Protokoll der Sitzung vom 06.10.2016

Meine Damen und Herren, wenn in einer solchen Gesellschaft es jetzt wieder festgestellt wurde, dass Kinder zu bekommen das Armutsrisiko Nummer 1 ist, dann ist das im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Es ist für mich und, glaube ich, für viele hier im Hause die größte gesellschaftspolitische Zukunftsherausforderung für ein Gerechtigkeitsversprechen in unserem Land, dass Kinder nicht mehr das Armutsrisiko Nummer 1 in Deutschland sein dürfen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Auch in Rheinland-Pfalz sind knapp 75.000 Kinder und Jugendliche nach dieser Definition von Armut betroffen. Auch wenn wir da im Ländervergleich noch verhältnismäßig gut dastehen, sind es doch absolut viel zu viele Kinder.

Ich glaube, dass uns allen klar sein muss, dass es zuallererst im Wesentlichen auch um die Frage der Einkommensarmut geht. Wenn wir über Einkommensarmut reden, müssen wir darüber reden, wie es uns gelingt, dass gerade

dort, wo Familien und Kinder sind, auch die Einkommenssituation verbessert werden kann. Dazu gehören zuallererst in unserer Gesellschaft auch eine gute, auskömmliche, ordentliche und gerecht bezahlte Arbeit und auch eine familienfreundliche Gestaltung der Arbeitszeit. Ich glaube, dass der Mindestlohn da ein wichtiger Schritt war, eine entsprechende Untergrenze einzuziehen, dass wir aber auch über das Thema familiengerechte Arbeitszeit, Lebensarbeitszeit und die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf allen Ebenen weiter miteinander diskutieren müssen.

Ich glaube auch, dass wir – es ist gesagt worden – in Deutschland nicht zu wenig Geld im Bereich Soziales und im Bereich Familienförderung haben. Das ist nicht der Fall.

Frau Huth-Haage, Sie haben auch gefragt, warum so viele Maßnahmen usw. bei der guten Lage alle nicht greifen. Es ist nicht so, dass zu wenig da ist, es ist nur nicht richtig verteilt. Wir haben das Problem, dass zum Beispiel bei unseren familienfördernden Maßnahmen eine aktuelle Studie der Böll-Stiftung zeigt, dass Kinder in reichen Familien von den Maßnahmen des Staates sogar stärker profitieren als Kinder in armen Familien. Da läuft etwas schief. Wir sehen, dass von der guten Lage am Arbeitsmarkt insbesondere auch die profitieren, die schon vorher ganz gute Arbeitsverhältnisse hatten und gerade Alleinerziehende, oftmals Frauen, zwar in Arbeit sind, aber oft in Jobs, die nicht so gut bezahlt sind, dass sie dann sozusagen aus der Armutsfalle herauskommen, und vor allem das Thema Altersarmut immer mehr zunimmt.

Deswegen glaube ich, es muss der Grundsatz gelten, dass jedes Kind uns gleich viel wert ist. Ich finde es nicht in Ordnung, dass bei uns zum Beispiel die steuerliche Förderung eines Kindes eigentlich davon abhängt, in welcher Familiensituation dieses Kind lebt, ob die Eltern einen Trauschein haben oder nicht oder ob sie alleinerziehend sind. Ich finde, die Kinder- und Familienförderung auch im Steuerrecht – da sind wir uns einig – muss Familien entlasten. Sie muss aber nach dem Grundsatz gelten, dass jedes Kind uns gleich viel wert ist und bei der steuerlichen Förderung der Familien die Zahl der Kinder entscheiden muss und nicht der Trauschein, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und FDP)

Was hat die Bundesregierung denn gemacht? Problem erkannt, und heute hören wir, dass sich die Große Koalition auf Bundesebene dazu entscheidet, das Kindergeld um 2 Euro zu erhöhen. Um 2 Euro! Meine Damen und Herren, damit lösen wir nun wirklich nicht die finanziellen Probleme der Familien.

Ich kann mir gut vorstellen, dass wir darüber diskutieren müssen, ob wir nicht in eine Kindergrundsicherung einsteigen, die armutsfest jeder Familie, jedem Kind den gleichen Betrag gibt, der über dem heutigen SGB-II-Regelsatz liegt. In der Diskussion werden wir auch weiterhin miteinander sprechen müssen, sowohl im Ausschuss oder in der Anhörung als auch auf anderen Ebenen.

Aber ich glaube, wir sollten uns doch zumindest darüber einig sein, dass wir den Vorschlag der Jugend- und Famili

enministerkonferenz unterstützen, den Kinderzuschlag so zu reformieren,

(Glocke des Präsidenten)

dass er nicht mehr auf das SGB II angerechnet wird, sodass er gerade auch Kindern und armen Familien zugutekommt. Wir sollten gemeinsam an dieses Thema herangehen. Das wäre auf der einen Seite unbürokratisch und auf der anderen Seite auch viel gerechter.

Herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Für die Landesregierung spricht nun Frau Staatsministerin Spiegel.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine der großen Herausforderungen und eine der Schlüsselfragen der sozialen Gerechtigkeit ist es, Chancengleichheit für alle Kinder in unserer Gesellschaft sicherzustellen; denn nach wie vor haben Kinder aus gesicherten finanziellen Verhältnissen deutlich bessere Chancen als Kinder, die in Armut aufwachsen oder von Armut gefährdet sind.

Das Aufwachsen in Armut ist für Kinder eine schwere Hypothek und bedeutet oftmals über Jahre hinweg soziale Ausgrenzung. Als Familienministerin sage ich klipp und klar, ich finde mich mit Kinderarmut in unserem Land nicht ab. Kinderarmut ist in einer Wohlstandsgesellschaft völlig inakzeptabel und nicht hinnehmbar.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Angesichts der Tatsache, dass in Rheinland-Pfalz 11,5 % der Kinder unter 18 Jahren in Armut leben, also auf Grundsicherungsleistungen oder Leistungen nach Hartz IV angewiesen sind, können und werden wir als Landesregierung nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Allerdings muss man auch berücksichtigen – auch das gehört zur Wahrheit dazu, wenn man über Armut und insbesondere über Kinder- und Jugendarmut spricht, und das ist auch bereits gesagt worden –, viele effiziente Hebel zur Armutsvermeidung sind eben auf Bundesebene angesiedelt. Das betrifft den Bereich der materiellen Leistungen für Familien, das betrifft eine sozial gerechte Steuerpolitik oder auch die Festlegung eines Mindestlohns. Als Landesregierung nutzen wir alle Möglichkeiten, die uns über den Bundesrat zur Verfügung stehen.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich haben wir auch auf Landesebene Handlungsmöglichkeiten, um Armut und damit auch Armut von Kindern und Jugendlichen zu bekämpfen. Dazu gehört eine gezielte Arbeitsmarktpolitik, und an dieser Stelle bin ich auch meiner Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler und ihrem Haus sehr dankbar, dass sie sich sehr engagiert und mit Nachdruck diesem

Thema angenommen hat und durch ihre Arbeitsmarktpolitik ein sehr wichtiges Instrument in der Hand hat, um Armut auch in Rheinland-Pfalz zu begegnen.

Dazu gehört ebenfalls ein guter Zugang zu Bildung, Betreuung und zur Gesundheitsversorgung sowie natürlich bezahlbarer Wohnraum. Bildung und Karriere bzw. Bildungsferne und Armut sind in Deutschland eng miteinander verknüpft. Deswegen setzen wir in Rheinland-Pfalz auf Teilhabe an Bildung von Anfang an. Wir haben daher den Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab einem Jahr, die Beitragsfreiheit für einen Kitaplatz ab zwei Jahren, eine bedarfsgerechte und regional ausgewogene Versorgung mit Ganztagsschulangeboten, und ein flächendeckender Ausbau der Kindertagesstätten wird auch zukünftig weiter gefördert. Die Versorgungsquote der Kinderbetreuung liegt gegenwärtig im Ü3-Bereich bei nahezu 100 % und im U3-Bereich bei ca. 43 %.

Auch im Bildungsbereich sind wir weiter mit Nachdruck dabei, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Armut von Kindern und Jugendlichen zu bekämpfen. Dazu gehört auch, dass die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Abschluss und der ausbildungsfähigen Jugendlichen ohne einen Berufsabschluss weiter reduziert werden soll.

Ein weiterer entscheidender Punkt im Kampf gegen Armut ist eine Erwerbstätigkeit, die die Existenz einer Familie sichert. Für die meisten Eltern hat eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine hohe Priorität, und das gilt insbesondere für Alleinerziehende. Das gute Angebot von Kitaplätzen und Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz unterstützt die Eltern bei dieser Herkulesaufgabe.

Meine Damen und Herren, aber es sind nicht nur die Alleinerziehenden, es sind eben auch kinderreiche Familien und Familien mit Migrationshintergrund, die ein erhöhtes Armutsrisiko haben. Gerade bei den Alleinerziehenden weisen Kinder unter 18 Jahren eine Armutsgefährdungsquote von 44,2 % auf. Im Vergleich dazu hat eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern ein Armutsrisiko von 10,2 %. Das wirft natürlich die Frage auf, was dagegen hilft. Das ist zum einen die Einführung des Mindestlohns auf Bundesebene zum 1. Januar 2005, aber auch die konsequente Beseitigung von geschlechtsspezifischen Einkommensunterschieden, den sogenannten Gender Pay Gap. Er gehört zu den gravierendsten Benachteiligungen von Frauen im Erwerbsleben

(Heiterkeit und Zurufe von der AfD)

und beträgt im Bundesdurchschnitt derzeit 21 %, und das ist nicht lustig, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Ein weiterer Punkt sind die Steuerentlastungen, und deswegen setzen wir uns dafür ein, dass der Entlastungsbetrag für die Alleinerziehenden längerfristig in einen Abzug von der Steuerschuld umgewandelt wird und die Höchsteinkommensgrenze beim Kinderzuschlag aufgehoben wird, um den Kinderzuschlag für weitere Kreise von Ein- und Zwei-Eltern-Familien des unteren Einkommensbereichs zu

öffnen, und für Alleinerziehende beim Kinderzuschlag ein Mehrbedarf eingeführt wird.

Ich begrüße ausdrücklich die Pläne der Bundesfamilienministerin Schwesig hinsichtlich einer Reform des Unterhaltsvorschusses. Auch das ist ein wichtiger Beitrag, um die Armut von Familien im Land zu bekämpfen, und es ist längst an der Zeit, die derzeit gültige Altersgrenze von zwölf Jahren abzuschaffen und die Leistung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu gewährleisten, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Kinder wollen eine Zukunft ohne Armut. Sie haben ein Recht darauf, und es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, derer sich diese Landesregierung weiter annimmt und weiter stellen wird. Ich werde mich als Familien- und als Jugendministerin dafür einsetzen, dass wir tatsächlich die Chancen auf Teilhabe für alle Kinder und Jugendlichen in Rheinland-Pfalz verbessern werden.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Aufgrund der in Anspruch genommenen Redezeit durch die Landesregierung erhöht sich die Redezeit pro Fraktion um eineinhalb Minuten. Das bedeutet für die SPD eine Redezeit von noch eineinhalb Minuten, für die CDU von drei Minuten, für die AfD von knapp fünf Minuten und für die FDP von zweieinhalb Minuten. Gibt es Wortmeldungen? – Herr Abgeordneter Frisch hat sich zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste auf der Tribüne! Das Thema Kinderarmut ist seit mehr als 20 Jahren bekannt. Die Zahlen sind vielfach veröffentlicht und immer wieder aktualisiert worden. Es gibt Berichte von Gewerkschaften, Kirchen, Verbänden und Ministerien. Sie alle haben festgestellt, dass Alleinerziehende und kinderreiche Familien in den Armutsrankings seit Langem ganz oben stehen. Allein, die Politik hat es versäumt, wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Verehrte Kollegen von der SPD, dass gerade Sie diesen Zustand hier so wortreich beklagen, ist schon bemerkenswert. Ist es nicht Ihre Partei, die seit dem Jahr 2000 mit kurzer Unterbrechung Regierungsverantwortung im Bund trägt?

(Beifall der AfD)

Warum haben Sie denn nichts unternommen, um die wirtschaftliche Situation von Familien nachhaltig zu verbessern?

(Abg. Kathrin Anklam-Trapp, SPD: Der Mindestlohn, wer hat es denn gemacht? Waren es nicht die Sozialdemokraten?)

Warum sind Sie nicht den mehrfachen Aufforderungen des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen, die Erziehungsleistung von Eltern bei der Sozialversicherung stärker zu berücksichtigen?

(Beifall der AfD)

Warum haben Sie kein Familiensplitting eingeführt, um Familien dadurch steuerlich spürbar zu entlasten?

Stattdessen haben Sie die Abschaffung des Betreuungsgeldes betrieben, hat Ihre Familienministerin in Berlin ein Elterngeld auf den Weg gebracht, das Mehrkindfamilien massiv diskriminiert.

(Zurufe von der SPD)

Stattdessen plant Frau Schwesig jetzt ein Familiengeld, das für Mütter und Väter noch mehr Arbeit und noch weniger Zeit für ihre Kinder bedeutet.

Mit diesem Antrag, werte Kollegen von den Regierungsparteien, vergießen Sie sehr große Krokodilstränen; denn Sie beklagen hier eine Situation, für die Sie wesentlich mitverantwortlich sind.