Protokoll der Sitzung vom 07.11.2002

auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 14/1035 –

Es ist eine Redezeit von zehn Minuten vereinbart worden.

Als Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag begrüße ich sehr herzlich Mitglieder des CDU-Ortsverbandes Venningen. Herzlich willkommen im rheinland-pfälzischen Landtag!

(Beifall im Hause)

Für die Antrag stellende Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Grützmacher das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ein umfangreicher Bericht wie der Bericht des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz kann natürlich in seiner Gänze in zehn Minuten nicht besprochen werden. Daher werde ich mich auf folgende drei Felder beschränken: Rechtsextremismus, NPD-Verbotsverfahren und zum Schluss aktuell islamistische Organisationen.

Meine Damen und Herren, zu der Frage des Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz gibt es in diesem Verfassungsschutzbericht wenig grundsätzlich neue Erkenntnisse. Es gibt aber auch wenig Grund zur Beruhigung. Die Ausführungen des Berichts zum Rechtsextremismus sind weiterhin Besorgnis erregend, besonders der Einfluss, den die Rechtsextremisten über ihre Szenemusik

und über zeitgemäße Medien wie das Internet auf junge Menschen ausüben.

Dabei haben sich die Aktivitäten in den letzten Monaten und Jahren weg von öffentlichen Auftreten mehr hin zur Verbreitung der Musik von allem auch über das Internet hin bewegt.

In der Venetzung der rechtsextremistischen und neonazistischen Vereinigungen gibt es neue Qualitäten. Wir haben zum Beispiel miterlebt, dass in der Pfalz ein Aktionsbüro Südwest neu gegründet wurde, mit dem sich die NPD mit den neonazistischen Kameradschaften in Rheinland-Pfalz vernetzen möchte. Dies zeigt eine neue Qualität und zeigt auch, wie sich die NPD vielleicht auf ein Ergebnis eines Verbotsverfahrens vorbereitet.

Meine Damen und Herren, die Anzahl rechtsextremistischer Straftaten ist immer noch viel zu hoch, auch die Zahlen rechtsextremistischer Gewalt erschrecken: eine versuchte Tötung im Jahr 2001, eine versuchte Brandstiftung, 28 Körperverletzungen im Juli 2001 sowie drei Schändungen jüdischer Friedhöfe.

Meine Damen und Herren, bei der Besprechung des Verfassungsschutzberichts möchte ich ganz deutlich sagen, es ist die gesamte Gesellschaft gefordert. Wir alle müssen rechtsextremistischen Bestrebungen offensiv und eindeutig entgegentreten; denn staatliche Stellen allein können dieses Problem nicht in den Griff bekommen, am allerwenigsten der Verfassungsschutz.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darum ist es meiner Meinung nach auch eine Verkennung seiner Aufgaben, wenn der Verfassungsschutz meint, offensiv Öffentlichkeitsarbeit machen zu müssen, um für sich und seine Arbeit zu werben. Wir finden, wenn es um Aufklärung und inhaltliche Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten und dem Rechtsextremismus geht, dann sind die Polizei, die sowieso 95 % aller Informationen zusammenträgt, oder zum Beispiel auch die Landeszentrale für politische Bildung die geeigneten Vermittler, vor allem natürlich bei Jugendlichen in den Schulen.

Meine Damen und Herren, als nächstes kommt das Kapitel über sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern. In diesem Kapitel nimmt der Bereich des islamistischen Extremismus jetzt einen breiten Raum ein. Hier ist es natürlich so, dass sich die Politik auf einer sehr schwierigen Gratwanderung bewegt, weil auf der einen Seite die Gefahr des Missverständnisses und auf der anderen Seite des Schürens von Vorurteilen besteht. Da ist diese Gefahr des Schürens von Vorurteilen auch groß.

Der Bericht differenziert richtigerweise auch zwischen dem Missbrauch des Islam durch extremistische Gruppierungen und der überwiegenden Zahl von Muslimen, die in ihrer Religion und in ihren Moscheen ihre Identität finden. Darum ist es unserer Meinung nach immens wichtig, dass die vor einigen Wochen wieder erfolgten Durchsuchungen von Moscheen nicht bei den Muslimen hier in Deutschland so ankommen, als könnten sie ihre Religion nicht mehr ausüben.

Meine Damen und Herren, darum müssen Gegengewichte gegen solche polizeilichen Maßnahmen geschaffen werden, um den Muslimen die Angst zu nehmen. Ich erinnere nur hier an die Rede von Herrn Elias am 11. September dieses Jahres im Mainzer Dom. Er hat hier mit sehr ernsten Worten diese Angst der Muslime thematisiert. Ich denke, auch das ist eine Aufgabe, die die ganze Gesellschaft, die ganze Landesregierung, übernehmen muss. Damit kann man natürlich nicht den Verfassungsschutz beauftragen.

Meine Damen und Herren, es müssen klare Signale ausgesandt werden, dass wir auch hier in RheinlandPfalz die Religion des Islam genauso fördern und unterstützen wie die katholische und die evangelische Religion.

(Pörksen, SPD: Das ist keine Sache des Verfassungsschutzberichts)

Für Muslime muss gerade wegen dieser Verunsicherung die Aufklärungsarbeit über unsere demokratische Grundordnung und die Bedrohung durch extremistische Strömungen angeboten und auch deutlich gemacht werden, und zwar – dass finde ich sehr wichtig – in ihrer Sprache. Ich glaube, dass es gerade für diese Bevölkerungsgruppen, die meistens neu in unser Land eingewandert sind und nicht länger als zehn oder fünfzehn Jahre hier sind, sehr wichtig ist, dass sie über das aufgeklärt werden, was unsere demokratische Grundordnung bietet und was sie auch für Rechte, aber natürlich auch für Pflichten haben.

Aber das ist natürlich auch mehr eine Aufgabe der Landeszentrale für Politische Bildung und weniger des Verfassungsschutzes.

Meine Damen und Herren, ein besonders heikles Thema umschifft der Bericht des Verfassungsschutzes durch fast völliges Ignorieren, nämlich den NPD-Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht. Es wird lapidar festgestellt, dass erst die Bundesregierung, dann der Bundestag und schließlich der Bundesrat Anträge beim Verfassungsgericht auf ein Verbot der NPD eingereicht haben. Kein Wort von der unheilvollen Rolle, die die Verfassungsschutzbehörde bei diesem Verbotsverfahren gespielt hat. Weil der Verfassungsschutz seine in die NPD eingeschleusten V-Leute nicht an die Innenminister gemeldet hatte, wäre dieses Verbotsverfahrens fast geplatzt. Wie wir wissen, steht es auch weiterhin auf wackligen Füßen.

Meine Damen und Herren, warum werden Politikerinnen über die Rolle des Verfassungsschutzes in der NPD im Unklaren gelassen? Auch heute weiß die Öffentlichkeit noch nicht, in welchem Umfang V-Leute Aktivitäten und Strategien der NPD beeinflußt haben, in welchem Umfang die an die V-Leute gezahlten Honorare für Aktivitäten der NPD verwandt wurden. Ich denke im Moment bloß an das Verfahren, das in Berlin einem V-Mann, der aus Brandenburg in Berlin tätig war, gemacht wird und der einen ganz schwunghaften Handel mit rechtsextremistischer Musik betreibt.

(Pörksen, SPD: Soll das da drinstehen?)

Nein, das steht nicht da drin.

(Pörksen, SPD: Das soll auch nicht drinstehen!)

Das kann nicht da drinstehen, aber ich sage, man soll sich dazu auch im rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzbericht verhalten. Es kann sogar sein, und es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass ganze Passagen dieses NPD-Verbotsantrags ganz anders ausgefallen wären, wenn die V-Leute den Antragstellern, das heißt, den Innenministern, gemeldet worden wären.

Meine Damen und Herren, hier hat unserer Meinung nach der Verfassungsschutz Exekutive und Legislative vorgeführt. Davon erwähnt der vorliegende Bericht überhaupt nichts.

Meine Damen und Herren, zu einem Bericht gehört auch eine Spur von Selbstkritik. Aber das sehen wir hier nicht. Der Verfassungsschutzbericht macht eigentlich Business as usual. Es wird weiterhin über die DKP berichtet und über die PDS, obwohl beide Gruppierungen erstens keine Rolle in Rheinland-Pfalz spielen und zweitens – das ist entscheidend – sich nirgends gewaltbereit oder gar gewalttätig gezeigt haben. Das ist unserer Meinung nach eine Beschäftigungstherapie für die Dienste. Damit sollte sich der Verfassungsschutz wahrlich nicht seine Zeit stehlen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Auseinandersetzung eben auch mit der PDS – das haben wir bei der Bundestagswahl gesehen – muss in der politischen Öffentlichkeit stattfinden. Das ist nicht etwas, was für den Verfassungsschutz als Beobachtungsobjekt notwendig ist.

(Pörksen, SPD: Steht das im Bundes- bericht auch nicht drin?)

Wir sehen aber an diesem Beispiel der DKP und der PDS immer noch sehr deutlich, dass eine wirkliche inhaltliche Reform des Verfassungsschutzes auch zwölf Jahre nach Ende des Kalten Krieges nicht stattgefunden hat. Der Verfassungsschutz in seiner gegenwärtigen Zielsetzung und Aufgabenstellung ist eben ein Kind des Kalten Krieges. Eine Diskussion über die Umstrukturierung und über eine neue Aufgabenstellung ist dringend geboten.

(Schweitzer, SPD: Jetzt überziehen Sie doch nicht!)

Dazu gehört natürlich auch die Diskussion über die Kontrolle des Verfassungsschutzes. Das haben wir in der vorangegangenen Diskussion über den letzten Tagesordnungspunkt besprochen.

(Pörksen, SPD: Das klappt hervorragend!)

Meine Damen und Herren, die V-Mann-Affäre beim NPD-Verbotsantrag hat deutlich gezeigt, dass die parlamentarischen Kontrollkommissionen von Bund und Ländern offensichtlich überhaupt nicht in der Lage wa

ren, den Verfassungsschutz zu kontrollieren. Einer Ihrer Kollegen von der SPD hat das auch unverblümt gesagt, als wir wieder eingefordert hatten, dass auch wir bei dieser parlamentarischen Kontrollkommission tätig sind: „Wenn Sie wüssten, was in dieser Kommission läuft, dann würden Sie gar nicht hineinwollen“. – Da mag er faktisch Recht haben – – –

(Pörksen; SPD: Wer war das?)

Das sage ich Ihnen einmal unter vier Augen.

(Pörksen, SPD: Entweder hier oder gar nicht!)

Da mögen Sie faktisch Recht haben, aber das kann natürlich nicht das sein, was wir wollen. Es ist wichtig und richtig, dass die Kontrollgremien hier in RheinlandPfalz gestärkt werden sollen, damit sie auch wirklich ihre Kontrollfunktion aufnehmen können. Das darf natürlich nicht halbherzig nur dadurch geschehen, dass eine Oppositionspartei – ich sage es noch einmal – außen vor bleibt.

Meine Damen und Herren, wir brauchen eigentlich eine umfassende und vorurteilsfreie Debatte, welches die Aufgaben des Verfassungsschutzes sein sollen. Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind der Meinung, dass er sich auf seine Kernaufgaben, auf den Schutz der wehrhaften Demokratie, beschränken soll, mit geheimen Methoden Gruppierungen, die unsere Demokratie beseitigen wollen, zu beobachten.

Meine Damen und Herren, alles andere, das Zusammentragen von Informationen, das Erarbeiten von Strategien gegen dieses demkokratiefeindliche Gedankengut, ist die Aufgabe der Polizei und anderer Institutionen.

Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass diese Diskussion dringend geführt werden muss. Es kann nicht sein, dass sich der Verfassungsschutz sozusagen selbst seine neuen Aufgaben sucht. Das müssen wir, der Gesetzgeber, tun.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Abgeordneter Pörksen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin, ich möchte drei kurze Vorbemerkungen machen.