Meinung sind, dass es Einzelfälle geben kann, in denen die Schule Kenntnis darüber hat, dass dieses vertrauensvolle Zusammenarbeiten nicht mehr gegeben ist und Eltern nicht mehr zugunsten ihrer Kinder helfen werden, sondern vielleicht aus einem übersteigerten Ehrgeiz oder sonstigen Motiven heraus in einem Maß Druck auf die Jugendlichen ausüben werden, dass eine Krise zur Katastrophe werden kann.
Wenn die Schule davon Kenntnis hat, ist es in dem Gesetz sehr wohl denkbar, dass sie nicht in Kontakt mit den Eltern tritt. Das ist für uns ein ganz wesentlicher Punkt, um auch die Verantwortung der Schule in dieser Krisensituation wirkungsvoll werden zu lassen. Die Schule muss, wenn sie merkt, dass die Schullaufbahn eines Schülers oder einer Schülerin schwierig wird und tatsächliche Gefährdungen des Abschlusses drohen, reagieren können. Die Möglichkeit, die dieses Gesetz einräumt, ist die Reaktion hin zu einem erweiterten Kreis von Personen, die zweifellos eigentlich die natürlichsten Personen sind, um zu unterstützen und zu helfen, nämlich die Eltern oder die Erziehungsberechtigten.
Ich möchte noch einige wenige Sätze zu dem sagen, was der Kollege Schreiner gesagt bzw. gefragt hat. Hier legt sich keiner auf eine faule Bärenhaut; denn Kriseninterventionssysteme in der Schule gab und gibt es. Diese ändern sich durch dieses Gesetz nicht. Sie werden – wie gesagt – durch die Eltern hoffentlich immer nutzbringend und zugunsten des Schülers und der Schülerin ergänzt.
Die Frage, warum wir nicht auch die volljährigen Schülerinnen und Schüler mit hineinnehmen, beantwortet sich ziemlich von selbst.
Ein 19-, 20- oder 21-jähriger, der erst dann einen Ausbildungsgang in einer Schule beginnt, wohnt häufig gar nicht mehr bei seinen Eltern. Er meldet sich selbst an. Die Schule kennt diese Eltern möglicherweise gar nicht mehr und hat objektiv überhaupt nicht mehr die Möglichkeit, mit ihnen in Kontakt zu kommen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ein in seiner Dimension in der Geschichte deutscher öffentlicher Schulen absolut singuläres schreckliches Ereignis wird von der Landesregierung zum Anlass genommen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung für Volljährige, das heißt, voll geschäftsfähige junge Menschen, einzuschränken, nur weil sie zufälligerweise wie der Täter von Erfurt noch eine öffentliche Schule besuchen.
Meine Damen und Herren, eine solche Regelung ist purer Aktionismus. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Sie entmündigen damit erwachsene Menschen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie doch nicht im Ernst, dass wir jetzt ein Gesetz machen, und dann wird alles gut. Glauben Sie das doch nicht im Ernst.
Eine kurze Frage nur: Denken Sie nicht auch, dass Gesetze für die Menschen gemacht werden und nicht umgekehrt?
Es geht doch darum, dass ein Gesetz gemacht werden muss, wenn wir tatsächlich sehen, dass dieses Gesetz auch zu einem Ziel führt. Dann machen wir Gesetze. Aber in diesem Fall – das erläutere ich Ihnen gern gleich noch – halten wir es für unnötig und puren Aktionismus.
Die ersten Versuche der Landesregierung, auf die Ereignisse von Erfurt zu reagieren, waren der Sachlage auch noch durchaus angemessen. Herr Ministerpräs ident Beck hat gefordert, bei Schulausschlussverfahren den Schulpsychologischen Dienst einzuschalten. Eine solche Ausweitung des Schulpsychologischen Dienstes mit allerdings entsprechenden zusätzlichen finanziellen Mitteln wäre ohne Zweifel sicherlich auch für die Prä
vention sinnvoll gewesen. Mit diesem Gesetzentwurf, den Sie uns heute vorlegen, Frau Ministerin Ahnen, schießen Sie aber unserer Meinung nach weit über das Ziel hinaus. Bei Anerkennung Ihrer Motive, Frau Ahnen, glaube ich, ist es, gelinde gesagt, sehr stark zu bezweifeln, dass eine solche Maßnahme Amokläufe, wie den in Erfurt, tatsächlich verhindern würde.
Eine Änderung des neuen § 1 c des Schulgesetzes schränkt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht nur bei drohendem Schulausschlussverfahren ein, auch wenn Sie uns das gern weismachen wollen, sondern beinhaltet insgesamt quasi eine Generalvollmacht an die Schule, den Eltern über alles zu berichten, was eine volljährige Schülerin oder ein Schüler unangenehm berühren könnte. Frau Kollegin Morsblech, insbesondere Absatz 4 ist voll von unbestimmten Rechtsbegriffen und Regelungen. Frau Kollegin Morsblech, ich bezweifle sehr stark, dass die Schulleiterinnen und Schulleiter glücklich darüber sind, interpretieren zu müssen, was tatsächlich „schwerwiegende Sachverhalte“ sind, die ein Schulverhältnis wesentlich beeinträchtigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, volljährige Schülerinnen und Schüler haben die gleichen Rechte wie alle anderen Volljährigen.
Eine Einschränkung ihrer Rechte wäre eine willkürliche Benachteiligung einer Personengruppe, was übrigens auch nach der Landesverfassung – Artikel 17 Abs. 2 – ausdrücklich verboten ist.
Meine Damen und Herren, in ein Grundrecht, wie das auf informationelle Selbstbestimmung, darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden, und dies auch nur dann – jetzt komme ich zu dem, was Sie gefragt haben –, wenn die gesetzlichen Regelungen zumindest zweckmäßig und wirkungsvoll erscheinen, die überwiegenden Interessen der Allgemeinheit zu schützen. Amokläufe, wie der von Erfurt, sind aber leider prinzipiell nicht zu verhindern, weil sich oftmals seelische Verletzungen entladen, die vielleicht schon Jahre zurückliegen. Gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse von Erfurt ist es durchaus legitim zu fragen, welchen Sinn Mitteilungen an Familien machen, in denen normale innerfamiliäre Kommunikation schon lange nicht mehr stattfindet. Werden Mitteilungen an Eltern verhindern, dass ein Mensch vielleicht Rache nehmen will an seinen vermeintlichen Peinigern oder gar seinen Selbstmord wirkungsvoll inszenieren will?
Meine Damen und Herren, in der Antwort von Frau Ministerin Ahnen auf meine Mündliche Anfrage zur geplanten Änderung des Schulgesetzes in der letzten Plenarsitzung sagten Sie, Sie wollen präventiv alle Möglichkeiten ergreifen. Es gehe letztlich darum, Hilfe und Unterstützung rechtzeitig leisten zu können. Was heißt „rechtzeitig“? Zwei Beispiele dafür. In einem skandinavischen Land ist es so: Wenn eine Schülerin an einer Grundschule in Skandinavien Probleme zeigt, dem Unterricht folgen zu können, dann bildet die Klassenlehrerin
ganz selbstverständlich ein Beratungsteam mit einer weiteren Kollegin, der Sozialpädagogin oder der Schulpsychologin.
Frau Ministerin Ahnen hat jetzt im Oktober die Schulleitungen der staatlichen Schulen auch aufgefordert, Beratungsteams einzurichten, bestehend aus Schulleiter, Klassenleiterin, Verbindungslehrer und Schulpsychologen, allerdings erst dann, wenn ein Schulausschluss einer Schülerin angedroht wird und ein Schulausschlussverfahren bevorsteht. Genau das ist der Unterschied, meine sehr verehrten Damen und Herren. Leider wird bei uns in Rheinland-Pfalz immer noch erst reagiert, wenn es schon fast zu spät ist.
Aber auch das, wenn das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist, Herr Kollege Schreiner. Das ist doch das Problem.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wirkliche Prävention – das ist eigentlich unser gemeinsames Ziel: davon gehe ich jedenfalls aus – muss unserer Meinung nach viel grundlegender auch im Bewusstsein aller an der Schule Beteiligten ansetzen. Ich habe von einem Herrn Reinhard Kahl in der Zeitschrift „Pädagogik“, der einige skandinavischen Schulen besucht hat, gelesen – ich zitiere –: Unser kollektives Imaginäres hält eine Schule ohne Beschämung, ohne Selektion und ohne abstrakten Druck, was nicht mit harter Arbeit und starkem Anspruch zu verwechseln ist, nicht so recht für möglich. In Finnland aber wird jeder Schüler und jede Schülerin gefördert, bis er zumindest einen mittleren Standard erreicht.
Meine Damen und Herren, eine solche Schule ohne Beschämung wäre nach menschlichem Ermessen die richtige Schule für den Schüler aus Erfurt gewesen.
Meine Damen und Herren, abschließend bleibt zu sagen: Mit gesetzlichen Eingriffen in die Grundrechte werden wir so schreckliche Taten wie in Erfurt nicht verhindern können,
sondern nur durch individuelles Eingehen auf die Bedürfnisse und die Probleme der Schülerinnen und Schüler und durch individuelle Beratung und Förderung.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, entschuldigen Sie, dass ich Ihre Zeit doch noch etwas in Anspruch nehme. Nur zwei, drei Gedanken.
Natürlich kann man pädagogisch im Elternhaus und in der Schule sehr vieles besser machen. Das ist ein ständiger Prozess. Aber in jedem Elternhaus und auch in den Systemen, die vorhanden sind, passieren viele Fehler, jeden Tag. Diese mache ich bei der Erziehung meiner Kinder, die machen andere bei der Erziehung ihrer Kinder. Das Bestreben, etwas besser zu machen, hat doch jeder von uns. Aber was mich bei diesem Vorschlag freut, ist, dass er gar nicht weismachen will, dass man damit schreckliche Ereignisse verhindern kann. Was soll er denn sein? Er soll ein Stückchen mehr ein Versuch sein, wie man den Beteiligten helfen kann und vielleicht Risiken herunterbekommt. In der Abwägung dessen, was Volljährigkeit auf der einen Seite bedeutet, und dessen, wie man ein Risiko minimieren kann, steht der Gesetzesvorschlag. Dieser ist sinnvoll. Ich sage einmal so platt, obwohl ich Jurist bin: Wenn das menschlich vernünftig ist, dass man miteinander spricht und Informationen weitergehen, dann soll man auch die Möglichkeiten schaffen, dass es geht.