Protokoll der Sitzung vom 04.12.2002

2. Auch die Situation von Blinden und sehbehinderten Menschen wird mit sinnvollen Orientierungssystemen verbessert. Piktogramme oder akustische Signale sind in diesem Zusammenhang zwei Stichworte, die in der Praxis hilfreich sein können.

3. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass die Landesregierung alle zwei Jahre über die Lage behinderter Menschen berichten soll. Dieser Bericht wird künftig auch die Situation von behinderten Menschen am Arbeitsmarkt beinhalten. Damit wird einem weiteren Anliegen der Behinderten Rechnung getragen.

Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Änderungswünschen der Grünen machen. Herr Marz, Sie haben im Ausschuss schlicht und einfach Teile Ihres Gesetzentwurfs als Änderungen eingebracht.

(Marz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja und?)

Dem konnten wir nicht zustimmen, weil neben den finanziellen Belastungen der Kommunen sogar Verschlechterungen für Behinderte mit Ihrem Vorschlag verbunden waren. Auch der heute vorgelegte Änderungsantrag und der Entschließungsantrag finden nicht unsere Zustimmung.

Im Übrigen will ich mir erlauben, eine Bemerkung zu Ihrem Beitrag zu machen: Ich finde, er war aggressiv und mehr als dünn.

Jetzt lassen Sie mich wieder zur Ausschusssitzung und zu den Änderungen der CDU zurückkommen, die leider dort nicht eingebracht worden sind, verehrte Frau Thelen. Jetzt, vor einigen Tagen, genau am Freitag, kam wie Ziethen aus dem Busch ein ganzes Bündel von Änderungen auf den Tisch. Bedauerlicherweise haben Sie, wie gesagt, in der dafür vorgesehenen Ausschusssitzung keine Vorschläge vorgelegt. Verehrte Frau Thelen, unabhängig davon, dass Ihre jetzt eingebrachten Vorschläge von uns auch politisch nicht akzeptiert werden können, ist es aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, dass Sie nunmehr einige Tage vor der heutigen Debatte sozusagen im Schweinsgalopp Veränderungen herbeiführen wollen.

(Widerspruch bei der CDU)

Auch Ihr Entschließungsantrag kann so nicht akzeptiert werden, weil Sie zusätzlich das Land finanziell belasten wollen und weil Sie Erwartungen und Absichten haben,

die wir – also SPD und FDP – in unserem vorliegenden Entschließungsantrag wesentlich besser formuliert haben.

(Kramer, CDU: Glauben Sie!)

Noch ein Wort zu Ihrer Entschließung: Wer wie Sie in der Frage der Fristen leichtfertig Hoffnungen weckt, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er populistisch redet und handelt.

(Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, wenn man ernsthaft den vorliegenden Gesetzentwurf sowie die Wünsche der Interessengruppen prüft, bleiben im Wesentlichen zwei Forderungen übrig, für die wir in unserem Entschließungsantrag Lösungswege aufzeigen.

Zum einen geht es um die Forderung einiger Verbände, die wünschen, dass in das Gesetz konkrete Fristen zur barrierefreien Gestaltung von bereits bestehenden Gebäuden und Verkehrsmitteln aufgenommen werden sollen. Ich sage in aller Offenheit: Dem konnten wir nicht zustimmen, weil weitere finanzielle Belastungen der Kommunen unzumutbar sind. Deshalb sagen wir in unserem Entschließungsantrag – davon sind wir fest überzeugt –, dass viele Maßnahmen – allerdings ohne Zwang – zeitnah und ohne besonderen Aufwand durch die Kommunen umgesetzt werden können.

(Pörksen, SPD: Sehr vernünftig!)

Mit anderen Worten, wir fordern die Kommunen auf, die Angebote für behinderte Menschen schrittweise und zügig weiterzuentwickeln.

Zum anderen geht es um den Wunsch, Behindertenbeiräte bzw. Behindertenbeauftragte bei den Kommunen verbindlich festzuschreiben. Auch in diesem Fall sind wir der Meinung, dass dies nur auf freiwilliger Basis geschehen soll. Tatsache ist, bereits heute leisten landesweit 20 Behindertenbeiräte bzw. -beauftragte in den Kommunen gute Arbeit. Wir vertrauen den Kommunen, dass sie ohne gesetzlichen Druck die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen auf den Weg bringen.

Deshalb sagen wir in unserem Entschließungsantrag, dass die Gemeinden die Möglichkeiten der Teilhabe ausbauen und vor allem künftig die Erfahrungen und Kompetenzen behinderter Menschen nutzen sollen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich meine, nur so geht es, nicht gegeneinander, sondern miteinander.

Meine Damen und Herren, dieses Gesetz in Verbindung mit unserem Entschließungsantrag – davon bin ich fest überzeugt – ist eine gute Grundlage, die Situation behinderter Menschen in unserem Land zu verbessern.

(Beifall der SPD)

Anders ausgedrückt: Das Gesetz wird die Wirklichkeit für behinderte Menschen völlig verändern. – Sorgen wir gemeinsam in unserer Verantwortung als Abgeordnete, aber auch als Kommunalpolitiker dafür, dass Fortschritte nicht nur im Gesetz stehen, sondern auch und gerade vor Ort ermöglicht und umgesetzt werden.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und der FDP)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Abgeordneten Marz das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Rösch, wenn Sie sich der Diskussion um das Prinzip der umgehenden Erreichbarkeit, nämlich die Frage, wie man Fristen in ein Gesetz aufnimmt, ohne sie so festzuschreiben, dass sie in unerträglicher Weise die Kommunen binden und möglicherweise überfordern – das kann alles sein –, nicht verweigert hätten, könnten Sie nicht so etwas reden. Sie behaupten völlig ungeprüft, durch einen solchen Vorschlag würden unzumutbare Kosten auf die Kommunen zukommen. Eine solche Aussage kann nur durch grobes Unwissen entstehen.

(Rösch, SPD: Sie sind unwissend und unverschämt!)

Herr Kollege Rösch, wenn Sie einräumen, dass in 20 rheinland-pfälzischen Kommunen Behindertenbeauftragte eine hervorragende Arbeit leisten, frage ich Sie, warum dies nicht in allen oder zumindest in den größeren rheinland-pfälzischen Kommunen der Fall ist? Warum lassen wir es an dieser Stelle bei einer schlichten Bitte des Gesetzgebers?

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Thelen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst auf die grundsätzliche Position unserer Fraktion zu diesem Gesetzgebungsverfahren eingehen, ehe ich mit dem einen oder anderen Wort auf das reagiere, was die Vorredner gesagt haben. Ich möchte nicht, dass die grundsätzlichen Feststellungen ein Stück untergehen.

Artikel 3 des Grundgesetzes gibt vor, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Artikel 64 der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz verlangt seit dem 18. März 2002 von dem Land, den Gemeinden und den Gemeindeverbänden, behinderte

Menschen vor Benachteiligungen zu schützen und auf ihre Integration und die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen hinzuwirken. Der Gesetzentwurf der Landesregierung trägt grundsätzlich zur Umsetzung dieser Aufträge des Grundgesetzes und der Landesverfassung bei. Deshalb wird die CDU dieses Gesetz mittragen und auch seine praktische Umsetzung überall dort, wo die CDU Verantwortung trägt, befördern.

(Beifall der CDU)

Auch wir wollen ein verändertes gesellschaftliches Verständnis im Umgang mit behinderten Menschen. Behinderte Menschen fordern zu Recht, nicht Objekt von Versorgung und Betreuung zu sein, sondern als gleichberechtigtes Glied der Gesellschaft selbstbestimmt am Leben und Arbeiten in der Gesellschaft teilzuhaben. Dabei müssen die Art der Behinderung und die sich daraus ergebenden Belange berücksichtigt werden. Dies entspricht auch unserem Verständnis von einem menschenwürdigen Leben, weshalb wir in unserem Änderungsantrag eine entsprechende Ergänzung des Artikels 1 § 1 vorschlagen.

Nach wie vor bestehende Barrieren und Benachteiligungen müssen abgebaut werden. Barrierefreiheit erfordert neben der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit auch die Auffindbarkeit öffentlicher Einrichtungen. Hier entspricht unser Änderungsantrag auch dem von der SPD und der FDP und geht auf wichtige Hinweise im Rahmen der Anhörung vom Oktober zurück.

(Beifall der CDU)

Die sehr umfangreiche detaillierte und informative Anhörung vieler betroffener Verbände und Organisationen hat eine entscheidende Frage immer wieder in den Vordergrund gestellt: Wie wirksam ist das Gesetz tatsächlich?

Viele Forderungen werden unter den Vorbehalt „nach Maßgabe der Haushaltsmittel“ oder „soweit möglich“ gestellt. Der Entwurf verzichtet weitestgehend auf rechtlich verbindliche Umsetzungsfristen. Aber auch wir sagen, dass dies zurzeit sachgerecht ist. Wir sprechen keiner Kommune, keinem kommunalen Parlament und auch nicht den der Aufsicht des Landes unterstehenden Behörden den guten Willen ab, möglichst bald Barrierefreiheit zum Beispiel in allen ihrer Verantwortung unterstehenden Gebäuden zu erreichen.

(Beifall der CDU – Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Die finanziellen Möglichkeiten werden dies jedoch nur Schritt für Schritt erlauben. Illusionen in Gesetze zu fassen, macht keinen Sinn. Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich auf unseren Entschließungsantrag verweisen, insbesondere auf Nummer 3. Im Gegensatz zu dem, was Herr Marz zum Entschließungsantrag der SPD und der FDP ausgeführt hat, sind wir bereit, etwas konkreter festzustellen, was nötig ist, um diesem Gesetz in der Praxis zu seiner Verwirklichung zu verhelfen.

(Beifall der CDU)

Wir fordern in Nummer 3: „Der Landtag fordert die Landesregierung auf, im Vollzug des Landeshaushalts und bei der finanziellen Ausstattung der Kommunen das Anliegen der Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderungen zu beachten und seine Umsetzung durch geeignete Fördervoraussetzungen und Förderauflagen sicherzustellen.“

Sie alle wissen, dass ohne Moos nichts los ist. Das gilt im Moment in besonderer Weise für die Kommunen. Deshalb habe ich an dieser Stelle die herzliche Bitte: Wenn wir wirklich wollen, dass sich dort, wo behinderte Menschen in besonderer Weise öffentliche Dienststellen aufsuchen – das ist in den Kommunen vor Ort der Fall –, möglichst schnell etwas tut, brauchen die Kommunen dafür auch die finanzielle Ausstattung.

(Beifall der CDU)

Wir haben in der Anhörung insbesondere von dem Vertreter des ZSL, Herrn Rösch, und des ISL, Frau BoosWaidosch, gehört, dass es in Amerika ein praktiziertes Prinzip gibt, das – übersetzt – die unmittelbare Erreichbarkeit heißt. Das heißt, verkürzt wiedergegeben: Es soll sofort das getan werden, was möglich ist.

Wir halten das für ein sehr gutes Prinzip. Wir sind auch der Auffassung, dass wir mit einer geringfügigen Änderung von § 5 zumindest in die Richtung dieses Prinzips kommen können und schlagen deshalb die Ergänzung von § 5 um folgende zwei Sätze vor: „Dabei soll geprüft werden, welche Maßnahmen zum Abbau oder zum Ausgleich dieser Benachteiligungen zu ergreifen sind. Auf dieser Grundlage soll unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der finanziellen Möglichkeiten sichergestellt werden, dass unmittelbar erreichbare Verbesserungen baldmöglichst verwirklicht werden.“

(Beifall der CDU)

Dies ist der Versuch, zumindest darauf hinzuwirken, dass die Anliegen der betroffenen Personenkreise bedacht werden, und zwar bei allem, was vor Ort getan wird. Wir sind überzeugt, dass vieles heute machbar ist, was keinen zusätzlichen großen Aufwand erfordert.