Protokoll der Sitzung vom 30.04.2004

Eine Rechtsaufsicht ist eben nicht eine Fachaufsicht und hat somit viel begrenztere Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Versicherungsträger; denn erst nachdem der Versicherungsträger innerhalb einer Frist den Aufforderungen der Rechtsaufsicht nicht nachgekommen ist, kann er zur Behebung der Rechtsverletzung gezwungen werden. Die Rechtsaufsicht hat also nicht die gleichen direkten Mitwirkungsrechte gegenüber dem Versicherungsträger, wie es beispielsweise eine Fachaufsicht hat.

Hinzu kommt, dass die Rechtsaufsicht nicht dazu befugt ist, eine Prüfung der Geschäfts-, Rechnungs- und Betriebsführung der Krankenkasse durchzuführen, die sich auf den gesamten Geschäftsbetrieb erstreckt. Sie soll punktuelle und präventive Prüfungen vornehmen. Nur bei wirklich konkreten Anhaltspunkten kann eine umfassende Prüfung, wie jetzt geschehen, seitens der Rechtsaufsicht gefordert werden. Das mag man in diesem konkreten Fall kritisieren. Allerdings muss man dann das gesamte System der Selbstverwaltung in den Sozialversicherungssystemen ändern. Aber man kann nicht das Sozialministerium für jedes einzelne der Versäumnisse in der AOK Schleswig-Holstein verantwortlich machen. Wir tun das jedenfalls nicht.

Wir lehnen den Antrag der CDU also ab. Wir sind aber gerne bereit, uns die konkreten Fragen, die Herr Kalinka in seinem Antrag zum Verlauf der Vorfälle bei der AOK gestellt hat, in einer öffentlichen oder nicht öffentlichen Sitzung des Sozialausschusses vom Sozialministerium beantworten zu lassen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wird also Ausschussüberweisung beantragt. - Ich erteile Herrn Minister Dr. Stegner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Die Bewertung der Vorgänge bei der AOK stehen hier heute nicht neu zur Debatte. Die Urteile darüber sind - wenn ich das richtig sehe - einvernehmlich hier in diesem Hause getroffen worden. Selbstverwaltung darf nicht Selbstbedienung sein. Da sind wir uns völlig einig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, die nachdenklichen Bemerkungen, die der Herr Abgeordnete Baasch gemacht hat, was die Verantwortung gegenüber den Versicherten und gegenüber dem Prinzip der Selbstverwaltung angeht, müssen eigentlich Ansporn genug sein, dass man sich mit den Dingen so beschäftigt, dass Vorgänge wie diese nicht wieder stattfinden können.

Zweitens. Krankenkassen nehmen ihre Aufgaben eigenverantwortlich und selbstständig wahr. § 29 Abs. 3 SGB IV ist die Fundstelle, Herr Kalinka.

Drittens. Rechtsaufsicht und Fachaufsicht, Herr Kalinka, sind zwei unterschiedliche Sachverhalte. Fachaufsicht ist gemäß § 87 Abs. 1 SGB IV - das ist die Fundstelle, Herr Kalinka - nicht gegeben. Diese hat das Bundesversicherungsamt. Rechtsaufsicht bezieht sich auf Rechtmäßigkeitsragen, Fachaufsicht bezieht sich auf Zweckmäßigkeitsfragen. Das steht im Kommentar zu § 87 SGB IV, wenn Sie es nachlesen wollen.

Viertens. Einzelne Weisungen Dritter, bezogen auf konkrete Einzelmaßnahmen, sind im Bereich der Selbstverwaltung unzulässig. Das können Sie in § 4 SGB V und in § 29 SGB IV nachlesen, Herr Kalinka.

Fünftens. Der Bericht des Sozialministeriums vom 8. März liegt vor. In der Anlage, Herr Abgeordneter Garg, werden die Fragen, von denen Sie gesagt haben, sie seien nicht beantwortet worden, beantwortet. Die Antworten sind aus Ihrer Sicht vielleicht nicht vollständig, aber jedenfalls sind die Fragen beantwortet worden und Herr Staatssekretär Fischer ist bereit, im Ausschuss die entsprechenden Auskünfte zu geben.

Sechstens. Die AOK, die Selbstverwaltung, hat primär die Aufgabe, das aufzuarbeiten, was nötig ist. Das tut sie auch. Im Übrigen ist die Staatsanwaltschaft tätig. Insofern kann ich das eine oder andere von dem, was Sie hier geäußert haben, Herr Kalinka,

(Minister Dr. Ralf Stegner)

nur so verstehen, dass Sie das Sozialministerium auffordern, sich gegen Recht und Gesetz zu verhalten. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Sowohl die Sozialministerin als auch der Staatssekretär haben sich nach Recht und Gesetz zu verhalten. Das heißt, sie dürfen Dinge nicht tun, die nach dem Gesetz nicht zulässig sind. Das mögen Sie zwar fordern. Aber Regierungen müssen sich nach Recht und Gesetz verhalten und sie tun das auch.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Siebtens. Es mag ja sein, dass Sie unzufrieden damit sind, wie Sie Ihre Oppositionsrolle wahrnehmen - das kann ich nachvollziehen -, und dass Sie deswegen meinen, der Rechnungshof sollte das für Sie übernehmen. Das erleben wir gelegentlich auch. Aber ich glaube, die Frau Abgeordnete Birk hat völlig Recht damit, dass die öffentliche Debatte zu diesem Thema sehr viel heilsamer ist als irgendwelche Gesetzesvorschläge, die mir im Übrigen gar nicht so liberal erscheinen. Ständig über Deregulierung zu reden und immer neue Gesetze vorzuschlagen, scheint mir nicht der richtige Weg zu sein. Ich glaube, die öffentliche Debatte wird sehr nützlich sein.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern kann ich nach all dem, was ich gehört habe, nicht erkennen, Herr Kalinka, wo denn über den Sachverhalt, über den Einigkeit besteht, hinaus bei Ihnen das Problem liegt. Aber Sie haben in der Vergangenheit, Herr Kalinka, schon außerordentlich fantasiereiche Detektivromane zur jüngeren Landesgeschichte verfasst. Vielleicht haben diese Sie motiviert, sich in der Weise hier einzulassen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Kurzbeitrag hat der Herr Abgeordnete Dr. Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Finanzminister Dr. Stegner, ich weiß nicht, ob es besonders geschickt war, in dieser Debatte, in der zumindest in zwei Punkten fraktionsübergreifend Einigkeit bestand, in der Ihnen üblichen und allmählich auch ein bisschen langweiligen Art nur die Reden der Opposition zu zensieren, ohne fachlich wirklich etwas zur Aufklärung beizutragen.

(Beifall der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Die Papiere des Sozialministeriums, die Antworten des Staatssekretärs aus dem Sozialministerium sind bedauerlicherweise so abgefasst, dass sie zu mehr Nachfragen führen, als dass sie Antworten geben. Da Sie hier schon einen Ritt durch den Paragraphendschungel des Sozialgesetzbuches veranstaltet haben, hätten Sie vielleicht auch einmal einen Blick in das SGB V werfen können. Dann hätten Sie über den § 87 Abs. 4 hinaus vielleicht auch einmal einen Blick auf den § 88 SGB IV werfen können. Da hätten Sie dann nämlich gesehen, dass die Möglichkeiten der Rechtsaufsicht deutlich über das hinausgehen, was Sie ihr hier gerade zugesprochen haben.

Ich hatte erst gedacht, die Regierung würde möglicherweise gar nicht sprechen, weil insgesamt nur 50 Minuten Redezeit angemeldet waren. Nun haben Sie für die Regierung gesprochen. Bedauerlicherweise haben Sie aber nicht zu einer sachlichen Aufklärung der Vorfälle beigetragen, was notwendig gewesen wäre. Stattdessen sind Sie den Kollegen Kalinka angegangen. Das kann man tun. Das muss man aber nicht tun.

(Unruhe bei der SPD)

Ganz im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen: Zur Aufklärung hat der Beitrag des großartigen Finanzministers null beigetragen.

(Beifall bei FDP und CDU - Zuruf des Ab- geordneten Holger Astrup [SPD])

Das bedauere ich außerordentlich, lieber Kollege Astrup, weil wir nämlich an einem bestimmten Punkt angelangt sind. Ich weiß nicht, ob Ihnen das in anderen Fragen recht wäre. Das ist das große Problem, das ich mit der Aussage von Frau Birk habe, die der Finanzminister aufgegriffen hat, nämlich die öffentliche Meinungsbildung hätte dazu geführt, dass wir jetzt eine Debatte angestoßen haben. Wenn wir es zulassen, dass in Zukunft die Zeitungen es aufgreifen, wenn es irgendwo Probleme gibt, wenn es möglicherweise Gesetzeslücken gibt, dann sind wir hier überflüssig; dann überlassen wir unsere Arbeit den „Kieler Nachrichten“ und dem „SchleswigHolsteinischen Zeitungsverlag“.

Ich möchte, dass es zu solchen Vorfällen gar nicht mehr kommt; denn ich habe keine Lust, Politik nur dann zu gestalten, wenn schon etwas in den Brunnen gefallen ist, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verunsichert sind.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP] - Glocke des Präsidenten)

(Dr. Heiner Garg)

Mir geht es also um Vorbeugung. Deswegen schließe ich mich dem Satz gewiss nicht an - Herr Präsident, das ist mein letzter Halbsatz -, dass es prima war, dass das so gelaufen ist. Ich möchte in Zukunft vorbeugen, und zwar nicht nur bei der AOK, sondern auch auf anderen Politikfeldern.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Kalinka.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Minister hat eine Reihe von Ausführungen gemacht, warum eine Nichtzuständigkeit aus seiner Sicht da sei. Er hat aber nicht darauf aufmerksam gemacht, dass nach dem Sozialgesetzbuch die Aufsichtsbehörde - § 88 - die Geschäfts- und Rechnungsführung vollständig prüfen kann - das gilt für alle Unterlagen - und nach § 89 als Aufsichtsmittel nicht nur eine vollständige Kontrolle stattfinden kann, sondern die Aufsichtsbehörde sogar verlangen kann, dass die Selbstverwaltungsorgane zu Sitzungen einberufen werden. Das ist ein Recht, das die Aufsichtsbehörde hat. Wird ihrem Verlangen nicht entsprochen, kann sie die Sitzung selbst anberaumen und die Verhandlungen leiten.

Das macht doch deutlich, welche Möglichkeiten eine Aufsicht hat, wenn sie sie denn wahrnehmen will.

(Unruhe)

Nun kann man natürlich über einzelne Dinge wie immer unterschiedlicher Meinung sein. Wir haben uns das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes nicht erst vor neun Wochen erbeten, nachdem das los war, sondern wir haben das schon im Januar erbeten; wir kennen das schon seitdem. Weil wir das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes kannten, haben wir unsere Möglichkeiten darauf abgestellt. Wir haben in der ersten Sitzung im Sozialausschuss nicht gesagt: Wir gehen ins Parlament. Wir haben detailliert und gründlich versucht, Licht in das Dunkel zu bekommen. Deswegen ist der Vorwurf, wir wollten hier unsorgfältig vorgehen, schlichtweg nicht in Ordnung.

Wir haben zum Zweiten natürlich nicht das Sozialministerium für jedes Versäumnis zur Verantwortung ziehen wollen. Das wäre auch dummes Zeug. Das Sozialministerium kann doch nichts dafür, wenn eine solche Kreditvergabe stattfindet. Das Sozialministerium kann aber etwas dafür, wenn es nicht abge

stellt wird. Wenn nichts geschieht, dann kommt das Sozialministerium in die Verantwortlichkeit. Das haben wir zu jedem Zeitpunkt deutlich gemacht.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Filz hoch drei! - Unruhe)

Dritter Punkt! Es geht hier schon um einen Nebel, wie er sich uns darstellt. An eine Aufsichtsbehörde, an ein Ministerium setzt man hohe Erwartungen. Sie haben nicht nur ein Kontrollrecht, Sie haben auch eine Kontrollpflicht, wenn Sie Anhaltspunkte dafür haben, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Nichts anderes, als dies tatsächlich auszuschöpfen im Interesse der Versicherten, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, übrigens auch des Gesundheitsstandortes Schleswig-Holsteins, verlangen wir und dafür setzen wir uns ein. Deswegen sind wir gern bereit - falls es weitere, andere Wege gibt -, darüber im Ausschuss noch einmal zu diskutieren, und stimmen der Ausschussüberweisung zu. Uns kommt es nicht auf die formale Abstimmung an, uns kommt es darauf an, dass der Nebel gelichtet wird.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu einem Kurzbeitrag, Frau Abgeordnete Heinold!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kalinka, das Wort „Nebel“ hat mich veranlasst, mich noch einmal zu Wort zu melden, zumal Sie es in keiner Weise schaffen, zumindest Ihre eigenen Leute bei einem so wichtigen Thema in den Raum zu holen. Jetzt sind ein paar gekommen; eben waren die Reihen noch leerer Beifall kriegen Sie auch nicht viel.

Das liegt wahrscheinlich daran, dass die CDU an ihrem Antrag selbst Zweifel hat. Wenn Sie schon nicht der Landesregierung oder uns glauben, so nehmen Sie doch zumindest die Worte der FDP ernst, die deutlich gemacht hat, dass dieser Antrag so heute schlicht nicht geht. Deshalb wollen wir heute über den Antrag abstimmen und werden ihn ablehnen.

(Werner Kalinka [CDU]: Das ist doch klar, dass Sie das ablehnen! Sie fürchten die Kon- trolle!)

Wenn Sie zu einer Formulierung kommen, die rechtlich haltbar ist, können Sie wieder kommen.