Protokoll der Sitzung vom 01.06.2005

Meine Damen und Herren, für die nicht nachvollziehbare logische Aufschlüsselung darf ich einen kleinen Beleg anbieten. Das ist die Frage der Gitter. Das ist so einfach, dass das jeder nachvollziehen kann. Es gab mehrere Heime. Die Heimauswahl wurde immer weiter verdichtet. Dann hatten wir am Schluss noch Don Bosco Helenenberg und Mühlkopf, Rodalben. Wenn man der Entweichungssicherheit – ich darf daran erinnern, juristisch gesehen ist die Vorführung zur Hauptverhandlung das Ziel – einen gewissen Raum geben muss, ist es doch klar, welche Entscheidung man bei diesem Detail treffen muss, wenn man vor der Alternative des Panzerglases, über das keine Luft hineinkommt, oder des Gitters steht, das eine Luftzirkulation ermöglicht.

Das wesentliche Argument ist, dass Rodalben auch über Erfahrung mit geschlossener Unterbringung über viele, viele Jahre hinweg verfügte. Aber auch für den Bereich der Gitter – diesem kleinen nachvollziehbaren Argument – kann ich den Vorwürfen nicht entsprechen.

Meine Damen und Herren, auch die vorsichtigeren Schlussfolgerungen des Vorsitzenden, der von einer Kette der Verunsicherung spricht, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Das ist zwar eine Formulierung, die einem leicht über die Lippen geht, aber wenn es tatsächlich – – –

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die aber wohlüberlegt ist!)

Davon gehe ich aus, Frau Kollegin Thomas. Etwas anderes hätte ich Ihrem Kollegen auch nicht unterstellt. Was der Zwischenruf in diesem Moment sollte, verstehe ich zwar nicht, aber sei es drum.

Meine Damen und Herren, diese Kette der Verunsicherung hätte – wenn überhaupt – dazu führen müssen, dass der Träger in seiner Verantwortung in der ersten Zeit gerade besonders erfahrene Kräfte hätte einsetzen müssen. Wenn er tatsächlich verunsichert gewesen wäre und wenn diese Verunsicherung für die Tat wesentlich war, hätte der Träger besonders erfahrene Kräfte einsetzen müssen. Das heißt nicht, dass ich die Schlussfolgerung, dass die Beratungstätigkeit in der Zukunft verstärkt werden muss, nicht teile. Das unterstütze ich ebenfalls ausdrücklich.

Meine Damen und Herren, es ist auch nicht nachvollziehbar, wenn man einerseits sagt, zu der Frage „Vergitterung“ hätte noch ein Lüftungsfachmann hinzugezogen werden müssen, aber man andererseits die Sinnhaftigkeit des Hinzuziehens eines Sicherheitsberaters aus dem Justizministerium hinterfragt und jede Einflussnahme aus dem Justizministerium ablehnt. Das passt nicht zueinander.

Meine Damen und Herren, insgesamt wirft der Ausschuss natürlich die Frage auf, wie es weitergehen soll. Es wurden Festlegungen schriftlich niedergelegt. Ich bin davon überzeugt, dass die bundesgesetzlichen Vorgaben auch in der Zukunft selbstverständlich unter Berücksichtigung der Ergebnisse der ministeriellen Arbeitsgruppe und auch des Untersuchungsausschusses umgesetzt werden müssen, aber natürlich hat der Untersuchungsausschuss auch das Ergebnis erbracht, dass insbesondere das Täterprofil der 14- bis 18-Jährigen sicherlich nicht der Intention des Bundesgesetzgebers entspricht, die damals zugrunde lag, als das Gesetz verabschiedet wurde.

Meine Damen und Herren, es steht dann noch die Rücktrittsforderung der CDU im Raum. Ich bin der Meinung, mit einem solchen Instrument sollte man sehr, sehr vorsichtig umgehen. Eine solch schwer wiegende Forderung sollte man nicht leichtfertig stellen. Nach Lage der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses und nach Lage dessen, was auch an Tatsachen von SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN festgehalten wurde, kann ich diese Forderung der CDU nur als absurd zurückweisen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der FDP und der SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Baldauf das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute über eine politische Verantwortung, die wir klären wollen. Herr Marz, da fehlte mir bei Ihnen ein bisschen die Konsequenz. Herr Dr. Schmitz wollte Fakten, die ich Ihnen gern vortrage. Eine Heimauswahl fand überhaupt nicht statt, weil nämlich Rodalben übrig blieb. Die 142 Fälle wurden damals von Herrn Minister Mertin persönlich vorgetragen, Herr Pörksen. Weshalb

Sie da der Meinung sind, dass das von der Polizei in irgendeiner Form erfunden wurde, weiß ich nicht. Dann hätte der Herr Minister etwas Falsches gesagt. Das können wir ihm heute nicht unterstellen.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Die Minister waren – das ist Fakt – nie vor Ort. Wirkliche Verantwortung übernahmen sie nur bei der Pressearbeit.

Eine klare Anlehnung an die Einrichtung in Stutensee war gewollt. Ich zitiere Frau Ministerin Dreyer: „Stutensee, eine Einrichtung, die Vorbild war.“ Zweites Zitat: „Ich möchte auch noch auf Stutensee hinweisen, weil das eine Vorbildeinrichtung ist.“ Drittes Zitat: „Unser Haus hat sich ganz stark an Stutensee angelehnt.“ Viertes Zitat: „Bezogen auf Rahmenkonzeption und Ausgestaltung gab es ganz, ganz große Übereinstimmung zwischen Rodalben und Stutensee.“

Tatsachen im Verhältnis zu Stutensee sind aber folgende: Hier wurden Berufsanfänger eingesetzt, dort nicht. Hier gab es keine doppelte Nachtbesetzung als Standard. Sogar zu Beginn der Überlegungen wurde über eine Nachtbereitschaft nachgedacht, obwohl die Vorfälle aus Stutensee von 1991 im Ministerium von Frau Staatsministerin Dreyer bekannt waren, wie der dortige Heimleiter, Herr Weiss, bestätigte.

Dort ging es – damit das jeder weiß – um einen Angriff eines Jugendlichen mit einem gefährlichen Werkzeug auf eine Mitarbeiterin, die damals noch allein Nachtdienst verrichtete. Danach wurde in Stutensee seit 1991 eine Doppelbesetzung in der Nacht eingeführt. Dies wurde vom Ministerium von Frau Staatsministerin Dreyer aber ignoriert.

Hierzu äußerte sich Frau Staatsministerin Dreyer in einem Zitat wie folgt: „Das Konzept ist insgesamt meiner Meinung nach wirklich durchdacht gewesen.“ Weiter gab es – das wissen wir inzwischen – keine Alarmknöpfe und kein mobiles Telefon für die Sicherheit der Mitarbeiter. Es folgt wieder ein Zitat von Frau Dreyer: „Deshalb hat man sich im Vorfeld dafür entschieden, dass man sich nicht mit Alarmknöpfen und allen möglichen anderen zusätzlichen Maßnahmen in dem Sinne wappnet, sondern dass das, was man an Sicherheitsmaßnahmen ergreift, ausreichend ist.“ Heute wissen wir, dass das ein gravierender Fehler war, der leider unter anderem auch zum Tod der jungen Erzieherin führte. „Man muss allerdings den kleinen Unterschied zur Kenntnis nehmen“ – so Frau Dreyer –, dass in Stutensee zwölf Jugendliche untergebracht sind, während es in Rodalben jetzt drei sind.“ Tatsache ist, Frau Knoll hätte gerettet werden können, wenn eine sofortige Alarmierung erfolgt wäre. Ein Totmanngerät kostet 1.500 Euro. Das ist in den Justizvollzugsanstalten Mindeststandard.

Die Sachverständigen waren einer Meinung. Frau Dreyer, gerade diese Rechtfertigungsversuche führen dazu, dass man bei drei Jugendlichen besser aufpassen muss, weil die Gefahr der Zusammenrottung größer ist.

Es gab – das wissen Sie auch – kein Deeskalationstraining. Zitat von Ihnen: „Meines Erachtens waren sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und der Einrichtungs

träger sehr wohl insgesamt der Gefährlichkeit bewusst.“ Ein neues Zitat: „Die Mitarbeiterin hat im Übrigen, das habe ich zuvor schon einmal gesagt, über das Jugendheim Rodalben an einem Antiaggressionstraining teilgenommen.“ Das ist falsch; das stimmt nicht. Das haben Sie so in einer Sitzung am 5. Dezember 2003 ausgesagt.

Zur Person von Frau Knoll wieder ein Zitat von Ihnen: „Ich möchte hier noch einmal zum Besten geben, obwohl das eher etwas Informelles ist, dass der Professor der Verstorbenen in diesem Zusammenhang an den Einrichtungsleiter geschrieben hat, dass er persönlich der Auffassung ist, dass Frau Knoll für die Tätigkeit mit diesen Jugendlichen durchaus geeignet ist.“ Ich darf Ihnen die Unterlassungserklärung zeigen, die Sie sicherlich kennen, die sich Herr Professor von Wolffersdorff hat geben lassen.

Das wurde so nie gesagt. Das war wieder eine falsche Information.

Christina Knoll selbst hatte in den Nachtdiensten Angst. Wir wissen das. Sie war unerfahren. Das Interessante ist, Sie wussten aufgrund Ihrer Betriebserlaubnis bereits Ende Oktober, dass Christina Knoll als Unerfahrene dort tätig ist.

Bei der Aufnahme der Jugendlichen – das wurde erwähnt – gab es vor allem im Bereich der Justiz erhebliche Fehler. Das lag vor allem daran, dass man nicht ganz ungefährliche, sondern eher sehr gefährliche Messerstecher, Räuber und Körperverletzer – all das waren Delikte, die die Jugendlichen ausgeführt hatten – nicht in einem ausreichenden Maß gewürdigt hat.

Dazu Justizminister Mertin: „Ich würde den Brief so heute nicht mehr schreiben, den wir vorher erwähnt haben. Ein intensiver Informationsaustausch fand insgesamt nicht statt, und“ – wir wissen es – „die Jugendgerichtshilfe wusste fast nichts.“

Dazu ein Zitat von Frau Staatsministerin Dreyer: „Es gibt doch so was wie ein Sozialhilfe – – –, wie heißt das, Gruppe Süd und Nord oder so was? Es ist schon ein bisschen problematisch, wenn man erwartet, dass ein Ministerium Mitarbeitern dann der Jugendgerichtshilfe anstatt deren Amtsleitern die Informationen entsprechend weitergeben. Wir haben sowieso etliche Dinge, also Information und Ähnliches, unabhängig jetzt von diesem Projekt geplant. Da werden wir uns auch bemühen.“

Frau Staatsministerin Dreyer, das ist Konfusion pur. Welche Folgen gab es aus dem Vorfall? Es gab eine Arbeitsgruppe, die all die Fehler aufgedeckt hat, die Sie selbst eingeräumt haben. Ein Zitat von Staatsministerin Frau Dreyer: „Und ich nehme dabei gleichzeitig auf die Mängel Bezug, die in dem Abschlussbericht formuliert worden sind.“ – Zweites Zitat: „Im Abschlussbericht wurde sehr deutlich ein Handlungsbedarf markiert.“ – Drittes Zitat: „Im Nachhinein sind die für die Zukunft festgelegten Sicherheitsstandards der Doppelbesetzung und des mobilen Telefons konsequent.“ – Viertes Zitat: „Für das Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass

zumindest in der Anfangszeit eine zweite Person mit Nachtbereitschaft vorhanden ist.“

Frau Staatsministerin, was passiert jetzt? Im September 2004 geben Sie auch noch ein Gutachten im Wert von 69.500 Euro in Auftrag, um eine Evaluation durchzuführen. Warum das nicht im Vorfeld geschehen ist, bevor es losging, entzieht sich unserer Kenntnis.

Wir wollen die Verantwortlichkeit einer Ministerin klären. Wir reden nicht über die rechtliche, sondern über die politische Verantwortlichkeit, das heißt, über das Ressortprinzip. Für das Projekt selbst haben Sie Ihre Verantwortlichkeit erklärt. Sie sagten, das Projekt unterliegt dem rechtlichen und fachlichen Rahmen des Sozialrechts. Die Leistungsbeschreibung des Projekts ist in einem intensiven Arbeitsprozess unter Beteiligung aller beteiligten anderen Stellen erarbeitet worden. Sie gehen von Folgendem aus: Wir haben die Heimaufsicht. – Das haben Sie klar und deutlich erklärt. Sie sagten, das Projekt war Chefinnensache, und wir haben dem Träger natürlich bestimmte Kriterien festgelegt, die in Bezug auf die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig sind. Insofern sind Sie auch verantwortlich.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Vorsitzende, ich komme sofort zum Schluss. Ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass es auch in der Vergangenheit vergleichbare Fälle gab. Wir müssen überlegen, welche Messlatte wir anlegen. Ich darf daran erinnern, Herr Innenminister Seiters trat wegen eines Vorfalls in Bad Kleinen zurück, der bis heute nicht geklärt ist und bei dem ein Terrorist ums Leben kam, und Frau Gesundheitsministerin Fischer wegen eines Briefes, der zwei Tage liegen blieb.

Dann habe ich ein wunderbares Zitat Ihres ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Werner Klein gefunden. Dieser hat bei einer Rücktrittsforderung folgendes Zitat vorgelesen: Ich erinnere an den Rücktritt des Berliner Justizsenators und stellvertretenden Bürgermeisters Hermann Oxfort vom 10. Juli 1976. Oxfort erklärte damals: Obwohl mir persönlich keine Fehler vorgeworfen werden oder nachzuweisen sind, aber wegen der politischen Bedeutung des Vorfalls sind hieraus verständlich politische und personelle Konsequenzen zu ziehen. – Die Liste ließe sich weiter vervollständigen, und zwar über Justizminister Theisen und Professor Dr. Bickel.

Der Vater von Christina Knoll bedauerte unlängst – Herr Schmitz, es ist nicht richtig, dass er das so gesagt hat, wie Sie es ausführen –, dass niemand die Verantwortung für die Fehlleistung übernehmen wolle. Sie selbst sahen sich immer als zuständig an. Deshalb kommen wir, auch wenn wir die Messlatte der anderen Rücktritte bzw. Rücktrittsforderungen anlegen, die ich erwähnt habe, zu dem Ergebnis, dass auch Sie Ihre Konsequenzen, die Sie in der „Rheinpfalz“ am 25. November 2003 angekündigt haben, ziehen, bitte aber die richtigen: Treten Sie zurück!

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Abgeordneten Hartloff das Wort.

Frau Präsidentin! Herr Kollege Baldauf, dass Sie den Rücktritt von Frau Ministerin Dreyer fordern, entspricht vielleicht der Rolle, die Sie meinen, spielen zu müssen. Die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses rechtfertigen das nicht.

(Zuruf von der CDU: Das ist Ihre Meinung!)

Ich war im Gegensatz zu Ihnen im Untersuchungsausschuss. Von Ihnen ist einiges zusammengezogen und daraus der Eindruck erweckt worden, also ob

die Frau Ministerin im Heim gewesen wäre und Anordnungen gegeben hätte, – nicht Arbeitsgruppen vorher in Stutensee waren, – man sich nicht daran orientiert hat, – nicht die Entscheidungen abgewogen gefällt und – trotzdem diese tragischen Komplikationen, die zum Tod von Christina Knoll geführt haben, nicht vermieden worden sind.

Man hat auch eine Fehleranalyse gemacht und gesagt, dass es einige Punkte gibt, die man verbessern kann und muss, was auch geschehen wird. Setzt hier die politische Verantwortung eines Ministers an, und zwar bei Vermeidbarkeitsbetrachtungen, wo es keine direkten Zusammenhänge gibt? Sie nicken immer selbstverständlich. Ich denke, Sie treiben ein sehr vordergründiges politisches Spiel auf dem Rücken dieses Todesfalls,

(Beifall der SPD und der FDP)

eigentlich wissend, dass sich die Arbeit vor Ort in einem ganz schwierigen gesellschaftlichen Bereich abspielt und sowohl durch das Geschehnis als auch die Aufarbeitung eine solche Möglichkeit eines solchen Arbeitens für Rheinland-Pfalz wahrscheinlich für die nahe und die längere Zeit kaum möglich sein wird, weil sie niemand vor Ort haben, der es macht.

Eine solche Arbeit, nämlich dass sich ein Untersuchungsausschuss Monate mit jeder Aktenseite beschäftigt und nicht irgendwelche Fehler oder Verbesserungen findet, kann kein Mensch leisten. Ein Rücktritt ist hierdurch nicht gerechtfertigt. Dass wir den Tod der jungen Frau bedauern und die Trauer teilen, wenn jemand in unserem Land an einer solchen schweren Schnittstelle arbeitet, ist selbstverständlich.

(Beifall der SPD und der FDP)

Zur Erwiderung erteile ich Herrn Abgeordneten Baldauf das Wort.

Herr Kollege Hartloff, Ihre Ausführungen waren sehr interessant. Sie gehen leider an dem vorbei, wie es gewesen ist. Sie waren dabei. Das erstaunt mich am meisten.