Protokoll der Sitzung vom 27.09.2000

Dieser Professor Isensee aus Göttingen hat in seinem Gutachten Folgendes gesagt:

„Citygeschäfte weisen Besonderheiten auf, die sie von Geschäften sonstiger Lagen - insbesondere solchen der grünen Wiese - erheblich unterscheiden. Das gilt vor allem für ihre Verflechtung mit der urbanen Umwelt.“

In der Folge kommt er zu dem Ergebnis, dass die Erhaltung der Urbanität - also die Erhaltung der Citylagen als urbanen Lebensraum, in dem die Menschen verschiedene Funktionen miteinander verbinden - eine verfassungsrechtliche Qualität hat, die so hoch ist, dass es gerechtfertigt ist, zu unterschiedlichen Regelungen zwischen den Städten und der grünen Wiese zu kommen. Ich halte das für eine bemerkenswerte Aussage.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zurufe von der CDU)

Der Städtetag-Hauptgeschäftsführer Articus forderte die Bundesregierung deshalb auf, die Städte durch eine gesetzliche Regelung zu ermächtigen, per Satzung die Gebiete festzulegen, in denen Kommunen an Werktagen einen späteren Ladenschluss zulassen können. Notwendig sei ein Privileg für den Handel in den Zentren auch wegen der Entwicklung der Bahnhöfe zu Geschäfts- und Servicecentern. Die unterschiedlichen Ladenöffnungszeiten für Bahnhöfe und die übrige Innenstadt seien nicht mehr tragbar. Soweit zum Cityprivileg.

(Karl-Martin Hentschel)

Da die Zeit knapp ist, möchte ich noch ein paar Anmerkungen zum Tourismus und zu den Tante-EmmaLäden machen.

Wir haben in Schleswig-Holstein völlig unterschiedliche Situationen. Schleswig-Holstein ist in zwei Zonen gespalten. Ein Drittel Schleswig-Holsteins unterliegt dem Tourismusprivileg. In diesem Teil gibt es flächendeckend überall im Lande kleine Tante-EmmaLäden, die sich gehalten haben, weil sie das Tourismusprivileg haben. In den restlichen zwei Dritteln von Schleswig-Holstein sind die Dörfer tot und es gibt keine kleinen Läden mehr. Es gibt keine kleinen Läden in den Stadtteilen, es gibt nur noch Supermärkte und einige wenige Läden in den Zentren und auf der grünen Wiese.

Es zeigt sich ganz deutlich, dass eine Privilegierung von kleinen Läden durchaus erhebliche strukturpolitische Effekte hat. Ich bin absolut sicher: Wenn wir zu einem Tante-Emma-Laden-Privileg kommen, dann wird der Gastwirt in vielen kleinen Dörfern wieder nebenbei einen Laden aufmachen, in dem er außerhalb der Ladenöffnungszeiten verkaufen kann. Ich bin ziemlich sicher, dass die Dorfzentren dann mit kleinen Einkaufsläden verbunden werden und dass wir eine Wiederbelebung der Dörfer bekommen. Ähnliches wäre auch durch kleine Läden in den Stadtteilen der Städte der Fall. Ich glaube, das funktioniert, weil es sich in Schleswig-Holstein praktisch bewiesen hat.

Ich finde, auch im Bereich des Tourismus ist eine Neuregelung möglich. Obwohl ich ein strikter Verfechter des freien Sonntags bin - der übrigens auch verfassungsrechtlich so bestätigt worden ist -, halte ich im Tourismusbereich die Ausnahmeregelung für Sonntag für richtig, weil die Gäste - gerade außerhalb der Saison - am Sonntag ankommen und nicht an Werktagen. Das bedeutet, dass wir zu flexiblen Regelungen kommen. Die bisherigen Regelungen sind für mich absurd, denn ein Bäcker muss morgens zwei Stunden öffnen, darf aber nur Brötchen verkaufen und nichts anderes. Dann schließt er für eine Stunde, um danach wieder öffnen zu dürfen, um auch andere Waren zu verkaufen. Kein Kunde blickt durch, was das eigentlich soll.

Ich denke, wir haben durchaus einen Reformierungsbedarf. Die Abschaffung des Ladenschlusses löst keines der Probleme, die wir haben. Eine differenzierte Lösung, die auf die Probleme eingeht und mittlerweile von sehr vielen Organisationen gefordert wird, macht strukturpolitisch Sinn und ist wünschenswert.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

- Herr Kubicki, ich bitte auch die anderen Fraktionen des Landtags, nicht herumzubrüllen, sondern sich inhaltlich damit zu beschäftigen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Sozialausschuss wurde uns gerade der Kompromiss, den die Wirtschaftsstaatssekretäre auf Bundesratsebene beschlossen haben, vorgestellt. Ich kann mich daran erinnern, dass ziemlich viele genickt haben. Dieser Kompromiss sieht vor, dass die Öffnungszeiten montags bis freitags von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr und samstags von 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr möglich sein sollen. Schleswig-Holstein hatte sich zwar beim Beschluss enthalten, aber dies geschah eher aufgrund seinerzeit ausgebliebener Meinungsbildung innerhalb der Landesregierung als aufgrund von inhaltlichen Stellungnahmen.

Aus Sicht des SSW stellt dieser Kompromissvorschlag der Wirtschaftsstaatssekretäre eine Erweiterung der Öffnungszeiten dar, die noch verträglich ist. In anderen Wirtschaftszweigen sind die Arbeitszeiten schon wesentlich ausgeweiteter. Unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Bezug auf andere Arbeitnehmer ist eine maßvolle Erweiterung der Öffnungszeiten in Ordnung.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter Harms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Nein, ich denke an den Feierabend.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Allerdings muss genau überprüft werden, welche Auswirkungen die Liberalisierung auf kleinere Geschäfte hat, die nicht mit einem großen Personalpool agieren und so die Öffnungszeiten automatisch ausweiten können. Diese kleinen Geschäfte dürfen nicht verdrängt werden. Das wäre eine Entwicklung in die falsche Richtung.

Schon bei vorigen Debatten über die Ladenöffnungszeiten und über den langen Donnerstag hat der SSW deutlich gemacht, dass mit der Liberalisierung der

(Lars Harms)

Öffnungszeiten auch Untersuchungen über die Auswirkungen auf kleinere Geschäfte durchgeführt werden müssen. Unseres Wissens gibt es bisher keine allgemein gültigen Ergebnisse. Wenn man die Zitate aus den verschiedenen Gutachten der verschiedenen Parteien heute gehört hat, so scheint sich dies auch zu bestätigen. Solange solche Ergebnisse nicht diskutiert werden können, kann der SSW einer weitergehenden Liberalisierung der Öffnungszeiten als im Bundesratskompromiss vorgeschlagen nicht zustimmen.

Den Änderungsvorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der darauf abzielt, dass nur die Geschäfte in den Innenstädten und die so genannten TanteEmma-Läden in Stadt und Land länger aufhaben dürfen, sehen wir sehr skeptisch. Zum einen ist es schwer, eine Grenze zu ziehen, ab wann es sich um zu privilegierende Geschäfte handelt. Das zeigen nicht zuletzt auch Erfahrungen in Dänemark. Dort hat man genau das gleiche Problem gehabt und kam zu dem Schluss, alles wieder einzusammeln. Zum anderen erscheint dieser Vorschlag aber auch rechtlich bedenklich; denn auch bei der Liberalisierung von Ladenöffnungszeiten gilt es, den Gleichheitsgrundsatz für alle Wettbewerber einzuhalten.

Der SSW hält an der bisherigen Sonn- und Feiertagsregelung fest, denn dies ist im Einklang mit unseren christlichen Werten und mit unserer Tradition.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Man darf nicht alles dem Diktat der ökonomischen Zwänge unterwerfen. Wichtig ist gleichwohl, dass an der Bäderregelung festgehalten wird, da diese für touristische Zentren notwendig ist. Hierbei handelt es sich nur um eine Ausnahme auf Zeit, die auf die Sommermonate beschränkt bleiben soll. Letztendlich wichtig ist es aber, dass die Gewerkschaften darauf achten, wie in den Betrieben die neuen Öffnungszeiten umgesetzt werden. Keine Überstunden, sondern mehr Jobs - das muss die Zielrichtung sein. Dazu bedarf es kreativer Gewerkschaftsarbeit und die Gewerkschaften müssen sich in den Prozess rechtzeitig - und zwar jetzt - einbringen; denn ich glaube nicht, dass man diesen aufhalten kann.

Da die SPD noch nicht zu einer Entscheidung gelangt ist, stimmen wir einer Ausschussüberweisung zu. Vielen Dank. Schönen Feierabend!

(Beifall bei SPD, CDU und F.D.P.)

Für einen Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.

(Lars Harms [SSW]: Feierabendkiller!)

Nur damit es nicht so im Protokoll stehen bleibt:

Auf meine Frage im Sozialausschuss, warum sich Schleswig-Holstein als eines von zwei Ländern bei dem Kompromiss der Wirtschaftsstaatssekretäre enthalten habe, hat Sozialstaatssekretär Alt geantwortet, Schleswig-Holstein habe sich enthalten, weil Schleswig-Holstein keinen Kompromiss wolle, sondern weil Schleswig-Holstein für die Abschaffung des Ladenschlussgesetzes eintrete, und dies schon seit mehreren Jahren.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ich erteile Herrn Minister Dr. Rohwer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Moser ist erkrankt. Ich vertrete sie gern, zumal das Thema auch ein Anliegen des Wirtschaftsministers ist.

Frau Moser und ich sind gemeinsam der Auffassung: Das Ladenschlussgesetz muss liberalisiert werden.

(Beifall bei der CDU)

Bekanntlich gibt es dabei zwei kleine Probleme.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Die SPD- Fraktion und die Grünen-Fraktion! - Heiter- keit bei F.D.P. und CDU)

Das eine Problem ist, dass sich, wie bekannt, auf Bundesebene insbesondere die B-Länder nicht einig sind. Ich denke an Baden-Württemberg, an Bayern, an Thüringen, selbst an Rheinland-Pfalz, Herr Kubicki!

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Alles Katho- len!)

Unter all diesen Ländern gibt es keine Einigkeit über diese Frage.

Das zweite kleine Problem besteht darin, dass es nicht ausreicht, von einer Abschaffung des Ladenschlussgesetzes oder etwa der Öffnung bis 22:00 Uhr zu reden, sondern dass einige weitere Aspekte zu berücksichtigen sind.

Wir brauchen eine Lösung - davon ist die Regierung wirklich fest überzeugt -, die möglichst breit akzeptiert wird und mehrere Dinge gewährleisten muss: Sie muss natürlich für die Händler Flexibilität eröffnen, sie

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

muss Zeit und Souveränität für die Verbraucher gewährleisten, sie muss auch vertretbare tarifliche Regelungen für die Beschäftigten ermöglichen, sie muss weiteren Konzentrationstendenzen möglichst entgegenwirken, sie muss vermeiden, dass die Tendenz zur Auslagerung auf die grüne Wiese verstärkt wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie muss - darüber sind wir uns, glaube ich, auch einig; das wurde mir auch bestätigt - den Schutz der Sonn- und Feiertage sichern und sie muss - das ist kein Selbstgänger, meine Damen und Herren - die Bäderregelung auf Bundesebene durchsetzen.