Protokoll der Sitzung vom 11.03.2004

Wir haben ihm schon drei geschrieben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er traut sich nicht!)

- Wahrscheinlich.

Das Bundesumweltministerium hat daher im Jahr 2001 die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mit einer Studie zu den Auswirkungen terroristischer Flugzeugangriffe auf deutsche Atomkraftwerke beauftragt und diese den Ländern am 30. Januar 2003 vorgelegt. Die Reaktorsicherheitsbehörde Schleswig-Holstein hat dem BMU nach Auswertung wiederholt ihre Auffassung mitgeteilt, dass diese Studie überarbeitungs- und ergänzungsbedürftig ist und nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage herangezogen werden kann. Das ist wohl angekommen, hat aber noch keine Auswirkungen nach sich gezogen.

Es ist auch, wie bereits im Jahr 2003 von uns angemahnt, erforderlich, dass der Bundesumweltminister bundeseinheitliche Festlegungen hinsichtlich der erforderlichen Schutzstandards trifft, darüber hinausgehende Konkretisierungen vornimmt und gegebenenfalls das kerntechnische Regelwerk ergänzt. Denn all dies ist auf den konkreten Katastrophenfall in keiner Weise ausgerichtet gewesen. Dies ist seine originäre Aufgabe, der der Bundesumweltminister bis heute nicht nachgekommen ist, wenn ich das einmal so unter Familien sagen darf. Das Wort „Familie“ zu verwenden, ist vielleicht ein bisschen geprahlt; ich will hier nicht übertreiben.

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Familien kann man sich auch nicht aussuchen! - Holger Astrup [SPD]: So gese- hen sind wir doch eine Familie!)

- Das stimmt. - Er ist dieser Aufgabe bisher also nicht nachgekommen. Wir streben aber an, ihn zu drängen, dieser Aufgabe nachzukommen.

Ich habe am 23. Februar einen Brief geschrieben und ihn darin nochmals nachhaltig daran erinnert, dass auch die Überarbeitung der seit geraumer Zeit in der Öffentlichkeit diskutierten GRS-Studie notwendig ist. Die Antwort, die ich bekommen habe, besagt,

dass auch der Bundesumweltminister das so sieht, sie sagt aber nicht aus, wann er die Konsequenzen daraus ziehen will.

Auch die Weiterverfolgung einer von der schleswigholsteinischen Reaktorsicherheitsbehörde bereits im Januar 2002 für das Kernkraftwerk Brunsbüttel durchgeführten ersten qualitativen Schwachstellenanalyse im Hinblick auf einen gezielten Flugzeugabsturz ist ohne entsprechende Festlegung durch den Bund nicht zielführend. Da liegt unser Problem in der Beziehung zwischen Ländern und Bund, dass wir uns sozusagen gegenseitig blockieren können, wenn wir nicht aufpassen, das zu unterlassen.

Gerade weil das Schutzniveau der deutschen Kernkraftwerke unterschiedlich ist, begrüße ich den aktuell diskutierten Vorschlag des Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, Herrn König, der vorgeschlagen hat, ältere Anlagen, wie eben auch das Kernkraftwerk Krümmel, vom Netz zu nehmen - -

(Zuruf: Brunsbüttel!)

- Was habe ich gesagt?

(Zuruf: Krümmel!)

- Brunsbüttel. Ich habe „Krümmel“ gesagt? - Brunsbüttel ist gemeint. Entschuldigung. Sie alle sind aber so belesen, dass Sie das sofort wussten.

Er vertritt also die Auffassung, das wir sie vom Netz nehmen und die Stromerzeugung auf jüngere Anlagen übertragen sollten. Wir haben im Oktober 2001 schon auf diese Möglichkeit hingewiesen.

Der Atomkonsens und die ihn umsetzende Atomgesetznovelle 2002 bieten einen entsprechenden Rahmen. Ich habe in dem Schreiben, das ich eben genannt habe, den Bundesumweltminister gebeten, umgehend entsprechende Gespräche mit den Stromkonzernen zu führen.

Wir sind weiter der Meinung, dass der Gesetzgeber gefordert ist, eine neue Risikobewertung dergestalt vorzunehmen, dass die Laufzeiten älterer Anlagen entgegen der im Rahmen der seinerzeit in der Atomnovelle 2002 getroffenen Festlegung deutlich verkürzt werden muss.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wegen der weiteren Einzelheiten zu all diesen Gesichtspunkten muss ich Sie leider auf den schriftlichen Bericht verweisen. Dazu reichen fünf Minuten beileibe nicht aus.

Lassen Sie mich zusammenfassend nochmals mit allem Nachdruck betonen, dass die Betreiber von

(Ministerin Heide Moser)

Kernkraftwerken ebenso wie der Staat gefordert sind, den neu erkannten Bedrohungen wirksam zu begegnen. Das ist keine Sache, die man einem zuschieben kann, sondern es sind alle Beteiligten gefordert und es geht um ein Gesamtkonzept, in dem anlagentechnische Maßnahmen ebenso eine Rolle spielen wie etwa staatliche Maßnahmen zur Verbesserung der Luftverkehrssicherheit.

Meine Damen und Herren, in diesem Sinne hoffe ich, dass ich Recht behalte, wenn ich gesagt habe, die Äußerungen von Herrn König haben Bewegung in diese Sache gebracht, und dass wir uns an dieser Stelle wirklich bewegen und ein Stück vorankommen werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Joachim Behm [FDP])

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst bin ich der Ministerin für den Bericht außerordentlich dankbar, weil er eine Klarstellung enthalten hat, auf die ich noch eingehen werde.

Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, hat gefordert, fünf Kernkraftwerke abzuschalten, weil sie nicht genügend gegen Terrorangriffe gesichert seien - unter anderem Brunsbüttel. Er bezog sich dabei auf eine Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Das stand am 21. Februar in der „Berliner Zeitung“. Bis jetzt hat uns das Bundesamt für Strahlenschutz noch nicht bestätigt, dass es dies auch direkt von den Betreibern gefordert hat. Verwaltungshandeln per Zeitungsartikel ist für mich kein angemessenes Verwaltungshandeln, Frau Ministerin.

(Beifall bei der FDP)

Am 11. September 2001 haben Terroristen das erste Mal Passagierflugzeuge als Explosivgeschosse eingesetzt. Aus der Verantwortung für den Schutz des Lebens stellen sich für die Gefahrenabwehr jetzt zwei einfache Fragen: Sind unsere Kernkraftwerke genügend gegen gezielte Anschläge mit Passagierflugzeugen gesichert?

(Konrad Nabel [SPD]: Nein!)

Besteht die konkrete Gefahr, dass unsere Kernkraftwerke so angegriffen werden?

Wenn eine Reaktoraufsichtsbehörde für ein bestimmtes Kernkraftwerk die erste Frage verneint und die zweite bejaht, muss sie das Kernkraftwerk sofort abschalten lassen.

Wie beantwortet die Landesregierung diese beiden Fragen in ihrem Bericht für unsere beiden Kraftwerke? - Sie verneint die zweite Frage: Keine konkrete Gefahr für schleswig-holsteinische Kernkraftwerke. Sie will die erste Frage nicht beantworten: Die bisherigen Untersuchungen reichen ihr noch nicht. Folglich besteht derzeit kein Anlass, ein Kernkraftwerk in Schleswig-Holstein sofort abzuschalten - auch nicht Brunsbüttel.

Das Risiko, dass eines unserer Kernkraftwerke mit einem Passagierflugzeug angegriffen werden könnte, ist nach dem 11. September 2001 offensichtlich gewachsen. Selbstverständlich müssen wir auch diese abstrakte Gefahr berücksichtigen. Dafür brauchen wir nach Ansicht der Landesregierung aber mehr Informationen. Sie sagt auch: Entscheiden soll die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat noch nicht entschieden. Der 11. September 2001 liegt zweieinhalb Jahre zurück. Scheinbar ist die abstrakte Gefahr terroristischer Anschläge mit Passagierflugzeugen nicht so groß, dass sich Rot-Grün in Berlin - und Sie regieren in Berlin, Herr Nabel - zu schnellem Handeln genötigt sieht.

Unsere rot-grüne Landesregierung wälzt die Verantwortung für weitere Entscheidungen auf die Bundesregierung ab. Das heißt nichts anderes, als dass sich die Landesregierung derzeit auch nicht zu schnellem Handeln genötigt sieht.

SPD, Grüne und SSW stellen nun fest, dass es unablässig sei, Brunsbüttel vorzeitig abzuschalten. Was heißt „vorzeitig“? - Sofort kann nicht gemeint sein, sonst hätten Sie ja genau dies in die Begründung Ihres Antrages geschrieben. Der Wirtschaftsminister hat uns vorhin berichtet, dass Brunsbüttel 2009 abgeschaltet werden soll, erheblich früher als die meisten anderen Kernkraftwerke. Ist Ihnen das jetzt vorzeitig genug?

(Konrad Nabel [SPD]: Nein!)

Warum ist es unablässig? - Anscheinend wegen der abstrakten Gefahr. Diese abstrakte Gefahr besteht allerdings auch für andere Großanlagen, Kollege Nabel, zum Beispiel für Anlagen der Chemischen Industrie in Brunsbüttel. Die müssten dann wegen der abstrakten Gefahr auch vorzeitig abgeschaltet werden.

(Beifall bei der FDP)

Oder dürfen wir jetzt wegen der abstrakten Gefahr in Fußballstadien wie der AOL-Arena, in die ja auch

(Wolfgang Kubicki)

Passagierflugzeuge hineinfliegen können mit großer Auswirkung, auch keine Fußballveranstaltungen mehr organisieren? - Auch eine Form der abstrakten Gefahr, die möglicherweise dazu nötigt, dass die Veranstalter auf solche Sachen künftig verzichten.

(Konrad Nabel [SPD]: Unzulässiger Ver- gleich!)

Jetzt wissen wir auch - so sage ich Ihnen einmal -, warum die Grünen großherzig auf das FFH Gebiet bei Brunsbüttel verzichten konnten: Wo keine Wirtschaft mehr ist, braucht man sie auch nicht zu vertreiben.

Herr Kollege Nabel, Sie sagen „unzulässiger Vergleich“! Was ist an dem Vergleich unzulässig? Die terroristische Gefahr, dass man das Passagierflugzeug benutzt, um damit Menschen zu töten, um damit ein Fanal zu setzen, die konkretisiert sich überall dort, wo Menschen davon betroffen werden könnten.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die konkretisiert sich auch dort, wo Massenveranstaltungen stattfinden. Wir haben die Diskussion beispielsweise bei den Olympischen Spielen in Athen, wir haben sie bei Großveranstaltungen wie der Fußballweltmeisterschaft. Dafür sitzen die Innenminister ja zusammen, um diese abstrakte Gefahr möglichst weit abstrakt werden und nicht konkret werden zu lassen. Aber sie ist trotzdem vorhanden, ohne dass bei uns jemand auf die Idee käme zu sagen, wir organisieren solche Veranstaltungen nicht mehr.

Was ist mit den Transporten hochgefährlicher Stoffe? Auch hier gibt es abstrakte Gefahren. Vielleicht nicht so sehr den Anschlag mit einem Passagierflugzeug, aber logistisch gibt es viel einfachere und leider trotzdem viel wirkungsvollere Möglichkeiten, beispielsweise beim Transport von Gefahrgut durch den Nord-Ostsee-Kanal mit massiven Auswirkungen, wie wir bereits aus Diskussionen im Innen- und Rechtsausschuss wissen.

Müssten diese Transporte Ihrer Ansicht nach auch sofort eingestellt werden? - Wohl kaum.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bleibt von alledem? Rot-Grün kann sich zweieinhalb Jahre nach dem 11. September noch nicht zum Handeln entschließen - weder in Berlin noch in Kiel. Anscheinend ist die Gefahr nicht so groß, denn sonst müssten Sie handeln. Jetzt versucht Rot-Grün, die Menschen zu verängstigen, um rot-grüne energiepolitische Überzeugungen