Protokoll der Sitzung vom 15.09.2016

Gibt es Wortmeldungen? – Herr Abgeordneter Köbler von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sprechen dieser Tage und auch während dieser Plenardebatte sehr viel über die Themen Integration und Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft. Das ist gut und richtig, aber dabei wird viel zu oft verkannt, dass die Bundesrepublik Deutschland im Prinzip seit ihrer Gründung seit den frühen 50er-Jahren bereits ein Einwanderungsland ist. Dass nach so vielen Jahrzehnten die Bundesrepublik Deutschland immer noch kein Einwanderungsgesetz hat, das diesem Faktum endlich nachvollziehbare und zukunftsorientierte Kriterien der Gestaltung unserer Gesellschaft anlegt, ist sehr zu bedauern. Es ist längst überfällig, dass Deutschland ein Einwanderungsgesetz bekommt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei SPD und FDP)

Es hat lange gedauert, bis die Erkenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, gegeben war, aber ich glaube, es ist seit ein bis zwei Jahrzehnten zumindest innerhalb der demokratischen Parteien in diesem Land Konsens.

Die Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes ergibt sich noch aus einem anderen Grund, aus einem ökonomischen Grund. Deswegen ist es neben der Politik, zumindest in weitesten Teilen der Politik, auch immer mehr die Wirtschaft, die nach einem Einwanderungsgesetz für Deutschland ruft. Im Zuge des demografischen Wandels wird das Arbeitskräftepotenzial in den kommenden Jahren stark zurückgehen. Um die Folgen dieser Entwicklung für die Wirtschaft, aber auch für die Sozialsysteme und damit die Stabilität unserer Gesellschaft insgesamt abzumildern, muss Deutschland zwingend als Einwanderungsland attraktiver werden.

Alle entschlossenen Anstrengungen, was Nachqualifizierung und Verbesserung im Bildungssystem angeht – darüber haben wir gerade gesprochen –, werden nicht ausreichen, um den Fachkräftemangel in den kommenden Jahrzehnten auszugleichen. Das zeigen alle Studien und sagen alle Fachleute.

Das bedeutet, wir brauchen endlich ein modernes Einwanderungsgesetz, das sich für Deutschland als Einwanderungsland bekennt und vor allem damit aufhört, dass das Einwanderungsrecht in Deutschland zunächst einmal davon ausgeht, dass wir auf Abschottung setzen, dass jemand zunächst einmal begründen muss, warum er überhaupt nach Deutschland kommen will. Ich glaube, wir brauchen ein modernes, ein liberales Einwanderungsgesetz, das die Menschen in den Blick nimmt, die zu uns kommen wollen, und auch diejenigen, die schon bei uns sind, und nicht zuletzt diesen Flickenteppich im bestehenden Migrationsrecht in Deutschland endlich auflöst; denn das ist nicht nur eine Zumutung für Migrantinnen und Migranten, die zu uns kommen wollen, sondern auch für unsere Wirtschaft und unsere Unternehmen. Das betrifft insbesondere die exportorientierten kleinen und mittelständischen Unternehmen in Rheinland-Pfalz, meine Damen und Herren.

Vor diesem Hintergrund ist ein Einwanderungsgesetz in Deutschland nicht nur gesellschaftspolitisch notwendig, sondern auch ökonomisch absolut sinnvoll.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei SPD und FDP und des Abg. Dr. Timo Böhme, AfD)

Ich bin froh, dass die Debatte in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren auch im politischen Raum immer weiter fortgeschritten ist. Es sind nicht nur Grüne für ein Einwanderungsgesetz, sondern auch die Sozialdemokraten, die FDP, und man hat in den letzten Jahren gehört, die CDU in Deutschland ist auf Bundesebene für ein Einwanderungsgesetz.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Die AfD hat es vor allen anderen gefordert! – Zuruf von der SPD: Das gibt es doch noch gar nicht so lange! – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Eingeführt ohne Einwanderung! – Heiterkeit im Hause – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: So weit zurück nicht!)

Das heißt, alle ernst zu nehmenden politischen Kräfte in Deutschland sind für ein Einwanderungsgesetz. Bei der CDU ist nur bemerkenswert, dass sie beschlossen hat: nicht vor dem Jahr 2017.

Meine Damen und Herren, wir sprechen Tag für Tag hier im Landtag, im Bundestag, im politischen Raum und in der gesamten Gesellschaft über die Fragen von Integration, wirtschaftlicher Zukunft und demografischem Wandel, und die Union beschließt allen Ernstes aufgrund von innerparteilichen Überlegungen, dass man aufgrund möglicherweise besserer Chancen bei der Bundestagswahl oder bei möglichen Verhandlungen hinterher erst nach der Bundestagswahl 2017 etwas zu regeln braucht, was wir in Deutschland seit Anfang der 50er-Jahre feststellen, dass wir ein Einwanderungsland sind.

Meine Damen und Herren, ich finde es verantwortungslos, aus reinem parteitaktischen Kalkül die gewonnene Überzeugung jetzt nicht in verantwortliche Politik umzusetzen. Ich bin sehr froh, dass die rheinland-pfälzische Landesregierung hier voranschreitet und zum wiederholten Male im Deutschen Bundesrat eine Initiative für ein Einwanderungsgesetz für Deutschland aufgenommen hat.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Abg. Hedi Thelen, CDU: Sagen Sie doch einmal, was in diesem Einwanderungsgesetz stehen soll! Das ist doch viel interessanter!)

Lassen Sie mich ganz zum Schluss etwas sagen, was mir auch am Herzen liegt. Es darf beim Einwanderungsgesetz nicht nur sozusagen um unsere engstirnigen eigenen Vorteile gehen.

(Glocke des Präsidenten)

Ich glaube, wir sollten kein Braindrain machen. In einer globalisierten Welt ist es doch absurd, dass wir, wenngleich aus gutem Grund, viel Steuergeld darin investieren, dass wir mit Goethe-Instituten die deutsche Sprache ins Ausland tragen, aber uns dann beschweren, wenn jemand Deutsch gelernt hat, wir ihn hier ausgebildet haben, er aber dann vielleicht wieder in sein Herkunftsland zurückkehrt.

(Glocke des Präsidenten)

Ich glaube, gerade Exportunternehmern wissen ganz genau, was das für Vorteile in einer globalisierten Welt sind. Ich glaube, auch diese Hürden sollten wir endlich abbauen.

Herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Als Nächstes erteile ich Herrn Abgeordneten Kessel von der Fraktion der CDU das Wort. – Bitte schön, Herr Kessel.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Besucher! Einwanderung offensiv gestalten, effektiv regeln – so lautet die plakative Überschrift des gemeinsamen Entschließungsantrag von Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen, über den in der Bundesratssitzung am 23. September entschieden werden soll. Dies ist der zweite Anlauf der Landesregierung nach dem gescheiterten Versuch im Frühjahr 2015, ein Einwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch dieser Antrag nicht über die Behandlung in einem Ausschuss hinauskommt, ist mehr als gegeben.

Die als Eckpunkte bezeichnete Aufzählung in dem vorliegenden Antrag liest sich wie eine vage Zielbeschreibung in einem Wahlprogramm. Wie soll das Einwanderungsgesetz denn konkret aussehen?

(Abg. Hedi Thelen, CDU: Genau! Das ist die Frage!)

Hier reichen die Meinungen jeder politischer Couleur von „Grenzen weit offen“ bis hin zu einem 20 m hohen Stacheldrahtzaun rings um Deutschland.

Was verstehen die Koalitionspartner unter einem Einwanderungsgesetz? Sollen die Zuwanderungsmöglichkeiten über den gegenwärtigen Stand hinaus erweitert werden, oder soll die Auswahl der Zuwanderer streng nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes vorgenommen werden?

Ein solches Gesetz darf kein Instrument sein, um das Asylrecht aufzuweichen.

(Beifall bei der CDU)

Es muss bei einer klaren Trennung zwischen dem Asylrecht, das Schutz vor Verfolgung bietet, und der Möglichkeit zur Einwanderung, die davon abhängt, welche Qualifikation jemand mitbringt, bleiben.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Alexander Schweitzer, SPD)

Es geht darum, Herr Schweitzer, eine Einwanderung nicht nur hinzunehmen, sondern auch gezielt zu steuern und zu begrenzen.

(Beifall der CDU)

Die Annahme, dass mit einem Einwanderungsgesetz die illegale und oft auch lebensgefährliche Zuwanderung eingedämmt oder sogar komplett verhindert werden könnte, ist ein Trugschluss.

(Beifall der CDU – Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade – das steht in dem Antrag mit drin – mit der Möglichkeit des sogenannten Spurwechsels, dem Wechsel vom Asylverfahren in die legale Einwanderung zur Arbeitsaufnahme, wird ein neuer Anreiz geschaffen, als vermeintlich Asylberechtigter sich auf den Weg zu machen.

(Beifall der CDU – Zuruf von der CDU: Richtig!)

Im Bereich der Arbeitsmigration besteht bereits heute in mehr als 40 sogenannten Engpass- oder Mangelberufen sowie im Bereich der Hochqualifzierten mit der EU-BlueCard die Möglichkeit, legal einzuwandern.

(Zuruf des Abg. Alexander Licht, SPD)

Allein im Jahr 2015 haben über 82.000 Personen aus Drittstaaten außerhalb der EU einen Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit oder zur Arbeitsplatzsuche erhalten. Zudem kamen 2015 über 685.000 EU-Bürger zu uns. Rechnet man die 303.000 EU-Bürger, die Deutschland wieder verlassen haben, davon ab, bleibt immer noch ein positiver Wanderungssaldo mit den EU-Mitgliedstaaten von rund 380.000 Personen.

(Beifall bei der CDU)

Bei diesen Zahlen können die Rahmenbedingungen für die Einwanderung nicht so schlecht sein, als dass sie dringend verbessert werden müssten.

Vordringliche Aufgabe muss es sein, unsere jungen Menschen mit einer zweiten und gegebenenfalls auch dritten Chance in Arbeit zu bringen

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

sowie sich um die Langzeitarbeitslosen zu kümmern.

Mit den Integrationsgesetzen der CDU-geführten Bundesregierung wurden die Grundlagen geschaffen, die Asylberechtigten, anerkannte Flüchtlinge mit Bildung und Ausbildung, in die Arbeitswelt zu integrieren. Ein Einwanderungsgesetz wird uns bei dieser großen gesamtstaatlichen Herausforderung nicht weiterhelfen.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Ich darf nun Frau Abgeordneter Rauschkolb von der Fraktion der SPD das Wort erteilen.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Besucherinnen und Besucher! Herr Kollege Köbler hat es schon ausgeführt. Wir haben eine starke Wirtschaft in Deutschland, eine niedrige Arbeitslosenquote, hohe Exporte, aber unsere Bevölkerung schrumpft.