Protokoll der Sitzung vom 22.10.2019

(Abg. Michael Frisch, AfD: Ungeheuerlich!)

Ja, sie ist auch dann gefährdet, wenn die rheinlandpfälzische Ministerpräsidentin in einem Vorwort gleichzeitig vor rechtsextremistischen und rechtskonservativen Bedrohungen der Demokratie warnt – liebe CDU – und damit einmal soeben konservatives Denken schlechthin zur staatsgefährdenden Doktrin erklärt.

Die Tendenz ist klar: Alles was nicht links ist, ist erst rechts, dann rechtsradikal und in letzter Konsequenz rechtsextremistisch und muss sowieso verboten werden.

Meine Damen und Herren, wer die freiheitliche Demokratie stärken will, der muss ein hohes Maß an Meinungsfreiheit und Vielfalt gewähren, eine konstruktive und streitbare Debattenkultur aushalten, und er muss die Menschen mitnehmen, statt pauschal auszugrenzen und zu verurteilen.

(Beifall der AfD)

Es ist unbestreitbar auch unser Verdienst, dass sich wieder mehr Bürger für Parlamentsdebatten interessieren, die Wahlbeteiligung erheblich angestiegen ist, die Themenvielfalt in den Parlamenten zugenommen hat und es wieder lebhafte Debatten gibt, in denen die ganze Breite demokratisch legitimierter Positionen abgebildet wird.

Meine Damen und Herren, eine freiheitliche Demokratie funktioniert dann am besten, wenn sie auf einem starken Rechtsstaat gründet, eine lebendige Debattenkultur pflegt und klar erkennbar Politik für den eigenen Bürger gestaltet. Lassen Sie uns deshalb – ich gehe gerne in der zweiten Runde noch einmal darauf ein – gemeinsam gegen jede Form von Extremismus stehen, den Rechtsstaat stärken und respektvoll miteinander umgehen.

Danke schön.

(Beifall der AfD – Abg. Michael Frisch, AfD: Haben Sie das gehört, Herr Hüttner? – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Hütter! – Abg. Michael Frisch, AfD: Respektvoll miteinander umgehen!)

Für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Becker das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere freiheitliche Demokratie ist bedroht. Die schreckliche Tat von Halle hat uns vor Augen geführt, zu was Menschen fähig sind, die sich im extremen und rechtsextremen Spektrum bewegen.

Dieses Spektrum besteht aus zahlreichen Facetten. Am Beispiel Halle haben wir erleben müssen, wie besessen der mutmaßliche Täter von antisemitischen Thesen gewesen ist. Laut Tagesspiegel leugnete er den Holocaust. Er gab dem Feminismus die Schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die Ursache für Massenimmigration sei. Die Wurzel dieser Probleme sei der Jude.

Meine Damen und Herren, dieses menschenverachtende Denken und diese kruden Verschwörungstheorien sind beschämender Teil unseres Alltags, und sie haben einen Nährboden.

Auf einschlägigen rechten Seiten hat sich das Video des Attentats innerhalb von kürzester Zeit im Netz verbreitet. Es gibt ein Publikum für diese Thesen, die wir in ihrem Charakter schon aus Vorkriegszeit kennen. Das ist über 70 Jahre nach Kriegsende ein ganz erschreckendes Signal.

Meine Damen und Herren, machen wir uns bewusst, dass die Tat zwei Menschenleben ausgelöscht und zwei Menschen schwer verletzt hat. Das ist schlimm genug. Gleichwohl sind wir wohl nur wegen einer einzigen verschlossenen Tür einem grausamen Anschlag in einer Synagoge entgangen.

Unsere in der Bundesrepublik gewachsene Kultur des Erinnerns, die Berichte von Zeitzeugen, die wissenschaftliche Aufarbeitung, schulische und politische Bildung und Demokratieerziehung: All das leistet einen äußerst wichtigen präventiven Beitrag, damit Menschen sich nicht mit extremer politischer Ideologie gemein machen. Und doch gibt es sie, organisiert in parteilichen und parteiunabhängigen Strukturen, der Neuen Rechten, der Neonazi-Szene, in sogenannten Kameradschaften oder Strukturen, die sogar dem Rechtsterrorismus zugeordnet werden.

Das Ministerium des Innern in Rheinland-Pfalz geht von 650 Menschen aus – wir haben es schon mehrfach gehört –, die dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden. Davon seien 150 gewaltorientiert. Die Zahlen von 2017 auf 2018 sind nahezu gleich geblieben, und das vor dem Hintergrund, dass die Straftaten in RheinlandPfalz insgesamt abnehmen und die Aufklärungsquote auf hohem Niveau stabil bleibt.

Trotzdem steigern wir als Ampelkoalition die Mittel für das Personal in der Justiz und bei den Strafverfolgungsbehörden. Mit dem letzten Doppelhaushalt haben wir den Weg freigemacht für 250 neue Stellen in der Justiz und weiterhin höchste Einstellungsraten bei den Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärtern. Ich halte das für ein gutes und wichtiges Signal.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Rechtsstaat muss schnell und konsequent handeln können. Wenn der Bundesminister des Innern vor dem Hintergrund der Tat in Halle vorschnell den Schluss zieht – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: „Wir müssen die Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen“, kommt dies einer Diskreditierung der gesamten Gamer-Szene gleich und kann selbstverständlich so nicht stehen bleiben.

(Beifall der Abg. Marco Weber, FDP, und Pia Schellhammer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht um Rechtsextremismus, es geht nicht um Zocker. Gleichwohl ist das Netz immer öfter Tatort. Ich zitiere deshalb einen Kommentar aus der F. A. Z. vom heutigen Tag: Selbst wenn die Überwachung sich auf diese extremistischen Gruppen im Netz beschränkt, werden wir zukünftig weit mehr digital kompetente Beamte als bisher benötigen. Denn es braucht Spezialisten, die die Codes und Usancen der dunklen Ecken des Internets beherrschen. –

Meine Damen und Herren, für uns Liberale bleibt wichtig, dass wir auf der Grundlage unseres Rechtsstaats und damit unserer Verfassung vorgehen. Dabei müssen wir im Blick haben, dass der Rechtsstaat in einer sich schnell wandelnden Zeit handlungsfähig und effizient bleibt, um so das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in eine rechtsstaatliche Demokratie zu sichern und weiter zu stärken.

Meine Damen und Herren, was die grauenvolle Tat von Halle betrifft,

(Glocke des Präsidenten)

vertraue ich auf die gute Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Nach Abschluss der Ermittlungen und einem genauen Blick auf die Strukturen, die hinter der Tat in Halle standen, ist dann der Zeitpunkt gekommen, um auch in Rheinland-Pfalz über konkrete Maßnahmen zu sprechen, die mögliche Sicherheitslücken wirksam schließen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Schellhammer das Wort.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Halt mich fest!)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die erschütternden Bilder aus Halle haben uns allen die Bedrohung unserer Demokratie noch einmal erneut vor Augen geführt. Für diejenigen, die sich schon sehr lange inhaltlich und substanziell mit der extremen Rechten in Deutschland befassen, waren diese Bilder keine Überraschung; denn spätestens seit dem NSU sollte uns allen die Bedrohungslage durch die extreme Rechte bekannt sein.

Die CDU hat diese Aktuelle Debatte damit begründet, dass nun die Zeit gekommen sei, intensiv über das Thema „Rechtsterrorismus/Rechtsextremismus“ zu sprechen. Das genau ist die Sprunghaftigkeit, die wir leider immer in der Innenpolitik erleben. Herr Kollege Baldauf hat das in der Begründung genannt. Wir hatten eine Diskussion über Linksextremismus nach G20, eine Diskussion über Islamismus nach dem Breitscheidplatz, und jetzt meldet die CDU

eine Aktuelle Debatte zum Thema „Rechtsextremismus“ an.

(Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist gut so!)

Was es aber braucht, ist ein kontinuierliches Beobachten der rechtsextremen Szene, auch wenn keine spektakulären Vorfälle geschehen, und dass wir ganz intensiv über die rechtsextreme Szene sprechen. Das tun wir Grünen; das machen wir auch immer wieder im Innenausschuss. Wir kümmern uns in der Ampelkoalition darum, dass wir hier in Rheinland-Pfalz die zivilgesellschaftliche Prävention und jene Leute stärken, die sich vor Ort mit politischer Bildung an den Schulen und in Jugendgruppen dafür einsetzen, dass wir eine ganz klare demokratische Haltung haben und ganz klar Position gegen demokratiefeindliche Menschenbilder beziehen. Wir stärken die Prävention, und das nicht nur dann, wenn Vorfälle zu verzeichnen sind.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und bei der SPD)

Schon häufig musste ich an dieser Stelle sagen, dass wir eine Verschiebung unseres Diskurses erleben müssen, eine Verschiebung dessen, was inzwischen sagbar geworden ist. Wir finden, das ist der Nährboden für solche Einstellungsmerkmale, bei denen aus Worten auch Taten folgen.

Diesen Nährboden müssen wir ernst nehmen. Das sind Mechanismen, die beim Antisemitismus greifen. Diese Mechanismen erleben wir aber auch in diesem Hause, wenn es darum geht, über Menschen mit muslimischem Glauben zu sprechen. Es werden pauschal Menschen eines bestimmten Glaubens abgewertet. Wer sich ganz klar gegen Antisemitismus einsetzt – so wie wir –, der muss sich auch ganz klar gegen eine pauschale Abwertung anderer Religionen einsetzen.

Dabei ist die AfD nicht klar. Immer wieder werden in diesem Hohen Hause Muslime pauschal abgewertet.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Das stimmt überhaupt nicht!)

Das muss ganz klar kritisiert werden.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Und Claudia Roth? Was ist mit dem Antisemitismus von Frau Roth?)

Wir wollen, dass sich alle Menschen unterschiedlichen Glaubens in Rheinland-Pfalz wohl und sicher fühlen können.

(Unruhe bei der AfD – Glocke des Präsidenten)

Dafür setzen wir uns gemeinsam ein.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Die AfD bedient gezielt Erzählungen der rechtsextremen Szene. Ich möchte es noch einmal betonen. Herr Junge hat gesagt – das Zitat ist heute mehrfach angeklungen –,

(Abg. Uwe Junge, AfD: Sie können es ja auch noch einmal machen! – Abg. Michael Frisch, AfD: Was würden Sie machen, wenn Sie das nicht hätten?)

dass der Tag kommen wird. – Aber was steckt dahinter?

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Sie sind ja so substanzlos!)

Wenn wir uns den Rechtsterrorismus in Deutschland anschauen, dann sind das rechtsterroristische Zellen, die sich auf den „Tag X“ vorbereiten, die gezielt für den bewaffneten Straßenkampf trainieren. Das wissen wir aus rechtsterroristischen Netzwerken. Wenn Herr Junge sagt: „Der Tag wird kommen“, dann bedient er ganz gezielt rechtsterroristische Rhetorik, und das muss man an dieser Stelle sehr, sehr klar und deutlich sagen.