Für die Länder, mit denen keine völkerrechtliche Vereinbarung besteht, eröffnet § 71 des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen die Möglichkeit der Überstellung eines verurteilten Ausländers in sein Heimatland zur Vollstreckung einer in Deutschland verhängten Strafe auf vertragsloser Grundlage.
Überstellungen können allerdings – ich betone dies – grundsätzlich nur mit Zustimmung des Verurteilten und im Einvernehmen mit seinem Heimatstaat erfolgen. Stimmt der Verurteilte nicht zu, ist die Sache schon fast immer erledigt.
Die Bereitschaft eines verurteilten Straftäters, seine Freiheitsstrafe zum Beispiel in Somalia, Syrien oder Afghanistan zu verbüßen, dürfte eher gering sein. Davon abgesehen findet mit diesen Staaten derzeit ein Vollstreckungshilfeverkehr wegen der Zustände, die dort herrschen, faktisch nicht statt.
Eine Überstellung gegen den Willen des Verurteilten ist nur unter besonderen Voraussetzungen möglich, zum Beispiel beim Vorliegen einer Ausweisungsverfügung oder bei einer Flucht von ihm selbst ins Heimatland, wenn er nämlich von hier aus dorthin geflüchtet ist. Ist er schon dort, dann können wir seine Zustimmung durch das Gericht ersetzen. Dann kann sein Heimatland die hier verhängte Strafe vollstrecken. In einem solchen Ausnahmefall geht das.
Bevor auf die Vollstreckung der Strafe in Deutschland verzichtet wird, müssen wir uns außerdem vergewissern, dass im Heimatstaat eine wirksame und menschenwürdige Strafvollstreckung gewährleistet ist. Dazu sind die konkreten Haftbedingungen im Heimatstaat und die Regelungen über eine bedingte Entlassung nach dortigem Recht zu prüfen. Gemessen an unseren Regelungen sollen überstellte Verurteilte schließlich nicht zu früh auf freien Fuß
Wir verlangen daher vom Heimatstaat entsprechende Zusicherungen und Bescheinigungen, die aber nicht immer erteilt oder vorgelegt werden. Zum besseren Verständnis ein Beispiel: Bei uns können sie nach zwei Dritteln der Haftzeit unter Umständen – bei guter Führung und Ähnlichem – vorzeitig entlassen werden. In anderen Ländern gibt es andere Regelungen. Dort kann es zum Beispiel sein, dass jemand schon nach der Hälfte gehen kann. Wenn wir das nicht wollen, lassen wir uns zusichern, dass dieser noch nicht zur Hälfte, sondern erst nach zwei Dritteln gehen kann. Das wird dann auch nachgeprüft. Gibt es entsprechende Zusicherungen nicht, würden wir zum Beispiel nicht überstellen, weil aus unserer Sicht das Risiko besteht, dass er dort zu früh wieder freikommt. Das wird vorher geprüft.
Ergibt die Prüfung und Abwägung im Ergebnis, dass eine längerfristigere Vollstreckung geboten ist, als im Heimatstaat zu erwarten ist – das ist das, was ich eben darstellte –, wird kein Vollstreckungshilfeersuchen gestellt werden. Die Staatsanwaltschaften des Landes sind gehalten, die Möglichkeiten der Vollstreckungshilfeübernahme regelmäßig zu prüfen und bei Vorliegen der Voraussetzungen entsprechende Verfahren auch von Amts wegen einzuleiten. Ein solches Verfahren kann aber durchaus mehrere Monate in Anspruch nehmen. Die zu verbüßende Restfreiheitsstrafe muss daher noch eine gewisse Dauer haben. Ansonsten ist es nicht sinnvoll, dieses Verfahren durchzuführen.
Zu Frage 2: Das Absehen von der weiteren Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach § 456 a der Strafprozessordnung hat einen ganz anderen Charakter. Die Maßnahme knüpft an eine vorausgegangene Entscheidung der Ausländerbehörde an. Es muss eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung vorliegen, die im Wege der Abschiebung vollzogen werden soll. Dem steht dann zu dem Zeitpunkt faktisch die Strafhaft im Wege. Die Staatsanwaltschaft hat dann zu entscheiden, ob hier auf die weitere Vollstreckung zunächst einmal verzichtet werden kann, um die Ausreise zu ermöglichen.
Bevor ein verurteilter Straftäter das Land verlässt, kann daher die Staatsanwaltschaft von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe absehen und damit den Weg freimachen. Diese Maßnahme steht selbstständig neben der zu Frage 1 geschilderten Möglichkeit der Überstellung in den Heimatstaat zur Verbüßung der restlichen Freiheitsstrafe.
Voraussetzung für ein Vorgehen nach § 456 a der Strafprozessordnung ist eine rechtskräftige Ausweisungsverfügung, die demnächst tatsächlich vollzogen werden soll. Die Entscheidung kann entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Verurteilten ergehen und steht im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Die Einwilligung des Verurteilten ist in diesem Fall nicht erforderlich. Die Frage, ob eine Strafverbüßung in Deutschland so wichtig ist, dass sie die Abschiebung verhindern soll, steht nicht in der Disposition des Verurteilten.
Die Staatsanwaltschaft hat konkret die Umstände der Tat, die Schwere der Schuld, die Dauer des bis dahin verbüßten Teils der Strafe, das öffentliche Interesse an einer
Rheinland-Pfalz hat wie andere Bundesländer auch Richtlinien zur Ermessensausübung erlassen. Mit dem Rundschreiben des Ministeriums der Justiz vom 23. April 2001 soll eine gleichmäßige Handhabung unter Beachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls sichergestellt werden.
Danach ist es bei zeitigen Freiheitsstrafen in der Regel so, dass von der Vollstreckung abzusehen ist, wenn mindestens die Hälfte, aber noch nicht zwei Drittel der Strafe verbüßt sind. Bei lebenslangen Freiheitsstrafen kommt ein Absehen von der weiteren Strafvollstreckung grundsätzlich nicht vor der Verbüßung von 15 Jahren in Betracht.
Bei zu Jugendstrafen verurteilten Jugendlichen oder Heranwachsenden ist primär zu berücksichtigen, ob das angestrebte Erziehungsziel bereits erreicht ist oder noch erreicht werden kann und bessere Möglichkeiten der Resozialisierung im Heimatland bestehen. In der Regel ist von der weiteren Vollstreckung der Jugendstrafe abzusehen, wenn mindestens ein Drittel, aber noch nicht zwei Drittel der Jugendstrafe verbüßt sind.
Mit anderen Worten, jeder verurteilte Ausländer wird einen nicht unbeachtlichen Teil seiner Strafe zunächst hier verbüßen. Alles andere wäre eine nicht zu rechtfertigende Besserstellung gegenüber deutschen Verurteilten und würde auch den Sühneinteressen der Opfer nicht genügen.
Eine noch längere Verbüßungszeit – deutlich über den Halbstrafen- und ausnahmsweise über den Zwei-DrittelTermin hinaus – soll erwogen werden, wenn eine nachhaltige Vollstreckung zur Verteidigung der Rechtsordnung und aufgrund besonderer Umstände in der Person des Täters dies gebieten. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit der Person zur Organisierten Kriminalität oder zur schweren Betäubungsmittelkriminalität bestehen, wegen ungünstiger Sozialprognose mit der vollständigen Strafe zu rechnen ist, der Verurteilung Verbrechen, erhebliche Sexual- oder Gewaltstraftaten oder sonstige schwere banden- oder gewerbsmäßig begangene Straftaten zugrunde liegen oder durch die Straftaten ein besonders gravierender Schaden verursacht worden ist.
Das bedeutet, wer wegen einer sehr schweren Straftat verurteilt wurde, kommt grundsätzlich erst später in den vermeintlichen Genuss einer Entscheidung nach § 456 a der Strafprozessordnung.
Die Staatsanwaltschaften prüfen die Voraussetzungen einer solchen Maßnahme von Amts wegen oder bei Kenntnis von einer vollziehbaren Ausreiseverfügung. In der Praxis tritt meistens die zuständige Ausländerbehörde an die Staatsanwaltschaften heran und fragt, ob eine Maßnahme nach § 456 a der Strafprozessordnung infrage kommt. Die Ausländerbehörde wird dann über die Entscheidung unterrichtet.
Zu Frage 3: Der entscheidende Unterschied zwischen einer Entscheidung nach § 456 a der Strafprozessordnung und einer Überstellung zur weiteren Strafvollstreckung ist, die Verurteilten werden in ihrem Heimatland nicht in Haft genommen. Wenn wir die weitere Vollstreckung in einem
Verfahren nach § 456 a der Strafprozessordnung unterbrechen, wird er ausgewiesen und in seinem Heimatstaat nicht in Haft genommen. Wenn wir überführen, damit dort vollstreckt wird – das ist andere Alternative –, würde er dort in Haft genommen.
Wichtig ist daher, dass bei dem Verfahren nach § 456 a der Strafprozessordnung der Rest der Freiheitsstrafe nicht erlassen wird. Die Vollstreckung wird lediglich unterbrochen. Sollte der Verurteilte nach Deutschland zurückkehren, muss er damit rechnen, festgenommen zu werden, und er muss dann die restliche Freiheitsstrafe bei uns verbüßen. Die Vollstreckung kann bis zum Eintritt der Vollstreckungsverjährung nachgeholt werden.
Zu Frage 4: Dieser eben erwähnte Vollstreckungsanspruch wird durch den Erlass einen nationalen Haftbefehls und die Ausschreibung zur nationalen Fahndung gesichert. Hierüber wird die verurteilte Person auch belehrt. Dieser Haftbefehl bildet sozusagen die Brandschutzmauer, um eine Rückkehr nach Deutschland zu verhindern. Er stellt quasi eine faktische Wiedereinreisesperre dar.
Verurteilte müssen also damit rechnen, dass sie auch noch nach Jahren bei der Wiedereinreise festgenommen werden und sie dann ihre Reststrafe bei uns verbüßen müssen. Vollstreckungsverjährung tritt nämlich bei einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr und bis zu fünf Jahren erst nach zehn Jahren ein, bei einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf und bis zu zehn Jahren sind es sogar 20 Jahre. Die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer Sicherungsverwahrung verjährt überhaupt nicht.
Diese Haftbefehle werden oft als „nicht vollstreckbare“ Haftbefehle bezeichnet. Das ist aber so nicht zutreffend. Es handelt sich vielmehr um vorsorglich erlassene Haftbefehle für den Fall der Rückkehr des Verurteilten. Bis dahin sind sie faktisch nicht vollstreckbar.
Mit Stand 16. August 2018 gab es in der Fahndungsabteilung des Landeskriminalamts insgesamt 131 solcher Haftbefehle. Der älteste stammt aus dem Jahre 1990 und betrifft eine Verurteilung wegen Mordes.
Herr Minister, gibt es bei der Überstellung zur Strafvollstreckung ins Heimatland einen Haftbefehl bzw. ein Fahndungsersuchen?
Ja, auch in diesem Falle wird etwas Vergleichbares gemacht. Sollte ihm zum Beispiel in der Heimat die Flucht gelingen und er wieder bei uns auftauchen, würde er dann zunächst einmal festgenommen, um die Sachen überprüfen zu können, es sei denn, er ist im Besitz eines Entlassungsscheins, der ausweist, dass er legal aus der Haft
entlassen worden ist. Aber den muss er mit sich führen. Tut er das nicht, ergreift man eine vergleichbare Maßnahme wie in dem Verfahren nach § 456 a.
Herr Minister, ich habe jetzt gelernt, dass die Voraussetzung zur Vollstreckung oder zur Vollstreckungsübergabe nach § 456 a an sehr viele Voraussetzungen gebunden ist, unter anderem auch an die Zustimmung des Häftlings selbst.
Wie oft ist dies tatsächlich in den letzten fünf Jahren in Rheinland-Pfalz umgesetzt, tatsächlich mit Erfolg durchgeführt worden?
Ich sage einmal so, die letzten drei, vier Jahre etwa 15, 16 Mal, wenn ich aus dem Kopf zitieren darf. Vorzugsweise handelt es sich um europäische Länder, also innerhalb der Europäischen Union, Spanien und ähnliche.
Die meisten Fälle hatten wir mit den Niederlanden. Denen hatten wir sozusagen zehn – wenn ich es richtig im Kopf habe – angeboten. Sie haben aber nur sechs genommen. Viermal haben sie abgelehnt.
Die anderen Staaten sind nicht verpflichtet, das zu übernehmen. Sie sind auch nicht verpflichtet, uns die Gründe mitzuteilen. Aber zum Beispiel hat in einem Fall Holland gesagt, nein, bei der Kürze der Freiheitsstrafe sind wir nicht in der Lage, unsere Resozialisierungsmaßnahmen zu realisieren. Dann machen wir das nicht.
Innerhalb der Europäischen Union funktioniert es am besten. Ein anderer Fall ist derzeit latent und wird mit der Russischen Föderation geprüft. Wenn die Papiere vorliegen, wird man etwas machen können.
Manchmal läuft es auch parallel. Ich glaube, wir hatten einen Fall mit Frankreich. Da waren beide Wege eingeschlagen worden. Da war plötzlich der Weg nach § 456 a schneller. Dann ist er auf diesem Wege nach Frankreich gekommen. Das muss man im Einzelfall sehen. Es ist aber etwas – wie gesagt –, das nicht so häufig vorkommt.
Die Frage der menschenwürdigen Unterbringung müssen wir immer prüfen. Es ist völlig egal, wer beteiligt ist. Innerhalb der Europäischen Union zum Beispiel müssen wir prüfen, ob das Regime dort im Verhältnis zu unserem zu großzügig ist und der Inhaftierte dann einen relativ großen Vorteil bekäme. Es gibt Staaten, die das anders machen als wir, die bei zeitigen Freiheitsstrafen schneller entlassen. Wir machen das in der Regel bei zwei Drittel. Es gibt aber andere Staaten, die machen es nach der Hälfte. Das müssen wir prüfen. Man muss sehen, er hat hier etwas gemacht. Es gibt Opfer. Denen muss man auch irgendwie
gerecht werden. Dann wird mit diesen Staaten im Einzelfall verhandelt und man handelt sozusagen aus, was sein soll. So funktioniert das.
Es ist relativ aufwendig. Wenn in diesem Artikel suggeriert wird, das könne man einfach so ganz schnell steigern, stimmt das nicht. Wenn in dem Artikel suggeriert wird, die Staatsanwaltschaften bundesweit kümmern sich überhaupt nicht, so ist das nicht zutreffend. Sie müssen das in jedem Fall, bei dem das infrage kommt, prüfen. Es ist in der Regel so, dass es aus irgendeinem der vielen Gründe, die gegeben sein müssen, um das machen zu können, scheitert.
Wenn die Haftbedingungen in anderen Ländern, mit denen man das verhandeln müsste, nicht wesentlich schlechter sein dürfen als bei uns, dann schließt sich das außerhalb Europas quasi aus. Ich kenne Gefängnisse in Afghanistan. Ich kenne sie in vielen anderen Bereichen. Unsere sind sicherlich immer die, die – – –
Unter der Voraussetzung, dass menschenwürdige Haftbedingungen vorhanden sein müssen, ist das sicherlich ein Prüfkriterium, das wir haben. Also wird es außerhalb Europas gar nicht möglich sein.
So pauschal kann man es nicht sagen. Ein Land wie Neuseeland, Australien, die Vereinigten Staaten oder Kanada kämen schon infrage.