Protokoll der Sitzung vom 28.09.2000

Gleichzeitig hält die Landesregierung jedoch das Gorleben-Moratorium - das ist die schönfärberische Umschreibung dafür, die Erkundung des Salzstockes in Gorleben für mindestens drei, aber höchstens zehn Jahre auszusetzen - für sachgerecht und notwendig. Die Begründung für das Moratorium ist allzu durchsichtig. Wenn schon in der jetzigen Legislaturperiode des Bundestages kein Kernkraftwerk abgeschaltet werden kann, dann soll wenigstens die Erkundung des Salzstocks in Gorleben ruhen. Das ist Politik im Vierjahresrhythmus. Das zeigt, dass der frühestmögliche Zeitpunkt, zu dem das Endlager in Betrieb genommen werden soll, beliebig verschoben wird, wenn es die Koalitionsarithmetik verlangt.

Die Sicherheitsanforderungen an ein Endlager für hochradioaktive Abfälle sind extrem hoch. Es wird erforderlich werden, wissenschaftliche Ergebnisse der Erkundung des Standorts politisch zu bewerten, das heißt also, festzustellen, ob ein Standort die hohen Sicherheitsanforderungen erfüllt oder nicht.

Der Beitrag des Kollegen Hentschel in der JuliTagung hat deutlich gemacht, dass die Grünen möglicherweise der Versuchung erliegen, jeden Standort

politisch als ungeeignet zu bewerten. Genau dies ist die Botschaft des Gorleben-Moratoriums.

Bemerkenswert ist die Aussage in der Antwort auf die Große Anfrage, dass der Salzstock in Gorleben mit anderen Standorten verglichen werden soll. Das hätten wir gern etwas konkreter, Kollege Hentschel. Es gibt zirka 200 Salzstöcke in Norddeutschland. Welchen weiteren wollen Sie untersuchen? Liegt er in Schleswig-Holstein? Liegt er in Niedersachsen? Sagen Sie uns konkret, was die Aussage bedeutet, der Standort Gorleben müsse mit anderen Standorten verglichen werden! Wollen Sie von einer Endlagerung in einem Salzstock Abstand nehmen, weil die Länder, die keine Salzstöcke zur Verfügung haben, andere Lösungen anstreben? Auch dazu keine Aussage! Wir wollen es wissen, denn wir sind der Meinung, dass die Endlagerung eine hochbrisante, sehr wichtige Frage ist, die gelöst werden muss und die nicht vor sich hergeschoben werden darf.

(Beifall bei der F.D.P.)

In der zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen getroffenen Vereinbarung ist festgelegt, dass die Energieversorgungsunternehmen so zügig wie möglich an den Standorten der Kernkraftwerke oder in deren Nähe Zwischenlager für abgebrannte Brennstäbe einrichten. Im Vorgriff auf diese Vereinbarung und in völligem Einklang mit ihr sind von den drei schleswig-holsteinischen Kernkraftwerken Zwischenlager beantragt worden. Energieminister Möller und die Grünen haben dies sofort scharf kritisiert. Ein Zwischenlager beim Kernkraftwerk Krümmel ist kategorisch abgelehnt worden.

Vor diesem Hintergrund, Herr Minister Möller, muss man den Antrag der Betreiber der zwei Kernkraftwerke verstehen, die Interimslager beantragt haben. Kein Wunder! Wenn sie sich im Einklang mit dem Energiekonsens verhalten, gleichwohl schärfste Kritik von dieser Landesregierung ernten, dann müssen sie einen solchen Weg gehen und Interimslager beantragen.

Die Landesregierung hat in der Beantwortung der Großen Anfrage ausgeführt, dass sie trotz dieser Vereinbarung nicht an allen Standorten Zwischenlager will. Dies bewerte ich als eine Rückzugsposition.

Zum Standort Krümmel wird in der Antwort auf die Große Anfrage überhaupt nichts gesagt. Haben Sie, Herr Minister Möller, Ihre Meinung geändert? Hatten Sie voreilig erst einmal etwas behauptet oder ist Ihnen vielleicht deutlich geworden, dass der Verzicht auf die beiden Zwischenlager in Krümmel CastorTransporte in Schleswig-Holstein - genauer gesagt im dicht besiedelten Großraum Hamburg - bedeuten würden? Ein Blick auf die Landkarte hätte Ihnen diese

(Dr. Christel Happach-Kasan)

Einsicht in die Geographie des südlichen SchleswigHolsteins sehr schnell vermitteln können und Irritationen vermieden, die Ihre Äußerungen hervorgerufen haben.

Man kann nicht die Minimierung von CastorTransporten verlangen, Kollege Hentschel, und sich gleichzeitig gegen ein Zwischenlager am Standort Krümmel aussprechen. Das ist Realität.

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU)

Wir fordern Sie auf, bei den hochbrisanten Themen Zwischenlager und Castor-Transporte zu einer rational nachvollziehbaren Politik zurückzufinden und sich nicht von einer emotionalen Äußerung in die nächste treiben zu lassen und damit letztlich Sicherheitsbedenken zu rechtfertigen. Dies ist nicht in Ordnung. Wir brauchen mehr rationale Entscheidungen in dieser Frage.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Abgeordneter Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ich für nicht unbedingt notwendig halte, ist, dass wir die Schlachten von gestern und vorgestern noch einmal schlagen. Wir sollten uns gemeinsam auf eine neue Situation einstellen und sehen, wie wir damit weiter umgehen. Wenn Sie es anders wollen, schlage ich vor, dass die CDU eine Unterschriftensammlung zum Wiedereinstieg in die Atomindustrie macht. Ich bin sehr gespannt, wie das Ergebnis ausfallen wird. Sie werden dann nach allen Umfragen sehr schlechte Karten haben, Herr Kerssenbrock.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Daher glaube ich auch nicht, dass sich die Frage wieder umkehrt. Selbst wenn Sie - was ich für relativ unwahrscheinlich halte - irgendwann einmal wieder in die Bundesregierung kommen sollten, glaube ich nicht, dass Sie diesen Weg wieder rückgängig machen werden, sondern dass Sie vielmehr versuchen werden, das, was wir in Berlin beschließen, in vernünftiger Weise fortzusetzen und umzusetzen.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Was die Horrorszenarien zur Energieversorgung anbelangt, so wissen wir doch alle - und das weiß jeder, der sich mit Energiepolitik beschäftigt, und ich hoffe, dass auch Sie als energiepolitischer Sprecher der CDU-Fraktion das tun -, dass wir in etwa doppelt so viel Kraftwerkskapazitäten in Deutschland haben, wie wir brauchen. Dass die Zukunft der Energieversorgung in Schleswig-Holstein in den regenerativen Energien liegt, haben mittlerweile wohl - wie ich glaube - bis auf Herrn Wadephul alle mitbekommen. Dies als Vorbemerkung!

Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass es auch bei den Zwischenlagern zu Gesamtkonzepten kommt und dass die Frage der Restlaufzeiten der AKWs, der Ausstieg, die Wiederaufarbeitung, die Minimierung der Atomtransporte und die Frage der Zwischenlager in einem Gesamtkonzept geregelt werden. Ich halte es für sinnvoll, dass man nicht einzelne Dinge herausgreift, sondern dass man das zusammen bewertet. Daher werde ich Ihnen heute auch nicht sagen, wo ich ein Zwischenlager haben möchte. Ich halte aber Zwischenlager für notwendig, weil ich mich der Verantwortung für die Entsorgung der Atomenergie und des radioaktiven Mülls stelle im Gegensatz zu denjenigen, die die Kernenergie hier in Schleswig-Holstein beschlossen und eingeführt haben und zu keinem Zeitpunkt wussten, wie die Entsorgung überhaupt funktionieren soll.

(Lars Harms [SSW]: Genauso ist es!)

Ich halte die Nutzung der Atomtechnologie weiterhin für eine der größten Fehlentscheidungen der Menschheit. Aber ich stelle mich - da sie nun einmal eingeführt ist - den Konsequenzen und der Frage, wie sie abgeschafft und entsorgt wird. Ich denke, dass wir Zwischenlager brauchen werden. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie jetzt ein Endlager in Schleswig-Holstein wollen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Standortsuche.

(Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]: Ich möchte von Ihnen konkrete Aussagen haben!)

- Erstens bin ich nicht Regierung, Frau HappachKasan, und zweitens bin ich nicht Geologe, sondern ich bin hier als politischer Vertreter und stelle meine Position zur Atomindustrie und zu der Frage, wie ich zu Zwischenlagern stehe, vor. Das habe ich deutlich gemacht.

Ich möchte noch etwas zu den Anmerkungen zum Atomkonsens und den Problemen meiner Partei sagen. Natürlich hätten wir uns gern einen schnelleren Ausstieg gewünscht. Das ist völlig unbestritten. Das geht aber nicht nur mir so, das geht dem Energieminister genauso. Da sind wir uns einig. Trotzdem bin ich

(Karl-Martin Hentschel)

sehr froh über das, was passiert ist. In Bezug auf Osteuropa und Tschechien und auch in Bezug auf die Türkei - da haben wir ja schon konkrete Ergebnisse erlebt - hat der Ausstieg in Deutschland erhebliche Auswirkungen. Ich habe mit verschiedenen ausländischen Gästen gesprochen, zum Beispiel aus Schweden, die uns sehr beglückwünscht haben und gesagt haben, dass sie einen Ausstieg mit 40 Jahren Restlaufzeit endlich hinkriegen und 1,5 Milliarden DM Entschädigung zahlen müssen, um ein Atomkraftwerk vom Netz zu bekommen. Sie wären froh, wenn sie das hätten, was wir haben. In Japan gibt es nach dem letzten Atomunfall in der Wiederaufbereitungsanlage heftige Diskussionen. Die wären auch froh, wenn sie so weit wären, wie wir hier in Deutschland sind. Ich glaube, dass die Diskussion in Osteuropa geprägt wird von dem, was hier passiert, und dass wir mit wesentlich besseren Argumenten gegen gefährliche Atomkraftwerke in Osteuropa argumentieren können, wenn wir selbst den Ausstieg betreiben, statt weiterzumachen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für den SSW hat Herr Abgeordneter Harms.

Die Große Anfrage der CDU hat wieder einmal deutlich gezeigt, welche enormen Schwierigkeiten und Gefahren mit der Atomenergie verbunden sind. Sie dürfte auch den letzten Zweiflern die Augen geöffnet haben, dass wir den Atomausstieg so schnell wie möglich durchführen müssen, da wir es hier mit einer Energieform zu tun haben, die ein sehr großes und vor allem unkontrollierbares Gefahrenpotential in sich birgt.

(Beifall des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Wir stehen vor dem Grundproblem der Entsorgung des strahlenden Abfalls. Vorfälle in den Wiederaufbereitungsanlagen Sellafield und La Hague haben deutlich gezeigt, dass diese Standorte nicht gerade für einen sorgsamen Umgang mit den Hinterlassenschaften von Atomkraftwerken bekannt sind. Abgesehen davon ist der SSW aber der Auffassung, das Deutschland selbst in der Verantwortung steht, den eigenen Müll vernünftig und sorgsam zu behandeln. Da stimme ich Herrn Abgeordneten Hentschel ausdrücklich zu. Die Frage einer Endlagerung von abgebrannten Brennelementen ist bisher jedoch nicht gelöst. Der derzeitige Erkenntnisstand ist leider unzureichend. Insofern ist der festgelegte Zeitraum von mindestens drei bis maximal zehn Jahren zur Klärung offener

Fragen über die Tauglichkeit der in Frage kommenden Stätten als Endlager durchaus richtig und vernünftig.

Die notwendigen genauen Untersuchungen zu Sicherheitsaspekten dieser Standorte zeigen deutlich, dass man in eine Technologie eingestiegen ist, die man auf Jahrzehnte - oder gar Jahrhunderte - hinaus nicht beherrscht. Meines Erachtens war es ein unverantwortlicher Weg, der seinerzeit mit der Atomenergie eingeschlagen wurde. Wir haben es hier mit politischen Altlasten der Sechziger- und Siebzigerjahre zu tun, die die heutigen und die nachfolgenden Generationen nun ausbaden müssen.

Grundsätzlich sollten nach meiner Meinung alle Standorte die Möglichkeit aufweisen können, ihren verstrahlten Abfall zu lagern. Nur so würden wir auch die gefährlichen Atomtransporte verhindern können. Die von der Landesregierung vorgeschlagene Lösung, Lagereinrichtungen zu schaffen, die Kapazitäten für die nächsten maximal 40 Jahre vorhalten, scheinen meines Erachtens vernünftig zu sein, da heute davon ausgegangen wird, dass überhaupt erst in frühestens 30 Jahren Endlagerkapazitäten für den Atommüll geschaffen sein werden. Das erklärte Ziel muss aber von vornherein die Auflösung der Zwischenlager und dann die Endlagerung sein.

Die Anträge für jetzige Zwischenlager beziehen sich jedoch auf 50 bis 70 Jahre. Das lässt den Verdacht aufkommen, dass nur Luft für einen zweiten späteren Atomkonsens geschaffen werden soll. Diese Planungen müssen aber genau und auf die Laufzeit unserer schleswig-holsteinischen Kernkraftwerke abgestimmt sein.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der für den Vorrang von Zwischenlagern an Standorten spricht, sind die Castor-Transporte. Es gilt künftig, die CastorTransporte zu verhindern, da hierfür ein unverhältnismäßig hoher Aufwand betrieben wird und das Gefährdungspotential beim Transport unverhältnismäßig hoch ist. Wir haben hier mit dem einen oder anderen Unfall zu rechnen. Dieser Unfall wird dann fatal sein. Schon allein aus diesem Grund müssen wir CastorTransporte verhindern.

Die Zwischenlagerung der Brennelemente stellt wahrscheinlich keine größere Gefahr als die Kernkraftwerke selber dar und wir wissen, dass das notwendige Knowhow zur Zwischenlagerung bei den Kernkraftwerken vorhanden ist. Das alleinige Argument für nur ein Lager wäre, dass durch ein größeres Lager eine höhere Sicherheit gegeben wäre, weil für mehrere Lager beispielsweise nicht genug adäquates Personal mit entsprechender Ausbildung vorhanden ist. Nur das wäre für mich ein Argument für die Zentralisierung.

(Lars Harms)

Im Bezug auf die Veröffentlichung von Daten der Castor-Transporte hat der SSW eine andere Haltung als die Landesregierung, vor allem aber auch eine andere Haltung als die lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Die Tatsache, dass - wie übrigens in der Antwort auf die Große Anfrage formuliert - ein exorbitant hohes Gefährdungspotential besteht, macht es notwendig, die Menschen vor Ort über solche Transporte zu informieren.

Die Antwort auf die Große Anfrage macht überdeutlich, dass die Gefahren der Kernenergie im Vergleich zu ihrem Nutzen unverhältnismäßig hoch sind. Deshalb muss in Schleswig-Holstein ein schneller Ausstieg oberste Priorität haben. Solange wir jedoch die Kernkraftwerke mitsamt ihrem verstrahlten Abfall haben, sieht der SSW die Notwendigkeit von Zwischenlagern. Dies dürfen jedoch nur Übergangslösungen sein. Daher gilt es, die Möglichkeiten zu nutzen und die Castor-Transporte auf das unbedingte Minimum zu beschränken. Hier fordern wir weiterhin, dass die Bevölkerung davon in Kenntnis gesetzt wird, wenn schon weiterhin solche Güter durchs Land rollen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich werde die Sitzung unterbrechen und die Beschlussfassung über die Überweisung unmittelbar zu Beginn der Nachmittagssitzung durchführen, da mir die Beschlussunfähigkeit zu offensichtlich ist. Die letzten drei Abgeordneten, die gegangen sind, haben wahrscheinlich geglaubt, Beschlüsse fassen sich selbst. Das ist natürlich nicht der Fall.

Ich wünsche eine gute Mittagspause. Wir sehen uns um 15 Uhr wieder.

(Unterbrechung: 13:16 bis 15:00 Uhr)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist 15:00 Uhr. Wir setzen die Beratungen fort.

(Martin Kayenburg [CDU]: Können Sie ein- mal die Beschlussfähigkeit feststellen?)

- Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die noch vor der Tür stehen, jetzt in den Plenarsaal einzutreten.