondern weil er prägnant ist und das Problem auf den Punkt bringt, Lösungsansätze zeigt und das Thema sehr ernst nimmt.

Den Antrag der Koalition werten wir – Sie mögen uns das nachsehen – als unglaubwürdigen Versuch, das Thema zu bearbeiten. Er ist uns zu oberflächlich, er greift das Problem nicht tief genug an, Herr Dr. Schmitz. Er weicht vom Thema ab.

(Hartloff, SPD: Wie lösen Sie denn das Problem?)

Letztendlich soll dieser Antrag auch von den Versäumnissen Ihres Vorgängers, Herrn Gerster, ablenken, der das Thema nie so ernst genommen hat – zum Schluss etwas ernster –, wie er es hätte nehmen sollen. Frau Ministerin Dreyer, ich verspreche mir von Ihnen, dass Sie mit der entsprechenden Sensibilität an dieses Thema herangehen. Herr Marz hat das vor einigen Wochen

bei der ersten Lesung erwähnt. Bei Piloten, bei Lokführern, bei Busfahrern erwartet man, dass sie fit sind. Das muss für Ärzte erst recht gelten. Eine britische Studie – das wissen wir auch – hat gezeigt, dass ein Promille Alkoholgehalt ungefähr den körperlichen Zustand eines Arztes oder einer Ärztin nach 24 Stunden Dienst entspricht.

Lösungsmöglichkeiten: Es gibt nicht genug Ärzte, wird gesagt. Es gäbe genug, wenn die Rahmenbedingungen besser wären, wenn es mehr Möglichkeiten gäbe, Teilzeit zu arbeiten. Dann würden viele Kolleginnen, die nicht mehr in den Beruf zurück wollen, bereit sein, zu vernünftigen Arbeitszeitbedingungen wieder in ihrem Beruf zu arbeiten.

(Hartloff, SPD: Mit der Veränderung des Gesundheitssystems!)

Dann dürfen wir nicht solche Gesetze machen. Das ist finanzierbar. Die Zahl der Ärzte ist gleich geblieben, Frau Grosse. Da haben Sie Recht.

(Dr. Schmitz, FDP: Höher! – Hartloff, SPD: Sogar höher!)

Minimal höher. Das Arbeitsumfeld ist in dem Krankenhaus, in dem Sie waren, ganz anders. Das Schlimme ist, dass die Arbeit am Patienten heute nur noch 50 % der Zeit ausmacht, 50 % sind die Ärzte mit anderen Dingen, die teilweise von dem nichtärztlichen Personal nicht gemacht werden können, beschäftigt.

(Glocke der Präsidentin)

Das sind die Probleme. Wir sollten das Thema gemeinsam mit Ernsthaftigkeit angehen.

(Beifall bei der CDU)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Enders, das klang am Schluss ganz versöhnlich. Ich will versuchen, mich in der Diktion auch etwas zurückzuhalten, aber eine Kleinigkeit kann ich mir doch nicht verkneifen. Wenn Sie die Kritik, die Sie zum wiederholten Mal geäußert haben, ernst nehmen, dann müssten Sie Ihren vielen CDU-Oberbürgermeistern und Landräten, auf die Sie so stolz sind,

(Zuruf von der CDU: Zu Recht!)

die Leviten lesen und sich mit den kirchlichen Trägern anlegen, mit deren Arbeit Sie offensichtlich auch nicht zufrieden sind. Ich muss sagen, ich fühle mich mit unserer Position sehr viel wohler, die da lautet – – –

(Zuruf von der CDU: Ohne Bürgermeister! – Heiterkeit im Hause)

Herr Kollege Weiland, Sie wollen doch nicht, dass ich jetzt mit Sachsen-Anhalt weitermache. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Vielen Dank für die Vorlage, aber ich möchte das nicht aufgreifen.

Wenn wir diese Dinge einmal ausklammern, ob das CDU-Oberbürgermeister sind, ob das kirchliche Träger sind, ob das das Land in der Trägerschaft ist, wer auch immer, dann ist aber auch klar, dass von der Struktur her die Problematik wie ein Sandwich eingebaut ist: Unten habe ich die Träger, im Wesentlichen die kommunale Ebene, oben habe ich den Bundesgesetzgeber mit brillanten Leistungen – Herr Marz, Ihre Bundeskollegin Frau Fischer ist weltberühmt geworden für ihre rasanten Ansätze, dieser komplexen Materie Herr zu werden, im Nachhinein noch meinen herzlichen Glückwunsch; vielleicht haben wir das nicht so verstanden; wir sind manchmal nicht so gewieft; das hat man auch beim Vortrag des Kollegen wieder zur Kenntnis nehmen müssen – und dem, Herr Dr. Enders – Herr Dr. Altherr war selbst im Bundestag –, was die CDU in den zurückliegenden Jahrzehnten an Politik betrieben hat. Sie werden doch nicht ernsthaft bestreiten wollen, dass die FDP in ihren Reformvorschlägen immer wieder blockiert wurde. Es war als letzter Herr Seehofer, der das zarte Pflänzlein „weg von der Sachleistung“ in Teilbereichen unter wahltaktischen Aspekten abgeknickt hat. Jetzt Krokodilstränen zu vergießen, das kann, glaube ich, nicht einmal die Herrschaften auf der Galerie beeindrucken.

Zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der Antrag bezieht sich in einem Punkt auf ein EuGHUrteil, auf dessen letztinstanzlicher Bewertung durch deutsche Gerichte wir immer noch warten.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter Dr. Schmitz, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rosenbauer zu?

Gern, wenn es zügig geht.

Herr Dr. Schmitz, Sie haben eben die Träger angesprochen, dass die Landräte mehr machen müssen. Können Sie mir einmal erklären, inwiefern die Landräte und die Träger der Krankenhäuser dort tätig werden sollen und wo das Problem bei denen liegt, oder liegt das nicht vielmehr an den Rahmenbedingungen?

Herr Rosenbauer, ich war gerade dabei. Das Thema „Budget“ ist im Übrigen ein gutes Thema. Erzählen Sie doch einmal dem interessierten Hause, wer das erste Budget in Deutschland im Gesundheitsbereich einge

führt hat. Erinnern Sie sich an die Partei. Die trägt Ihre Bartfarbe. Das ist sehr richtig. Das sollte man nicht verschweigen.

(Zuruf des Abg. Dr. Rosenbauer, CDU)

Dann ist das gut. Dann sagen Sie das ganz laut. Wenn Sie hier die Budgets angreifen als Vertreter der Partei, die sie eingeführt hat, dann machen Sie sich lächerlich, Herr Rosenbauer. So weit können wir nicht gehen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, jetzt einmal auf die Bundesebene. Wir, SPD und FDP, haben gemeinsam diesen wiederholten Versuch, die gesamte Gesundheitsproblematik auf das Problem der Arbeitszeiten in Krankenhäusern zu reduzieren, in der letzten Sitzung des Ausschusses durchbrochen, indem wir, was wirklich gut war, die Fragestellung auf die Frage erweitert haben: Ärzteproblematik in Rheinland-Pfalz? Es gibt nicht nur Krankenhausärzte. Es gibt niedergelassene Ärzte. Es gibt ein riesiges Gesundheitssystem. Dazu zählen im Übrigen auch Leistungserbringer, – –

(Zuruf des Abg. Billen, CDU)

Zahnärzte auch, danke, Herr Billen, das hätte ich um ein Haar vergessen. Sie zählen im Übrigen zu den niedergelassenen Ärzten.

und es gibt viel medizinnahes Gewerbe. Wir sind mit dem, was das Land zu verantworten hat, als FDP sehr zufrieden. Das gilt für die Leistungen des Amtsvorgängers von Frau Dreyer. Ich hoffe, dass das für die Leistungen der Ministerin in Zukunft auch gilt.