Wir wollen bei der Ersetzung des Rassebegriffs im Grundgesetz und in der Landesverfassung mit Bedacht und Augenmaß handeln und uns in Ruhe auf ein geeignetes Verfahren einigen. Daran werden wir auch in Zukunft gemessen werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Präsident! In diesem Saal sitzen 101 Abgeordnete. Davon sind 100 nicht von Rassismus betroffene Menschen und eine von Rassismus betroffene Person – und die bin ich.
Es bedeutet mir deswegen viel, heute für meine Fraktion in dieser Debatte zu sprechen. Vielleicht ist nur das schon das stärkste Zeichen, das wir als SPD-Fraktion heute in unserem Kampf für mehr Bürgerrechte und gegen Rassismus und Antisemitismus setzen; denn Repräsentation macht einen Unterschied.
Ich bin die erste schwarze Abgeordnete im rheinlandpfälzischen Landtag, und ich fordere: Das Konstrukt der Spaltung und Trennung muss fallen! Es gibt keine Rasse. Der Begriff „Rasse“ muss raus aus der Verfassung!
Ich bin nicht allein. Unser Fraktionsvorsitzender Alexander Schweitzer hat alle Fraktionen – außer eine – dazu eingeladen, in dieser Sache eine gemeinsame Lösung zu finden. Im Kampf um Bürgerrechte steht meine Fraktion, die gesamte Ampel, hinter den von Rassismus betroffenen Menschen, und das sollen heute alle erfahren. Sie sind nicht allein! Wir werden das Stück für Stück in Ordnung bringen. Das sind wir uns schuldig.
Manche diskreditieren die Debatte um Begriffe. Die AfD nennt sie sogar „töricht“ und „unreif“. Es ist genau diese Haltung, die jede Diskussion um eine selbstbestimmte Existenz von Menschen anderer Hautfarbe und/oder anderer Herkunft beenden soll, aber es sind die Namen, die Sie uns geben, die uns in „gläsernen Käfigen“ halten. So beschreibt es zum Beispiel Kübra Gümüşay in „Sprache und Sein“.
Wir werden definiert und benannt, in Gruppen sortiert und haben dabei keinerlei Macht und Deutungshoheit. Wir wollen selbst bestimmen, wer wir sind. Was wir auf keinen Fall sind: eine andere Rasse. Wir sind Menschen. Wir bestehen darauf, so wie alle anderen sein zu dürfen:
freundlich und unfreundlich, herzlich oder abweisend, klug, dumm, hilfsbereit, egoistisch, ehrlich – oder eben nicht. Jeder von Ihnen in diesem Saal beansprucht das ganz natürlich für sich, und das ist auch gut so.
Menschen wie ich werden gerne zum Beispiel als temperamentvolle, lustige, emotionsgesteuerte oder eher chaotische Typen gezeichnet. Klingt das harmlos? Versuchen Sie einmal, mit einer solchen Zuschreibung eine Führungsposition zu bekommen oder zum Beispiel ein Abgeordnetenmandat. Viele gerade dort auf der rechten Seite haben uns bisher nie das Format gezeigt, das man dafür braucht.
(Abg. Heribert Friedmann, AfD: Wir haben auch Schwarze! – Abg. Michael Frisch, AfD: Das ist auch diskriminierend!)
Der Rassebgeriff ist keine vernachlässigbare Korrektur. Das Konstrukt „Rasse“ markiert Menschen. Es definiert sie, wo es biologisch keinerlei Grundlage dazu gibt. Wir müssen uns diesen Begriff entledigen,
selbst wenn man ihn anwenden will, weil es im Positiven gedacht sonst schwer möglich ist, rassistische Übergriffe zu benennen und zu ahnden, selbst dann.
Es ist aber dennoch ein sehr ernst zu nehmender Punkt in dieser Debatte, den die FDP-Fraktion und auch Justizminister Mertin zu Recht aufgegriffen haben und der vorhin auch noch einmal sehr gut dargelegt wurde. Ich danke für diese Überlegungen und plädiere für meine Fraktion dafür, dass wir uns, mit wissenschaftlicher Expertise ausgestattet, um eine neue Formulierung von Artikel 4 und Artikel 19 der Landesverfassung bemühen.
Ich bitte darum, auch die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einzuholen, die sich mit dem Komplex der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, besonders mit dem Rassismus, beschäftigen.
Ja, eine Verfassungsdebatte erscheint schnell als Metadiskussion, die in den Parlamenten zu verhallen droht. Aber für uns ist das hier ein Anfang, der sehr ernst gemeint ist.
Wir wollen unser Denken verändern. Wir, auch ich, wollen rassistisches Denken aus unseren Köpfen wirksam verdrängen. Wir beginnen damit, ihm seinen Namen zu nehmen.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Artikel 4 der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz lautet: „Die Ehre des Menschen steht unter dem Schutz des Staates. Beleidigungen, die sich gegen einzelne Personen oder Gruppen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse,
einer religiösen, weltanschaulichen oder anerkannten politischen Gemeinschaft richten, sollen durch öffentliche Klage verfolgt werden.“
Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz lautet: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat (...), seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Sowohl das Grundgesetz als auch unsere Landesverfassung – ich glaube, darin sind wir uns alle einig in diesem Hause – sind ein Erfolgsmodell und Ausdruck von wahrer Demokratie.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes und unserer Verfassung haben den Begriff „Rasse“ bewusst in unsere Verfassung und das Grundgesetz geschrieben. Der Text ist unter dem Eindruck der Verfolgungen im Nationalsozialismus entstanden. Die Verfasser des Grundgesetzes wollten ein deutliches Zeichen gegen Rassenwahn setzen.
Im Grundgesetz gibt es ein klares Bekenntnis – das verdeutliche ich hier nochmals – gegen Rassismus.
In der Politik und auch unter Juristen ist nun eine Diskussion aufgekommen, den Begriff der Rasse aus dem Grundgesetz zu entfernen. Das Meinungsbild ist vielfältig, und wir stehen in Deutschland am Beginn einer Diskussion. Es handelt sich, was den juristischen Teil betrifft, um eine anspruchsvolle Diskussion, und ich warne vor Vereinfachungen.
Ich will anhand einiger Ausführungen die Komplexität des Vorgangs etwas darlegen. Wissenschaftlich – das ist unbestritten – ist der Begriff „Rasse“ widerlegt. Das ist erledigt. Schauen wir in den Grundgesetzkommentar; einer der führenden ist der „Grundgesetz-Kommentar“ von Maunz/Dürig, Stand Februar 2020. Darin liest man zu Artikel 3 Abs. 3, – ich zitiere –: „Rasse meint keinen irgendwie fundierten wissenschaftlichen Begriff“ im Grundgesetz. Also führt uns das auch nicht weiter.
Wir haben eine vielfältige Meinungsdiskussion. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die den Begriff aus dem Grundgesetz entfernen und durch einen anderen, alternativen Begriff ersetzen wollen. Demgegenüber stehen diejenigen, die den Begriff im Grundgesetz belassen und ihn gegebenenfalls durch erläuternde und erklärende Zusätze ergänzen wollen.
Es handelt sich bei der Thematik auch juristisch um eine nicht einfache Diskussion. Um das zu verdeutlichen, will ich einige der kontroversen Auffassungen gegenüberstellen:
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat dem Gesetzgeber empfohlen, den Begriff „Rasse“ aus dem Diskriminierungsverbot in Artikel 3 des Grundgesetzes zu streichen und durch das Verbot rassistischer Benachteiligung oder Bevorzugung zu ersetzen. „Eine Änderung des Grundgesetzes wäre ein wichtiges Signal, um die scheinbare Akzeptanz von Rassekonzeptionen zu beenden“, so Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Hendrik Cremer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am gleichen Institut, führt aus, Rassismus lasse sich nicht glaubwürdig bekämpfen, solange der Begriff „Rasse“ beibehalten werde.
Demgegenüber vertreten Dr. Cengiz Barskanmaz, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung „Recht & Anthropologie“ am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle, und Dr. Nahed Samour, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für interdisziplinäre Rechtsforschung der Humboldt-Universität zu Berlin, im Tagesspiegel vom 21. Juni 2020 die gegenteilige Position, indem sie ausführen:
„Die Forderung, Rasse aus dem Grundgesetz zu streichen, schadet dem Antidiskriminierungsrecht und ist rechtsdogmatisch angreifbar. (...) Erst durch einen solchen Begriff wird Rassismus, also Diskriminierung aufgrund der Rasse, benennbar und adressierbar. Der Rechtsbegriff Rasse ist ein notwendiges Instrument, um Rassismus (einschließlich Antisemitismus) antidiskriminierungsrechtlich angehen zu können.“
Sie plädieren dafür, Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz dem Wortlaut der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Grundrechtecharta anzugleichen. Es könnte dann heißen, so führen sie aus: „Eine Diskriminierung wegen der Rasse ist verboten.“
Es gibt den Vorschlag „ethnische Herkunft“. Es gibt den Vorschlag „ethnische, soziale und territoriale Herkunft“. Es gibt den Vorschlag „rassistische Gründe“. Es gibt den Vorschlag „rassistische Zuschreibung“.