Protokoll der Sitzung vom 04.12.2002

Dies ist der Versuch, zumindest darauf hinzuwirken, dass die Anliegen der betroffenen Personenkreise bedacht werden, und zwar bei allem, was vor Ort getan wird. Wir sind überzeugt, dass vieles heute machbar ist, was keinen zusätzlichen großen Aufwand erfordert.

Weitere Änderungen beziehen sich auf die Ergänzung des § 9. Es geht uns darum, auch die Erweiterungsbauten grundsätzlich mit einzubeziehen. Sie beziehen sich auf die besseren Arbeitsbedingungen des Landesbehindertenbeirats, der in der Vergangenheit nicht immer zufrieden war mit dem Zeitpunkt und dem Umfang seiner Beteiligung. Es geht ferner um eine detailliertere Berichtspflicht der Regierung und die Einbeziehung des allgemeinen Arbeitsmarkts.

Ich denke, es sind Änderungsanträge, die in ihrer Ausformung vielleicht auch von dem einen oder anderen von der CDU nicht erwartet worden wären. Herr Rösch, wir haben es uns mit diesem Gesetz nicht leicht gemacht. Im Gegensatz zur Regierung, die einen großen ressortinternen Abstimmungsprozess vollziehen konnte, bevor überhaupt ein erster Entwurf ins Parlament ging, mussten wir diesen Abstimmungsprozess nach der Einbringung dieses Gesetzentwurfs und nach der Anhörung

vollziehen. Wir haben bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfs gesagt, wir wollen dabei mitwirken, dass es noch in diesem Jahr im Dezember verabschiedet wird. Wir haben aber gesagt – das ist in den Protokollen festgehalten –, wir als Opposition haben damit den größten Packen an Arbeit zu tragen. Ein Gesetz mit 76 Artikeln kann man nicht über Nacht und zwischen Tür und Angel beraten. Das wäre der Sache nicht angemessen.

(Beifall bei der CDU)

Persönlich bin ich meiner Fraktion sehr dankbar, das wir uns zwischen den Innenpolitikern, zwischen den Wächtern der kommunalen Finanzen, zwischen den Wirtschaftspolitikern und den Sozialpolitikern auf diese Änderungsanträge und auf diesen Entschließungsantrag verständigen konnten. Wie werben deshalb an dieser Stelle noch einmal für deren Unterstützung und wären dankbar, wenn diese hier eine Mehrheit finden würden. Ich sage aber auch – wie ich das schon einmal getan habe –, auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, werden wir das Gesetz der Landesregierung mit tragen, weil es der erste Schritt in die richtige Richtung ist. Wir werden unsere Änderungsanträge dann auf Wiedervorlage legen, bis wir den ersten Bericht der Landesregierung bekommen. Wir müssen dann sowieso noch einmal schauen, ob dieses Gesetz dann so bleiben kann, wie es ist, oder ob es doch die Notwendigkeit von Veränderungen, vielleicht von Fristenaufnahmen gibt. Wir werden die Dinge dann noch einmal vorlegen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich darf Gäste im Landtag begrüßen, und zwar Mitglieder der Schützenvereine aus der Verbandsgemeinde Vallendar. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es bedauerlich, dass ein Gesetz, das sicherlich ein Meilenstein in der Gesetzgebung der Sozialpolitik in Rheinland-Pfalz ist, in der abschließenden Beratung in einer solchen Art und Weise zerredet wird. Alles das hätte im Ausschuss stattfinden können. Es fand im Ausschuss allerdings nicht statt. Ohne dass ich Einzelne nenne, weil ich kein Öl ins Feuer gießen möchte, aber wenn man wie ein Kind im Sandkasten mit dem Schippchen Sand schmeißt, weil man mit seinen Positionen nicht durchgedrungen ist und dabei vergisst, dass der Grundtenor dieses Gesetzes über alle Fraktionen hinweg und auch bei den Behindertenverbänden eine weitgehende Zustimmung gefunden hat und man

darüber hinaus – dann nenne ich Sie, Frau Thelen; ich meine das positiv – durchaus die Chancen sieht, auch in Zukunft noch einzuwirken, dann muss man jetzt nicht von diesem Gesetz sprechen, als ob es sich um die Apokalypse handelte. Ich habe kein Verständnis dafür.

(Beifall bei der SPD)

Um was geht es uns als FDP? Uns geht es darum, wie an sich allen anderen, dass wir hier nicht eine Behinderung als solche in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen, sondern Menschen mit Behinderungen faire Chancen geben wollen, dass wir Ihnen klare Rechte verschaffen wollen und wir sie von Fürsorgegedanken und vom Gängelband staatlicher Obhut wegbringen wollen. Wir sehen in diesen Menschen Individuen, die die gleichen Rechte und Pflichten haben wie wir alle, die nur aufgrund einer Behinderung besonderer Unterstützung in einzelnen Bereichen bedürfen.

Meine Damen und Herren, wenn wir eine solche weitgehende Teilhabe für Menschen mit Behinderungen einfordern, dann müssen wir uns klar machen, was das für jeden von uns heißt. Das sind nicht irgendwelche Exoten, um die es geht, sondern das sind im Grund wir alle, wenn nicht persönlich, dann im Rahmen unserer Fam ilie. Es ist in der Tat nur ein Prozent der Bevölkerung, der mit schwerwiegenden Behinderungen das Licht der Welt erblickt, aber es sind schon im Alter von 65 Jahren 50 % der Bevölkerung, um die es geht, mit einer exponentiellen Steigerung in einem Alter, das Gottlob immer höher wird für uns alle. Von daher sollte sich jeder diesen Dingen mit einer eigenen Betroffenheit widmen. Das tut der Sache sehr gut.

Meine Damen und Herren, wenn ich eben von einem Meilenstein gesprochen habe, dann wäre es verfehlt, nur das Land Rheinland-Pfalz zu loben. Das ist EUGesetzgebung, das ist Bundesgesetzgebung, aber das ist in der Tat auch als erstes Bundesland rheinlandpfälzische Gesetzgebung. Darauf sind wir stolz. Das muss man sagen dürfen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, das Jahr 2003 ist von der EU zum Jahr der Behinderten ernannt worden. Ich habe Verständnis für die Rolle der Opposition, die von ihrem Recht Gebrauch macht, nicht in allen Details die gesamte Verantwortung sehen zu müssen. Aber wenn man an einem Tag über haushaltspolitische Probleme, an einem Tag über die Besorgnis erregende Finanzausstattung der Kommunen spricht und dann gleichzeitig – von Teilen der Opposition zumindest – Haushaltsvorbehalte mit einem lässigen Federstrich wegwischen will, dann macht das nachdenklich. Dann passt das eine nicht unbedingt zum anderen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, ich verzichte darauf, alle Inhalte dieses Gesetzes noch einmal vorzutragen. Wir wissen aus der ersten Lesung und auch aus dem, was meine Vorredner erwähnt haben, um was es geht. Ich erwähne noch einmal das Benachteiligungsverbot. Ich

erwähne die Beweislastumkehr. Ich erwähne aber auch aus unserer Sicht die Verbandsklage, die als subsidiäre Feststellungsklage installiert wurde. Das finde ich sachangemessen, das finde ich auch unter rechtsstaatlichen Aspekten sehr gut, weil Verbände damit nicht in Eigengesetzmäßigkeit handeln können, sondern vorgeschaltet immer das Individuum, immer der einzelne behinderte Mensch, der selbst klagen kann. Nur im Fall beispielsweise einer Vielzahl gleichwertiger Fälle, in der ein Einzelner nicht klagt, sind die Verbände klagebefugt. Das ist gut so. Ich finde die gesetzliche Verankerung des Landesbeauftragten in § 11 hervorragend. Ich finde den § 12 mit seinen Ausführungen zum Landesbeirat sehr gut, und ich finde auch die Berichtspflicht, die alle zwei Jahre erfolgen soll, sehr gut.

Ich finde es auch gut, dass man die integrative Erziehung in Kitas und Schulen vorrangig ins Gesetz gestellt hat und damit eine gewisse Flexibilität zulässt. Jede andere Variante wäre eine Festlegung gewesen in die eine oder andere Richtung, die dem Einzelfall jeweils nicht notwendigerweise entsprochen hätte. Diese Variante ist nach meiner festen Überzeugung die bessere.

Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal die Entschließungsanträge ansprechen. Auch die Entschließungsanträge sind nicht so weit voneinander entfernt. Sie machen alle drei noch einmal deutlich, dass wir bei den Anhörungen zugehört haben, die Fragen des Haushaltsvorbehalts etwas unterschiedlich gesehen werden und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Tat etwas andere Vorstellungen hat, beispielsweise damit, dass sie gewisse Teile des Gesetzes unter Ordnungswidrigkeitsvorbehalt stellen will. Das ist eine Weiterung, die wir nicht als zielgerichtet ansehen, insbesondere deshalb, weil wir davon überzeugt sind, dass wir mit diesem Gesetz die Kluft zwischen Behinderten und Nichtbehinderten schließen müssen.

Wir sind überzeugt davon, dass die Zeit reif ist, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und damit aufzuhören, jeweils mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Wir sind absolut überzeugt davon, dass wir mit behinderten Menschen auch große Fähigkeiten haben, die die Gesellschaft nutzen kann, soll und muss. Wir sind beispielsweise auch davon überzeugt, dass die moralische Kraft, die in den Forderungen der Behinderten liegt, auch in den Forderungen ihrer Verbände, die sich entsprechend im Plenum auswirkt, dazu beitragen wird, dass Kommunen, aber auch die Wirtschaft mit freiwilligen Angeboten diese Interessen in Zukunft noch stärker berücksichtigen werden.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dies geschehen wird. Behinderte Menschen sind nicht besser und schlechter als Nichtbehinderte. Ich habe schon ausgeführt, dass wir an einem Strang ziehen müssen. Das muss normal werden.

Ich halte die Variante, die SPD und FDP vorschlagen, ohne den Anspruch zu erheben, dass das allein selig machende Wahrheiten sind, für besser.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Ich halte sie für realistischer, weil sie auch haushaltspolitische Bedingungen mit berücksichtigt, weil sie die kommunale Finanzhoheit stärker mit in den Fokus nimmt. Ich halte sie für eindeutiger und rechtssicherer, und last but not least halte ich sie für souveräner.

Warum halte ich sie für souveräner? Weil sie weniger geprägt ist vom Gefühl, Positionen gegen den Widerstand nicht Behinderter durchsetzen zu müssen, sondern weil sie aus der Überzeugung gewachsen ist, dass die Gesellschaft reif ist für ein faires Miteinander zum Wohl aller.

Meine Damen und Herren, das ist für mich Beleg für den Grundoptimismus einer erfolgreichen Koalition.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der FDP und der SPD)

Für die Landesregierung spricht Frau Staatsministerin Dreyer.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Herren und Damen! Das Wichtigste zuerst. Ich bin davon überzeugt, dass mit der heutigen Verabschiedung des Landesgesetzes zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung die Verwirklichung der Bürgerrechte für behinderte Menschen einen weiteren, und zwar einen großen Schritt nach vorn gebracht wird.

Darüber freue ich mich sehr, darüber freut sich die ganze Landesregierung. Wir freuen uns insbesondere für die Betroffenen selbst.

(Beifall der SPD und der FDP)

Es ist übrigens sehr schön, dass die Vertreter und Vertreterinnen der Selbsthilfe heute anwesend sind. Ich denke, wir können sehr optimistisch in das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung gehen, einerseits mit einer neuen gesetzlichen Grundlage und andererseits auch mit sehr viel Empathie für die Umsetzung dieses Gesetzes.

Auch wenn es in den Fraktionen an der einen oder anderen Stelle durchaus unterschiedliche Akzentuierungen gibt, wie wir gehört haben, so ist es doch ein sehr wichtiges Signal an die behinderten Menschen im Land, dass es eine weite Übereinstimmung im Parlament zu den grundsätzlichen Aussagen des Gesetzes gibt. Hierfür möchte ich mich sehr herzlich bei allen Fraktionen im Landtag bedanken.

Als sich in den 60er-Jahren in den USA behinderte Menschen zur Independent-Living-Bewegung – der Bürgerrechtsbewegung behinderter Menschen – zusammenfanden, wurde ein Grundstein für eine neue Sichtweise

gelegt. Behinderung wurde nicht mehr als individuelles Schicksal begriffen, sondern Behinderung war plötzlich Ausgrenzung, die behinderte Menschen täglich erleben. Behinderte Menschen waren plötzlich nicht mehr behindert, sondern wurden behindert.

Integration wurde zur Herausforderung an die Gesellschaft, eine Herausforderung, die gesellschaftlichen Bedingungen so anzupassen, dass behinderte Menschen ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrnehmen können und damit auch zu eigenverantwortlich handelnden Personen werden.

Seither hat sich Gott sei Dank einiges getan. Die Welle ist auch nach Deutschland geschwappt. Weltweit wurden in 45 Staaten Antidiskriminierungsgesetze verabschiedet. Auf der Ebene der UNO wird an einer Menschenrechtskonvention für behinderte Menschen gearbeitet.

In Deutschland wurde im Mai dieses Jahres endlich das Bundesgleichstellungsgesetz verabschiedet und ist in Kraft getreten. Parallel dazu haben wir in RheinlandPfalz während dieser Erarbeitung an unserem eigenen Entwurf des Landesgesetzes gemeinsam mit den behinderten Menschen im Land gearbeitet. Es ist aus meiner Sicht mehr als positiv, dass er heute verabschiedet wird und wir damit im Reigen der Bundesländer ganz vorn stehen.

Ich komme selbstverständlich noch auf die Punkte zu sprechen, die nicht berücksichtigt werden konnten, und sage noch ein paar Worte, warum sie nicht berücksichtigt werden können.

Natürlich kann ich anerkennend feststellen, dass die Fraktion der GRÜNEN zuvor einen Gesetzentwurf eingebracht hat, der auch mitdiskutiert worden ist. Es hatte durchaus ein ganz konkretes Ziel, warum wir unser Gesetz später eingebracht haben. Wir wollten, nachdem klar war, dass es ein Bundesgleichstellungsgesetz gibt, kein Gesetz machen, das losgelöst, unabhängig von der bundesgesetzlichen Regelung dahinschwebt.

Es sind neben der Signalwirkung vor allem die Gesetzgebungskompetenzen der Länderebene in den Bereichen Bildung, Bau und Verkehr, die ein Gleichstellungsgesetz des Landes so bedeutsam für die Veränderung der Lebenswirklichkeit für behinderte Menschen machen. Hier setzt unser Gesetz an.

Die wichtigsten Inhalte noch einmal aus meiner Sicht – ich denke, wir sind uns alle einig –: Es ist einmal der umfassende Begriff der Barrierefreiheit, der durch den Sozialausschuss um das Kriterium der Auffindbarkeit noch ergänzt worden ist. Es ist das Benachteiligungsverbot zur Umsetzung der Rechte behinderter Menschen mit dem Prinzip der Beweislastumkehr. Es ist die Verbandsklage, es ist die Berücksichtigung der besonderen Belange behinderter Frauen und die gesetzliche Verankerung der Tätigkeit des Landesbehindertenbeauftragten und des Landesbehindertenbeirats.

Die zwischenzeitlich erfolgte Anhörung der Verbände zeigt die breite Zustimmung der Selbsthilfe behinderter Menschen für das Gesetz. Das Engagement, mit dem

sich die angehörten Verbände und auch der Landesbehindertenbeirat mit dem Gesetzentwurf auseinandergesetzt haben, war außerordentlich beeindruckend; ich denke, für uns alle. Es gibt uns Sicherheit, aber auch die Verantwortung, ein wichtiges Gesetz auf den Weg gebracht zu haben.

(Beifall der SPD und der FDP)