Protokoll der Sitzung vom 09.08.2017

Die nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Lerch von der Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Dezember letzten Jahres hatte ich Gelegenheit, an einer berufsbildenden Schule zu hospitieren, und zwar im BVJ I. Im Rahmen des Berufsvorbereitungsjahres wurde eine Klasse eingerichtet, in der auch beeinträchtigte Kinder unterrichtet wurden. Neben der Fachlehrerin war auch eine pädagogische Fachkraft im Unterricht dabei. Diese Fachkraft nahm sich ganz besonders der beeinträchtigten Jugendlichen an.

(Zuruf von der CDU: Wie viele Stunden?)

Der Unterricht war differenziert aufgebaut, sodass die Schülerinnen und Schüler dort abgeholt werden konnten, wo sie tatsächlich auch standen.

Das Team aus Lehrkraft und pädagogischer Fachkraft funktionierte gut, und so sollte es sein, wenn wir von gelungener Inklusion sprechen.

Wir reden heute nicht darüber, den Weg zur Inklusion umzukehren, ganz im Gegenteil. Es geht bei Inklusion darum, ein Menschenrecht umzusetzen, und um bessere Bildungschancen für alle. Das ist die Politik der Ampel.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich freue mich, im ersten Satz des Antrags der CDU zu lesen:

„Für viele Schüler mit Behinderung oder Beeinträchtigung ermöglicht der gemeinsame Unterricht an allgemeinen Schulen einen zusätzlichen Bildungserfolg und neue Perspektiven der Gemeinschaft.“ – Jawohl, auch das ist es, was wir unterstreichen können.

Ich möchte zu dem Film etwas sagen, den mein Vorredner angesprochen hat. Wir waren zum gleichen Zeitpunkt am gleichen Ort im gleichen Film. Aber ich habe nicht nur diesen Film gesehen, der sehr einseitig die negativen Seiten der Inklusion beleuchtet; ich habe weitere Filme gesehen, Filme, in denen auch der Erfolg der Inklusion gezeigt wird. Ich halte es für den falschen Weg, wenn wir einseitig nur die Beispiele herausgreifen, bei denen eben noch Handlungsbedarf ist, und aus diesen Beispielen eine Konsequenz ziehen und sagen, das läuft alles falsch. Meine Damen und Herren, so nicht.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Schuljahr, das gerade begonnen hat, gehen sieben neue Schwerpunktschulen an den Start. Die FDPFraktion begrüßt ausdrücklich, dass in diesem Zusammenhang die Bildungsministerin den Fortbestand der Förderschulen thematisiert hat. Förderschulen – das kann man nicht oft genug wiederholen – leisten eine herausragende Arbeit bei uns im Land

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: So ist es!)

und brauchen diese Unterstützung. Förderschulen werden in Rheinland-Pfalz auch Bestand haben.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Eltern in Rheinland-Pfalz haben die Wahlfreiheit zwischen Förderschule und Schwerpunktschule. Deshalb gilt es, beide Angebote zu unterstützen. Die Frage, ob und wie Inklusion gelingt, hängt maßgeblich auch von der Frage ab, ob wir genügend Fachpersonal, das heißt Förderschullehrer und pädagogische Fachkräfte, haben. Ja, das ist so.

Das Land hat deshalb nun die Einstellung von Förderschullehrerinnen und -lehrern auch jenseits des Halbjahres- und Ganzjahresrhythmus ermöglicht und reagiert damit flexibel auf Besetzungsmöglichkeiten, wo stärkerer Bedarf ist. Ich hatte dies gestern auch schon im Zusammenhang mit den Grundschullehrern ausgeführt.

Meine Damen und Herren, wir sind im Hinblick auf Inklusion auf dem Weg, aber noch nicht am Ziel. Wichtig ist es, die Schulen und Lehrkräfte auf diesem Weg zu unterstützen, geschultes Personal bereitzustellen und die Eltern im Hinblick auf ihre Entscheidungsmöglichkeiten zu beraten.

Meine Damen und Herren von der CDU, wenn Sie von möglichen Rückkehralternativen sprechen, so möchte ich Ihnen sagen, wir haben in Rheinland-Pfalz ein durchlässiges Schulsystem, das es natürlich ermöglicht, Wege zurückzugehen von der einen Schulart zur anderen. Aber davor sollte die Beratung stehen.

Es wird der Tag kommen, meine Damen und Herren, an dem wir weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit über Inklusion diskutieren werden. Inklusion wird dann zur täglichen Selbstverständlichkeit. Bis dahin wird es noch etwas dauern; aber es hilft überhaupt nicht, wenn wir nur Bedenkenträger stärken, anstatt konsequent das Ziel im Auge zu behalten. Deshalb werden die Koalitionsfraktionen der Ampel diesen Weg weitergehen und die Inklusion in Rheinland-Pfalz vorantreiben.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Abgeordneten Frisch das Wort.

Verehrte Frau Kollegin Lerch! Ich kann durchaus verstehen, dass Sie Ihre vorbereitete Rede vortragen; es ist nur immer etwas schwierig, wenn Sie darin Dinge nennen, die mit dem, was ich vorher gesagt habe, relativ wenig zu tun haben.

(Beifall der AfD)

Ich habe doch ganz eindeutig gesagt, dass wir die Inklusion nicht zurückfahren wollen. Wir haben nur gesagt, wir müssen sie mit Augenmaß betreiben, und wir müssen ihr gerade in der Schule Grenzen setzen. Darin stimmen Sie uns sicherlich zu, weil Sie ja auch für den Erhalt der Förderschulen sind.

Wenn Sie jetzt zum Beispiel das BVJ-Projekt nennen: Ich komme von einer Schule, an der es ein solches Projekt gab. Das sind natürlich Vorzeigeklassen, in die besonders viel investiert wird.

(Zuruf der Abg. Astrid Schmitt, SPD)

Es sind häufig Klassen mit acht oder zehn Schülern, in denen zwei Pädagogen sind. Ich war letzte Woche noch an einer Grundschule in Trier, die als Schwerpunktschule auch inklusive Arbeit betreibt. Sie haben natürlich viel weniger Personal zur Verfügung. Dort ist es dann nur maximal in der Hälfte aller Stunden so, dass eine zweite Lehrkraft oder eine Förderschullehrkraft dabei ist. Sie haben über 20 Kinder in den Klassen. Dann sieht das schon ein bisschen anders aus.

Das war auch unser Ansatz, dass wir gesagt haben, wir müssen schauen, dass wir Inklusion unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten vernünftig und mit Augenmaß machen.

Ich finde es ein bisschen schade, dass Sie im Namen der Ampel überhaupt nicht darauf eingegangen sind, was wir konkret vorgeschlagen haben. Wir haben gesagt, geben wir den Schulen doch mehr Freiräume, mehr Eigenverantwortung und mehr Selbstbestimmung. Das hat doch Sinn. Sie wissen doch vor Ort, was am besten ist.

Wenn sie dann einmal hingehen und Schüler vorübergehend aus dem Unterricht herausnehmen, ist das doch für alle Beteiligten sicher eine gute Sache. Die Ministerin hat das aber abgelehnt. Es gab diesen konkreten Fall, bei dem es hieß, nein, es muss dem Buchstaben des Gesetzes nach immer und permanent inklusiv beschult werden.

Was bei der Anlauttabelle dann plötzlich geht, nämlich den Schulen Freiräume einzuräumen – sie können es machen, sie können es aber auch nicht machen, nach ihrem eigenen Verständnis und ihrer eigenen Entscheidung –, das ist hier offensichtlich nicht möglich.

(Zuruf des Abg. Martin Haller, SPD)

Nur darum ging es uns jetzt, den Schulen mehr Flexibilität zu geben, gerade im Interesse der betroffenen Kinder, der behinderten, aber auch der nicht behinderten, hier mehr Freiräume zu haben.

(Zuruf der Abg. Astrid Schmitt, SPD)

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Zur Erwiderung auf die Kurzintervention erteile ich Frau Abgeordneter Lerch das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal, die Anlauttabelle hat mit Inklusion überhaupt nichts zu tun.

(Abg. Joachim Paul, AfD: Das haben wir doch auch gar nicht behauptet!)

Diese Diskussion hatten wir und sollten diese beiden Punkte auch nicht vermengen. Das ist das Erste.

(Beifall bei FDP und SPD)

Das Zweite, was die Selbstbestimmung von Schulen anbelangt, so dürfen Sie sicher sein, dass Sie bei der FDP offene Türen einrennen.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Die würde ich aber trotzdem nicht reinlassen!)

Es hat in Rheinland-Pfalz einen Schulversuch zu diesem Thema gegeben. Die FDP-Fraktion wird am 11. September 2017 dazu ein Symposium abhalten, bei dem wir uns mit dieser Thematik beschäftigen.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Aber dazu haben Sie nichts gesagt!)

Dritter Punkt, Sie sagen, das wäre eine Vorzeigeschule gewesen, bei der ich gewesen wäre, eine Vorzeigeklasse.

(Abg. Uwe Junge, AfD: Schon wieder falsch!)

Das war nicht der Fall. Diese Schule wurde einfach so von mir ausgewählt. Ich habe eine Schule und eine Klasse mit einer ordentlichen Klassenmesszahl gesehen, die absolut realitätsnah und nicht auf meinen Besuch zugeschnitten war. So viel als Ergänzung.

Vielen Dank.