In zahlreichen Einzelanträgen haben Sie in der Tat Ihren jetzigen Kurs beibehalten. In zwei oder drei Punkten aber - darüber müssen wir weiter diskutieren tragen Sie den Bedenken, die aus der Praxis heraus geäußert worden sind - von den Anwälten, von den Richtern -, nicht in ausreichendem Maß Rechnung. Das wird dann auch im Fachausschuss zu erörtern sein.
Gleichwohl stelle ich für meine Fraktion klar: Wir lehnen die beabsichtigten Änderungen der Zivilprozessordnung entschieden ab, weil die Möglichkeiten des Rechtsschutzes für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in erheblichem Maße beeinträchtigen würden. Das wäre ein Rückschritt, kein Fortschritt. Das würde zu Kosten führen, vor allen Dingen aber auch zu einer auf Dauer wachsenden Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit unserer Ziviljustiz. Daran kann niemandem, auch keinem in diesem Haus, gelegen sein.
Zwar haben die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag erkannt, dass ihre Ursprungsforderungen mit so schweren Mängeln behaftet waren, dass sie gegen den Widerstand aus den Bundesländern, von Richtern, von Staatsanwälten und von Anwälten, von den Berufsverbänden und von Kammern wohl kaum durchsetzbar wären. Aber ich sage ganz klar: Auch der jetzt vorgelegte Vorschlag stellt überhaupt keinen Durchbruch und auch keinen Kompromiss bei der geplanten Justizreform dar. Zahlreiche begründete Bedenken gegen den Ursprungsentwurf sind unberücksichtigt geblieben.
Ich stimme daher Ihrem Staatssekretär, Frau Ministerin, nachdrücklich zu, der den von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Gesetzentwurf wörtlich als „Schnellschuss“ kritisiert hat. Wir sollten gemeinsam darauf hinwirken, dass beide Gesetzentwürfe, die gegenwärtig zur Beratung im Bundesrat anstehen, keine Mehrheit erhalten.
Beide vorgelegte Gesetzentwürfe sehen eine Streichung der Berufungszuständigkeit der Landgerichte vor. In Zukunft sollen hierüber die Oberlandesgerichte entscheiden. Sie weisen in Ihrem Bericht völlig zu Recht darauf hin, dass in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein die Konzentration der Berufungen bei den Oberlandesgerichten das Ziel der Bürgernähe gefährden würde. Die von Ihnen angedachte Schaffung eines zweiten Oberlandesgerichtes wäre mit erheblichen Kosten verbunden, sie würde die Folgen
der Zuständigkeitsverlagerung zwar mildern, nicht aber beseitigen. Wir hätten dann zwei und nicht mehr wie bisher - vier Berufungsgerichte. Wenn man das Ziel einer bürgernahen Justiz verfolgt, kann man eine solche Neuregelung nicht unterstützen.
Eine Schaffung von Außensenaten des Oberlandesgerichtes an den Landgerichten macht aus mehreren Gründen keinen Sinn. Die organisatorische Einheit des Oberlandesgerichtes würde zerschlagen und die damit einhergehenden Probleme ließen sich - wenn überhaupt - nur durch erhöhten Kostenaufwand lösen. Eine Auslagerung der Senate ließe sich auch nicht mit der nach wie vor bestehenden und auch sinnvollen Singularzulassung der Anwälte beim OLG vereinbaren.
Letztlich aber - das ist für mich der entscheidende Grund - wird die hohe Qualität der Rechtsprechung unseres Oberlandesgerichtes gefährdet, denn diese wird gegenwärtig dadurch gewährleistet, dass alle Zivilsenate Sonderzuständigkeiten für bestimmte Sachgebiete haben. Dieses überaus sinnvolle System der Spezialisierung könnte kaum aufrechterhalten werden, wenn eventuelle Außensenate zwangsläufig für alle vor Ort anfallenden Streitigkeiten zuständig sein müssten.
Ich lege sehr großen Wert darauf, dass die gegenwärtigen Regelungen über die Einlegung des Rechtsmittels der Berufung erhalten bleiben. Ich wende mich mit Nachdruck dagegen, dass den Bürgerinnen und Bürgern die zweite Instanz faktisch genommen wird.
Die Einlegung des Rechtsmittels der Berufung darf nicht - wie in den Gesetzentwürfen vorgesehen - erschwert werden. Der Prüfungsumfang darf nicht eingeschränkt werden. Das nämlich würde zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Rechtsschutzes der Bürgerinnen und Bürger führen.
Wenn die Analyse falsch ist, sind auch die Schlussfolgerungen selten richtig. Falsch ist die Behauptung der Bundesjustizministerin, die erste Zivilinstanz sei ineffektiv und werde nur als Durchlauferhitzer für die Berufungsinstanz genutzt. Ist das Amtsgericht Eingangsinstanz, so werden die Prozesse zu über 90 % in erster Instanz entschieden. Bei unseren Landgerichten werden, wenn diese als Eingangsinstanz tätig sind, etwa 65 % der Verfahren ohne streitiges Urteil durch Vergleich, Versäumnisentscheidung, Klagerücknahme oder in sonstiger Weise erledigt. In rund 35 % der Verfahren ergeht ein streitiges Urteil. Gegen zirka 58 % dieser Urteile wird Berufung eingelegt. Die Erledigungszahl der Landgerichte liegt somit deutlich über 80 %. Diese Zahlen sprechen für sich.
Wer es Bürgerinnen und Bürgern, die sich durch ein aus ihrer Sicht materiell unrechtmäßiges Urteil beschwert fühlen, erschweren will, hiergegen das Rechtsmittel der Berufung einzulegen, oder den Prüfungsumfang der Berufung einschränken will, der darf sich nicht wundern, wenn Vertrauen in Recht und Gerechtigkeit und die Rechtsprechung schwinden, wenn Rechtsfriede nicht erzielt wird. Diese Folgen werden eintreten, wenn man, wie beabsichtigt ist, den Prüfungsumfang der Berufungsinstanz auf eine Rechtsfehlerüberprüfung beschränkt oder komplizierte Präklusionsvorschriften für den Tatsachenvortrag einführt.
Wir wissen alle: In der ganz überwiegenden Anzahl der Zivilverfahren ist die Feststellung des Sachverhaltes ausschlaggebend für den Prozessausgang. Für den rechtsuchenden Bürger wird daher die Korrektur von Tatsachenfehlern wichtiger sein als die von Rechtsfehlern. Erstere liegen für ihn auch eher auf der Hand als Rechtsfehler.
Er wird ein Urteil, das auf einer falschen Tatsachenfeststellung beruht, als Unrecht empfinden und wird es nicht verstehen, wenn ihm die Möglichkeit einer Überprüfung dieser Tatsachenfeststellung durch ein Berufungsgericht genommen wird. Wer dies trotzdem weiter vorhat, wird viel verspielen und wenig gewinnen. Die Entlastungswirkung wäre gering. So findet beispielsweise nur in einem Viertel der Berufungsverfahren vor unserem Oberlandesgericht eine erneute Beweisaufnahme statt. Wenn es aber keine zweite Tatsacheninstanz mehr gibt, werden die Anwälte in erster Instanz gezwungen, umfangreicher vorzutragen, um sich nicht einem Regress ausgesetzt zu sehen.
Die erste Instanz würde also aufgebläht. Dass man in Zukunft ein hohes Risiko eingehen würde, wenn man sich vor einem Amtsgericht nicht anwaltlich vertreten ließe, sei nur am Rande erwähnt.
Das, was sich in dem Entwurf der Bundesjustizministerin jetzt als Zurückverweisungsverfahren findet, ist nicht viel besser als das bisher vorgesehene Annahmeverfahren. Ich hätte mir gewünscht, Frau Justizministerin, dass Sie im Unterausschuss gegen dieses Zurückverweisungsverfahren gestimmt hätten. Das haben Sie leider an dieser Stelle nicht getan. Das muss klar festgestellt werden.
Problematisch sind die vorgesehene Beschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz und die Ablösung des bisherigen Systems der Zulassungs- und Annahmerevision. Auch das bedeutet eine Verschlechterung des Rechtsschutzes der Bürgerinnen und Bürger.
Scharf abgelehnt wird von uns die in § 348 ZPO vorgesehene Einführung des originären Einzelrichters. Gerade wer in der zweiten Instanz eine reine Rechtsüberprüfung durchführen will, muss die Tatsachenfeststellung in der ersten Instanz auf eine solide Grundlage stellen. Das kann aber in der Regel nur durch die Vorteile des Kammerprinzips erreicht werden. Sie führen völlig zu Recht aus, dass das Mehr-AugenPrinzip die Qualität der Rechtsprechung sichert und dass kollegiale Entscheidungen größere Akzeptanz bei den Parteien genießen und zu mehr Rechtsfrieden führen.
Für völlig praxisfremd - um es milde auszudrücken halten wir die vorgesehene Ausnahme für Proberichter bis zu einer Tätigkeitsdauer von sechs Monaten. Selbst der begabteste junge Richter wird in diesen wenigen Monaten nur wenig Erfahrung gewinnen können. Gerade bei Proberichtern hat sich daher die Einbindung in eine Kammer bestens bewährt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass die Bundesjustizministerin nicht müde wird zu erklären, wenn man die erste Instanz stärken wolle, dann müssten selbstverständlich die erfahrensten und besten Richter in die Eingangsinstanz. In der Konsequenz heißt dies aber: Die weniger erfahrenen und vielleicht weniger leistungsstarken Richter müssen dann in die Rechtsmittelgerichte. Das wäre eine absurde Konsequenz.
Falsch ist aus unserer Sicht auch die Einführung einer obligatorischen Güteverhandlung. Ich räume natürlich ein, dass der Entwurf der Bundesjustizministerin Ausnahmen durchaus vorsieht. Der Richter ist aber bereits nach dem geltenden Recht in jeder Lage des Verfahrens gehalten, auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinzuwirken. Die hohe Anzahl der Erledigungen durch Vergleich belegt, dass bereits heute im Sinne dieses Zieles erfolgreich gearbeitet wird. Schon jetzt bietet § 279 ZPO die Möglichkeit der Anberaumung eines gesonderten Gütetermins. Wann der geeignete Zeitpunkt für eine gütliche Einigung gegeben ist, kann der Richter selbst am besten beurteilen. Oft werden die Parteien zu Beginn des Verfahrens, also zu dem Zeitpunkt, zu dem jetzt der obligatorische Güteversuch durchgeführt werden soll, vergleichsunwillig sein. Dann führt ein solcher Termin nur zu einer Verlängerung des Verfahrens. Dass nun aber Parteien durch Androhung und gegebenenfalls durch Verhängung von Ordnungsmitteln zur Teilnahme an einer Güteverhandlung ermuntert werden sollen, ist vollends absurd. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partei, die mit Ordnungsmitteln zum Gütetermin gezwungen wird, anschließend noch vergleichen wird.
Wir haben auch Bedenken im Hinblick auf die Vorschriften über die materielle Prozessleitung. Sie bedeutet ebenso wie die Ausdehnung der Vorlagepflicht von Urkunden eine Beeinträchtigung der Beibringungsmaxime und die Einführung des unserem Zivilverfahren fremden Amtsermittlungsgrundsatzes. Sie birgt ferner die Gefahr vermehrter Befangenheitsanträge und die Gefahr einer erheblichen Mehrbelastung der Berufungsgerichte durch die Geltendmachung einer angeblichen Verletzung dieser Vorschriften in der ersten Instanz.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Frau Präsidentin, ich möchte übrigens anmerken, dass es nicht unbedingt angemessen ist, ein so komplexes Thema, das auch mit gravierenden Auswirkungen für unser Land behaftet sein wird, hier in fünf Minuten zu debattieren.
Zum Schluss noch eine Anmerkung! Der Gesetzentwurf führt nicht zu minderen Kosten. Er führt - darauf weisen Sie in Ihrem Bericht zu Recht hin - zu erheblichen Mehrbelastungen für die Landeskasse. Daran kann uns nicht gelegen sein.
Ich möchte abschließend eines sehr klar sagen. Ich habe es schon als ermutigend empfunden, dass eine Justizministerin, die den Grünen angehört, den Konflikt mit der Bundesjustizministerin und auch mit den rot-grünen Koalitionsfraktionen in Bonn nicht scheut.
Ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin. - Ich möchte Sie sehr herzlich bitten, Frau Lütkes: Knicken Sie in dieser Sache nicht ein! Unterstützen Sie die Fachkundigen! Tragen Sie insbesondere den Bedenken Rechnung, die von den Anwälten, dem rechtsuchenden Publikum und den Richtern vorgetragen werden. Damit tragen Sie auch den Bedenken meiner Fraktion und der Opposition Rechnung. Wir werden Sie dann unsererseits unterstützen. Ich hoffe, dass wir gemeinsam in der Sache Erfolg haben.
Herr Abgeordneter Geißler, auch nach der neuen Rechtschreibung hat kein Satz so viele Kommata wie Ihr letzter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beglückwünsche Sie herzlich, Herr Kollege Geißler: Ihnen ist es gelungen, eine Zehnminutenrede ohne inhaltliche Kürzung in etwas mehr als fünf Minuten vorzutragen.
Wir sollten ja schon einmal in einer der vergangenen Sitzungen zehn Minuten und ein bisschen länger über dieses Thema diskutieren. Insofern gebe ich Ihnen natürlich vollkommen Recht, dass es unangemessen ist, die Inhalte hier in so kurzer Zeit vorzutragen und Bedeutsames auszusagen. Sie haben es am Schluss selbst gesagt: Dieser Tagesordnungspunkt ist im Grunde ein Musterbeispiel für ein wichtiges Thema, das hier heute aber zur falschen Zeit und am falschen Ort beraten wird. Das Thema ist wichtig, weil wir uns natürlich alle für Zivilprozesse - und nicht nur diese effiziente, transparente und bürgernahe Verfahren wünschen. Das Thema wird hier heute gleichwohl nicht ganz zeitgerecht beraten - die Ministerin hat darauf hingewiesen -, weil sich der uns vorgelegte schriftliche Regierungsbericht teilweise auf Neuregelungen bezieht, die von der Bundesregierung gar nicht mehr angestrebt werden. Auf Bundesebene gibt es zwischenzeitlich neue Entwürfe, Herr Kubicki, die jedenfalls in einigen Punkten - auf die Kritik aus der Fachwelt reagieren. Frau Ministerin, es wäre sicherlich angemessen, auf der Basis der angekündigten Ergänzung des schriftlichen Berichtes ausführlicher und intensiver im Ausschuss über die Thematik zu beraten.
Wir sollten, was die bundesrechtliche Zuständigkeit der Thematik angeht, unsere Justizministerin bitten, sich bei den Verhandlungen auf Bundesebene weiterhin für eine praktikable Umsetzung der Reformziele einzusetzen, zu denen wir als SPDLandtagsfraktion weiterhin stehen und die wie folgt lauten.
Erstens: Zeitnahe und möglichst endgültige erstinstanzliche Streiterledigung bei Amts- oder Landgerichten!
Zweitens: Stärkung der ersten Instanz insgesamt, ohne dass Berufungsund Revisionsrechtswege abgeschnitten werden!
Drittens: Bürgerfreundliche Streitbeilegung, insbesondere durch verstärkte richterliche Hinweis- und Aufklärungspflichten dem rechtsuchenden Publikum gegenüber, aber auch durch die vorgesehenen obligatorischen Güteverhandlungen und Streitschlichtungen im außergerichtlichen Raum. Wir erwarten, dass die mit der Reform angestrebten Entlastungen und Erleichterungen für die Justiz und die rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger auch im Flächenland SchleswigHolstein erreicht werden können.
Skepsis dürfte insoweit insbesondere hinsichtlich der vorgesehenen Konzentration aller Berufungen bei den Oberlandesgerichten angebracht sein. In SchleswigHolstein haben wir ja bekanntlich bisher nur eines und das hat im stormarn-fernen Schleswig seinen Sitz. Wir sollten diese und andere im Interesse SchleswigHolsteins noch klärungsbedürftige Fragen im Fachausschuss näher erörtern.
(Beifall bei der SPD - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht also doch in fünf Minuten!)