Letzten Endes wird es erforderlich bleiben - das hat Herr Wadephul angesprochen -, mehr Mittel im Haushalt für das kommende Jahr zur Verfügung zu stellen. Meine Fraktion wird gemeinsam mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur DezemberTagung Vorschläge dafür vorlegen. Schwerpunkt dieser Maßnahmen müssen die Präventionsarbeit und Initiativen zur Integration und - wohlgemerkt, nicht zur Assimilation - der Ausländerinnen und Ausländer sein. Eine regionale Komponente in Bezug auf Brennpunkte erscheint mir dabei notwendig.
Auf diesem Wege werden wir ein Stück weit vorankommen, um die Bedrohung durch die faschistischen Strolche einzudämmen. Es darf in unserem Land nicht nur davon geredet werden, dass wir weltoffen und tolerant sind, sondern wir müssen dafür sorgen, dass tatsächlich ein tolerantes und weltoffenes Lebensgefühl erzeugt wird. Das ist eine wichtige Aufgabe.
Daher sollten wir das Ergebnis der Großen Anfrage in den Ausschüssen Soziales, Innen und Recht und Bildung weiter beraten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meines Beitrags möchte ich etwas tun, was mir ansonsten wegen der Ritualisierung nicht liegt: Ich möchte mich ausdrücklich bei der Landesregierung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die die Antwort auf die Große Anfrage der SPD
Fraktion zum Rechtsextremismus und zur Ausländerfeindlichkeit in Schleswig-Holstein erarbeitet haben. Weiter möchte ich mich bei Regierung und SPD-Fraktion dafür bedanken, dass wir dieses Thema zunächst im Parlament und nicht zuvor in der Öffentlichkeit diskutieren.
Erstens. Wir müssen aufpassen, dass wir dem Phänomen des Rechtsextremismus und der Ausländerfeindlichkeit sowie der gestiegenen Gewaltbereitschaft gerade von jungen Menschen - nicht mit schnellen Antworten, die vordergründig plausibel erscheinen, begegnen und hierbei jedes Maß an Verhältnismäßigkeit verlieren.
Zweitens. Wir müssen uns fragen, was die Vielzahl der dokumentierten Maßnahmen, wissenschaftlichen Auseinandersetzungen und pädagogischen Begleitungen der letzten zehn Jahre eigentlich bewirkt haben. Ich bin der Landesregierung dankbar für die Feststellung, dass sich der Rechtsextremismus bei jungen Leuten weit stärker aus aktuellen Erfahrungen und Wahrnehmungen denn aus historischen Kontinuitäten aufgebaut hat.
Ich bin dankbar für die Feststellung, dass sich die Zahl der so genannten Neo-Nationalsozialisten 1991 bundesweit auf 2.100 und 1999 auf 2.200 Personen belief und damit kaum eine Veränderung erfahren hat, dass das Potenzial der militanten rechtsextremen Skinheadszene im Jahre 1991 4.200 Personen betrug und im Jahr 1999 auf 9.000 Personen angewachsen ist, wobei die Übergänge in die allgemeine jugendkriminelle Gewaltszene typisch sind.
Letztlich bin ich dankbar für die Feststellung, dass die Anzahl der Gewalttaten, die in Schleswig-Holstein zu verzeichnen waren, Anfang der 90er-Jahre - im Einklang mit der bundesweiten Entwicklung nach der Vereinigung - in vorher nicht bekannte Höhen gestiegen war, nämlich auf 121 Taten in 1992. Im Jahr 1999 ist sie hingegen auf 24 Taten gesunken.
Dies alles lässt mich erneut mahnen, die Entwicklung zwar sehr aufmerksam zu verfolgen und sämtliche Mittel im Kampf gegen die rechte Szene - insbesondere gegen Gewalttaten aus der rechten Szene - zu ergreifen, jedoch hierbei auch zu beachten, dass die Beschäftigung mit diesen Phänomenen nicht außerhalb
Wenn es denn stimmt - und ich schließe mich dieser Analyse ausdrücklich an -, dass die individuellen und sozialen Bedingungen die Übernahme rechtsextremen - beziehungsweise fremdenfeindlichen - Gedankenguts bei jungen Menschen begünstigen, die immerhin zwei Drittel bis drei Viertel aller Straftäter aus diesem Bereich stellen, dann ist eine übermäßige Beschäftigung mit Rechtsextremisten oder gewaltbereiten Skinheads - und ich meine, in einem über das dem Problem angemessene Maß hinaus - in der Öffentlichkeit eher kontraproduktiv.
Zu den begünstigenden Bedingungen gehören ein niedriger Bildungsgrad, ein gewaltaffines, gewaltbefürwortendes Männlichkeitsideal, der Einfluss patriarchaler, militanter Leitbilder, eine fehlende soziale Einbindung und gesellschaftliche Integration, vor allem aber Existenz- und Zukunftsängste beziehungsweise - wie es die Shell-Studie beschreibt - fehlende Lebensplanung, fehlendes Selbstvertrauen, weniger Status und Furcht vor Nachteilen durch vermehrte Flexibilitäts- und Bildungsanforderungen.
Gerade junge Menschen, deren Selbstvertrauen nicht sonderlich ausgeprägt ist, erleben durch das ihnen geschenkte Maß an Aufmerksamkeit, dass sie durch ihre Aktionen etwas bewirken können. Damit wird nach meiner Auffassung die Tendenz eher gestärkt, sich normabweisend zu verhalten, als sich in die Gesellschaft einzufügen.
Wenn die Landesregierung ausführt, rechtsextremistische Gewalt sei zu einem großen Teil zugleich Teil der allgemeinen Jugendkriminalität, wenn sie uns erklärt, dass in zehn untersuchten europäischen Ländern seit Mitte der 80er-Jahre die Jugendgewalt insgesamt stark angestiegen ist, und wenn sie uns gleichzeitig mitteilt, für viele sei die Nähe zur Szene nur eine vorübergehende Episode, so beschreibt sie zugleich unsere gemeinsame politische Verantwortung. Diese besteht darin, diesen jungen Menschen den Einstieg - oder den Wiedereinstieg - in unsere Gesellschaft zu ermöglichen, anstatt sie in Form einer Stigmatisierung dauerhaft auszugrenzen.
Wir müssen wohl - ob uns das gefällt oder nicht - mit einem Bodensatz - hier meine ich den Begriff ernst von zu rechtsextremem Gedankengut neigenden Men
schen in einer Größenordnung von 10 bis 13 % rechnen. Dies war Anfang der 70er-Jahre so, wie es die SINUS-Studie belegt, und dies auch heute noch so. Im Übrigen gilt diese Tatsache für alle anderen europäischen Länder in gleicher Weise und in gleicher Größenordnung.
Wir müssen aber nicht das Gewaltphänomen akzeptieren. Dankenswerterweise weist die Landesregierung darauf hin, dass der Rückgang von rechtsextremistischen Gewalttaten - bei gleichzeitig starkem Anstieg der gewaltbereiten Szene - mit großer Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass repressive staatliche - das heißt polizeiliche und gerichtliche - Maßnahmen in der Szene Wirkung gezeigt haben, obwohl einzelne Gewalttaten nicht verhindert werden können. Aber auch hier sage ich: Der Staat kann schließlich nicht verhindern, dass überhaupt kriminelle Taten begangen werden, wie groß der präventive oder repressive Aufwand auch immer sein mag.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich mein Unwohlsein formulieren. Mittlerweile scheint sich der Kampf gegen den Rechtsextremismus zu verselbstständigen. Durch eine täglich auf uns niederprasselnde Flut einer zunehmend moralisierenden Rechtsextremismusdebatte treten in der Bevölkerung Abnutzungserscheinungen auf. Die Debatte selbst gerät in Gefahr, im Wettbewerb der demokratischen Parteien untereinander instrumentalisiert zu werden. Ich bekenne freimütig, dass es mir nach wie vor schwer fällt, in ein Bündnis gegen Rechtsextremismus einbezogen zu werden, bei dem ich Bündnispartner politischer Gruppierungen sein soll, denen die Anwendung von Gewalt zur Verfolgung ihrer vermeintlich höheren Ziele nicht so fern liegt beziehungsweise die die Anwendung von Gewalt gegen Sachen und/oder Personen in der Vergangenheit gerechtfertigt haben oder heute noch rechtfertigen.
Wir haben nach wie vor eine gewaltbereite linke Szene, die sich hinsichtlich ihres Umfangs und der Zahl der kriminellen Aktivitäten mit der rechten Szene durchaus messen kann. Ich habe bereits in der letzten Landtagstagung erklärt, dass die Gewalt, die bei Demonstrationen gegen Rechts von dieser linken Szene gegen Sachen und Personen ausgeht, ihrerseits einen Angriff auf die Demokratie und die Demokraten darstellt. Sie dient nicht der Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in unserem Land.
Weit bedrückender aber empfinde ich mittlerweile die Tatsache, dass wir uns in der politischen Diskussion
auf einen Weg der Moralisierung und Tabuisierung begeben, der in einer auf freiem Meinungswettbewerb fußenden Demokratie gefährlich ist. Mit Recht und Gesetz, mit den Möglichkeiten des Staates, werden wir mit ein paar Kriminellen - gleich welcher Geisteshaltung - fertig. Ein Problem taucht aber auf, wenn unter der Überschrift eines Kampfes gegen Rechts demokratische Politiker ins moralische Abseits gestellt werden und eine Tabuisierung bestimmter Fragestellungen eintritt, sodass sich Zweifel, Skepsis oder auch Furcht vor Überfremdung, Andersartigkeit oder vor Gewalt auch durch Ausländer - nicht mehr artikulieren können.
Ob der Begriff Leitkultur brauchbar und klug ist, gehört zum politischen Streit. Ihn moralisch zu diskreditieren, ihn in Zusammenhang mit Synagogenschändungen und Gewalttaten zu bringen, verletzt die Regeln der demokratischen Auseinandersetzung.
Ob Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, sich und der Sache mit dieser Äußerung einen Dienst erwiesen hat, bezweifle ich. Es ist aber symptomatisch für die Reflexhaftigkeit der politischen Reaktionen auf rechte Provokationen. Der Kreisvorsitzende der F.D.P. in Neumünster, Reinhard Ruge, hat uns im Rahmen der Debatte, die wir darüber geführt haben, erklärt, er habe mit seinen Töchtern eine Diskussion darüber geführt, ob sie sich von den Glatzen aus dem Club 88 in irgendeiner Weise gedroht fühlten. Ich denke, die Reaktion stimmt nachdenklich. Seine Töchter erklärten, von den Glatzen würden sie nicht belästigt, wohl aber von Türken in der Diskothek. Darüber dürfe man jedoch nicht sprechen, dieses Problems nehme sich niemand ernsthaft an.
Über diese einzelne Erklärung hinaus, die in ähnlicher Weise von der Schulsprecherin der Schule in Gadeland, die dem Club 88 gegenüberliegt, auch gegenüber Herrn Staatssekretär Dr. Stegner bei einer Diskussionsveranstaltung geäußert wurde, gibt es in unserer Gesellschaft viele Menschen, die sich mit Fremden schwer tun, die ihre Identität auch in der Abgrenzung zu anderen Kulturen finden, die auf die Erhaltung - auch ungeschriebener - kultureller Regeln in unserem Lande bestehen und die ihre Kinder aus Schulen nehmen, in denen Mitschüler, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, in der Mehrheit sind.
Ich glaube, dass die Tabuisierung ihrer Ängste und Sorgen genau das schafft, was angeblich verhindert werden soll, nämlich ein apathisches Umfeld für die wenigen Gewalttäter. Wer das Gefühl hat, dass seine
Sorgen und Nöte - seien es auch Vorurteile und unbegründete Überfremdungsängste - in der politischen Auseinandersetzung nicht vorkommen, weil sie unmoralisch sind, wird den Gewalttätern keinen Widerstand entgegensetzen, da er der demokratischen Kultur nicht mehr vertraut.
Ich bin sicher, dass die Folge von Tabus und moralisierender Unterdrückung vorhandener Stimmungen nicht weniger, sondern mehr Gewalt in einem aus dem Verfassungsbogen ausgestoßenen Umfeld sein wird. Das kann niemand wollen. Und das werden wir auch nicht zulassen.
Eine unspektakuläre, unaufgeregte, angemessene und vor allem rationale Diskussion ist wichtig - unter Einschluss aller Aspekte des Phänomens. Eine moralisierende Debatte, die zur Unperson bereits den erklärt, der Ängste hat oder sie artikuliert, der auf Probleme auch mit Ausländern hinweist, nützt zwar der Instrumentalisierung eines Kampfes gegen Rechtsextremismus, sie schadet jedoch ihrem Erfolg.
Aus dem „Aufstand der Anständigen“, den Bundeskanzler Gerhard Schröder gefordert hat, darf nicht die permanente Revolution werden. Denn die Geschichte lehrt, dass die Revolution am Ende ihre Kinder frisst.
Wenn wir, wie wir es in der vorletzten Legislaturperiode im Schleswig-Holsteinischen Landtag ja demonstriert haben, gemeinsam unsere demokratischen und rechtsstaatlichen Positionen beschreiben und vertreten, also unsere Grundrechte mit Leben erfüllen, werden wir verhindern, dass die Feinde der Demokratie über ihre bisherige marginale Größe hinaus anwachsen können.
Die wehrhafte Demokratie hält jeden Angriff von außen aus. Wir müssen verhindern, dass sie im Übereifer von innen geschwächt wird.
(Anhaltender Beifall bei F.D.P. und CDU, Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinen Beitrag zur Beantwortung der Großen Anfrage zum Rechtsextremismus stelle ich unter einen Gedanken von Rita Süssmuth: „Integration - das verpflichtende Wort für Demokraten“. Mir scheint, Rita Süssmuth hat damit den Bogen gespannt,