Protokoll der Sitzung vom 07.11.2002

Ich will die Techniken anführen, die der PID ganz nahestehen und die in diesem Zusammenhang immer mit diskutiert werden. Das ist einmal die Frage: Wie hat sich die künstliche Befruchtung entwickelt, die als Methode, als Instrument in einem sehr engen Indikationsrahmen damals, als sie eingeführt wurde, gewählt wurde. Ich will Ihnen – ich hoffe, man kann es wenigstens ungefähr erkennen – die Fallzahlen von 1982 und 1999 aufzeigen. Wir hatten 1982 rund 700 Fälle, in denen die künstliche Befruchtung vorgenommen wurde, 1999 hatten wir fast 54.000 Fälle. Das heißt, die Anwendung und die Indikation, also dort, wo man die Anwendung zulässt, hat sich enorm erweitert.

Ähnlich ist es auch mit der Pränataldiagnostik, die als Methode und Instrument ursprünglich einen sehr engen Indikationsrahmen hatte, als sie zugelassen wurde, nämlich das Altersrisiko, also die Frage: Können Frauen ab einem bestimmten Alter mittels einer Fruchtwasseruntersuchung abklären, ob der in ihnen wohnende, ruhende Embryo mit veränderter Chromosomenstruktur auf die Welt kommt? – Auch dazu drei Zahlen. 1970 gab es sieben Fruchtwasseruntersuchungen, 1987 33.000 Fruchtwasseruntersuchungen und 1995 über 61.000 Fruchtwasseruntersuchungen. Auch diese Methodik hat zugenommen, sehr wohl auch in der Absicht, Frauen, die schwanger sind, ein Mehr an Informationen über den möglichen Gesundheitszustand ihres Embryos zu geben, auch Abschätzungen zu ermöglichen, ob sie ein gesundes Kind zur Welt bringen.

Wenn wir jetzt diese Technikentwicklung betrachten und wenn wir sehen, dass wir als Gesellschaft, als Einzelne aber auch in der Politik und auch in den Berufsfeldern, die damit tätig sind, diese Entwicklung steuern oder auch eingrenzen können, dann frage ich mich immer bei denjenigen, die diese neue Methode der Präimplantationsdiagnostik befürworten, woher sie für sich die Sicherheit nehmen, dass sie es einschränken können. Zu dieser Frage hätte ich gern eine Antwort der Antragsteller, von SPD und FDP, weil Sie sagen: Zulassen, aber nur für Paare, die so genannten Hochrisikogruppen, die die Möglichkeit erhalten sollen, über PID Gewissheit zu bekommen und auch eine Veränderung zu haben.

Wir können die Entwicklungen in anderen Ländern international betrachten, wie sich das bei einer sehr engen Indikationsstellung für Paare, bei denen ein ganz hohes Risiko besteht, dass sie Kinder mit einer schweren erblichen Erkrankung gebären, verändert. Ich will Ihnen zwei

Beispiele nennen. In Großbritannien wurde im Jahr 2000 Adam geboren. Er wurde aus 16 Embryonen ausgesucht. Er wurde danach ausgesucht, dass er sich für eine kranke ältere Schwester, die schon geboren war, als Blut- und Knochenmarksspender eignet. Es wird in der Fachsprache von Designer-Babys gesprochen. Großbritannien will jetzt diese Zulassungsbedingungen für PID – dort ist es erlaubt – für solche Designer-Babys öffnen.

Das zweite Beispiel stammt aus Schottland. Dort wurde ein Embryo ausgesucht, weil in einer Familie, in der es vier Söhne gab, ein Mädchen nach einem tödlichen Unfall gestorben war. Es wurde ein Embryo nach dem Geschlecht ausgewählt, weil die Familie die weibliche Dimension in ihrer Familie wieder haben wollte, ein verständlicher Wunsch. Aber danach wurde nach Geschlecht ein Embryo ausgesucht. Family balancing heißt es. Wir müssen uns auch im Klaren sein, wenn es um die Abgrenzung und die Möglichkeiten geht, dass wir momentan immer eine Negativauswahl bei den Embryonen glauben machen zu können, dass es technisch bereits jetzt möglich ist, auch nach positiven Kriterien auszuwählen – es gibt internationale Zentren, die heute schon die Geschlechtsselektion vornehmen – oder auch die PID als Routinemethode bei der künstlichen Befruchtung zur Anwendung bringen, um die Erfolgsquote bei der künstlichen Befruchtung höher zu halten.

Ich sage Ihnen, für mich ist diese technische Entwicklung, die wir bei vielen anderen Methoden erlebt haben und die Erkenntnis darin, wie schwierig es ist, die Indikationsstellung einzugrenzen, das stärkste Argument, weil ich der Meinung bin, wir haben in der Art und Weise, wie wir diesen wissenschaftlichen Möglichkeiten in der politischen aber auch in der gesellschaftlichen Debatte hinterherlaufen, keine Steuerungsmöglichkeit und auch keine Möglichkeit, Grenzen, die wir definiert und diskutiert haben, einzuhalten. Deswegen glaube ich, ergibt sich aus sehr allgemeinem Interesse – ich will nicht zukünftig viele Designer-Babys haben, ich will keine Auswahl von Embryonen unter Family-balancingArgumenten haben, ich will auch keine Zunahme der künstlichen Befruchtung haben, weil man dann weiß, dass man vielleicht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein gesundes Baby gebiert.

(Glocke des Präsidenten)

Ich will auch keine Auf-den-Kopf-Drehung der Schwangerschaft und eine Übermedizinisierung der Schwangerschaft haben. Aus diesen Gründen und der Schwierigkeit der Eingrenzung glaube ich, gibt es ein allgemeines Interesse, das das Verbot der PID rechtfertigt, das uns auch nicht in verfassungsrechtliche Schwierigkeiten bringt. Deswegen schlagen wir dies in unserem Antrag vor.

Herr Präsident, noch einen Satz: Ich bin froh, dass die Antrag stellenden Fraktionen, SPD und FDP, gesagt haben, sie bringen ihren Antrag noch einmal in die Ausschüsse hinein, weil ich glaube, dass es auch diesem Parlament gut anstehen würden, wenn wir die Möglichkeit hätten, Gruppenanträge zu formulieren. Hier gehen

die Überzeugungslinien nicht zwischen den Fraktionen, sondern oft auch quer durch die Fraktionen.

Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Schleicher-Rothmund das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einmal eine Vorbemerkung. Ich beschäftige mich schon sehr lange mit dem Thema der bioethischen Fragestellung. Ich habe eine Beobachtung gemacht: Je häufiger sich diejenigen, die sich intensiv mit der Fragestellung auseinander setzen, mit dem Thema beschäftigen, desto mehr führt es leider nicht zu einer Annäherung der Standpunkte, sondern die einzelnen vorgetragenen Argumente führen eigentlich mehr dazu, dass die Wälle höher aufgeschüttet werden.

Frau Thomas, ich muss auch sagen, in Ihrer Herleitung, die ich eigentlich gar nicht als eine Herleitung empfunden habe, haben Sie aber letztendlich viele Fragen aufgeworfen, die uns alle in diesem Hause sehr intensiv beschäftigen. Was ich als Herleitung werten wollte, wäre die Art und Weise, wie Sie hier eine Statistik vorlegen und dann sagen Sie: Schaut einmal her, künstliche Befruchtung, In-vitro-Fertilisation, 1980 waren es 700 und 1999 soundso viel tausend.

Daraus ziehen Sie automatisch einen negativen Rückschluss. Haben Sie eigentlich einmal das Gespräch mit den Ehepaaren geführt, die sich durch diese Methode ihren Kinderwunsch erfüllen konnten?

(Beifall der SPD und der FDP – Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was glauben Sie denn?)

Ich denke, das ist ein schneller Schluss, der keine Logik birgt. Ich betrachte ihn als falsch.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ein Schluss der Bundestags- Enquetekommission!)

Dann kommt das Argument vom Designer-Baby. Ich glaube, dass in diesem Hause noch nie einer gesagt hat: Wir wollen das Designer-Baby.

(Beifall der SPD und der FDP – Creutzmann, FDP: So ist es!)

Darüber besteht Einigkeit. Sie stellen einen Fakt in den Raum, indem Sie sagen, es gibt einen Mißbrauch, indem Sie sagen, eine quantitative Zunahme kommt einer qualitativen Verschlechterung gleich. Sie fordern uns auf, die Frage zu beantworten, wie wir diesem Mißbrauch begegnen wollen.

Ich denke, zum einen ist auf Bundesebene mit dem Stammzellengesetz und einer etablierten Kontrollkommission, die dieses Gesetz vorsieht, sicherlich dieser Fragestellung begegnet worden, und zum anderen sind wir auf Landesebene nur dazu aufgerufen, den Diskussionsprozess zu begleiten und zu sagen, wie wir als rheinland-pfälzisches Parlament dies sehen.

Entschieden werden diese Fragen letztendlich auf Bundesebene. Ich denke, wir müssen in unserem Antrag nicht die letzten Fragen beantworten, die sich Ihnen bei der Lektüre unseres Antrags gestellt haben.

(Beifall der SPD und der FDP – Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte etwas zu den vorliegenden Stammzellenanträgen sagen, die heute zur Abstimmung stehen und darauf verweisen, dass das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben – ich möchte einmal die Anhörung im Oktober erwähnen, die uns unter dem Titel „Was kann, was darf der Mensch“ schon einmal die fundamentalen Fragestellungen aufgezeigt hat, aber auch die Anhörung im Ausschuss für Gleichstellung und Frauenförderung zur Präimplantationsdiagnostik –, uns gezeigt hat, dass wir über ein hoch sensibles und hoch komplexes Thema reden.

Wir wissen, dass das Tempo, mit dem uns die Lebenswissenschaften neue Erkenntnisse präsentieren, immens ist. Die Zellbiologie, die Fortpflanzungsmedizin und die Stammzellenforschung revolutionieren täglich unser Wissen über die Entstehung des menschlichen Lebens.

Aus dieser Dynamik sollten wir nicht den Schluss ziehen, dass wir jetzt schnell zu einer Entscheidung kommen müssen. Wir sind weiterhin aufgerufen, den ganzen Prozess sorgfältig und behutsam zu begleiten.

Ich denke, bei der Auseinandersetzung mit den biomedizinischen Fragestellungen ist es unsere Aufgabe, die medizinischen, rechtlichen und ethischen Aspekte der Stammzellenforschung und der Präimplantationsdiagnostik möglichst vollständig zu erfassen und abzuwägen. Das haben Sie vorhin auch gesagt. Es ist weiterhin unsere Aufgabe, diese verschiedenen Aspekte nicht gegeneinander auszuspielen, sondern miteinander in Einklang zu bringen.

Ich möchte noch etwas zu den Stammzellenanträgen sagen. Im Januar 2002 hat der Bundestag über die embryonale Stammzellenforschung in Deutschland abgestimmt. Wir alle kennen den Antrag und wissen, wie heftig um ihn gerungen wurde. Heute haben wir in Deutschland ein Stammzellengesetz, das uns den Handlungskorridor für die Stammzellenforschung in Deutschland bestimmt.

Dieses Gesetz regelt die Begriffsbestimmung. Es nennt die Ausnahmen, unter denen die Einfuhr von embryonalen Stammzellen zulässig ist. Es verlangt nach der Hochrangigkeit eines Forschungsvorhabens, und es regelt unter anderem die Genehmigung und Kontrolle der Einfuhr.

Ich möchte es noch einmal betonen. Ich habe es im Mai schon einmal gesagt. Mit dem Stammzellengesetz wird meiner Ansicht nach eine wichtige Lücke zum Embryonenschutzgesetz geschlossen.

Die rheinland-pfälzische SPD begrüßt in ihrem Antrag, den wir heute zur Abstimmung stellen, die Entscheidung des Bundestags als einen ethisch und rechtlich vertretbaren Kompromiss. Er achtet zum einen die Würde des Menschen und den Schutz des Lebens, der uns allen sehr wichtig ist. Aber er erkennt zum anderen auch die Freiheit der Wissenschaft und den Nutzen wissenschaftlichen Arbeitens an.

Besonderes Augenmerk verdient die im Stammenzellengesetz verankerte Berichtspflicht. Sie bietet Gelegenheit für ein Innehalten und für eine Reflexion. Neue Erkenntnisse können dabei Berücksichtigung finden. Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass es immer wieder erforderlich sein wird, innezuhalten und zu schauen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind oder nicht mittlerweile neue Erkenntnisse haben, die unter Umständen eine Kurskorrektur erforderlich machen und sinnvoll sind.

(Beifall der SPD und der FDP)

Keinesfalls teilen wir die Auffassung von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, derzufolge die Forschung und dann auch die Forschungsförderung in RheinlandPfalz auf die Forschung mit natalen und adulten Stammzellen beschränkt werden soll. Dieser Einschränkung mangelt es an der ethisch nachhaltigen Konsequenz.

Es ist davon auszugehen, dass durch die mittlerweile in Deutschland eingeschränkte Zulassung der Forschung an embryonalen Stammzellen die Ergebnisse dieser anderenorts getätigten Forschung in die Forschungsarbeit von Rheinland-Pfalz einfließen werden. Es sollte angemerkt werden, dass derzeit in Rheinland-Pfalz nur an adulten Stammzellen geforscht wird.

Es wird von der weiteren Entwicklung dieser Art von Forschung abhängen, inwieweit embryonale Stammzellenforschung betrieben wird. Diesbezüglich eine landesspezifische Beschränkung kategorisch einzufordern, verkennt die tatsächlichen Gegebenheiten heutigen wissenschaftlichen Arbeitens. Darüber hinaus wird verkannt, dass besonders der vergleichenden Forschung hohe Bedeutung beigemessen wird.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Die wertvolle Arbeit der rheinland-pfälzischen BioethikKommission beweist, dass es gerade in Rheinland-Pfalz eine bewusst geführte Auseinandersetzung mit der Bioethik gibt. Aber nicht nur deswegen werden wir Ihren Anträgen nicht zustimmen. Im Gegensatz zu CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die SPD auch nicht vor der Anhörung zur Präimplantationsdiagnostik eine Positionierung zur Präimplantationsdiagnostik vorgenommen, sondern danach.

Uns war es wichtig, die Standpunkte und Informationen aus dieser Anhörung in unseren Antrag einfließen zu lassen. Hierbei waren gerade die Standpunkte von Men

schen, die durch ihren persönlichen Lebensweg – ich denke an die Vertreterin der Huntington-Gruppe – oder durch ihre berufliche Tätigkeit mit Fragestellungen der Präimplantationsdiagnostik zu tun haben. Dies war für uns von sehr hohem Wert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Präimplantationsdiagnostik ist nur im Rahmen einer extrakorporalen Befruchtung möglich. Die Anwendung der PID darf nur für Paare mit einer schwerwiegenden genetischen Belastung gelten. Es ist für uns wichtig, dass die Methoden der Fortpflanzungsmedizin in keinster Weise zu einer flächendeckenden Technik zur Erweiterung des vermeintlich vollkommenen Lebens werden. Das möchte ich ganz deutlich betonen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Die PID darf kein allgemein zugängliches Risikoscreening werden.

Die von Medizinern genannte Zahl von Paaren mit einer schwerwiegenden genetischen Belastung, die Kenntnis über ihre schwerwiegende genetische Belastung besitzen, das keinesfalls leichte Verfahren einer In-vitroFertilisation auf sich nehmen und sich dann gegebenenfalls für die PID entscheiden würden, wird als äußerst gering eingeschätzt.

So sehr wir die Einwände gegen die PID ernst nehmen müssen, so sehr müssen wir auch die Belange dieser Menschen berücksichtigen. Eine strikte Grenzziehung durch Verbot muss einem Gedanken standhalten können: Ich würde nicht so handeln an deiner Stelle.

Dem Wunsch auf leibliche Elternschaft muss respektvoll und unterstützend begegnet werden. Eine Beurteilung, ob der Verzicht auf leibliche Elternschaft eine schwere oder geringfügige Belastung ist, sollte nicht vorgenommen werden. Unerlässlich aber ist für alle pränatalen Diagnosemethoden der Umfang der Beratung.

Diesbezüglich stellt die Bundesärztekammer einen großen Rahmen auf. Es gibt die Trias der Beratung: Vor, während und nach der Beratung müssen die Eltern ein Beratungsgespräch führen. Die Beratung hat einen wesentlichen Stellenwert. Sie hat uns in der Vergangenheit gezeigt, dass sie sehr viel positiven Einfluss hat.

Sie ist für die Paare von besonders hoher Bedeutung, einmal bei der Entscheidungsfindung, aber auch in der Situation der Entscheidungsbewältigung. Die Entscheidung eines Paares für oder gegen die PID oder gegebenenfalls für oder gegen eine Schwangerschaft muss dem betroffenen Paar überlassen werden. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, durch Aufklärung und Beratung die betroffenen Paare zu unterstützen, um so zu einer eigenständigen und verantworteten Entscheidung zu kommen.