Protokoll der Sitzung vom 17.03.2004

Herr Itzek, Sie haben zu Recht die Finanzminister genannt.

(Itzek, SPD: Alle 16!)

Das ist parteiübergreifend erkennbar, wenn alle dem zugestimmt haben. Jetzt müssen Sie aber auch erklären, warum ein Teil der Chefs der Finanzminister dezidiert anderer Meinung ist, als Ihre Finanzminister in diesem Beschluss zu Protokoll gegeben haben. Ich gehe davon aus, dass die Ministerpräsidentenkonferenz dies erweisen wird.

Ich kenne einen Ministerpräsidenten in unserer unmittelbaren Nähe, der nicht nur nicht dem Votum seines Finanzministers folgt – der folgt übrigens auch nicht dem eigenen Präsidiumsbeschluss seiner Partei –, sondern sagt: Ich halte aus tiefer Überzeugung daran fest, wir brauchen eine Lösung, wie Paul Kirchhof sie vorgeschlagen hat.

Das ist auch meine Meinung. Wir müssen etwas Neues beginnen, wenn wir diese wirtschaftliche Stagnation überwinden wollen.

Ich komme zu einem letzten Punkt, weil Sie mit Blick auf Kirchhof und andere diese Bemerkung gemacht haben. Die Durchschaubarkeit und Nachvollziehbarkeit des Kirchhof‘schen Modells bestreitet niemand. Das haben auch Sie nicht getan. Sie bestreiten sozusagen den Gesichtspunkt oder die Feststellung, die Kirchhof und andere übrigens auch treffen, dass es im Kirchhof‘schen Steuermodell gerecht zugeht. Sie haben eine Meldung genannt. Wir haben sie auch gelesen. Sie ist durch alle deutschen Zeitungen „gegeistert“. Das war ein und derselbe Korrespondent, der diese Berechnung in die Welt gesetzt hat. Sei es drum. Dem stehen 15 andere gegenüber, die zu ganz anderen Berechnungsergebnissen kommen.

Lieber Herr Kollege Itzek, ich will vor dem Hintergrund Ihrer Fachkenntnis, die Sie haben, Ihnen folgende Frage stellen: Wenn nach dem Kirchhof-Modell – ich nenne bewusst die DM-Beträge – eine vierköpfige Familie 68.000 Deutsche Mark nach alter Rechnung verdienen kann, ohne einen einzigen Cent Steuern zu bezahlen, da muss mir jemand erklären, wieso die niedrigen Einkommen diese Steuerreform finanzieren. Es ist genau umgekehrt. Diejenigen, die heute faktisch keine Steuern zahlen, finanzieren das Kirchhof-Modell und niemand anders.

(Beifall der CDU)

Mir tut es in der Seele weh, dass ausgerechnet die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, vielleicht ohne dass sie es sich selbst vor Augen führt, sich zu einem gewaltigen Fürsprecher derjenigen macht, die heute am Tag in Deutschland Millionen und Abermillionen verdienen und keinen Cent zum Finanzamt tragen. Das ist der Status quo.

(Beifall der CDU – Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident, sofort.

Ich bitte deshalb, dies noch einmal hinsichtlich dieses Gerechtigkeitsgesichtspunkts zu überlegen. Es dient den Familien, den unteren und mittleren Einkommen und vor allem einer Belebung der untersten Einkommensgruppen. Das ist der große Vorzug, den Kirchhof übrigens auch vor eigenen Modellen hat, nämlich dass untere Einkommensgruppen endlich so gestellt werden, dass es sich in Deutschland wieder lohnt, auch im unteren Lohnsegment zu arbeiten. Das ist doch unser zentrales wirtschaftliches und arbeitsmarktpolitisches Problem, auf das Kirchhof eine überzeugende Antwort gibt.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Kuhn das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Beschlüsse der Finanzministerkonferenz im Hinblick auf Steuerrechtsänderungen. Es ist in der Tat beeindruckend – das muss man zunächst zur Kenntnis nehmen –, dass alle 16 Finanzminister eine einheitliche Haltung gefunden haben. Es gehört übrigens auch ein Finanzminister der FDP dazu, um das offen zu bekennen.

(Billen, CDU: Habt Ihr auch einen!)

Wenn man die Medienberichterstattung verfolgt, dann spiegelt sich das hier im Parlament zum Teil wider. Die Kontraste können eigentlich nicht größer sein. In der „Süddeutschen Zeitung“ werden zum Beispiel das Gerechtigkeitsargument und die „große“ Frage, ob und mit welchem Modell auch immer eine Steuerreform sub

stanziell überhaupt haushaltsverträglich umgesetzt werden kann, in den Vordergrund gerückt. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ werden andere Aspekte in den Vordergrund gerückt. Man sollte fair sein. Wenn man dieses 60- oder 70-seitige Papier zumindest überfliegt, gibt es zunächst einen Konsens, der wahrscheinlich auch hier im Hause Konsens ist.

Erstens: Was wollen die Finanzminister? - Positiv: Sie wollen – so habe ich es verstanden – eine grundlegende Reform des Steuerrechts, vor allem unter dem Aspekt der Vereinfachung und Transparenz für Bürger und Unternehmen im Hinblick auf eine Änderung der Einkommensteuertarife. Es geht auch um die Zurücknahme und Abschaffung von Sonderregelungen und Steuervergünstigungen.

Es ist auch klar, dass beim Subventionsabbau bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage die Lebenswirklichkeit der Steuerzahler berücksichtigt werden soll.

Ich nehme an, das sind Dinge, die Konsens sind.

Man sollte im Hinblick auf die Vereinfachung des Steuerrechts – da habe ich eine andere Auffassung als Herr Itzek – die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen.

Wir sind in Deutschland inzwischen so weit, dass bestimmte Bereiche vom Bürger nicht mehr durchblickt werden. Wir haben ein gesellschaftliches Problem der nicht vorhandenen Nachvollziehbarkeit bestimmter Dinge, und das nicht nur im Bereich der Steuern. Das heißt, der Vertrauensverlust, den die Bürger erleben, lässt sich auch auf Undurchschaubarkeit gerade im steuerlichen Bereich zurückführen. Nach unserer Einschätzung heißt dies, dass deswegen das System nicht als gerecht empfunden wird. Wenn man das Gerechtigkeitsargument in den Vordergrund stellt, dann haben wir eine Begründung dafür, dass wir auch zu einer radikalen Vereinfachung kommen müssen.

Zweitens: Zum Thema „Gerechtigkeit“. – Das sollte man ernst nehmen.

Herr Kollege Böhr hat es in D-Mark und an Kirchhof dargestellt. Wir haben das jetzt auf das FDP-Modell bezogen. In der Tat, über den Daumen gepeilt, eine Familie mit zwei Kindern, letztendlich 30.000 Euro Freibetrag, bezahlt in dieser Dimension keine Steuern. Das muss auch sein, das heißt, es muss ausgewogen sein. Die so genannten kleinen Leute, Menschen mit niedrigem Einkommen, müssen entsprechend entlastet werden.

Drittens: Wie ist die Situation? – Wir haben in diesem Steuersystem bei denen, die höhere Einkommen haben, geradezu die Einladung verschickt, alles zu tun, um überhaupt keine Steuern zu zahlen. Das ist zutiefst ungerecht.

(Beifall der FDP)

Meine Damen und Herren, das ist das Gerechtigkeitsargument Nummer 2.

Mir ist es viel lieber, alle, die höhere Einkommen haben, zahlen 35 % im Gegensatz zur heutigen Situation, wo sehr viele, die sehr findig sind, gar nichts mehr bezahlen. Das geht nicht.

(Beifall der FDP)

Da muss ein Riegel vorgeschoben werden.

Viertens: Das Gerechtigkeitsargument, das Herr Kollege Mittler an dieser Stelle schon einmal dargestellt hat. – Wir haben in der Tat im Bereich der Umsatzsteuer Missbräuche oder Steuerhinterziehungstatbestände in gigantischem Ausmaß.

Unser Kollege Solms von der FDP hat heute morgen noch einmal darauf hingewiesen und auch Ihre Position angesprochen.

Ich möchte wissen, weshalb das so schwer ist; denn das muss EU-konform sein. Wenn wir an dieser Baustelle Erfolg haben würden, dann könnten wir eine Menge im Hinblick auf eine künftige Steuerentlastung erreichen.

Meine Damen und Herren, bereits an dieser Stelle will ich darauf hinweisen, dass es um die Haushaltsverträglichkeit geht. Es kann doch niemand so töricht sein, eine Steuerreduzierung zu fordern, die zwangsläufig zu nicht verfassungskonformen Haushalten führen wird.

(Glocke des Präsidenten)

Wir brauchen also die Balance zwischen einerseits der Haushaltsverträglichkeit und andererseits der Möglichkeit, mit neuen Impulsen durch entsprechend dimensionierte Steuersenkungen konjunkturell etwas zu bewirken.

(Beifall der FDP und bei der SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Thomas.

Meine Damen und Herren, ich habe mit einer etwas anderen Debatte gerechnet. Ich wundere mich außerdem ein bisschen, weil ich gerade eine Reihe von Abseitsbewegungen wahrgenommen habe. Das, was von CDU und CSU als Einigungsmodell – ich meine, es ist ein additives unverträgliches Modell – vorgestellt worden ist, wird offensichtlich von Herrn Böhr und der rheinlandpfälzischen CDU nicht mitgetragen. Herr Kuhn, Sie stehen offensichtlich nicht hinter dem Vorschlag Ihrer Bundestagsfraktion, weil Sie sagten, man müsse es haushaltsverträglich machen. Herr Itzek hat darauf hingewiesen, was bei dem FDP-Modell an Einnahmenverlusten zusammenkommen würde, nämlich rund 20 Milliarden Euro. Sie sagten, das könne man so nicht machen, weil es nicht verträglich war. So habe ich Sie doch richtig verstanden.

So könnte die heutige Debatte doch ein wunderbarer Auftakt zu einem anderen Stil und einem anderen Vorankommen in der Steuerdiskussion sein.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als ich das Thema der heutigen Aktuellen Stunde erfahren habe, bin ich mit etwas Unwillen in das Parlament gegangen. Das ist völlig untypisch für mich. Das überkommt mich sonst nie. Ich dachte, wir würden eine Debatte führen, wie wir sie schon so oft geführt haben. Die einen sagen: Es fallen so viele Einnahmen weg. – Die anderen sagen: Wir haben das Nonplusultra-Modell. – Dann gibt es ein großes Schaulaufen, bei dem nichts herauskommt.

Ich würde es begrüßen, wenn wir heute als gemeinsame Botschaft festhalten könnten, dass wir zum 1. Januar 2005 keine große Steuerreform auf den Weg bringen, so wie es mir noch als Äußerung von Herrn Merz und anderen in den Ohren klingt. Das hat heute keiner mehr hochgehalten. Das sollte vielleicht als erstes Ergebnis festgehalten werden. Als zweites Ergebnis ist festzuhalten, dass das, was an Einnahmenverlusten produziert wird, nicht durch die vorgelegten Modelle zu erzeugen ist; denn es gibt kein Modell, das finanzierbar und erträglich ist. In der ersten Hälfte der Aktuellen Stunde hat Herr Hörter mehr Polizei, mehr Einsatz und dies und das gefordert. Das sind aber keine Kostenreduzierungsmaßnahmen, sondern Maßnahmen, die Kosten produzieren. Dann müsste im Hinblick auf die Steuerentlastungswirkung eine deutliche Korrektur vorgenommen werden.

Außerdem müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass der Vorschlag, der von der CDU vorgelegt wurde, in der Form nicht umsetzbar ist, Herr Böhr. Es ist doch keine Einigung, zunächst das zu machen, was Herr Stoiber will, und dann ein damit völlig unverträgliches Stufenm odell vorzulegen, wie es Herr Merz will. Das kann es nun wirklich nicht sein. Davon müssen Sie sich verabschieden, weil Sie sonst ein unschlüssiges, unsoziales und unseriöses Modell hochhalten würden. Sogar die FDP hat gesagt, mit einem solchen Vorschlag sei die CDU nicht regierungsfähig.

Also: Steuervereinfachung ohne diese Volumina als Steuerentlastung. Noch niemand hat bisher gesagt – aber wahrscheinlich wird dieser Beitrag gleich von Ihnen kommen –, dass das einen Eigenfinanzierungseffekt nach sich zieht. Es gibt aber unzählige Experten, die der Meinung sind, dass es diese Eigenfinanzierung nicht mehr geben wird. Auch Rotgrün hat sich in Bezug auf die Eigenfinanzierung mehr Effekte versprochen. Wenn es andere konjunkturell ungünstige Faktoren gibt, dann kommt es nicht mit hinein.

Meine Damen und Herren, vielleicht sollten wir diese steuerpolitische Debatte in einer etwas größeren Gelassenheit führen. Sicher sollten wir nicht mehr wie die CDU und die FDP mit Vorschlägen in Bezug auf Kürzungen und Gegenfinanzierungen im Bereich der steuerlichen Subventionen kommen, die im Vermittlungsausschuss in wesentlichen Teilen abgelehnt worden sind.

Vielleicht sollten wir nicht mehr mit solchen eingängigen Bildern arbeiten, die man kaum mehr wegbekommt.

(Glocke des Präsidenten)

Das kann man nur visuell machen. Man kann nicht damit starten

(Abg. Frau Thomas hält einen Bierdeckel hoch)