Protokoll der Sitzung vom 27.09.2000

Dieses Fazit hat der frühere Vorstandsvorsitzende der Karstadt AG 1998, zwei Jahre nach der Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes, gezogen. Es macht deutlich, dass sie zu einer Vielfalt geführt hat, aber auch zu mehr Verwirrung führen kann. Es zeigt auch, dass eine Auseinandersetzung mit dem Ladenschlussgesetz eine hoch emotionale Beschäftigung ist. Vehemente Befürworter des bestehenden Ladenschlussgesetzes treffen auf gnadenlose Deregulierer, die das gesamte Ladenschlussgesetz am liebsten einstampfen würden. Und das ist ein Thema, zu dem jeder in der Diskussion etwas beisteuern kann.

Sich aber seriös mit dem Ladenschlussgesetz zu beschäftigen, heißt auch, eine Reihe gesamtgesellschaftlicher Aspekte zu berücksichtigen. Dazu gehört zum Beispiel, Strukturen und Wettbewerbsverhältnisse im Einzelhandel mit zu berücksichtigen. Die Auswirkungen auf den privaten Konsum, die Umsätze und das Preisniveau sind Bestandteil dieser Diskussion. Die Interessen der Verbraucher spielen eine ebenso wichtige Rolle wie die Beschäftigungswirksamkeit. Nicht zuletzt erhofft man sich von erweiterten Ladenöffnungszeiten auch die Entzerrung von Verkehrsspitzen und die Belebung der Innenstädte. Zu hinterfragen bleibt auch nach wie vor, ob mit dem Ladenschlussgesetz der Schutz und die Rechte der Beschäftigten gesichert oder verstärkt werden können.

Eine Feststellung bleibt zumindest: Nach der 1996 durchgeführten Änderung des Ladenschlussgesetzes hat es keinen maßgeblichen Beschäftigungsschub im Einzelhandel gegeben. Das Argument, längere Laden

öffnungszeiten beziehungsweise veränderte Öffnungszeiten würden zu mehr Beschäftigung verhelfen, ist durch diese Erfahrung eindeutig widerlegt.

Eine veränderte Ladenschlussregelung muss nicht allein die Ausweitung von Verkaufs- beziehungsweise Einkaufszeiten und die weitere Kommerzialisierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens zum Ziel haben, sondern sie sollte die Dienstleistungen im Handel den sich verändernden Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen anpassen. Für die Zukunft ein ganz wichtiger Hinweis: Sie muss auch eine Wettbewerbsfähigkeit von Geschäften gegenüber neuen Dienstleistungen sichern. Internet und die Möglichkeiten des Einkaufens im virtuellen Raum erfordern, dass der stationäre Handel darauf angemessen reagieren kann.

Das Ladenschlussgesetz sollte unter Wahrung der Interessen der Beschäftigten sowie des Sonn- und Feiertagsschutzes flexibilisiert werden. Es wäre schön, wenn es wieder eine für alle geltende bundeseinheitliche Regelung zum Ladenschluss gäbe, eine Regelung, die eine sozialverträgliche Ausweitung von Ladenöffnungszeiten bei Berücksichtigung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Beschäftigten festschreibt. Klar muss aber auch sein: Die Sonn- und Feiertage müssen auf Dauer und verbindlich verkaufsfrei bleiben,

(Beifall des Abgeordneten Helmut Plüschau [SPD])

denn zumindest einen Ruhetag pro Woche braucht jeder Mensch.

Wir schlagen vor, die vorliegenden Anträge federführend im Sozialausschuss und im Wirtschaftsausschuss weiter zu beraten. Ich glaube, da können wir uns dann inhaltlich intensiv damit weiter auseinandersetzen.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich bitte darum, auch für den restlichen Teil des heutigen Tages ruhig zu sein, sodass wir die Redner verstehen können und diese nicht schreien müssen.

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Nur Verdruss mit dem Ladenschluss“ - das sind die legendären Worte der Sozialministerin und jetzt haben wir in diesem Sommer auch noch eine beinahe albernde Debatte zu diesem Thema erlebt.

(Dr. Heiner Garg)

Da treffen sich die Wirtschaftsstaatssekretäre der Länder und vereinbaren mehrheitlich eine vermeintliche Liberalisierung des längst völlig überflüssig gewordenen Ladenschlussgesetzes aus dem Jahr 1956. Originell ist im Übrigen, dass die Initiative unter anderem aus Nordrhein-Westfalen kam. Das ist deshalb originell, weil der Herr Bundeskanzler nur wenig später ausgerechnet den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten gewinnen wollte, um die Länder von einer gemeinsamen Initiative in diesem Land wieder abzubringen.

Aber letztlich kommt es darauf gar nicht an, denn im Gegensatz zu dem Kompromiss der Wirtschaftsstaatssekretäre und auch im Gegensatz zu dem Touch, den der Antrag der CDU hat, bin ich nämlich der Meinung, dass wir keine Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes brauchen. Ein ganz und gar überflüssiges Gesetz muss nicht liberalisiert werden, es gehört schlicht und ergreifend abgeschafft.

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU)

Und insofern ist die Haltung der schleswigholsteinischen Sozialministerin auch nur konsequent. Wer immer hier behauptet, Frau Moser stünde mit ihrer Forderung allein, der irrt.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Wir stehen an ihrer Seite!)

- Jawohl, Kollege Kubicki! Ich darf Ihnen versichern, die F.D.P. steht in dieser Frage fest an Frau Mosers Seite

(Beifall und Heiterkeit bei F.D.P. und CDU)

- ob sie das will oder nicht.

(Glocke der Präsidentin)

Einen Moment, Herr Dr. Garg. Ich habe das eben wirklich ernst gemeint. Seien Sie bitte Ihrem Kollegen gegenüber so fair, lassen Sie ihm das Wort.

Herr Dr. Garg, Sie haben das Wort.

Kubicki quatscht immer dazwischen, das ist so!

(Beifall und Heiterkeit im ganzen Haus)

Aber meistens hat er auch Recht!

(Widerspruch bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, geradezu peinlich fand ich die Presseerklärung der DAG vom

13. September 2000. Sie war vor allem deshalb peinlich, weil mit an Penetranz grenzender Ignoranz nach wie vor behauptet wird, das Ladenschlussgesetz sei ein Arbeitnehmerschutzgesetz. Für wie dumm sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einzelhandel eigentlich gehalten werden? Außer bis zu den Verfassern des erwähnten Pressetextes hat es sich mittlerweile nämlich herumgesprochen, dass das Ladenschlussgesetz seine Arbeitnehmerschutzfunktion längst verloren hat. Daher ist die Forderung der Ministerin Moser im Zusammenhang mit der Abschaffung des Ladenschlussgesetzes arbeitnehmerschutzund arbeitszeitrechtliche Bestimmungen in das Arbeitszeitgesetz zu übertragen, keineswegs skandalös - wie die DAG behauptet -, sondern nur konsequent.

(Beifall bei F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weniger konsequent finde ich dann allerdings, dass die Sozialministerin am Ende ihres 8-Punkte-Papiers so tut, als ob wir am Anfang eines jahrelangen Beratungsprozesses stünden. Seit Jahren wird in Deutschland eine Debatte um das Ladenschlussgesetz geführt, die im benachbarten Ausland nur noch mit einem amüsierten Kopfschütteln quittiert wird. Entscheidend ist, dass es bis heute in unserem Land offensichtlich nicht möglich ist, eine ohnehin gänzlich überflüssig gewordene Regelung ohne langes Hin und Her abzuschaffen.

Verdruss sollte daher vor allem das ständige Signalisieren deutscher Reformunfähigkeit bereiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wissen Sie eigentlich, wie lange Heide Moser bereits an geschlossenen Ladentüren rüttelt? Es war dann ihre heimliche Vorliebe für liberale Politik, die sie immerhin so weit gebracht hat, unmissverständlich zu sagen, was sie vom Ladenschlussgesetz hält, nämlich gar nichts.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Lieber Herr Kollege Baasch, jetzt darf sich Frau Moser nicht länger ins Bockshorn jagen lassen. Jetzt muss sie endlich Nägel mit Köpfen machen, und zwar mit Ihrer Unterstützung. Sie soll ihren Kritikern zeigen, dass diese sich irren, dass die schleswig-holsteinische Sozialministerin eben nicht kneift, wenn es drauf ankommt.

Nun noch ein letztes Wort zu Ihnen, Herr Hentschel! Grünkernbratlinge oder rote Rüben können Sie mittlerweile rund um die Uhr in Internetsupermärkten ordern. Es gibt sie längst, die von Ihnen gefürchteten Rund-um-die-Uhr-Supermärkte - nur nicht so, wie Sie sie sich vielleicht vorstellen. An Tankstellen können Sie um Mitternacht Ihren gesamten Wochenendbedarf

(Dr. Heiner Garg)

decken und Ihre Weihnachtsgeschenke können Sie 24 Stunden lang rund um die Uhr über HomeShopping-Center wie HOT oder QVC bestellen. Wenn Sie also tatsächlich etwas für den Einzelhandel tun wollen, dann haben Sie jetzt die Gelegenheit dazu, jedoch nicht mit Ihrem grünen Wust neuer bürokratischer Vorschriften, sondern indem Sie die Handlungsfreiheit des einzelnen Ladenbesitzers erweitern.

(Beifall bei der F.D.P. und des Abgeordneten Uwe Eichelberg [CDU])

Herr Hentschel, hören Sie auf, so zu tun, als ob mit der Abschaffung des Ladenschlussgesetzes die 24Stunden-Öffnung vorgeschrieben werden soll. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Es soll eben gerade nicht mehr vorgeschrieben werden, wer wann was verkaufen darf. Diese Freiheit soll vollkommen zu Recht durch arbeitsschutz- und arbeitszeitrechtliche Regelungen sowie durch den Sonn- und Feiertagsschutz begrenzt werden. Mehr Regulierungsbedarf besteht aber nicht. Diese neue Freiheit kommt den kleinen Einzelhändlern weitaus mehr entgegen als den immer wieder ins Feld geführten Einkaufszentren auf der grünen Wiese, weil die so genannten Kleinen die neuen Möglichkeiten viel flexibler umsetzen und damit auf die speziellen Wünsche der Kunden genauer eingehen können.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es schade, dass dies wieder eine Schlagwortdebatte über die Frage ist: Bin ich liberal oder bin ich es nicht, und dass Sie sich nicht die Mühe machen, auf differenzierte Positionen einzugehen.

(Zuruf des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

Mittlerweile gibt es eine Diskussion, die weit über das, was Sie hier vorgetragen haben, hinausgeht. Vielleicht wissen Sie, wie man ins Internet kommt. Dann hätten Sie sich darüber informieren können, was der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund oder die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittelund Großbetriebe des Einzelhandels vertritt. Dann werden Sie feststellen, dass all diese Organisationen mittlerweile die grüne Position zum Cityprivileg unterstützen. Das hat gute Gründe. Ich zitiere den Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Herrn Articus:

„Wir legen großen Wert darauf, dass zwischen städtischen Zentren und der grünen Wiese differenziert wird. Städte sind attraktiv, wenn sie eine Mischung aus Wohnen und Arbeiten, Handel, Kultur, Freizeit und Gastronomie bieten. Je mehr Handel auf die grüne Wiese zieht, desto mehr veröden die Innenstädte. Deshalb muss es für die großen Einkaufszentren am Rande der Stadt beim geltenden Ladenschluss bleiben.“

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe im Einzelhandel hat zu diesem Zweck bei dem Staatsrechtler Professor Isensee ein Gutachten in Auftrag gegeben, in dem die räumliche Differenzierung von Ladenöffnungszeiten verfassungsrechtlich untersucht worden ist.

(Lothar Hay [SPD]: Sehr guter Staatsrecht- ler!)

Dieser Professor Isensee aus Göttingen hat in seinem Gutachten Folgendes gesagt: