Protokoll der Sitzung vom 16.09.2020

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP – Zuruf des Abg. Uwe Junge, AfD)

Das ist aber nicht genug. Deshalb war es wichtig, jetzt zu schauen, dass wir schnell Hilfsgüter nach Lesbos schicken, um dort die Flüchtlinge zu unterstützen, aber vor allem auch die vielen ehrenamtlichen Kräfte und die Ärztinnen und Ärzte, die zum Beispiel für Ärzte ohne Grenzen dort sind.

Ich möchte mich an dieser Stelle vor allen Dingen bei denjenigen bedanken, die nicht erst in diesem Jahr unter den erschwerten Bedingungen einer Corona-Pandemie, sondern seit 2015 hauptamtlich und ehrenamtlich in den Lagern arbeiten und diesen Menschen tagtäglich bei einer gesundheitlichen Versorgung und bei der Essensausgabe helfen und die seit vielen Jahren schon Mahnerinnen und Mahner sind, dass Europa hinschauen muss und die Menschen in dieser Situation nicht im Stich lassen darf. Danke für dieses Engagement auf den griechischen Inseln vor Ort, das tagtäglich dort ausgeübt wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und FDP)

Deshalb ist es richtig, dass sich Rheinland-Pfalz gemeinsam mit anderen Bundesländern engagieren möchte. Wir stehen bereit, wir werden die Menschen, die die Bundesregierung hierherholt – das haben wir in der Vergangenheit getan, und das werden wir selbstverständlich auch in Zukunft tun –, gut aufnehmen.

Ich hatte selbst die Möglichkeit, mit afghanischen Familien, die zuvor im Lager Moria waren und die wir nach Rheinland-Pfalz holen konnten, zu sprechen. Was sie von dort geschildert haben – diesen Punkt möchte ich auch noch einmal starkmachen –, das hat mich vor allen Dingen als Familienministerin berührt. Wenn ich höre, dass Kinder nachts nicht schlafen können, weil ihnen kalt ist oder weil sie nicht genug zu essen hatten oder weil nachts irgendwelche Geräusche waren, die den Kindern Angst gemacht haben, dass sie teilweise an der griechisch-türkischen Grenze Schüsse gehört haben, die die Kinder verängstigt und retraumatisiert haben, dann kann ich nur sagen, die UNKinderrechtskonvention ist ein Dokument, das international und für alle Kinder gilt, ungeachtet der Herkunft und des Aussehens eines Kindes, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD sowie des Abg. Thomas Roth, FDP)

Die Katastrophe in Moria hat für mich aber noch eine andere Dimension, eine zweite Dimension. Sie ist möglicherweise die ungleich schwierigere, aber sie ist möglicherweise auch die ungleich wichtigere, um langfristig die Situation und die Zustände in genau solchen Flüchtlingslagern zu verbessern.

Es braucht, meine sehr geehrten Damen und Herren, dringend eine europäische Integrations- und Migrationspolitik, eine europäische Politik, die sich dieser Frage mutig annimmt, eine europäische solidarische Politik, eine europäische Staatengemeinschaft, die sich gegenseitig hilft und an einem Strang zieht und die nicht – nennen wir das Kind doch beim Namen – bewusst auf eine Abschottungspolitik an den EU-Außengrenzen setzt und die ein Stück weit diejenigen EU-Länder, die an den EU-Außengrenzen liegen, mit der Problematik alleinlässt.

Es muss ein gemeinsames europäisches Handeln geben, und es muss eine gemeinsame europäische Lösung an dieser Stelle geben. Die deutsche Ratspräsidentschaft ist eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass der Bundesrepublik Deutschland eine gute, eine weltoffene und eine zukunftsgewandte Europapolitik am Herzen liegt.

(Zurufe von der AfD)

Ich weiß, dass eine Fraktion hier im Saal antieuropäisch unterwegs ist und überhaupt kein Interesse daran hat, dass Europa an einem Strang zieht.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Sie zerstören Europa!)

Es gibt in diesem Hohen Hause aber viele Europäerinnen und Europäer, die auf ein weltoffenes und solidarisches Europa setzen, und genau diesen Weg sollen wir weitergehen und Europa nicht nationalstaatlichen Egoismen überlassen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei SPD und FDP – Zurufe von der AfD)

Deshalb unterstütze ich alle Bemühungen der Bundesregierung.

(Vizepräsidentin Astrid Schmitt übernimmt den Vorsitz)

Gerade heute hat Herr Bundesinnenminister Seehofer im Innenausschuss des Bundestags berichtet. Ich unterstütze alle Bemühungen der Bundesregierung, eine europäische Lösung zu forcieren und voranzutreiben. Das ist der richtige Weg, den wir langfristig brauchen, wenn wir in dieser Frage wieder als europäische Staatengemeinschaft agieren wollen. Ich glaube, Europa steht am Scheideweg, Europa steht vor einer schwierigen Frage. Ich kann nur hoffen und werde auch persönlich dafür kämpfen, dass sich Europa für den proeuropäischen Weg einer offenen, einer zusammenarbeitenden, einer solidarischen EU-Staatengemeinschaft und nicht für ein Europa der nationalen Egoismen einsetzt.

Herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Für die AfD-Fraktion hat sich noch einmal der Fraktionsvorsitzende Junge zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Klein, Humanität vor Ort: Ja. Signalwirkung an alle Migrationswilligen der Welt: Nein.

(Beifall der AfD)

Genau das ist aber das Signal, das wir aussenden, und es ist völlig unerheblich, ob es 1.000, 1.500 oder 5.000 sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Camp Moria ist seit Jahren Symbol gescheiterter Migrationspolitik. Ursprünglich sollte dieses Auffanglager der Umsetzung der sogenannten EU-Türkei-Deals dienen. Aus böswilliger Rache für verweigerte EU-Milliarden ließ der türkische Sultan Tausende Migrationswillige an die griechische Grenze karren und ermunterte sie dazu, notfalls auch gewaltsam in die EU vorzudringen.

Dieser Vorfall hat sich tief ins kollektive Bewusstsein der Griechen eingegraben. Die Inselbevölkerung reagiert mit zunehmender Skepsis und Ablehnung auf permanente Zuwanderungsströme.

Machen wir uns nichts vor. Das Ziel fast aller Asylmigranten, die nach Europa kommen – zwei Drittel davon sind nachweislich nicht schutzbedürftig –, ist Deutschland, und das liegt nicht etwa daran, dass es hier besonders schön ist oder die Deutschen in der Welt als besonders gastfreundlich wahrgenommen werden. Nein, es liegt vor allem an einem einladenden Sozialstaat mit einfachen Zugangsmöglichkeiten und besten Bleibechancen für die gesamte Familie.

Solange wir diese massiven Fehlanreize nicht abschaffen und gleichzeitig Migrationsursachen in den Herkunftsländern bekämpfen, wird es leider immer wieder Situationen und Szenen wie in Moria oder anderswo, zunehmend aber auch in Deutschland geben; denn wir werden die überzogenen Bedürfnisse und Erwartungen der hier eingesickerten Armutsmigranten nie befriedigen können und erzeugen immer mehr Aggression, Gewalt und bürgerkriegsähnliche Zustände auf unseren Straßen.

(Zuruf der Abg. Ellen Demuth, CDU)

Meine Damen und Herren, was werden wir unseren Enkeln sagen, wenn sie uns eines Tages fragen werden, warum wir diese Armuts- und Kriminalitätszuwanderung auf Kosten ihrer Zukunft zugelassen haben?

(Glocke der Präsidentin)

Mit dieser Frage, meine Damen und Herren, werden Sie leben müssen, und damit werde ich Sie alleinlassen.

Danke schön.

(Beifall der AfD)

Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Rauschkolb.

(Abg. Jochen Hartloff, SPD: Unsere Enkel werden dankbar sein für die Politik, die wir machen! – Heiterkeit und Zurufe von der AfD – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Das glauben Sie doch wohl selbst nicht! – Abg. Uwe Junge, AfD: Da werden wir sie einmal fragen!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es war mir klar, dass es irgendwann wieder dazu kommt, so, wie Sie es in den letzten vier oder fünf Jahren auch gemacht haben.

„Signalwirkung“: Meinen Sie denn, die Menschen machen es so, wie Sie Ihren Urlaub aussuchen, dass sie denken, ich fahre irgendwo hin, weil ich eine Auszeit brauche?

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Fragt doch die griechische Regierung!)

Nein, die Leute wollen Sicherheit haben. Sie wohnen in Ländern wie Syrien, wo nebenan Bomben abgeschossen werden, wo es Schießereien gibt, wo es große Gewalt gibt. Sie leben in Ländern, wo in Afrika mehrere Clans unterwegs sind, wo sie wissen, morgen wird mein Sohn abgeholt. Er hat gar keine andere Chance, als zu gehen, weil er dort nicht in irgendeiner Terrororganisation mitmachen will.

(Abg. Uwe Junge, AfD: Horrorgeschichten!)

Sie erzählen Märchen. Es kommt doch nicht auf die Signalwirkung

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Natürlich!)

und auf das an, was wir den Menschen zu bieten haben, sondern die Menschen gehen sowieso, weil sie für sich zu Hause keine Sicherheit mehr sehen. Wenn man sich einmal überlegt, was es für eine Hürde ist, von zu Hause wegzugehen, dann macht das keiner so leichtfertig, packt seinen Rucksack, packt seine Kinder ein und geht einfach. Das ist das, was Sie einfach immer wieder verdrehen, und das kann so nicht stehen gelassen werden.

(Beifall der SPD und bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD – Abg. Uwe Junge, AfD: Das glauben Sie! – Abg. Michael Frisch, AfD: Das sagt doch keiner! Wir müssen was tun!)

Ich würde mir Vorwürfe machen, wenn ich meinen Kindern erzählen müsste, wir haben gar nichts getan. Sie können hier in Ruhe und Sicherheit aufwachsen. Die sind natürlich leider auch dabei, wenn Sie abfragen, wie viele Kinder wir mit Migrationshintergrund in den Kindergärten haben. Sie sind doch diejenigen, die hier über Bürgerkriege reden. Wo ist denn hier ein Bürgerkrieg? Nirgendwo ist ein Bürgerkrieg. Wir haben es gesehen, und man muss natürlich realistisch sagen, es ist einfach ein Querschnitt der Gesellschaft,

(Zurufe von der AfD)

so wie wir alle ein Querschnitt der Gesellschaft sind. Das aber, was Sie hier wieder als Szenarien aufmalen, ist das, was Menschen Angst macht, und das geht so nicht. Das können wir nicht so hinnehmen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Für die CDU-Fraktion spricht noch einmal der Abgeordnete Klein.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im Antrag zur Aktuellen Debatte steht, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Die richtige Konsequenz aus Moria zu ziehen heißt für mich, es genau so zu machen, wie es die Bundesregierung jetzt tut, nämlich humanitär zu handeln und eine gemeinsame Lösung mit den Partnern in Europa zu suchen und darauf zu drängen.