Protokoll der Sitzung vom 15.09.2016

(Beifall der CDU und der AfD)

Die Debatte muss differenziert geführt werden; denn auch im Sinne vieler aufgeklärter Muslime, die sich nämlich verwehren, in einen Topf geworfen zu werden, ist dieser fundamentale Islam, ist letztlich auch die Frau als Werbeträgerin dieses fundamentalen Islam doch differenziert zu betrachten, und nicht gleich zu behaupten, man sei islamophob, wenn man sich mit dieser Thematik auseinandersetzt.

Schauen wir uns doch die Jungs und Mädchen an, die in solchen Familien groß werden, in denen die Mutter und die Schwester vollverschleiert sind. Diese Kinder werden doch mit einem deformierenden Geschlechterbild, mit einer Geschlechtertrennung groß, die sich auf das weitere Leben auswirkt. Oder finden Sie es normal, dass Jungs aus fundamentalistisch gläubigen Familien eine Lehrerin nicht ernst nehmen? Woher kommt denn dieses Denken, dass Väter nicht mit der Frau am Elternsprechtag reden wollen, sondern nur mit einem Mann? Das passt in die Vollverschleierung und die Kultur dieses Denkens. Das passt nicht zu Deutschland, hier auf unsere Straßen und in den Unterricht hinein.

(Beifall der CDU und der AfD)

Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr zynisch zu sagen, wir müssen das irgendwie anders hinkriegen. Es geht um die Selbstbefreiung der Frau. Wir sollen ihr diesen Raum lassen, dass sie sich selbst befreien kann. Das finde ich sehr zynisch, gerade in einer Gesellschaft, in der Frauen – und das wissen Sie –, wenn sie voll verschleiert sind, keinen Beruf annehmen können, keine Ausbildung annehmen können, sie nur mit Begleitung oder nur mit Zustimmung eines Mannes das Haus verlassen können. Sagen Sie mir, wo dort die ganz große Freiheit der Frau liegt, ihrem Mann dann zu sagen: Ich mache das nicht mehr.

Ich selbst habe eine Frau im Frauenhaus erlebt, die den Schleier abgelegt hat. Sie hat mir eindringlich gesagt: Bitte keine Toleranz gegenüber diesen intoleranten Frauenbildern; denn am Ende bringt das nicht mehr Toleranz, sondern wir kapitulieren vor dem, was andere uns überstülpen wollen.

(Beifall der CDU und der AfD)

Das ist aller Ehren wert, sich auch darum wie wir zu kümmern – wenn wir es doch politisch wollen, dann lasst es uns doch probieren –, ein verfassungskonformes Gesetz hinzubekommen; denn hier geht es nicht um ein juristisches Proseminar, hier geht es um den politischen Willen eines Parlamentes. Den sollten wir zum Ausdruck bringen.

(Beifall der CDU und der AfD)

Es ist auch auffällig, dass die Geschlechtertrennung unter dem Deckmantel der Religion meist zulasten der Frauen und Mädchen geht. Ich kenne die Gegenargumente, dass man sagt, es gebe nur 20 oder 40 Burka- oder Niqabträgerinnen. Ich bin erstaunt, dass die Ministerin heute Morgen noch nicht einmal sagen konnte, wie viel wieder zurückgekehrte abgeschobene Asylbewerber es gibt, aber sie genau weiß, dass es in Rheinland-Pfalz 20 bis 40 Niqabträgerinnen gibt. So etwas ist gefühlte Politik.

(Beifall der CDU und der AfD)

Aus diesem Grund ist das auch eine zynische Argumentation. Seit wann werden Rechte bei uns aus der Masse der Erscheinung hergeleitet? Der Einzelne gilt bei uns. Wir haben ein Individualrecht. Wissen Sie, wir haben auch nicht viele Kinderehen. Dennoch sind Kinderehen verboten, weil wir von Kinderehen nichts halten. Deshalb können Sie auch nicht mit der Masse der Erscheinung argumentieren. Wir argumentieren mit der Qualität des Frauenbildes.

(Beifall der CDU und der AfD)

Ein weiteres Argument: Wie ich eben auch hörte, gäbe es in Frankreich ein Verbot, aber es sei nicht weniger geworden. – Ja, es gibt auch andere Gesetze. Es gibt zum Beispiel das Verbot des Diebstahls.

(Glocke der Präsidentin)

Aber wir kämen doch nicht morgen auf die Idee, das Verbot des Diebstahls abzuschaffen, nur weil Menschen weiterhin Diebstahl begehen. Deshalb sage ich Ihnen, in einer offenen Gesellschaft will ich den Nächsten sehen. Integration kann nur gelingen, wenn man dem anderen auch ins Gesicht schauen kann und Frauen so in der Gesellschaft teilhaben können wie Männer auch. Das ist aller Ehren wert, ein Gesetz zu machen, das ihnen zur Seite steht und dann nicht auch noch die Unterdrücker unterstützt.

(Beifall der CDU und AfD)

Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Lerch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die FDPFraktion spricht sich gegen ein Verbot der Vollverschleierung aus. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beschäftigt sich zur Zeit mit einer Klage einer Französin. Sie wissen alle, wie die Rechtslage in dieser Frage zurzeit in Frankreich ist. Diese Französin ist praktizierende Muslimin. Niemand zwinge sie – so führt sie vor dem Europäischen Gerichtshof aus –, eine Burka zu tragen. Das französische Verbot verletze sie jedoch in ihrem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in ihrer Religionsfreiheit nach Artikel 9 und in ihrem Recht, nicht aus Gründen der Religion diskriminiert zu werden, nach Artikel 14.

Wie hat der Europäische Gerichtshof reagiert? Er bestätigte das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre.

Meine Damen und Herren, nicht nur hier in diesem Raum, sondern auch in der Öffentlichkeit in Deutschland wird das Thema sehr emotional geführt. Sicherlich spielen Ängste dabei eine große Rolle. Unser Grundgesetz würdigt in Artikel 4 die Freiheit des Glaubens und die ungestörte Religionsausübung. Der Staat darf zwar hinterfragen, was er allerdings nicht darf, ist Werten im Sinne von gute Religion oder schlechte Religion. Neutralität ist hier das entscheidende Wort.

(Zuruf des Abg. Dr. Adolf Weiland, CDU)

Ja, im öffentlichen Raum wird es Ausnahmen geben müssen, in denen das Gesicht erkennbar ist. Ich gehe davon aus, dass wir vom Ministerium dazu noch einiges hören werden. Dennoch hat generell das Recht auf Selbstbestimmung den höchsten Wert. Wer sich selbstbestimmt verschleiert, handelt aus eigenem Antrieb, und die Burka – und so können wir auch die Bundeskanzlerin von gestern verstehen – ist Teil der Religionsfreiheit, Frau Klöckner. Das sagt Frau Merkel. Ein Verbot kann auch zur Isolation der betroffenen Frauen führen und damit auch zu hohen persönlichen Belastungen. Glauben Sie bitte, Sie können patriarchalische Strukturen durch ein Verbot nicht ändern.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben argumentiert, dass diese Regelung von Männern gemacht wurde, und Sie haben über die Qualität des Frauenbildes gesprochen, Frau Klöckner. Dann müssten Sie auch die Prostitution hier in Deutschland verbieten; denn das belastet auch das Frauenbild hier in Deutschland.

Und was war in Frankreich die Konsequenz? Wenn das Verbot nicht beachtet wird, dann müssen die Damen, die Burkaträgerinnen, einen Staatsbürgerkurs machen und 150 Euro bezahlen. Das kann doch wirklich nicht die Lösung des Problems sein.

(Abg. Dr. Adolf Weiland, CDU: Jetzt eiert sie aber! Abg. Julia Klöckner, CDU: Was ist denn die Lösung?)

Zum Schluss möchte ich deutlich in Richtung des Antragsstellers sagen, dass Sie mit dem Verbot kein einziges Problem der Innen- und Asylproblematik und -politik lösen werden.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Gendergerechte Anlageform!)

Wir lehnen Ihren Antrag daher ab.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben jetzt mehrere Kurzinterventionen. Zunächst erteile ich dem Kollegen Frisch von der AfD-Fraktion das Wort.

Frau Kollegin Lerch, ich möchte zum Thema Religionsfreiheit einmal etwas Grundsätzliches sagen, und das haben Sie gesagt. Das haben wir vorher auch schon einmal gehört. Artikel 4 Grundgesetz gewährt die Freiheit der Religionsausübung. Aber dieser Artikel steht unter dem Vorbehalt der anderen Grundrechte, und es ist absurd, hier Artikel 1 ins Feld zu führen, um einer Religion zu erlauben, in unserer freien und offenen Gesellschaft die Frauen in dieser Form zu unterdrücken. Und deshalb ist es eben nicht so, dass die Religionsfreiheit, die Sie hier ins Feld führen, absolut ist, und es ist völlig unvorstellbar, dass wir alle möglichen denkbaren Formen einer Religionsausübung in unserem Land erlauben, nur weil Artikel 4 grundsätzlich diese freie Religionsausübung gewährleistet.

Stellen Sie sich einmal vor, was es alles noch geben könnte an völlig wirren perversen Formen von sogenannten Religionen. Wollen wir das alles erlauben? Nein, Religionsfreiheit steht unter dem Vorbehalt der anderen Grundrechte, und nur dann, wenn diese Grundrechte von einer Religion respektiert werden, dann hat natürlich jeder das Recht, seine Religion in dieser Form bei uns frei auszuüben.

Danke schön.

(Beifall der AfD)

Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Paul das Wort.

Frau Kollegin Lerch, Sie haben soeben von Selbstbestimmung gesprochen. Ich möchte Ihnen dazu sagen, wie die Realität auf unseren Straßen aussieht. 2011 hat schon der Hassprediger Pierre Vogel in Koblenz Station gemacht, und er hat gesagt, die Frau habe das Haus nicht zu verlassen, und sie habe sich voll zu verschleiern. Ich zitiere sinngemäß.

Am 4. September hat der Hassprediger Pierre Vogel Frau

en in Burka regelrecht mitgeführt. Sie werden instrumentalisiert, und sie werden ihrer Rechte beraubt, um dieser salafistischen Ideologie als Freiheitssymbole zu dienen. Dieser Mann fordert unseren Staat heraus, und wir müssen ihm jetzt als Demokraten endlich eine Antwort geben. Dieses Treiben muss unterbunden werden, und wir befreien die Frau damit aus diesen salafistischen Strukturen. Es ist jetzt höchste Zeit, das Deckmäntelchen der Religion zu lüften. Dabei handelt es sich um eine politische Religion, die die Freiheit der Frauen extrem beschneiden will

(Glocke der Präsidentin – Beifall der AfD)

und zurück ins Mittelalter will. So sieht es aus.

Herr Kollege Paul, Frau Kollegin Lerch hat nicht von Herrn Vogel und Salafisten gesprochen, sondern von der Burka.

Sie hat von Selbstbestimmung gesprochen, und ich habe ihr dazu eine Antwort gegeben.

Ja, aber Sie schweifen doch jetzt sehr vorbereitet ab.

(Zurufe von der CDU und der AfD – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Er ist nicht abgeschweift! – Zurufe von der SPD)

Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich Frau Kollegin Klöckner das Wort. Frau Lerch, Sie haben dann im Anschluss Gelegenheit, mit einer verlängerten Redezeit zu erwidern.

Frau Lerch, Sie haben soeben davon gesprochen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wohl im Sinne einer Französin entscheiden wird. Also, ich weiß nicht, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Zukunft entscheiden wird, ich kann Ihnen nur sagen, wie er 2014 entschieden hat, nämlich dass ein Burka-Verbot in Frankreich nicht verfassungswidrig ist und nicht gegen die Menschenwürde verstößt, auch aus dem Aspekt, dass die Umwelt und die Mitmenschen in der konkurrierenden Selbstbestimmung eine Rolle spielen.

Weiterhin muss ich sagen, es ist ein zynischer Sinn für Humor, den Sie wohl haben, wenn Sie davon sprechen: Wenn man die Burka verbieten würde, würde man die Frauen isolieren. – Ja, was sind sie denn jetzt? Wenn sie jetzt nicht isoliert sind, was sind diese Frauen denn sonst? Es sind doch gesichtslose Wesen, die nicht Kontakt aufnehmen können mit anderen, und zwar nur aus einem einzigen Grund, weil sie als Mädchen geboren worden sind. Da sage ich Ihnen, das kann doch nicht Ihr Argument sein, das Sie aufgrund der Selbstbestimmung vorbringen. Wo ist denn in diesem Falle die Selbstbestimmung?

Weiterhin sage ich Ihnen ganz offen zum Schluss – und dazu hätte ich gern Ihre Meinung gehört –: Sind Sie wirklich der Meinung, dass in Deutschland die Selbstbestimmung über allem steht?

Wo Freiheit auf Freiheit trifft, gibt es Regeln in einer offenen Gesellschaft. Es gibt auch Menschen, die jeden Tag genau das Gegenteil anziehen möchten und nackt durch die Fußgängerzone laufen möchten. Auch das ist nicht erlaubt in Deutschland. Sie werden dann aufgegriffen von der Polizei, und zwar aus einem Grund: