Protokoll der Sitzung vom 03.02.2010

Das Wort hat Frau Ministerin Dreyer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren und Damen Abgeordnete! Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, dieses wirklich wichtige Thema im Plenum zu besprechen, und ich kann feststellen, dass wir in der Sache Schlecker einen relativ großen Konsens haben.

Unsicher bin ich mir an einer ganz anderen Stelle. Ich höre „Überreglementierung“, ich höre „Kind mit dem Bad ausschütten“ usw. Wir haben die Bundesratsinitiative, die ich gleich erläutern werde, ganz bewusst ausschließlich an dem Problem Schlecker festgemacht. Wir haben nicht, wie im September, einen umfassenden Antrag

zum Thema „Leih- und Zeitarbeit“ formuliert, sondern wir haben das ausschließlich an dem Problem, das sich jetzt bei Schlecker öffentlichkeitswirksam manifestiert, festgemacht. Deshalb geht es nicht um Überreglementierung oder sonst etwas, wenngleich man bei der Zeitarbeit noch vieles andere ein Stück weit besser machen könnte, sondern es geht darum, in einer Sache, zu der eine ganze Nation öffentlich erklärt, dass man empört sei, weil es um Missbrauch geht, eine Regelungslücke zu schließen.

Herr Dr. Schmitz, es ist eben nicht so, dass da das Arbeitsgericht helfen könnte; denn die Bundesanstalt für Arbeit hat festgestellt, dass das, was Schlecker tut, nicht gesetzeswidrig ist. Uns geht es aber in der Bundesratsinitiative darum, genau diese Gesetzeslücke zu schließen.

(Beifall der SPD)

Deshalb wäre es für uns schon interessant, ob sich die Ankündigungen, dass man dieses Verhalten nicht akzeptieren will, später in gesetzgeberischer Tätigkeit niederschlagen werden und ob wir im Bundesrat auch die Zustimmung anderer Bundesländer bekommen werden, die von CDU und FDP regiert werden. Natürlich muss dann auch die Bundesregierung entsprechend aktiv werden.

Es ist vieles zur Leiharbeit gesagt worden. Ich möchte das gerne ergänzen; denn wir haben keinen Dissens dort, wo wir feststellen, dass Leiharbeit ein sinnvolles Instrument sein kann, wenn es so eingesetzt wird, wie wir uns das unter Leiharbeit vorstellen. Wir haben aber die Fehlentwicklungen, die es nicht nur bei Schlecker gibt, aber bei Schlecker ist das eben richtig klar geworden.

(Vizepräsident Schnabel übernimmt den Vorsitz)

Frau Thelen, zur Historie ist es auch wichtig, noch etwas zu sagen. Die grundlegende Änderung ist im Jahr 2003 erfolgt. Das haben Sie richtig angesprochen. Damals wurde aber schon im Gesetz der Grundsatz „Gleiche Arbeit, gleicher Lohn“ festgelegt, Herr Dr. Schmitz.

(Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)

„Equal Pay“ steht im Gesetz. Damals hat man gesagt, nur im Falle einer tarifvertraglichen Regelung gibt es Ausnahmen. Man ist damals davon ausgegangen, dass die Zeitarbeit zu einer ganz normalen Tarifbranche wird. Das ist sie aber nicht geworden, sondern durch die sogenannten Christlichen Gewerkschaften hat ein Prozess des Lohndumpings begonnen, und die Zeitarbeit hat sich zu dem entwickelt, was sie heute ist.

Die Christlichen Gewerkschaften befinden sich im Moment in Prozessen. Die zweite Instanz hat entschieden, dass es sich gar nicht um Gewerkschaften handelt, die tariffähig sind. Man muss das abwarten. Damit will ich aber sagen, damals hatte man ganz klare Intentionen vor Augen – bei 5 Millionen Arbeitslosen –, nämlich dass die Leiharbeit ein Instrument sein kann, um Integration in den Arbeitsmarkt neu organisieren zu können. Es steht

auch für uns völlig außer Frage, dass das durchaus ein geeignetes Instrument sein kann.

Wir wollen das verhindern, was dann passiert ist. Es ist nämlich eine Lohndumpingkonkurrenz durch die Christlichen Gewerkschaften entstanden. Das habe ich bereits erwähnt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz Equal Pay existiert in der Praxis so gut wie überhaupt nicht mehr, außer in den Unternehmen, die sich an den DGBTarifvertrag mit den großen Verleihunternehmen tatsächlich gebunden fühlen.

Zunehmend gehen Unternehmen dahin – das ist das eigentliche Übel bei Schlecker –, Stammbelegschaften abzubauen, über sogenannte Zeitarbeitsfirmen sozusagen neu anzustellen, nur um eine Lohnreduktion vorzunehmen und Arbeitnehmerrechte zu beschneiden. Das kann natürlich überhaupt nicht akzeptiert werden. Das muss für die Zukunft auch verhindert werden.

Zu Schlecker will ich nichts mehr sagen. Es ist eigentlich klar, was bei Schlecker passiert. Vielleicht noch so viel: Im November habe ich mich mit Schlecker-Frauen, mit Betriebsrätinnen getroffen. Im Ausschuss habe ich darüber berichtet. Ich muss noch einmal sagen: Es ist wirklich empörend. Die Frauen arbeiten zum Teil seit 18, 20 Jahren in den Märkten. Fast alle sind alleinerziehende Frauen. Sie werden von heute auf morgen vor die Tür gesetzt und bekommen, wenn überhaupt, befristete Verträge mit schlechteren Konditionen. Teilweise nur die Hälfte des Lohnes, kein Weihnachtsgeld, kein Urlaubsgeld und natürlich auch verkürzte Urlaubszeiten.

Das alles ist möglich, weil die Lücke im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorhanden ist, von der früher niemand davon ausgegangen ist, dass ein Unternehmen tatsächlich auf den dreisten Gedanken kommen könnte, Stammbelegschaft über diesen Weg loszuwerden, um Lohndumping zu betreiben und Vorteile herauszuziehen. Deshalb meine ich, ist es richtig, dass wir handeln.

(Beifall der SPD)

Ich komme zum Schluss. Die Bundesratsinitiative sieht drei Felder vor, zu denen wir uns erhoffen, dass hier über ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren gehandelt wird. Das ist einmal, dass nach einer kurzen Einarbeitungszeit tatsächlich der Grundsatz „Gleiche Arbeit, gleiches Geld“ ohne Ausnahme gilt.

Das Zweite ist, dass wieder der Grundsatz gilt, dass Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer bei wechselnden Unternehmen eingesetzt werden. Sie sind zwar bei dem Leiharbeitsunternehmen unbefristet beschäftigt, aber sie können dann nicht einfach an einen anderen Betrieb abgegeben werden, in dem sie dann lebenslang arbeiten. Genau das passiert derzeit bei Schlecker. Früher war die Regelung so, dass nur an unterschiedliche Unternehmen zu bestimmten Zeiträumen verliehen wird. Das ist der zweite wesentliche Punkt.

Dann ist der dritte Punkt überhaupt kein Problem mehr, nämlich dass die Möglichkeit, konzerninterne Arbeitnehmerüberlassungsbetriebe zu gründen, begrenzt wird. Die Begrenzung erfolgt automatisch, wenn die ersten zwei Punkte erfüllt sind.

Meine sehr geehrten Herren und Damen Abgeordnete, ich würde mir wünschen, dass das, was die Bundesarbeitsministerin öffentlich mehrfach gesagt hat, dass es nämlich empörend sei, was mit diesen Frauen passiere, wirklich zu einem Handeln führt. Die Bundesratsinitiative ist ein guter Anlass, dem auf der Bundesratsebene in der Hoffnung zuzustimmen ist, dass die Bundesregierung dann Wort hält. Frau von der Leyen hat damals gesagt: Wir werden prüfen und handeln, wo Gesetzeslücken sind. – Die Gesetzeslücken sind überprüft und klar. Jetzt sollten unbedingt die Taten folgen.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Sahler-Fesel für die SPDFraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind uns in diesem Haus über Sinn und Zweck der Zeitarbeit, der Leiharbeit einig und dass in dem gedachten Sinne, wie er von allen Fraktionen dargestellt wurde, diese Leiharbeit notwendig ist, sinnvoll ist und gut eingesetzt werden soll. Wir haben aber auch parteiübergreifend festgestellt, dass sie missbraucht wird. In dem Moment, in dem wir den Missbrauch in dieser vielfältigen Form feststellen, hat die Politik Regelungen zu schaffen, um diesen Missbrauch zu verhindern. Das ist das, was nun passiert.

Herr Dr. Schmitz, um im Begriff zu bleiben: Wir wollen kein Wischiwaschi, sondern wir wollen klare Regelungen. Diese klaren Regelungen werden seitens der Landesregierung eingefordert. Wir unterstützen diese Forderung.

(Beifall der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Hedi Thelen für die CDUFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben Ursula von der Leyen schon in ihrem früheren Aufgabenbereich als eine Ministerin kennengelernt, die tut, was sie sagt, und die nicht nur daherredet.

(Pörksen, SPD: Das erleben wir gerade!)

Ich bin der festen Überzeugung, sie wird ihre Aussage, dass sie dieses Gesetz auf Lücken überprüfen und diese Lücken schließen wird, auch in Taten umsetzen.

Es wäre schön, wenn diese Gesetzesänderung eine breite Mehrheit fände. Ich bin davon überzeugt, meine Damen und Herren.

(Beifall der CDU – Ministerpräsident Beck: Sie haben recht, so ist Frau Dreyer!)

Frau von der Leyen hat dies schon in der vergangenen Legislaturperiode gezeigt und wird dies auch jetzt tun.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz fordert schon jetzt auf, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu zahlen. Ich sage Ihnen: Ich finde es richtig, dass in diesem Gesetz die Tarifautonomie bisher Vorrang hat. Diesen Vorrang möchte ich weiterhin gewahrt wissen;

(Ministerpräsident Beck: Jetzt kommt der Rückwärtsgang!)

denn es ist nicht gut, wenn über Gesetze in Tarifvereinbarungen hineinregiert wird. Ich teile Ihre Meinung, wenn Sie sagen, dass es Tarifabschlüsse in der Leiharbeitsbranche gibt, die wirklich unterirdisch sind. Das, was die Christlichen Gewerkschaften abzuschließen bereit waren, ist für viele Menschen schlichtweg nicht nachvollziehbar. Ich erwarte auch – darauf deutet für mich das hin, was der Bundesverband für Zeitarbeit gemeinsam mit dem DGB erklärt hat –, dass man diese Unsitten abstellt, dass man einen großen gemeinsamen Tarifverbund anstrebt und einen einheitlichen Tarifvertrag schafft, mit dem man diese Missstände in den Griff bekommt. Damit käme man ihrem Ziel, einen vernünftigen Lohn für die Leiharbeit festzusetzen, ein Stück weit entgegen.

Zur Reduzierung der Entleihdauer kann man schon jetzt feststellen, dass die meisten lediglich für drei Monate entliehen sind, wenige für ein Jahr und noch viel weniger, nämlich eine verschwindend geringe Minderheit, für eine längere Zeit. Das heißt, bislang ist das eine Ausnahmeentscheidung. Aber wir teilen Ihre Einschätzung, dass der Fall Schlecker der Anlass sein muss, um weitere Ausnahmen zu verhindern und alles Notwendige zu veranlassen. In dem Sinne hoffe ich, dass wir gemeinsam Erfolg haben.

Danke schön.

(Beifall der CDU)

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Schmitz.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In den meisten Punkten sind wir uns einig. Frau Ministerin, ich danke Ihnen für Ihre Klarstellungen. Wenn Sie sagen, den Gleichstellungsgrundsatz gebe es bereits, haben Sie natürlich recht.

Genau deshalb frage ich mich: Was wollen Sie darüber hinaus durchsetzen? Ich kann mich nicht im Detail dazu

äußern, weil ich Ihre Initiative noch nicht kenne. Aber Sie haben uns zugesagt, dass uns das zugehen wird. Das heißt, wir müssen ein wenig im Nebel stochern.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Ich habe Ihren Ausführungen auch entnommen, dass Ihnen das Verbot der Einzelfallgesetzgebung bekannt ist. Auch das haben wir erfreut zur Kenntnis genommen. In der Tendenz sind wir nicht weit voneinander entfernt.

Aber noch einmal: Auch wenn es schwerfällt, muss man akzeptieren, dass das Instrument Leiharbeit grundsätzlich schwieriger und anders zu handhaben ist als einzelne Tarifverträge in einzelnen Branchen. – Das ist nicht einfach; sonst hätte man es im Laufe der Jahre, egal unter welcher Regierung, wasserdicht machen können. Meistens sind es Dinge, die sich widersprechen: Wenn man zu stark reguliert, gehen die Vorteile verloren. Wenn wir zu viele Lücken lassen, laufen wir in der Tat Gefahr, dass sich das, was wir jetzt im Zusammenhang mit dem Fall Schlecker als dreist geißeln, mehr und mehr einschleicht. Das wollen wir alle nicht.

Ein einziger kurzer Satz noch zu dem, was in der viertletzten Zeile Ihrer Pressemitteilung steht: Jeder achte Leiharbeitnehmer ist trotz Vollzeittätigkeit auf ergänzende staatliche Unterstützung angewiesen. – Das müssten wir irgendwann einmal im Detail erläutern. Auch dahinter stecken sehr differenzierte Probleme. Welche Unterstützung braucht derjenige, der mit einem Einkommen nur für sich selbst zu sorgen hat? Wie sieht es dagegen bei demjenigen aus, der eine Familie mit zwei, drei oder mehr Kindern hat? Wie verhält es sich mit dem Lohnabstandsgebot? – Aber dann befinden wir uns in einer anderen Diskussion, nämlich in der Debatte über den Mindestlohn, und das ist nicht das heutige Thema.