Protokoll der Sitzung vom 22.01.2004

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Da spürt man ja: Hier macht sich jemand Gedanken. Nur, meine Damen und Herren von der Opposition, was macht es eigentlich für einen Sinn, sich mit solchen alternativen Berechnungen auseinander zu setzen, wenn wir spüren müssen, dass Sie gar keine Veränderung wollen!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)

Sie suchen nach Ausreden, weil Sie natürlich nicht Gefahr laufen wollen, hier das klare Bekenntnis zur totalen Ablehnung und damit zum totalen Stillstand der Verwaltungsmodernisierung ablegen zu müssen.

(Zurufe der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nun haben Sie sich ja etwas Neues einfallen lassen: die Steuervereinfachung. Dabei weiß natürlich niemand in Deutschland, was Sie eigentlich zur Steuervereinfachung beitragen wollen. Im Übrigen hat schon der erste Finanzminister Erzberger das Wort von der Steuervereinfachung geredet. Nur: der Merz macht Vorschläge, die CSU macht Vorschläge, Frau

(Günter Neugebauer)

Merkel sagt „lieber nicht“. Da können wir also lange warten.

(Zurufe von der CDU)

Aber eines muss doch allen klar sein: Steuervereinfachung macht doch die Steuerverwaltung nicht überflüssig. Wir schaffen nur Ressourcen in der Steuerverwaltung für mehr Gerechtigkeit zum Beispiel in der Steuerfahndung und in der steuerlichen Betriebsprüfung zu sorgen.

Nun will ich Ihnen, meine Damen und Herren, zwei Sätze nicht vorenthalten - hören Sie aufmerksam zu! -: Die Verwaltungsstrukturen in SchleswigHolstein sind radikal umzubauen und zu modernisieren. Bei der Verwaltungsmodernisierung darf es keine Tabubereiche geben. - Das könnte aus dem Wahlprogramm der SPD stammen, tut es aber nicht. Stammt aus dem Wahlprogramm unter der Überschrift „Wir schaffen das moderne Schleswig-Holstein“,

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

das Sie von der CDU am 22. November des letzten Jahres auch noch in meiner Heimatstadt Rendsburg beschlossen haben.

Nur, meine Damen und Herren, wenn Sie schon vor der Wahl alle Ihre Versprechungen einsammeln - wir haben es ja beim Weihnachtsgeld erlebt, wir haben das bei Ihrer Forderung nach kurzfristiger Streichung von 2.000 Planstellen erlebt, wir erleben es jetzt bei der Modernisierung der Verwaltung -, dann frage ich mich: Wie wird das erst nach der Wahl aussehen?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das war also - um bei Daniel Kübel oder wie er so ähnlich heißt, zu bleiben, ein Supertag der Opposition für den regionalen Populismus.

(Glocke des Präsidenten)

Beachten Sie bitte Ihre Redezeit.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ihre Forderung nach Aussetzung der Diskussion bedeutet den Verzicht auf die Strukturreform. Das sollten Sie dann aber auch so sagen. Es bedeutet keine Kosteneinsparung, sondern es bedeutet Stillstand. Es ist eine Dokumentation der Unfähigkeit Ihrer Oppositionspartei zum Regieren.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Restredezeit von 2:30 Minuten erteile ich für die Fraktion der FDP Herrn Abgeordneten Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Finanzminister hat vorhin den Kollegen Dr. Garg in einer Art und Weise angegriffen, die mir gefallen hat; denn auch mich nervt er gelegentlich mit seinen dauernden Erklärungen, er wisse alles besser und er habe Sachverstand. Ich habe ihm immer wieder gesagt: Heiner, hör damit auf, dauernd deine Sachkenntnis zu betonen. Du siehst an dem Finanzminister, dass es auch ohne geht.

(Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU)

Zu viel Sachkenntnis hemmt möglicherweise dynamisches Auftreten.

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Frau Birk, ich bin immer sehr froh, wenn ich im Schleswig-Holsteinischen Landtag sprechen darf, weil ich dann feststelle, auf welch hohem Niveau hier die Debatten geführt werden, die woanders sehr ernsthaft geführt werden, Herr Finanzminister, auch was die Steuervereinfachung angeht. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Vorschläge beziehungsweise auf die Vorschläge der Landesregierung von SchleswigHolstein und vor allem auf ihre Wirkungsweise innerhalb der sozialdemokratischen Partei und Fraktion auf Bundesebene. Darauf wird es bedeutend ankommen. Bisher sind alle Ihre Ankündigungen hier im Parlament, wie dynamisch Sie sich bei der SPD oder bundesweit durchsetzen werden, zerplatzt. Das haben wir Ihnen vorausgesagt.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wenn der Kollege Neugebauer hier unwidersprochen sagt - alle klatschen sich bei den Sozialdemokraten auch Mut zu -, Steuervereinfachung führe nicht zu weniger Steuerverwaltung, mache Steuerverwaltung nicht überflüssig, dann frage ich mich, warum Sie die Auffassung vertreten, dass mit der Abschaffung der Kfz-Steuer Verwaltungspersonal abgebaut werden kann.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

(Wolfgang Kubicki)

Wenn bestimmte Steuerarten, zu denen bisher veranlagt wird, gar nicht mehr erhoben werden, wenn wir deutlich vereinfachen, werden wir wahrscheinlich - jedenfalls ist das der Sinn der Veranstaltung - weniger Personal brauchen, weil die Bearbeitung der Vorgänge nicht mehr so zeitintensiv sein wird. Dass damit nicht alle überflüssig werden, ist selbstredend. Aber die Steuervereinfachung soll auch dazu führen, dass wir den Steuerverwaltungsapparat reduzieren können.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Das ist übrigens auch die Erkenntnis der Sozialdemokraten auf Bundesebene, Günter Neugebauer. Ich empfehle Ihnen nur einmal, das nachzulesen, was der vormalige Fraktionsvorsitzende der SPD, Peter Struck, jetzt Bundesverteidigungsminister, beispielsweise zu unseren Vorschlägen und denen der Union gesagt hat. Ich würde sagen, dann haben wir die richtige Ebene erreicht.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Rainer Wiegard [CDU])

Wir wollen nicht mehr und nicht weniger, als dass jetzt keine langfristigen Bindungsentscheidungen getroffen werden. Das heißt, es sollen jetzt keine Entscheidungen getroffen werden, die uns 30 Jahre binden. Alles andere kann, soll und muss auf den Weg gebracht werden; das würde ich als Regierungsfraktion jetzt auch tun. Aber sich in den folgenden drei Monaten für die nächsten 30 Jahre zu binden, ist ein Fehler, den wir dann nicht korrigieren können, wenn wir feststellen, dass wir bei einer großen Steuerreform möglicherweise ganz andere Strukturentscheidungen treffen müssen als die, die wir heute vorhaben. Deshalb bitten wir einfach nur darum, auf solche Maßnahmen zu verzichten, die uns für die nächsten 30 Jahre binden werden, und die Entscheidung darüber vielleicht um ein halbes oder dreiviertel Jahr zu verschieben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Damit ist auch die zusätzliche Restredezeit der FDP abgearbeitet. Jetzt können CDU, SPD und FDP nur noch Kurzbeiträge nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung leisten. Der Kollege Wiegard hatte sich vorhin schon gemeldet. Frau Abgeordnete Heinold von den Grünen hatte sich aber noch im Rahmen der ihrer Fraktion zur Verfügung stehenden Redezeit von fünf Minuten gemeldet. - Frau Abgeordnete Heinold, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Mindeste, was ich erwarte - das mögen Sie als schulmeisterlich bezeichnen -, ist, dass die Berichte, über die wir diskutieren, gelesen werden, Herr Garg. Da Sie hier heute davon gesprochen haben, wir würden beziehungsweise die Regierung würde etwas vom Zaun brechen und man möge doch bitte mit den Beschäftigten und den Leuten vor Ort sprechen, sage ich Ihnen: Schlagen Sie den Bericht auf. Gleich auf der ersten Seite im zweiten Absatz - so weit kann man bei etwas gutem Willen kommen - steht:

„Grundlage für das in einer Projektarbeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fachreferate, der Finanzämter und Vertretern des HPR vorbereitete Konzept ist ein Vorschlag der Strukturkommission vom 25. März 2003, in dem das Finanzministerium gebeten wurde … Im Verlauf der Projektarbeit wurden auch Gespräche vor Ort mit den Beschäftigten sowie den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der betroffenen Standorte geführt.“

(Zuruf von der CDU: Aber nicht in Schles- wig!)

Angesichts dessen können Sie sich nicht hier hinstellen und sagen, die Regierung hätte sich über Nacht irgendetwas ausgedacht, ohne irgendjemanden zu beteiligen. Das ist schlicht falsch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Im Rahmen der zusätzlichen Redezeit hat sich Frau Abgeordnete Spoorendonk gemeldet.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch drei Bemerkungen loswerden. Erstens. Ich finde es rührend, wie in dieser Runde über eine Steuerreform gesprochen wird. Wenn man sich die Geschichte der Bundesrepublik noch einmal vor Augen führt, dann stellt man fest, dass es sich dabei weiß Gott nicht um ein neues Thema handelt. Ich gehe jede Wette ein, dass auch eine Steuerreform, die zu einem einfacheren Steuersystem führen soll, mit sehr vielen Ausnahmetatbeständen versehen sein wird. Die Erfahrung zeigt, dass jede Diskussion so ausgeht. Das heißt, der Kollege Neugebauer hat natürlich Recht, wenn er sagt, dass wir auch nach Einführung eines

(Anke Spoorendonk)

einfacheren Steuersystems Finanzämter benötigen. Natürlich werden wir das.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Zweite Bemerkung. Wenn man sich vor Augen führt, mit welchem Tempo in unserer Gesellschaft - in großen Konzernen und überhaupt - heutzutage Veränderungen stattfinden, dann geht es nicht an, dass wir uns hier hinstellen und sagen: Wir warten erst einmal ab, bis wir irgendwann einmal eine gute, echte, richtige Steuerreform haben. Wir können doch nicht darauf warten, sondern wir müssen auf die Herausforderungen, die heute an uns gestellt werden, reagieren. Es nützt doch nichts.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Es ist unredlich, wenn wir sagen, dass wir eine Verwaltungsreform wollen - wir sagen das alle; wir sind uns im Einzelnen nicht immer einig, aber wir sagen alle, dass wir das wollen -, wenn wir hinterher sagen: Nein, warten wir erst einmal ab, bis dieses große Ereignis irgendwann einmal kommt. Dann machen wir reinen Tisch und entscheiden. - So geht es nicht.

Dritte Bemerkung. Ich finde, wir waren schon einmal weiter. Wir waren weiter, als wir festgestellt haben - ich habe das zumindest für den SSW getan -, dass es gut ist, dass wir uns im Finanzausschuss noch einmal mit den unterschiedlichen Kostenberechnungen befassen, dass wir das - davon gehe ich aus - ergebnisoffen tun, dass wir redlich miteinander umgehen und dann sagen: Auf dieser Grundlage muss eine Entscheidung getroffen werden. Keine Entscheidung wird für die Ewigkeit getroffen. Das wissen wir. Das hat mit der Geschwindigkeit der Veränderungen in unserer Gesellschaft zu tun. Natürlich müssen wir noch neu hinzu gekommene Fakten aufarbeiten. Das ist genau das, was die Kollegin Kähler vorgeschlagen hat und was ich zumindest für den SSW unterstützt habe. Also, lasst uns zusehen, dass wir weiterkommen.