Protokoll der Sitzung vom 24.09.2014

(Glocke der Präsidentin)

Richtig ist, dass es in allen Fraktionen und in allen Parteien – gerade die „RHEINPFALZ“ von heute Morgen ist Beleg dafür – Diskussionen und Fragen gibt. Ich denke, wir sollten gemeinsam versuchen, die aufgetretenen Fragen zu lösen und einem insgesamt guten Ergebnis zuzuführen.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin SchleicherRothmund das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das rheinland-pfälzische Landeswahlgesetz sieht vor, dass die Landesregierung 30 Monate nach dem Beginn der Wahlperiode einen schriftlichen Bericht über die Veränderung der Bevölkerungszahlen in den Wahlkreisen vorlegt. Dieser Bericht ist uns Anfang Januar zugegangen. Lieber Herr Kollege Bracht, Sie wissen auch, warum er später kam, weil wir nämlich eine Kommunal- und Verwaltungsreform auf den Weg gebracht haben. Deswegen hat man gesagt, das wollen wir entsprechend berücksichtigen.

Dieser Bericht zeigt uns auf, wie es mit der Entwicklung der Wahlkreise aussieht. Sie haben es selbst gesagt, die

bisherige Abweichungsgrenze liegt bei 33 ⅓ v. H. Das heißt, jeder Wahlkreis, der diese Zahl nach oben oder nach unten überschreitet, muss nach der derzeitigen Gesetzeslage in seiner Größe verändert werden. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht nunmehr eine Veränderung dieser Grenze auf 25 v. H. vor, und das aus gutem Grund. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass sowohl bei einer reinen Verhältnis- oder Mehrheitswahl als auch bei einer Kombination beider Wahlsysteme jede Stimme den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss. Das Gericht hat klargestellt, dass bei der Aufteilung des Wahlgebiets in mehrere selbstständige Wahlkörper die Umstände, die den möglichen Einfluss einer Stimme prägen, in allen Wahlkörpern – das soll heißen, in allen Wahlkreisen – annähernd gleich sein müssen.

In einem Urteil des Staatsgerichtshofs von BadenWürttemberg heißt es: „Die absolute Grenze der aus anderen, rechtfertigenden Gründen im Hinblick auf den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit noch hinzunehmenden Abweichung der Wahlkreisgröße vom Durchschnittswert liegt bei plus/minus 25 v. H (…).“

Vor diesem Hintergrund haben die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Wissenschaftlichen Dienst beauftragt, in einem Gutachten auch noch einmal dieser Fragestellung nachzugehen. Der Wissenschaftliche Dienst des Landtags kommt zu dem Ergebnis, dass die Toleranzschwelle als absolute verfassungsrechtliche Obergrenze auf 25 v. H. abzusenken ist.

Ich möchte das jetzt einmal deutlich machen. Die bisherige Regelung lässt Unterschiede von erheblichem Ausmaß zu. Bei einer durchschnittlichen Wahlkreisgröße, wie sie jetzt ermittelt worden ist, von nicht ganz 73.000 Einwohnerinnen und Einwohnern in einem Wahlkreis könnte der kleinste Wahlkreis ca. 48.000 Einwohnerinnen und Einwohner haben, und der größte käme auf 96.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Das heißt, der größte kann doppelt so groß sein wie der kleinste. Dass damit keine Stimmengleichheit gewährleistet sein kann, ist augenscheinlich. Für uns als Abgeordnete, die wir auch den Umfang der Wahlkreisarbeit kennen, ist klar, dass dies geändert werden muss. Es geht um die gleichen Erfolgschancen von Stimmen, es geht aber auch um die Chancengleichheit in der praktischen Arbeit von Abgeordneten. Es ist also nicht nur die verfassungsrechtliche Gebotenheit. Ich freue mich, dass auch die CDU sagt, diese 25-v. H.-Grenze gilt es einzuhalten.

Aber der Neuzuschnitt von Wahlkreisen ruft auch Gegenstimmen hervor. Das ist so. Wir haben jetzt durch die 25-v. H.-Regelung natürlich eine Vielzahl von Wahlkreisen, die betroffen sind. Dennoch sage ich aber auch eines ganz deutlich. Auch die Vergangenheit hat gezeigt, dass es nicht möglich ist, alle Vorstellungen und Kriterien wie historische, kulturelle und wirtschaftliche Verflechtung beim Neuzuschnitt zu beachten.

Lieber Kollege Bracht, da geht es keinesfalls um Machterhalt. Es ist einfach nicht immer möglich, den Zuschnitt einer gesamten Gebietskörperschaft zu übernehmen. Ich kann Ihnen einmal ein Beispiel nennen. Im Kreis Germersheim hat die CDU in den 80er-Jahren die Verbandsgemeinde Lingenfeld aus dem Kreis Germersheim

herausgenommen, von dem man sagen könnte, das ist Gemüsepfalz, und hat ihn den Weindörfern zugeschlagen, die um Landau herumliegen. Als wir dann später im Jahr 2003 die Verbandsgemeinde Kandel aus dem Kreis Germersheim herausgenommen haben und sie der Südlichen Weinstraße zugetragen haben, hat die CDU auch mitgestimmt, obwohl es hier auch nicht möglich war, die komplette Gebietskörperschaft zu erhalten und man durchaus über die historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Verflechtungen diskutieren könnte.

Der Gesetzentwurf hat einen Vorschlag mit einer 25-v. H.-Grenze. Dadurch ist nun einmal eine große Anzahl von Wahlkreisen tangiert. Eines ist aber auch klar, wir müssen verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite stehen. Es kann nicht angehen, dass uns nachher Parteien vor den Verfassungsgerichtshof ziehen und sagen: Ihr habt wissentlich, weil ihr es ja gewusst habt, wie die aktuelle Rechtsprechung ist, diese Grenze nicht zur Anwendung geführt.

(Beifall der Abg. Pörksen, SPD, und Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass es bei Wahlkreisen zu Veränderungen kommt, hat sicherlich auch verschiedene Gründe. Das ist einmal die demografische Veränderung, aber sicherlich schlägt auch eine Zweitwohnsitzsteuer zu Buche, wenn wir uns jetzt hier einmal die Veränderung in Mainz anschauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es gut, dass wir in Gesprächen sind. Ich glaube, wir sollten in den Gesprächen bleiben; denn ein solch wichtiger Schritt hat es verdient, dass wir ihn konsensual machen.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege Bracht, von daher denke ich, wir müssen gar keine Schärfe hereinbringen. Wir werden es hoffentlich gemeinsam schaffen, hier einen Vorschlag für das gesamte Land zu erarbeiten.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Kollege Wiechmann das Wort.

Liebe Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Landeswahlgesetz, über dessen Änderung wir heute zum ersten Mal beraten, ist ein wichtiges Gesetzesvorhaben für die parlamentarische Demokratie in unserem schönen Bundesland. Aufgrund eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts – das haben meine Vorredner schon alle drei erwähnt – vom Januar 2012 hat die Landesregierung im von ihr vorgelegten Wahlkreisbericht Änderungsbedarfe angemeldet, die auch der Wissenschaftliche Dienst des Landtags in seinem Gutach

ten, das wir in Auftrag gegeben hatten, vom März dieses Jahres bestätigt hat.

Es geht im Kern um zwei wesentliche Änderungen, die den Grundsatz der Gleichheit der Wahl betreffen, die laut Verfassungsgericht umzusetzen sind und die die Landesregierung deshalb in ihrem Entwurf auch vorgeschlagen hat. Der Entwurf der Landesregierung, den Minister Lewentz gerade dankenswerterweise vorgestellt hat, sieht deshalb zwei wesentliche und gravierende Änderungen vor. Zum einen ab der nächsten Wahlperiode des Landtags die absolute gesetzliche Grenze für Wahlkreisabweichungen von 33 ⅓ v. H. auf 25 v. H. zu senken, damit kein Wahlkreis mehr als 25 v. H. der durchschnittlichen Bevölkerungszahl aller Wahlkreise abweicht. Das Zweite ist, bei der Bemessungsgrundlage für die Größe der Wahlkreise die Anzahl der Stimmberechtigten einzuführen.

Meine Damen und Herren, die Gleichheit der Wahl ist zentral bedeutend für das demokratische Staatswesen. Die Wahlgleichheit ist sowohl für die Egalität der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger als auch als legitimationsbegründendes Element für das Parlament unabdingbar und eine grundlegende Voraussetzung. Die bisher bestehende 33 ⅓-v. H.-Grenze ist eine MussToleranzschwelle, bei deren Überschreitung die Wahlkreise bereits jetzt nach geltender Gesetzeslage ohne eine Abwägung von unterschiedlichen Gründen angepasst werden müssen. Schon bei einer geringeren Abweichung ist der Gesetzgeber zu einer einzelfallbezogenen Abwägung angehalten. Bei einer Abweichung von über 33 ⅓ v. H. ist die Abweichung derart massiv, dass der Eingriff in das Grundrecht der Wahlgleichheit auf Grundlage anderer Sachgründe nicht mehr gerechtfertigt werden kann.

Frau Schleicher-Rothmund hat das rechnerisch eben gerade schon ausgeführt. Rechnerisch ist es so, dass bei dieser Marge, die wir im Moment noch haben – 33 ⅓ v. H. –, der größte Wahlkreis doppelt so groß sein kann wie der kleinste. Es kann daher zu einer ganz erheblichen Divergenz im Gewicht der Erststimmen kommen. Dem Wahlberechtigten im kleineren Wahlkreis kommt hier dann im Vergleich quasi ein doppeltes Stimmgewicht zu. Das kann und wird auch nicht im Interesse des Gesetzgebers sein.

Der Grundsatz der Wahlgleichheit verpflichtet uns alle, die wir als Gesetzgeber handeln, die Einteilung der Wahlbezirke regelmäßig zu überprüfen. Zwar steht dem Gesetzgeber bei der Einteilung des Wahlgebiets ein gewisser Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum zu. Dieser darf jedoch nicht mit dem Grundrecht auf Gleichheit der Wahlstimmen konkurrieren.

(Zuruf des Abg. Klein, CDU)

Das muss und wird unsere Grundlage sein. Deshalb ist es so, dass das Grundrecht auf Wahlgleichheit, wenn man sich Artikel 38 Abs. 1 Grundgesetz anschaut, der Wahlbevölkerung die gleiche Gewichtung jeder Stimme garantiert. Aus diesem Grundsatz folgt für das Bundes-, aber auch für das Landeswahlgesetz, dass die Stimme jedes Wahlberechtigten den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss.

Lieber Kollege Bracht, das und nur das ist die Grundlage für die zur Diskussion stehende Änderung des Landeswahlgesetzes. Alles andere, was man über die Medien und auch gerade eben subtil versucht hat, dort hineinzuinterpretieren, entbehrt jeglicher Grundlage.

Wir wollen ein verfassungsgemäßes Wahlrecht, und wir werden deshalb auf die konsequente Einhaltung aller uns vom Bundesverfassungsgericht auferlegten Vorgaben bestehen.

(Klein, CDU: Aller!)

Meine Damen und Herren, es ist überhaupt kein Geheimnis: Wir GRÜNEN haben immer durchaus für eine sogenannte große Lösung für die Pfalz und insbesondere für die Westpfalz gestanden. Wir haben immer gesagt, dass wir uns das sehr, sehr gut vorstellen können. Das tun wir auch weiterhin.

Wir würden uns freuen, wenn wir gemeinsam eine solche große Lösung, die über 2016 und vielleicht auch 2021 hinaus trägt, finden würden. Die Tür für eine solche Lösung ist noch nicht zu. Schließlich ist heute gerade einmal die erste Beratung.

(Glocke des Präsidenten)

Aber – und das, lieber Kollege Bracht, muss auch Ihnen klar sein – für einen solchen Vorschlag und für eine solche gemeinsame Lösung brauchen wir einen konsensfähigen Gesamtvorschlag. Dieser liegt mir von Ihnen leider nicht vor.

(Bracht, CDU: Dazu gibt es auch von Ihnen keinen!)

Ich würde mich freuen, wenn wir konstruktiv und gemeinsam eine solche Lösung erarbeiten würden.

Herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Für die Landesregierung hat Herr Innenminister Lewentz das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anwesenheit der Presse möchte ich auf eine Legendenbildung hinweisen, die, glaube ich, nicht ganz fair ist, Herr Bracht.

Wir hätten im November 2013 den Wahlkreisbericht vorlegen müssen.

(Zuruf des Abg. Bracht, CDU)

In der Dezembersitzung standen die letzten Gesetze zur Kommunal- und Verwaltungsreform auf der Tagesord

nung. Anfang 2014 haben wir direkt vorgelegt. Dies zum einen.

Zum Zweiten, zum Zensus: Sie wissen, dass Herr Weiner als Erster sehr schnell darauf aufmerksam gemacht hat, Achtung, da kommt vom Bund heruntergebrochen auf die Landesebene noch ein Zensus; diese Zahlen sind einzuarbeiten.

Das haben wir zugesagt und die Zahlen, sobald Bundeszensus, Landeszensus und Statistisches Landesamt umgebrochen waren, unmittelbar zur Verfügung gestellt. Es gab überhaupt keinen Versuch, irgendetwas verzögert oder verspätet vorzulegen, sondern ich glaube, es war sehr vernünftig, dass wir a) die Kommunal- und Verwaltungsreform eingearbeitet und b) so schnell wie möglich die aktuellsten Zahlen des Bundeszensus – auf das Land heruntergebrochen – vorgelegt haben. Nicht, dass es im weiteren Verfahren immer dabei bleibt, wir wären für eine bewusste Verzögerung verantwortlich.

Darüber hinaus will ich Ihnen noch einmal zusagen, die Unterstützung unseres Hauses für die parlamentarischen Beratungen steht natürlich auch weiter zur Verfügung.