Protokoll der Sitzung vom 10.03.2004

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wenn sie mir gestatten, Herr Geißler, möchte ich Ihnen noch einen Tipp für Ihren weiteren Lebensweg geben: Je aufgeregter Ihre Tonlage wird, desto geringer ist Ihre Überzeugungskraft. - Diesen Tipp gebe ich Ihnen kostenlos mit.

Im letzten Jahr debattierten wir in erster Lesung über den vorliegenden CDU-Antrag. Inzwischen hatten wir nicht nur umfangreiche Ausschussberatungen und besuchten das Landeskriminalamt, sondern auch eine unvorhergesehen lebhafte Debatte über die Ausweitung der DNA-Analyse als erkennungsdienstliche Maßnahme.

Leider wird wie so oft auch in dieser öffentlichen Debatte die Frage nach der Ausweitung der DNAMaßnahme auf eine simple Ja/Nein-Frage reduziert. Sie umfasst jedoch verschiedenste Problemfelder und ist mit einem simplen „Das wollen wir“ oder „Das wollen wir nicht“ nicht zu lösen.

Der Begriff „DNA-Analyse“ beinhaltet unterschiedliche Maßnahmen: die Untersuchung von Tatortspuren, die Untersuchung von Vergleichsmaterial Verdächtiger und die Speicherung des Analyseergebnisses in Datenbanken. Alle Maßnahmen sind zwar unterschiedlich zu beurteilen, aber alle Maßnahmen sind von sensibler Art und deswegen auch entsprechend sensibel zu behandeln.

Die geltenden Vorschriften zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen sind unabhängig von der Frage nach der DNA-Analyse aus unserer Sicht unbefriedigend geregelt. Die Strafprozessordnung verlangt lediglich einen Anfangsverdacht ohne Qualifikation der Anlasstat. Eine Löschung der Daten ist nur bei

festgestellter Unschuld vorgesehen. Dies ist rechtsstaatlich nicht haltbar; wir möchten dies ändern.

Die Forschung in diesem Bereich entwickelt sich - auch unter wirtschaftlichem Druck - rasant weiter. Es muss also von vornherein der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die heutige Beurteilung der Eingriffsintensität in einigen Jahren aufgrund besserer gentechnischer Entschlüsselungsmöglichkeiten vermutlich überholt sein wird.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Trotz zunehmender Privatisierung bei der Durchführung der DNA-Analyse - das haben wir auch im Landeskriminalamt erfahren - ist die Frage einer institutionalisierten Qualitätskontrolle bisher rechtlich weitgehend ungeklärt. Ich habe zwar Vertrauen zu dem, was das Landeskriminalamt macht, aber das kann mich noch nicht dazu beflügeln, ein Gesetz zu veranlassen, das dann für einen längeren Zeitraum und unabhängig von der Präsenz der agierenden Personen gilt.

Der Antrag der CDU betrifft lediglich die Speicherung des DNA-Identitätsprofils. Dabei soll auf die Gefährlichkeitsprognose verzichtet werden. Dies ist nicht nur ein inhaltlich falscher Ansatz, sondern es ist auch ein Antrag, der die meisten Fragen zum Thema unbeantwortet lässt. Mein Kollege Puls hat das vorhin geradezu brillant dargestellt.

(Beifall bei der SPD)

Die DNA-Analyse ist ein hoch effizientes und sehr zuverlässiges Ermittlungsinstrument, das von hoher Bedeutung für die kriminalistische Arbeit ist und weiterhin sein wird. Allerdings stellt die DNAAnalyse in Verbindung mit der Speicherung der daraus gewonnenen Daten einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar. Ein solcher Eingriff benötigt zur Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gesetzlich ausformulierte Beschränkungen und eine der wichtigsten Beschränkungen ist die Gefährlichkeitsprognose.

Wir werden den vorliegenden Antrag daher ein zweites Mal ablehnen.

Die Sensibilität der in den Körperzellen gespeicherten Daten macht es weiterhin unbedingt erforderlich, den Vorgang gegen Fehler durch Qualitätsmängel in der Untersuchung und gegen missbräuchliche Ausweitung zu sichern. Eine wirksame einheitliche staatliche Qualitätskontrolle privatwirtschaftlich betriebener Labore muss daher eingeführt werden. Weiterhin müssen unabhängige Stellen, wie zum Beispiel die Datenschutzbeauftragten, Kontrollrechte zur Verhü

(Irene Fröhlich)

tung von Missbrauch, das heißt die Ausweitung der Analyse über das Identifizierungsmuster hinaus, erhalten.

Das sind unsere Mindestanforderungen an eine mögliche Gesetzesänderung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen haben es schon gesagt: In der Sache haben wir erhebliche Auseinandersetzungen nicht nur hier im Plenum, sondern später auch im Ausschuss gehabt. Wir haben eine umfangreiche Anhörung durchgeführt und wir haben uns auch direkt beim LKA über die Möglichkeiten der DNAAnalyse informieren lassen. Ich möchte mich beim Herrn Innenminister sowie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des LKA ausdrücklich für die reichhaltigen Informationen bedanken.

(Beifall)

Sie haben sich sehr viel Mühe gegeben, uns das alles nahe zu bringen. Einige Befürchtungen, die bei mir bei der ersten Diskussion des Antrages aufgetaucht waren, konnten im Rahmen der Erörterung des Antrages gerade auch beim LKA aus dem Wege geräumt werden. Das ist gut so, denn Vorurteile helfen uns gerade auch in dieser Sache nicht weiter.

In den letzen zehn Jahren hat sich auf dem Gebiet der DNA-Analyse viel getan. Dies hat einen Zuwachs an Aufklärungsmöglichkeiten innerhalb der kriminalistischen Fahndung mit sich gebracht. Es fragt sich jedoch weiterhin, was mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist. Dies darf auf keinen Fall verletzt werden.

Heute geht es jedoch um eine Änderung von § 81 g Abs. 1 Strafprozessordnung. Hier hat sich unsere Haltung zur Gesetzesänderung nicht geändert. Es ist im Rahmen der Erörterung im Ausschuss nicht klarer geworden. Gerade auch die einzelfallbezogene Gefährlichkeitsprognose muss erhalten bleiben. Hier habe ich nichts weiter gehört. Dem Argument des Kollegen Geißler, es handele sich bei der DNAAnalyse um eine erkennungsdienstliche Maßnahme ähnlich dem Fingerabdruck, können wir uns nach den Aussagen im Ausschuss nicht anschließen. Ein Fingerabdruck gibt nicht so viel potenziell missbrauchba

re Daten über eine Person ab wie die DNA-Analyse. Nicht, dass das gemacht wird, aber - wie gesagt - es gibt die Möglichkeit.

(Unruhe)

Grundsätzlich sind die Entwicklung und der Fortschritt auf dem Gebiet der DNA-Analyse weiter zu verfolgen und das hat uns bezüglich des vorliegenden Antrages zu folgender Abwägung geführt.

Vor dem Hintergrund der verschiedenen Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen in diesem Bereich sehen wir zurzeit keinen Änderungsbedarf bei der einzelfallbezogenen Prognose. Sie hat sich bis auf weiteres in ihrer jetzigen Form bewährt. Außerdem darf das Instrument der DNA-Analyse nicht banalisiert und als Folge dessen leichtfertig angewandt werden. Nur weil etwas machbar ist, heißt es noch lange nicht, dass es so richtig ist.

Wir vom SSW schließen uns daher der Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses an.

Abschließend möchte ich noch - die Diskussion zur DNA-Analyse im Ausschuss war sehr gut - aus der Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten sinngemäß zitieren, der nach meiner Ansicht unsere Haltung sehr gut wiedergibt: Allerdings sollten die Ausführungen nicht als ein Plädoyer für die Zementierung der bestehenden Bestimmungen der DNAAnalyse verstanden werden. Die dynamische Entwicklung werde in den kommenden Jahren stets aufs Neue dazu zwingen, über die Grenzen ihres Einsatzes nachzudenken. - Genau dies werden wir zukünftig tun und es weiter mit verfolgen.

(Beifall bei SSW, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Ministerin Lütkes das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf hier als Justizministerin zu Fragen der Strafprozessordnung Stellung nehmen. Ich möchte darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht oft weise ist und sehr weise Vorgaben für die Anwendung der Strafprozessordnung formuliert hat. Mit der Erforderlichkeit der Gefahrenprognose in § 81 g Strafprozessordnung hat der Gesetzgeber der Grundrechtsrelevanz dieser Vorschrift Rechnung getragen. Eine DNA-Analyse offenbart sensible Daten mit persönlichkeitsrechtlicher Relevanz. Sie können als fälschungssichere Personenkennzeichen angesehen wer

(Ministerin Anne Lütkes)

den. Die Entnahme und Untersuchung von Körperzellen zur Erstellung und Speicherung eines genetischen Fingerabdrucks stellt einen nachhaltigen Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung der Betroffenen dar. Daher hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom Dezember 2000 und 2001 bei der DNA-Analyse im Strafverfahren klare Grenzen gesetzt. Es hat den hohen verfassungsrechtlichen Wert dieser Selbstbestimmung betont.

In der abstrakten Eignung für viel tiefer gehende Erkenntnisse liegt unabhängig von der gesetzlichen Einschränkung ein hohes abstraktes Gefährdungspotenzial für die Grundrechte.

Mit ihrem Antrag begehrt die CDU im Gegensatz zur geltenden Rechtslage den vollständigen Verzicht auf die Prüfung einer von der zu erfassenden Person ausgehenden Gefahr einer künftigen Straftat und überschreitet damit die von der Verfassung gesetzten Schranken bei grundrechtsrelevanten Eingriffen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW - Widerspruch bei der CDU)

Selbst bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen, also dem Erfassen von Fingerabdrücken und Fotos, muss vonseiten der Polizei eine Gefährlichkeitsprognose erstellt werden, wenngleich auf viel niedrigerer Ebene; vergleichen Sie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts! Bei einer rechtsstaatlichen Verfolgung verbietet es sich - wenn ich es einmal salopp formulieren darf -, Daten massenhaft zu erfassen.

Richtig ist, dass wir zum Schutz der Bevölkerung vor schwerwiegenden Straftaten und insbesondere vor Sexualstraftaten die Möglichkeiten der DNA-Analyse nutzen müssen, dass wir dieses Instrument, das ein Handwerkszeug ist, natürlich einsetzen müssen. Unsere Verfassung gebietet jedoch, dass sich alle Eingriffe, insbesondere solche, die zur Prävention vorgenommen werden - dazu zählen auch die, die zur Aufklärung möglicherweise in der Zukunft geschehender Straftaten angeordnet werden -, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen haben. Ein solcher grundrechtsrelevanter Eingriff darf nicht weiter gehen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Das heißt, dass der Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärkung des bestehenden Tatverdachtes stehen darf.

Dies wäre bei Wegfall der Gefährlichkeitsprognose in § 81 g Strafprozessordnung dann der Fall, wenn vom Beschuldigten keine weiteren erheblichen Straftaten zu erwarten sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 15. März 2001 gerade die Bedeutung der Gefahrenprognose in § 81 g StPO in

der Weise hervorgehoben, dass es bei jedem Eingriff nach dieser Vorschrift eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung verlangt, die auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbaren und dokumentierten Tatsachen beruht und die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung belegt. Eine völlig anlass- und insbesondere verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Datenmaterial würde die an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen jedenfalls nicht erfüllen.

Meine Damen und Herren, angesichts der Sensibilität des Themas muss die Diskussion mit Augenmaß und unter Beachtung der Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geführt werden. Die Nutzung des genetischen Fingerabdrucks ist unter Beachtung der strengen rechtsstaatlichen und verfassungsmäßigen Grundsätze zur Aufklärung schwerer Straftaten heute im Interesse einer effektiven Strafverfolgung unverzichtbar. Staatliche Eingriffe in Rechte von Bürgerinnen und Bürgern bedürfen der Rechtfertigung im Einzelfall und unterliegen der demokratischen und rechtlichen Kontrolle. Jeder Mensch - das muss man immer wieder betonen - hat das Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Eine Beschleunigung und Entbürokratisierung des Verfahrens darf nicht zulasten der Rechtsstaatlichkeit gehen.

Insofern haben die Justizministerinnen und Justizminister bereits im Herbst vergangenen Jahres eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit einer Möglichkeit der Ausweitung der DNA-Analyse bei der Verbrechensbekämpfung beschäftigt, aber gerade unter Wahrung der rechtsstaatlichen Anforderungen in diesem Kontext prüft, welche anderen auch im Ermittlungsverfahren rechtsstaatlich wirklich verfolgbaren Möglichkeiten es gibt.

Die Arbeitsgruppe wird ihr Ergebnis im Sommer 2004 vorstellen, wahrscheinlich parallel und abgesprochen mit der von meinem Kollegen, dem Innenminister von Schleswig-Holstein, eingesetzten Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz. Wir werden parallel prüfen und dann zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen; davon gehe ich aus.

Aber auch bei dieser dann vorzustellenden Entscheidung wird die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff nicht unbeachtet bleiben dürfen. Ich muss darauf hinweisen; Sie haben es eben auch schon getan: Das Bundesverfassungsgericht hat gerade in dieser Entscheidung erneut deutliche Erfordernisse der richterlichen Entscheidungen im Ermittlungsverfahren genannt, sowohl hinsichtlich des Inhalts, insbesondere aber

(Ministerin Anne Lütkes)

auch hinsichtlich der schriftlichen Begründung der gerichtlichen Entscheidungen. Insofern müssen wir, wenn wir reformieren, das gesamte Ermittlungsverfahren im Blick haben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich möchte davor warnen, aus populistischen Erwägungen heraus schnell rechtsstaatliche Sicherungen abzubauen.