Ich rufe die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Heike Raab und Marianne Grosse (SPD), Armut bei Kindern – Nummer 5 der Drucksache 15/1526 – betreffend, auf.
1. Welche Folgen hat Armut nach Einschätzung der Landesregierung bei Kindern, die auch in RheinlandPfalz spürbar sind?
3. Welche Vorstellungen hat die Landesregierung hinsichtlich einer kindheitsbezogenen Armutsprävention?
Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren und Damen! Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Heike Raab und Marianne Grosse beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1: Armut bei Kindern ist in erster Linie die Folge von Einkommensarmut in den Familien. Diese wirkt sich auf die aktuelle Lebenslage und auch die weiteren Zukunftschancen der Kinder aus. Betroffen sind vor allem die Lebensbereiche Grundversorgung, Kultur und Bildung, soziale Integration und Gesundheit. Kinder in Armut können sich weniger leisten als andere Kinder. Sie sind schlechter gekleidet, ernähren sich ungesünder, haben häufig nicht die Unterstützung, an Kulturveranstaltungen teilzunehmen oder in Sportvereinen mitzuwirken.
Dies alles wirkt sich auf die Teilhabe und Integration am allgemeinen Leben in der Gesellschaft aus. Je länger sie den Folgen der familiären Armut ausgesetzt sind, desto größer ist die Gefahr, dass sie in vielen Lebensbereichen scheitern und eine Abstiegsspirale erleben, die nicht nur für sie selbst negative Folgen hat, sondern auch für unsere Gesellschaft insgesamt.
Zu Frage 2: Der Schutz vor Armut muss aus der Perspektive des Kindes heraus erfolgen. Seine Lebensbedingungen müssen sich verbessern. An seinen Stärken und Fähigkeiten muss angesetzt werden, das heißt zum Beispiel, die Selbstachtung und die sozialen Kompetenzen zu fördern oder Familien zu stärken, damit sich stabile und gute emotionale Beziehungen oder Problemlösungskompetenzen von Eltern entwickeln können.
Hinzu kommen außerfamiliäre Netze wie die Unterstützung durch Dritte, ein früher Besuch von Kinderbetreuungseinrichtungen oder eine gelingende schulische Integration. Diese Aufzählung zeigt auch, dass alle gesellschaftlichen Bereiche den Auftrag annehmen müssen, Armut bei Kindern zu verhindern oder zu bewältigen. Der Politik kommt dabei eine wesentliche Rolle zu, aber nicht die einzige. In einer lebendigen Bürgergesellschaft sind beispielsweise auch die Nachbarschaft, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine oder Lions- und Rotary-Clubs und Ähnliches gefordert.
Zu Frage 3: Da Armut in erster Linie auf Einkommensarmut zurückzuführen ist, ist es ganz wesentlich, Arbeit zu schaffen und gute Arbeit gerecht zu entlohnen. Es darf nicht sein, dass Menschen, die 40 Stunden und mehr arbeiten, ihren Lohn mit allen Folgen für eine finanzielle Reservebildung durch die Sozialkassen aufstocken und an der Armutsgrenze leben müssen. Insofern ist der Mindestlohn nicht nur ein Instrument zur Bekämpfung von Sozialmissbrauch, sondern auch ein wichtiger Faktor, um Armut zu verhindern oder zu bewältigen.
Die Landesregierung hat deshalb eine entsprechende Bundesratsinitiative eingebracht, die die Einführung eines Mindestlohns zum Ziel hat.
Eine qualifizierte Bildung ist das A und O, um langfristig vor Armut geschützt zu sein. „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“ ist daher das zentrale Anliegen der Landesregierung. Ich nenne in der Kürze der Zeit einige wenige Beispiele in Rheinland-Pfalz.
werden die Personalkosten für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Spiel- und Lernstufen, also Kindertagesstätten, in sozial benachteiligten Wohngebieten mit 40 % gefördert,
gibt es flächendeckend Ganztagsschulen, durch die auch viele alleinerziehende Mütter beispielsweise erst die Möglichkeit haben, erwerbstätig zu sein.
Im Land Rheinland-Pfalz wurden die Haushaltsmittel für die Lernmittelgutscheine im Doppelhaushalt 2007/2008 um 50 % auf rund 13 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt und die Einkommensgrenzen für den Bezug von Lernmittelgutscheinen angehoben.
Da sich seit der Einführung des pauschalierten Arbeitslosengeldes II gezeigt hat, dass Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien Schwierigkeiten haben, den Schulmittelbedarf in der Schule zu decken, hat die Landesregierung am Dienstag im Kabinett eine Bundesratsinitiative beschlossen. Danach sollen zum Schuljahresbeginn und zum Schulhalbjahresbeginn Kinder bis zum 18. Lebensjahr einen pauschalierten Betrag erhalten, um diese für ihre Bildung wichtige Ausstattung kaufen zu können.
Wenn man sich darüber hinaus noch die anderen Schutzfaktoren, die ich vorab genannt habe, vergegenwärtigt, spielt auch das Thema „Familienkompetenz“ eine maßgebliche Rolle. Hierzu hat die Landesregierung im Rahmen des Programms „VIVA FAMILIA“ viele verschiedene Projekte zur Begleitung und Unterstützung junger Frauen und Familien initiiert. Ich nenne nur als Beispiel Hebammenberatung, Familien- oder auch die Elternkursprogramme „Auf den Anfang kommt es an“, bei denen es um die Erziehungskompetenz in der Familie geht, die gestärkt wird.
Sich Ferien leisten zu können, ist für einkommensarme Familien eine Ausnahme, ein Highlight und ein Moment, in dem sie wieder Kraft schöpfen können und gemeinsam etwas erleben. Deshalb fördern sowohl das Sozialministerium als auch das Bildungsministerium Maßnahmen im Zusammenhang mit den Familienferien und -freizeiten.
Mit all dem leistet die Landesregierung einen deutlichen Beitrag zur Chancengleichheit aller Kinder; denn alle Kinder sind die Zukunft unseres Landes.
Das Land hat viele Maßnahmen. Sie haben heute einige aufgezählt. Gibt es darüber hinaus weitere Überlegungen hinsichtlich der Überlegung, was das Sozialgesetzbuch angeht, Änderungen vorzunehmen?
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Raab, ja, ich habe es schon kurz angedeutet. Wir haben am Dienstag im Kabinett eine Bundesratsinitiative beschlossen, wobei es darum geht, dass es einmalige Pauschalen geben soll, um Kindern aus einkommensschwachen Familien die Möglichkeit zu geben, den Schulmittelbedarf in Zukunft besser zu decken.
Es ist eine Erfahrung in den letzten zwei Jahren gewesen, dass viele Familien mit den pauschalierten Mitteln nicht klarkommen. Obwohl es im Land Rheinland-Pfalz Lernmittelhilfen für die Schulbücher gibt, entstehen ausreichend viele Bedarfe danach, beispielsweise Schulranzen, Zirkel, Taschenrechner und so weiter und so fort, alles was man braucht. Wir haben die Bundesratsinitiative so angelegt, dass es sich um Pauschalen handelt, die jeweils zum Schuljahres- und Schulhalbjahresbeginn ausgezahlt werden. Es sind Pauschalen in Höhe zwischen 83 Euro und 111 Euro – 20 % des Regelsatzes für die Jugendlichen.
Wir wissen, dass dieses Thema allseits diskutiert wird. Ich glaube, es ist auch eine wichtige Initiative, die nahtlos an das anknüpft, was die Landesregierung in den letzten Monaten und Jahren durchgeführt hat, zuletzt die Erhöhung der Lernmittelgutscheine, aber auch der Sozialfonds für Ganztagsschulen und das Programm „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“.
Frau Ministerin, Sie haben sehr viel zu dem gesagt, was die Landesregierung zur Sicherung der Kinderrechte und zur Bekämpfung der Kinderarmut unternimmt. Was mir
fehlt, ist ein Hinweis darauf, was die Landesregierung tut, um die innerfamiliäre Verteilgerechtigkeit im Sinne der Kinder zu verbessern. Was tun Sie da? Was planen Sie da? Sehen Sie dieses Problem? Wie gehen Sie damit um?
Herr Abgeordneter Schmitz, ich weiß nicht genau, auf was Sie jetzt hinauswollen. Aber ich habe angedeutet, dass wir auch bei dem Thema „innerfamiliärer Zusammenhalt und Ähnliches“, wo es darum geht, wie eine Familie ihr Geld verbraucht, natürlich auch unterstützende Maßnahmen anbieten.
Zunächst möchte ich sagen, vom Grundsatz her gibt es die Autonomie der Familie. Es ist nicht Aufgabe des Staates, sich in ein innerfamiliäres Geschehen einzumischen und dafür zu sorgen, dass Gelder für bestimmte Bereiche ausgegeben werden.
Wir wissen, dass bei bestimmten familiären Situationen Kinder sozusagen oft die letzten in der Reihe sind. Deshalb haben wir unter anderem „VIVA FAMILIA“ gestartet, nicht nur, um gerade bei den einkommensschwachen und auch bildungsferneren Familien dort zu unterstützen, wo es Unterstützungsbedarf gibt. Das heißt, wir beginnen eigentlich schon sehr früh, nämlich dann, wenn ein Kind geboren wird, wo es die Möglichkeit gibt, in prekären Familiensituationen einzugreifen und Eltern darin zu unterstützen, dass ihnen klar wird, wie wichtig es ist, dass ihre Kinder zum Beispiel in die Kindertagesstätten gehen und einen bestimmten Bedarf haben. Das sind die Maßnahmen, die im Programm „VIVA FAMILIA“ abgebildet sind.
Frau Ministerin, Hartz IV hat dazu geführt, dass von dem früheren System der einmaligen Beihilfen umgestellt worden ist und die Leistungen pauschal monatlich mit ausgezahlt werden in der Erwartung, dass man selbst anspart. Es zeigt sich nicht nur bei den Lernmitteln, sondern auch in anderen Bereichen, dass dies in vielen Haushalten nicht gelingt und häufig zum Nachteil von Kindern passiert.
Ich verweise auch auf das Problem von zunehmenden „Mietnomaden“, weil auch die Miete nicht gezahlt wird.
Gehen Sie davon aus, dass auf Bundesebene grundsätzlich neu diskutiert wird, ob dieses System wieder umgestellt werden soll?
Ich möchte am Rande erwähnen, das Thema „Mieten“ hatten wir auch in der alten Sozialhilfe. Die Arbeitsgemeinschaften, die einigermaßen vernünftig mit den Themen umgehen, ermöglichen es auch heute schon, dass wie damals bei der Sozialhilfe beispielsweise der Betrag direkt an den Vermieter gezahlt wird. Das tut man vor Ort nicht so gerne. Aber wir haben in RheinlandPfalz viele Beispiele, wo dies trotzdem gelingt. Es ist aus meiner Sicht dort auch richtig, wo die Familie diese Unterstützung braucht.
Insgesamt kann man das pauschalierte System nicht kritisieren. Aber ich glaube, wir haben die Verpflichtung, einen besonderen Blick auf die Kinder zu werfen und zu schauen, haben die Kinder in unserem System wirklich die gleichen Lebenschancen und die gleichen Gerechtigkeitsmöglichkeiten, was den Zugang und die Teilhabe zu unserem Sozial- und Bildungssystem betrifft. Ich glaube deshalb, es ist durchaus gerechtfertigt, an dieser Stelle zu überlegen, ob man an der einen oder anderen Stelle vom Grundsatz der Pauschalierung abweicht und bestimmte Bedarfe entschädigt und sie sozusagen pauschaliert zur Verfügung stellt.