Protokoll der Sitzung vom 11.03.2004

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bleibt von alledem? Rot-Grün kann sich zweieinhalb Jahre nach dem 11. September noch nicht zum Handeln entschließen - weder in Berlin noch in Kiel. Anscheinend ist die Gefahr nicht so groß, denn sonst müssten Sie handeln. Jetzt versucht Rot-Grün, die Menschen zu verängstigen, um rot-grüne energiepolitische Überzeugungen

(Beifall bei FDP und CDU)

unter dem Mantel des 11. September 2001 zu fördern. Mit verantwortungsvoller Gefahrenabwehr, Herr

Matthiessen, hat das überhaupt nichts zu tun. Das ist nichts anderes als ein untauglicher Versuch, Ihre Energiepolitik umzusetzen.

(Beifall bei FDP und CDU - Zuruf des Ab- geordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Malerius das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das grundgesetzlich zu gewährleistende Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verpflichtet die staatlichen Organe, die Bevölkerung vor den Gefahren der Atomenergie zu schützen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was hindert Sie daran?)

Im Unterschied zu anderen Gefahrenquellen hat der Einzelne bei der Atomenergienutzung keine Möglichkeit, sich der Gefahrenquelle zu entziehen.

(Konrad Nabel [SPD]: So ist es!)

Deshalb sind solche Gefahren aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend zu unterbinden. Der verfassungsrechtlich bestimmte Schutzzweck des Atomgesetzes gebietet also Sicherheitsmaßstäbe, die angesichts des Gefahrenpotenzials konsequent und anlagenbezogen anzuwenden sind.

Meine Damen und Herren, die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben weltweit zu einer neuen Sensibilität in Sicherheitsfragen geführt. Dies betrifft auch die Sicherheit von Atomanlagen bei bisher eigentlich nicht mehr für möglich gehaltenen Angriffen mit Passagierflugzeugen. Auch wenn damals und aus heutiger Sicht der Landesregierung keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von einer konkreten, unmittelbar bevorstehenden terroristischen Bedrohung der im Lande betriebenen Kernkraftwerke ausgegangen werden muss, ist es unser aller Aufgabe, das abstrakte Risiko, das als solches am 11. September 2001 erkannt worden ist, in den Blick zu nehmen.

Um das tatsächliche Ausmaß einer eventuellen Gefährdung durch das neue Szenario präzise und vollständiger bewerten zu können, verlangte die Landesregierung bereits am 12. September 2001 von den Betreibern der schleswig-holsteinischen Kernkraft

(Wilhelm-Karl Malerius)

werke eine Berichterstattung zum Schutz ihrer Anlagen gegen einen vorsätzlichen Flugzeugabsturz.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Die ersten Analysen der Betreiber zeigten, dass die mit unterschiedlichen sicherheitstechnischen Auslegungsmerkmalen genehmigten schleswig-holsteinischen Kernkraftwerke einen unterschiedlichen Schutzstandard aufweisen. Bei den Kernkraftwerken Krümmel und Brokdorf ist zu erwarten, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Freisetzung von Radioaktivität aufgrund eines Flugzeugabsturzes sehr niedrig ist. Das Kernkraftwerk Brunsbüttel weist aufgrund des früheren Errichtungszeitpunktes einen solchen Schutzstand nicht auf.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Meine Damen und Herren, die schleswigholsteinische Reaktorsicherheitsbehörde hat in Abstimmung mit dem Bund unverzüglich im September 2001 zusätzliche Sicherungsmaßnahmen zur Verbesserung des Schutzes gegen terroristische Angriffe bei den ihrer Aufsicht unterstehenden kerntechnischen Anlagen veranlasst.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kolb?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, Frau Kolb. Das können wir heute Abend machen.

(Heiterkeit)

Zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Luftverkehrssicherheit sind seither erfolgt. Die Frage, welches terroristische Bedrohungsszenario und welche Belastungen zukünftig zu unterstellen sind, muss bundeseinheitlich entschieden werden. Es ist erforderlich, dass durch den Bund bundeseinheitliche Festlegungen hinsichtlich der erforderlichen Schutzstandards und darüber hinaus gehende Konkretisierungen erfolgen.

(Werner Kalinka [CDU]: Wer regiert denn in Berlin?)

Dies ist eine originäre Aufgabe des Bundes.

(Werner Kalinka [CDU]: Wer regiert denn da?)

Es ist Aufgabe des Bundes, die den Ländern im Jahre 2003 übergebene so genannte GRS-Studie zu ergänzen und zu überarbeiten, da sie in der vorliegenden Form von den Landesbehörden nicht umgesetzt werden kann.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist ja un- glaublich!)

Es ist Aufgabe des Bundesgesetzgebers, sich dieser Problematik anzunehmen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Auch wir sind nicht immer mit der Bundesregierung einverstanden, Herr Kubicki.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Das ist dann eben so. Hier haben wir unterschiedliche Meinungen. Das ist nun einmal so.

Meine Damen und Herren, es geht hier heute nicht darum, irgendwelche Ängste in der Bevölkerung zu schüren, es geht nicht um Panikmache, sondern um eine Neubewertung der Sicherheit von großtechnischen Anlagen allgemein und Atomwerken im Speziellen. Es geht um das unterschiedliche Schutzniveau der schleswig-holsteinischen, der deutschen Kernkraftwerke. Die SPD-Landtagsfraktion unterstützt den Vorschlag des Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, ältere Anlagen wie auch das Kernkraftwerk Brunsbüttel vom Netz zu nehmen und deren Strommengen auf Anlagen mit einem höheren Sicherheitsstatus zu übertragen.

(Beifall bei der SPD)

Hierfür bieten der Atomkonsens sowie die Atomgesetznovelle einen gangbaren Weg.

(Zuruf von der CDU: Warum tun Sie dann nichts?)

Entsprechende Gespräche muss die Bundesregierung mit den Stromkonzernen führen.

Verantwortliches Handeln ist in dieser Situation von allen Beteiligten gefordert, von den Betreibern der Kernkraftwerke und vom Staat. Es geht um die Verbesserung der Luftverkehrssicherheit, es geht um anlagentechnische Maßnahmen.

Die Atomenergie ist nicht nur eine riskante Technologie einschließlich der ungesicherten Entsorgung des Nuklearmülls, sie ist auch eine Auslauftechnologie, die gegen den Widerstand der Bevölkerung nicht durchgesetzt werden kann.

(Beifall bei der SPD)

(Wilhelm-Karl Malerius)

Das Ende der Atomenergie ist eine Richtungsentscheidung, die notwendig ist, um die Dynamik für die Neuregelung der Energieversorgung in Gang zu setzen. Wir bitten um alternative Abstimmung.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile das Wort dem Herrn Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Kayenburg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal will ich mich bei Frau Moser für die wirklich nachdenkenswerten Worte bedanken. Ich glaube, da war vieles drin, was wir sicher sachgerecht miteinander diskutieren müssen.

(Beifall bei der CDU)

Allerdings, Frau Moser, teile ich nicht Ihre Auffassung zu Herrn König - darauf werde ich im Einzelnen noch kommen -, und finde auch, dass der Bericht durchaus Probleme offen lässt. Ich will daran erinnern, dass wir uns bereits im Oktober 2001, wenige Wochen nach den schrecklichen Terrorangriffen in New York, hier im Landtag theoretisch mit der Sicherheit der hiesigen Kernkraftwerke unter dem Aspekt eines terroristischen Angriffs befasst haben. Wenn wir hier, wie auch die Bundesregierung, die Probleme deutlich gemacht haben, dann finde ich es schon sehr merkwürdig, dass Sie, Herr Malerius, hier sagen, die Bundesregierung habe bewusst und sehenden Auges in Kauf genommen, dass hier ein Risiko für Leib und Leben für die gerade in Ihrem Wahlkreis lebenden Bürger besteht. Ich denke, das sollten wir dann auch deutlich machen.

Damals hat - das will ich auch noch einmal betonen - Minister Claus Möller als Energieminister gesagt, der Schutzzustand der deutschen Kernkraftwerke bei terroristischen Angriffen „ist gegenwärtig nicht geklärt, weitere Untersuchungen sind erforderlich“. Wenn das so richtig ist, dann frage ich: Was wurde in den vergangenen zweieinhalb Jahren getan? Was hat die Regierung konkret unternommen,

(Beifall bei CDU und FDP)