Protokoll der Sitzung vom 18.03.2004

(Beifall bei FDP und SPD)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatsminister Walter Zuber das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Aufregung besteht kein Anlass, deshalb in aller Ruhe und Sachlichkeit: Der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes in der Fassung des Änderungsantrags der Fraktionen der SPD und FDP wurde am 11. Februar 2004 durch dieses hohe Haus verabschiedet. Das Gesetz trat am 10. März, also in diesem Monat, in Kraft. Es stützt sich auf eine breite parlamentarische Mehrheit; denn Sie alle wissen, dass die Fraktionen der SPD, CDU und FDP diesem Gesetz zugestimmt haben.

Am 3. März 2004 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum so genannten Lauschangriff – ich betone: des Bundesgesetzes – entschieden, dass die im Jahr 1998 vorgenommene Grundgesetzänderung des Artikels 13 Abs. 3 verfassungsgemäß ist. Danach ist die akustische Wohnraumüberwachung zum Zweck der Strafverfolgung nach dem Grundgesetz möglich. Demgegenüber sind die Regelungen der Strafprozessordnung, die die Grundgesetzänderung konkret umsetzen, teilweise verfassungswidrig.

Das Gericht hat dem Bundesgesetzgeber aufgegeben, bis zum 30. Juni 2005 einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen. Bis dahin dürfen die beanstandeten Normen unter Beachtung der vom Gericht aufgestellten Grundsätze weiter angewandt werden. Unabhängig von einer Bewertung im Rahmen der Arbeitskreise der Innenministerkonferenz prüft die Fachabteilung des Innenministeriums, ob das Urteil rechtliche Konsequenzen für die Wohnraumüberwachung zur Gefahrenabwehr nach § 29 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes besitzt. Diese Norm stellt eine bereichsspezifische Ermächtigung dar, die im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Bestimmung die Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraussetzt. Das endgültige Ergebnis dieser Prüfung ist zunächst abzuwarten. Das gilt natürlich auch bis zur Vorlage des beantragten Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes.

Nach einer ersten Durchsicht und Prüfung der Urteilsgründe sind folgende Punkte weiter zu vertiefen:

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gehört zur Unantastbarkeit der Menschenwürde die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung. In diesem Bereich darf die akustische Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung nicht eingreifen. Bereits nach den neuen Bestimmungen unseres Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes werden beispielsweise Amts- und Berufsgeheimnisse nach Maßgabe der §§ 53 und 53 a der Strafprozessordnung umfassend gewahrt. Verdeckte Datenerhebungen im Schutzbereich dieser Vertrauensverhältnisse und Aussageverpflichtungen der Angehörigen dieser Berufsgruppen sind folglich ausgeschlossen.

Diese Vorschriften sind gegebenenfalls um Bestimmungen, die Gespräche zwischen Familienangehörigen und engen Vertrauten in einer Wohnung ausdrücklich schützen, zu ergänzen. Die Wohnraumüberwachung zur Strafverfolgung ist verfassungsrechtlich nur zur Ermitt

lung besonders schwerer, im Gesetz einzeln aufgeführter Straftaten zulässig.

Die besondere Schwere ist nach Auffassung des Gerichts nur gegeben, wenn der Gesetzgeber die Straftat jedenfalls mit einer höheren Höchststrafe als fünf Jahre bewehrt hat. Nach dem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz ist unter anderem Voraussetzung für die so genannte vorbeugende Wohnraumüberwachung die Abwehr einer dringenden Gefahr. Darauf ist schon hingewiesen worden. Diese Anforderung entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Artikels 13 Abs. 4 unseres Grundgesetzes.

Um zu verdeutlichen, dass neben dem Vorliegen einer dringenden Gefahr nur die Verhütung von besonders schwer wiegenden Straftaten die Maßnahmen rechtfertigt, bedarf es einer eingehenden Prüfung, inwieweit der Straftatenkatalog gemäß § 29 Abs. 2 unseres Polizeiund Ordnungsbehördengesetzes zu überarbeiten ist.

Das Gericht hat ferner in der Entscheidung ausgeführt, dass das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung auch verfahrensrechtlich zu sichern ist. Demnach könnte es geboten sein, die richterliche Anordnung, die ohnedies in unserem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz bereits vorgeschrieben ist, näher nach Art, Umfang und Dauer der Maßnahme zu begründen. Verfassungsrechtlich ist anerkannt, dass die Betroffenen einer verdeckten Datenerhebung grundsätzlich einen Anspruch haben, über diese Maßnahmen informiert zu werden. Eine entsprechende Unterrichtungspflicht bei verdeckter Datenerhebung ist in unserem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz festgeschrieben.

Dem Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung wird damit in besonderer Weise Rechnung getragen. Im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird geprüft, ob sich ein Nachbesserungsbedarf hinsichtlich der Regelungen zur Zurückstellung der Benachrichtigung ergeben könnte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird also sorgfältig geprüft und ausgewertet, ob und inwieweit das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Anpassungen und Ergänzungen des rheinland-pfälzischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes erforderlich macht.

Unabhängig von dieser Prüfung gelten die rechtsstaatlichen Anforderungen des Urteils hinsichtlich der Einhaltung der Menschenwürde und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit dessen Verkündung bereits unmittelbar, Frau Abgeordnete Grützmacher.

In der polizeilichen Praxis werden diese Grundsätze bei der Durchführung der Wohnraumüberwachung beachtet. Danach wird der Kernbereich der privaten Lebensführung absolut geschützt.

So hören die Überwachungsbehörden bei diesen Maßnahmen live mit, um unmittelbar abschalten zu können, sofern dieser Lebensbereich betroffen wird.

Erforderlichenfalls werden die Gespräche dann simultan übersetzt. Um sämtliche Anforderungen des Urteils in der Praxis umzusetzen, wird das Innenministerium eine

Richtlinie zum Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes zum Zweck der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung erarbeiten. Diese wird mit dem Justizministerium und dem Landesbeauftragten für Datenschutz abgestimmt werden.

Im Übrigen darf ich noch einmal darauf hinweisen, dass seit dem Jahr 1986 in Rheinland-Pfalz nicht mehr als fünf Maßnahmen durchgeführt worden sind. Dies zeigt auch den besonders verantwortungsbewussten Umgang unserer Polizei mit dieser Ermächtigungsnorm.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, wir müssen abwarten, bis die endgültigen Ergebnisse der Prüfungen vorliegen. Nach deren Vorliegen werden die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Umsetzung des Urteils unverzüglich in die Wege geleitet. Diese sind im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsgleichheit mit dem Gesetzgebungsvorhaben des Bundes und der übrigen Länder abzustimmen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Grützmacher.

Meine Damen und Herren! Herr Zuber, ich denke, Sie haben die Punkte, die ich auch kritisiert habe, angesprochen und ausgesprochen.

(Schneiders, CDU: Bis jetzt aber noch nicht!)

Sie sagen Überprüfungsbedarf, ich sage, dass Nachbesserungsbedarf oder überhaupt Neunovellierung notwendig ist.

Ich will Ihnen und besonders auch Ihnen, Frau KohnleGros, weil das bei Ihnen am allerwenigsten einsichtig ist, was in unserer Verfassung steht, – – –

Das Verfassungsgerichtsurteil enthält nichts Neues, sondern es sagt nur, was die Verfassung meint. Das ist in diesem Urteil enthalten. Das sollten wir schon ernst nehmen, denke ich.

Ich kann Ihnen aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts, die nicht parteipolitisch gefärbt ist, einmal vorlesen: „Dem Einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gesichert werden, gerade in seinen privaten Wohnräumen, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen die Entfaltung seiner Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung überwachen.“

Jetzt wird es wichtig: „In diesem Kernbereich darf die akustische Überwachung von Wohnräumen nicht eingreifen, und zwar auch nicht im Interesse der Effektivität der Strafrechtspflege und der Erforschung der Wahrheit.“ (Zuruf des Abg. Kuhn, FDP)

Dann hätte man das nicht gebraucht, wenn sich das nur auf die Strafrechtspflege – – –, Herr Kuhn.

Ich will es genau so vorlesen, wie es drin steht. Ich will nichts unterschlagen.

„Eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwischen der Unverletzlichkeit der Wohnung und dem Strafverfolgungsinteresse findet insofern nicht statt.“

Das ist aber die Verhältnismäßigkeit, die Sie angesprochen haben, dass Sie immer wieder sagen,

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

wenn es doch um eine große Straftat geht,

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Das sagt das Bundesverfassungsgericht!)

dann darf man doch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ohne Weiteres oder im Sinne der Strafverfolgung, – –

(Zuruf von der CDU: Von ohne Weiteres hat kein Mensch gesprochen!)

Ohne Weiteres habe ich zurückgenommen, Entschuldigung.

dann kann man im Interesse der Strafverfolgung sozusagen dieses Grundrecht aufgeben.

Ich bin bei einem Zitat aus dieser Pressemitteilung, das mich sehr deutlich erkennen lässt, dass Ihnen dieses Instrument des Lauschangriffs für präventive Zwecke vollkommen aus der Hand geschlagen ist.

Da steht: „Allerdings verletzt nicht jede akustische Überwachung die Menschenwürde.“ Es gibt einen schmalen Bereich, in dem es möglich ist.

(Glocke des Präsidenten)

Ich bin sofort fertig.

„So gehören Gespräche über begangene Straftaten ihrem Inhalt nach nicht zum absoluten Kernbereich.“

Also nur Gespräche über begangene Straftaten dürfen mit einem Lauschangriff abgehört werden. Das steht eindeutig drin.

(Pörksen, SPD: Wer hat darüber zu entscheiden?)

Meine Damen und Herren, deswegen glaube ich, dass gerade in diesem Bereich der Prävention das, was in diesem POG die Landesregierung intendiert hat, nicht der verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten wird.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)