Protokoll der Sitzung vom 17.09.2020

Diese haben wir dann rund um den 9. November im Plenum besprochen. Heute, am Schluss dieses Plenartags, kommt unsere Große Anfrage zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung zur Aussprache.

Sorgen bereitet uns, dass man immer häufiger auf Verharmlosungen der jüngsten totalitären Hinterlassenschaft in Deutschland trifft.

(Zuruf der Abg. Giorgina Kazungu-Haß, SPD)

Allzu oft machen sich mangelnde Allgemeinbildung und schlichtes Desinteresse bemerkbar. Deshalb treten wir entschieden für einen Ausbau der Zeitzeugenprogramme auch und gerade im Hinblick auf das historische Erbe der sozialistischen SED-Diktatur ein.

(Beifall der AfD)

Oder, um es mit den Worten von Milosz Matuschek zu sagen, der in der Neuen Zürcher Zeitung schrieb – ich zitiere –: „Es ist erschreckend zu sehen, wie viel vom Geist der DDR sich heute wieder breitmacht, als wären die Grenzen und Schranken von der materiellen Aussenwelt nun in die ideelle Ideenwelt verschoben worden: (...)“

Wir erinnern uns daran, dass Ministerpräsidentin Dreyer als kommissarische SPD-Vorsitzende auf nationaler Ebene Bündnisse mit der tiefroten SED-Nachfolgepartei ins Spiel gebracht hat. Wir sollten uns bewusst machen, was es bedeutet, dass mit Janine Wissler eine der beiden neuen Links-Partei-Vorsitzenden Mitglied des trotzkistischen Netzwerks „Marx21“ ist. In der F.A.Z. war am 8. September darüber zu lesen – ich zitiere –: „Ziel des Netzwerks ist es, so der Verfassungsschutz, eine ,kommunistische Gesellschaftsordnung‘ zu errichten. Wissler hat sich von der Gruppe nie distanziert. Sie ist der Auffassung,

(Glocke der Präsidentin)

dass die Gesellschaft nicht über Politik in Parlamenten ,aus den Angeln zu heben‘ ist“ – ich komme langsam zum Schluss –, „sondern dass der geschichtliche Fortschritt durch Revolution erkämpft werden muss.“

Dass Frau Dreyer die Linkspartei für koalitionsfähig hält, ist für die auch in Rheinland-Pfalz lebenden Opfer des DDRUnrechtsstaats unerträglich, aber natürlich nicht nur für diese.

(Glocke der Präsidentin)

Mehr dann in der zweiten Runde.

Danke.

(Beifall der AfD)

Für die FDP-Fraktion spricht die Abgeordnete Monika Becker.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, dass ich dieses Thema vielleicht von einer anderen Seite aus betrachte. Es heißt im Titel „30 Jahre Deutsche Einheit – In Wertschätzung und Dankbarkeit auf das, was da noch kommt“. Ja, meine Damen und Herren, 30 Jahre Wiedervereinigung, das können wir in wenigen Tagen feiern. 30 Jahre Deutsche Einheit, wie es im Titel dieser Aktuellen Debatte von der CDU beschrieben wurde, feiern wir wohl nur formal.

Ja, die Wiedervereinigung ist seit drei Jahrzehnten Realität. Jedoch sind die Bonner Republik und die ehemalige DDR wirklich eine Einheit geworden? Meine Damen und Herren,

ich habe daran noch meine Zweifel.

Weit höhere Arbeitslosigkeit im Osten, weit höheres Bruttoarbeitsentgelt im Westen, drei ostdeutsche Abteilungsleiter in Bundesministerien bei 112 aus dem Westen, und keine einzige Universitätsleitung aus dem Osten. Die Tagesschau hat einige Grafiken aufbereitet, die sehr anschaulich darstellen, wie sehr wir in Deutschland noch in alten Mustern gefangen sind.

Auch den Solidaritätszuschlag zahlen wir nach drei Jahrzehnten immer noch. – Jetzt ist er anwesend. Selbst der CDU-Hoffnungsträger, Herr Baldauf, hat es nicht geschafft, die Bundeskanzlerin zu überreden, ihn auf Bundesebene zu kippen. Das war jetzt aber Spaß!

Meine Damen und Herren, es gibt noch viel zu tun, bis wir in Ost und West gleichwertige Lebensbedingungen geschaffen haben. Dabei will ich eines deutlich sagen: Ich rede nicht Quoten und auch nicht einer Gleichmacherei das Wort, die unsere föderale Struktur nicht achtet. Mir geht es darum, dass wir endlich begreifen müssen, uns auf Augenhöhe zu begegnen. Allzu oft bedienen wir ostdeutsche Klischees, die im besten französischen Wortsinn nicht mehr als ein billiger Abklatsch sind.

Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, das sind fünf Länder, die nach der Wiedervereinigung mit spezifischen Herausforderungen zu kämpfen hatten und dies bis heute noch tun. Sie tragen die Last einer Jahrzehnte währenden SED-Diktatur auf ihrem Buckel, die auch nach 30 Jahren noch nicht verschwunden ist.

Ich lehne jede Art westdeutscher Überheblichkeit in Bezug auf die Länder ab, die 1990 dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beigetreten sind. Ich will aber auch eines deutlich sagen, meine Damen und Herren: Wenn sich selbst 30 Jahre nach dem Mauerfall vier Landesjustizministerien weigern, die ehemalige DDR in einer gemeinsamen Erklärung als Unrechtsstaat zu bezeichnen, dann müssen wir die Geschehnisse auf dem ehemaligen Todesstreifen in Berlin, die Taten von SED und Staatssicherheit, wohl einmal mehr in Erinnerung rufen.

(Beifall der FDP, der CDU und der AfD)

Ich bin Staatssekretär Philipp Fernis dankbar, dass er dieses Vorgehen auf der Justizministerkonferenz als erschreckend und unwürdig bezeichnet hat. Die DDR war ein Unrechtsstaat. Alles andere ist für uns Freie Demokraten nicht diskutabel.

(Beifall der FDP, der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der AfD)

Enden möchte ich aber nicht mit Verfehlungen, meine Damen und Herren. Ich möchte Mut machen. Die Wiedervereinigung ist ein Ereignis, auf das wir alle stolz sein können. Sie war ein ganz entscheidender Beitrag zur Friedensordnung in Europa und ein Meisterstück an diplomatischem Geschick.

Ich denke auch an das Jahr 2017. Ich habe diese Veranstaltung in sehr, sehr guter Erinnerung. Es war eine beeindruckende, eine sehr schöne, eine würdige und angemessene Veranstaltung, die unter der Ratspräsidentschaft von Rheinland-Pfalz und unter der Organisation und Verantwortung von Frau Ministerpräsidentin Dreyer in Mainz stattgefunden hat.

(Abg. Martin Haller, SPD: So ist das!)

Im Jahr 2017 haben wir aber auch im rheinland-pfälzischen Landtag eine Würdigung dieses Teils unserer Geschichte mit dem Gedenken an den verstorbenen Ehrenbürger Europas, Helmut Kohl, verbunden. Der Bundeskanzler und – darauf muss man als FDP Wert legen – sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher haben mit dem Prozess bis zur Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags bewiesen, welche politischen Herausforderungen wir in der Bundesrepublik zu meistern imstande sind.

(Glocke der Präsidentin)

Beiden wäre es ein Anliegen gewesen, dass wir Ost und West nicht nur formal, sondern auch in unseren Köpfen vereinen. Lassen wir alle im politischen Handeln dazu einen Beitrag leisten.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP, der SPD, der CDU und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Pia Schellhammer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! „30 Jahre Deutsche Einheit – In Wertschätzung und Dankbarkeit auf das, was da noch kommt“: Die CDU eröffnet mit ihrem Titel der Aktuellen Debatte gleich zwei Perspektiven: Rückblick und Ausblick.

Ich begrüße ausdrücklich, dass wir heute innehalten und über die Wiedervereinigung sprechen können; denn wie wir unsere Vergangenheit in der Gegenwart wahrnehmen, das bestimmt auch unsere Zukunft. Deswegen ist es gut, über solche Dinge hier in diesem Rahmen zu sprechen. Deswegen Danke dafür.

Als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben wir eine enge Verbundenheit zur Deutschen Einheit und tragen das Erbe der DDR-Bürgerrechtsbewegung und der friedlichen Revolution bis heute in unserem Namen. Das BÜNDNIS 90 entstand zur Volkskammerwahl 1990 als Zusammenschluss von drei DDR-Oppositionsbewegungen. Im Jahr 1993 fusionierte BÜNDNIS 90 mit der westdeutschen Partei DIE GRÜNEN. Diesen Wurzeln aus der Wendezeit sehen wir uns noch heute als Partei der Bürgerrechte verpflichtet.

Bis heute trägt mit Katrin Göring-Eckardt eine wichtige Akteurin der Wendezeit Verantwortung in der vordersten Reihe unserer Partei. Weitere wichtige Personen aus der Geschichte von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte ich nennen. Das waren Marianne Birthler, Werner Schulz oder Gerd Poppe. Das sind Namen, die ich stellvertretend für die vielen Menschen nennen möchte, die sich gegen den DDRUnrechtsstaat engagiert haben. Ihnen gilt unser Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jochen Hartloff, SPD)

Damit möchte ich verdeutlichen, dass nicht Helmut Kohl oder gar David Hasselhoff die Mauer im Jahr 1989 zum Fall gebracht haben, sondern die Bürgerinnen und Bürger der DDR, die auf die Straße gegangen sind. Sie haben sich schon zu Anfang der 1980er-Jahre unter großer Gefahr unter dem Dach der Kirche getroffen und organisiert. Diesen mutigen Menschen verdanken wir, dass wir heute in einem vereinten und freien Deutschland leben.

Vor 30 Jahren und seit 30 Jahren haben wir im Osten und Westen Deutschlands mit der Zusammenführung zweier Teile, die sich 40 Jahre lang politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell auseinanderbewegt hatten, eine großen Kraftakt vollbracht. Das war nicht immer einfach, und bis heute sind noch Spuren und Unterschiede zu finden, aber im Großen und Ganzen – das ist die glückliche Bilanz – können wir die Deutsche Einheit als gelungen betrachten.

Warum war sie erfolgreich? Weil wir uns alle einig waren, diese Anstrengung aufzubringen. Es ist viel Geld, aber es sind auch viele Ideen investiert worden. Menschen aus dem Osten sind nach Rheinland-Pfalz, aber auch Menschen aus Rheinland-Pfalz sind in den Osten gegangen, um beispielsweise zu studieren. Wir alle haben davon profitiert. Dieser unglaublichen Leistung steht auch meine Fraktion mit Wertschätzung und Dankbarkeit gegenüber.

Wir dürfen in dieser Diskussion aber auch nicht vergessen, für Helmut Kohl und die damalige deutsche Bundesregierung war klar, dass die Wiedervereinigung nur in einem vereinten Europa stattfinden kann. Dieser Verantwortung für ein vereintes Europa müssen wir auch heute gerecht werden. Deshalb müssen wir jeglichem Nationalismus, jeglicher Abschottung von Deutschland den Kampf ansagen und für ein vereintes Europa zusammenstehen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP sowie bei der CDU)

Ja, wir müssen eine Bestandsanalyse machen, wo wir nach 30 Jahren Wiedervereinigung stehen. Wir erleben gerade eine tiefe Krise des Vertrauens in die Demokratie, die sich besonders in den östlichen Bundesländern zeigt.

Wenn im Osten 22 % der Befragten laut dem Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit die Demokratie nicht als die beste Staatsform ansehen, ist das ein Alarmzeichen. Auch rechte Einstellungen finden im Osten deutlich mehr Unterstützung. Das sind Alarmzeichen, denen wir aber nicht mit Überheblichkeit begegnen sollten. Dem dürfen wir

nicht in einem Ossi-Wessi-Schema begegnen; denn auch wir vor Ort haben solche Probleme, auch wir haben hier demokratiefeindliches Gedankengut. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Demokratie darf niemals selbstverständlich sein. Vielmehr müssen wir in Ost und West gemeinsam diese Herausforderung anpacken.

Alles in allem blicken wir heute auf ein glückliches historisches Ereignis zurück, für das wir nicht dankbar genug sein können. Die meisten hier im Raum haben ihre ganz persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen an die Wendezeit.

Ich war damals vier Jahre alt und kann mich noch genau an Silvester 1989/90 erinnern. Ich saß vor dem grauen Röhrenfernseher meiner Eltern und war begeistert von David Hasselhoff,

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Ach was! – Abg. Martin Haller, SPD: Ich habe es immer gewusst, Pia! – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Dunkle Geheimnisse!)