Protokoll der Sitzung vom 26.01.2001

(Beifall im ganzen Haus)

(Dr. Heiner Garg)

Ihr Beitrag hat sich wohltuend von dem Beitrag des CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten Norbert Geis unterschieden, der in der Debatte zum Lebenspartnerschaftsgesetz noch die Auffassung vertreten hat, es gebe überhaupt keine Diskriminierungen von Lesben und Schwulen. Die Krönung seines Debattenbeitrags zur zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs war dann auch seine Feststellung: „Diese Art des Zusammenlebens wird von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden.“

Selbst Abgeordnete der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag können manchmal irren; denn eine Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung akzeptiert schwule und lesbische Lebensformen und Partnerschaften schon längst.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich halte es in diesem Zusammenhang übrigens auch für wenig hilfreich, wenn von der einen und der anderen Seite - und, Frau Schwarz, noch einmal herzlichen Dank, Sie haben das heute nicht getan - immer wieder versucht wird, den Untergang des Abendlands an die Wand malen zu wollen, nur weil die Politik versucht, eine gesellschaftliche Realität einzuholen. Ich habe jedenfalls bislang keine Schreckensmeldungen aus Dänemark, Norwegen, Schweden, den Niederlanden oder Frankreich vernommen, nur weil man dort etwas ganz Selbstverständliches getan hat: zwei Menschen, die sich lieben, die füreinander einstehen wollen, nicht länger so zu behandeln, als existierten diese Beziehungen überhaupt nicht.

(Beifall bei F.D.P. und SPD)

Es ist doch geradezu grotesk, dass immer wieder behauptet wird, hierdurch gerate die Ehe in Gefahr beziehungsweise werde herabgesetzt. Das Gegenteil ist richtig. Wenn Menschen gleichen Geschlechts füreinander Verantwortung übernehmen, dann ist das kein Werteverlust, dann ist das ein Wertegewinn, und zwar für unsere gesamte Gesellschaft.

(Beifall bei F.D.P., SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Schwarz, Sie befinden sich in guter Gesellschaft, denn anlässlich der Eröffnung der 38. Bitburger Gespräche sprach sich Altbundespräsident Roman Herzog dafür aus, den Begriff „Familie“ neu zu definieren. Seine rechtspolitische Leidenschaft gelte der Familie und nicht der Ehe. Ich glaube kaum, dass der ehemalige Bundespräsident im Verdacht steht, die Ehe gefährden oder herabsetzen zu wollen. Umso interessanter ist das von Roman Herzog gewählte Beispiel: Wenn etwa Patrick Lindner, der mit seinem Freund Michael Link zusammenlebt, zwei Kinder adoptiert, sei das zwar keine Ehe, aber das sei Familie,

die als solche unter dem besonderen Schutz des Staates stehe.

(Beifall im ganzen Haus)

Bei aller Anerkennung dafür - und ich will jetzt hier kein Wasser in den Wein gießen oder den Zusammenhalt etwas stören -, dass nach Jahren tatsächlich mit den im Bundestag debattierten Gesetzentwürfen von SPD und Grünen einerseits und F.D.P. andererseits der Wille erkennbar war, die Diskriminierungen auch konkret abzubauen, halte ich das momentane Ergebnis für mehr als fragwürdig. Der von den Grünen kommende und nun der SPD angehörende Minister Otto Schily hält das mit rot-grüner Mehrheit im Bundestag verabschiedete Lebenspartnerschaftsgesetz zumindest für verfassungsmäßig fragwürdig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, da frage ich Sie nun einmal: Was glauben Sie, wie überzeugend das auf die Landesregierungen wirkt, deren Zustimmung im Bundesrat zum Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz notwendig ist? Aber nur zusammen macht das von Rot-Grün aufgespaltene Gesetz überhaupt Sinn. Ich finde es ein wenig traurig, dass man sich nicht ernsthaft mit dem Kompromissvorschlag, also dem Gesetzentwurf der F.D.P., beschäftigt hat. Stattdessen nehmen Sie es lieber in Kauf, dass der zustimmungspflichtige Teil des Gesetzentwurfes vom Bundesrat möglicherweise abgelehnt wird. Damit haben die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen zwar eine Menge neuer Pflichten für Lesben und Schwule begründet, sie haben aber nicht gleichzeitig die notwendigen neuen Rechte geschaffen.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Im zustimmungsfreien Teil steht, dass nach einer Trennung eine gegenseitige Unterhaltsverpflichtung besteht. Erst im zustimmungspflichtigen Teil steht aber, dass die Aufwendungen zum Unterhalt, wie bei jeder heterosexuellen Beziehung auch, steuerlich abzugsfähig sind. Gerade dieser Teil ist aber zumindest noch nicht Gesetz geworden. Ich glaube, dass das alles gut gemeint war, aber mit diesem Verfahren haben SPD und Grüne im Deutschen Bundestag zunächst einmal die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare nicht abgeschafft.

Ein Konsens wäre meiner Auffassung nach möglich gewesen. Ich weiß, dass es weniger an den Kolleginnen und Kollegen von der SPD als vielmehr an den Kolleginnen und Kollegen der Grünen lag. Sie wollten das nicht, sie wollten ihren eigenen Gesetzentwurf durchbringen. Ich bedauere das außerordentlich, weil es zulasten der Sache geht. Neben der gesellschaftlichen gab und gibt es nämlich auch eine politische Mehrheit, die nicht nur aus Rot-Grün besteht, dafür, dass die Beziehung zwischen zwei Frauen bezie

(Dr. Heiner Garg)

hungsweise zwei Männern endlich die Anerkennung und die rechtliche Stabilisierung erfährt, die sie seit langem verdient hat.

Herr Präsident, gestatten Sie mir einen letzten Satz. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Margot von Renesse sprach in diesem Zusammenhang von einer Frage der Menschenrechte und des Grundgesetzes: „Mag auch der Kardinal zu Köln homosexuelle Beziehungen als unsittlich ablehnen. Die Verfassung tut das nicht.“ Ich finde, dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich für die ausgesprochen sachliche und sensible Debatte bedanken. Zum zweiten Mal liegt uns ein Bericht über die Aktivitäten der Landesregierung vor, den etwa 240.000 lesbischen Bürgerinnen und schwulen Bürgern unseres Landes die gleichen Rechte wie allen anderen SchleswigHolsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern zu verschaffen. Der Bericht unterscheidet sich von dem ersten Bericht aus dem Jahre 1998, in dem es zunächst um eine Bestandsaufnahme ging. Schon damals wurde eine beeindruckende Zahl von Aktivitäten der nur zwei Mitarbeitern beziehungsweise Mitarbeiterinnen aus dem Ministerium geschildert, denen ich an dieser Stelle den ausdrücklichen Dank meiner Fraktion für ihr hohes Engagement ausspreche. Ebenso möchte ich mich bei der Frau Ministerin Lütkes und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses für den informativen und konzentrierten Bericht bedanken.

Der Bericht zeigt, dass es gelungen ist, die vielfältigen Einzelmaßnahmen des Landes, der Kommunen, der Jugendhilfe und der Schulen sowie der Jugendorganisationen, der Sozialverbände, der Kirchen und Gewerkschaften und nicht zuletzt der Lesben und Schwulen selbst in ein Gesamtkonzept einzubinden.

Beharrlich wurde der Kreis der Beteiligten erweitert, so wurden beispielsweise dem IPTS, dem Landeselternbeirat, der Bundeswehr und dem Bundesgrenzschutz Anstöße gegeben, in ihrem Bereich an der Umsetzung des politischen Programms der Landesregierung mitzuwirken.

Das Ziel ist eindeutig. Ich zitiere:

„Allen Vorurteilen gegen Lesben und Schwulen ist gemein, dass sie Homosexualität aus der heterosexuellen Perspektive bewerten. Eine heterosexuelle Orientierung wird als normal angesehen, eine homosexuelle dagegen als Abweichung.

Ziel der Landesregierung ist darum ein Perspektivwechsel als Voraussetzung für die Überwindung von Vorurteilen. Ausgehend davon, dass eine heterosexuelle und eine homosexuelle Orientierung gleichwertig sind, sind Maßnahmen in allen Bereichen staatlichen Handelns aus einer Perspektive zu bewerten, in der die sexuelle Orientierung von Menschen als Unterscheidungskriterium keine Rolle spielt.“

Diese politische Leitlinie von Rot-Grün ist Ausdruck eines tief gehenden Wertewandels im Umgang der deutschen Gesellschaft mit ihren lesbischen und schwulen Mitgliedern. Ich glaube, dieser Wertewandel drückt sich auch heute hier im Parlament aus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Mit der Schaffung des Deutschen Reiches wurden beischlafähnliche Handlungen zwischen Männern in ganz Deutschland unter Strafe gesetzt. Die Nationalsozialisten haben dies in § 175 StGB noch verschärft. Jeder Sex zwischen Männern wurde bestraft. Hunderttausende von Lesben und Schwulen sind in den Konzentrationslagern ermordet worden. Die Bundesrepublik Deutschland hat die nationalsozialistische Fassung des § 175 StGB bei ihrer Gründung unverändert in ihr Strafrecht übernommen.

(Günter Neugebauer [SPD]: Schlimm! Schlimm!)

Erst die gesellschaftlichen Umbrüche der sechziger Jahre haben den Lesben und Schwulen in Deutschland die Freiheit von strafrechtlicher Verfolgung gebracht und ihnen den Mut gegeben, für ihre Rechte zu kämpfen.

Ich finde es beschämend, dass es weitere 31 Jahre gedauert hat, nämlich bis zum 7. Dezember 2000, bis der Deutsche Bundestag die Verfolgung von Lesben und Schwulen zwischen 1939 und 1945 als nationalsozialistisches Unrecht und die Verurteilung nach § 175 StGB als Verletzung der Menschenwürde der Betroffenen anerkannt hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

(Karl-Martin Hentschel)

Ich bin auch stolz darauf, dass dieser Beschluss auf das langjährige beharrliche Wirken des schwulen Bundestagsabgeordneten Volker Beck zurückgeht. Ich bin froh darüber, dass der Bundestag diese Entscheidung einstimmig, also mit den Stimmen aller Fraktionen, getroffen hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Aber aus dieser Entschuldigung für die Fehler staatlichen Handelns in der Vergangenheit folgt für mich nun der Auftrag, jedwede noch vorhandene rechtliche Ungleichbehandlung zwischen Homosexuellen und Heterosexuellen aufzuheben. Ein sehr wesentlicher Schritt dahin ist das von der rot-grünen Bundestagsmehrheit beschlossene Gesetz zur Schaffung der eingetragenen Partnerschaft. Damit erhalten lesbische und schwule Paare erstmals einen gesicherten Rechtsrahmen.

Der bayerische Ministerpräsident Stoiber hat dazu gesagt: „ Hier soll sich das Gesicht der Republik ändern.“ Eine eingetragene Partnerschaft ist angesichts des bisherigen Umgangs der Bundesrepublik mit ihren homosexuellen Bürgerinnen und Bürgern ein historischer Durchbruch. Insoweit hat Stoiber Recht. Er übersieht allerdings, dass sich das Gesicht der Republik in dieser Hinsicht längst geändert hat. In einer Umfrage des „Spiegels“ vom Juli 2000 erklären nur noch 41 % der Befragten ihre grundsätzliche Gegnerschaft zur Homoehe, 54 % sprechen sich dafür aus, dass gleichgeschlechtliche Paare standesamtlich heiraten dürfen und 65 % wollen sie im Steuer- und Rentenrecht wie jedes anderes Ehepaar behandeln. Meine Damen und Herren von der Oppositionspartei CDU: 65 %! Rund 72 % wollen eine Gleichstellung im Erbrecht und 93 % der Befragten treten für ein Auskunftsrecht im Falle der Erkrankung des Partners oder der Partnerin ein. Und immerhin 41 % - das fand ich bemerkenswert - haben nichts dagegen, wenn gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren.

Wir leben in einer Zeit der Globalisierung und neuer technischer Revolutionen. Alte Gewissheiten wanken und es bleibt niemandem die Notwendigkeit einer Umgestaltung unserer sozialen Sicherungssysteme verborgen. In dieser Zeit der Verunsicherung erlebt die Familie eine Renaissance. Die Menschen verpflichten sich, auf Dauer füreinander einzustehen. Das tun homosexuelle Paare ebenso wie heterosexuelle Paare. Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt es daher keinen Grund, sie unterschiedlich zu behandeln.

Der Kollege Wadephul hat zur Begründung seiner Ablehnung der eingetragenen Partnerschaft erklärt - so seine Presseerklärung vom 10. November -, es gehe

der CDU darum, „diejenigen zu unterstützen, die sich für Kinder entscheiden. Ich zitiere:

„Unabhängig davon, ob Kinder innerhalb einer Ehe, einer Partnerschaft ohne Trauschein oder von Alleinerziehenden großgezogen werden, verdienen die Eltern unsere uneingeschränkte Unterstützung.“

Herr Kollege Wadephul, das kann ich nur uneingeschränkt unterschreiben. Aber ich warte seither auf den Antrag der CDU-Fraktion zur Abschaffung des Ehegattensplitting zugunsten einer noch über die Maßnahmen der rot-grünen Bundesregierung hinausgehenden Besserstellung der Familien mit Kindern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ähnliches gilt für zahlreiche andere steuerrechtlichen Regelungen, in denen allein der Trauschein zur erheblichen Einkommensverbesserungen führt. Darüber ließe sich ja reden. Solange Sie aber Ehepaaren ohne Kindern diese Besserstellung zustehen, ist es unredlich, sie homosexuellen Paaren zu verweigern.

(Beifall der Abgeordneten Holger Astrup [SPD], Günter Neugebauer [SPD] und Wolf- gang Baasch [SPD])

Dies heißt nichts anderes, als Lesben und Schwulen weiterhin als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse zu behandeln.

Leider hat die Mehrheit der CDU/F.D.P.-regierten Bundesländer im Bundesrat genau dies getan und das Ergänzungsgesetz abgelehnt, in dem die Unterhaltspflicht eingetragener Lebenspartner bei der Einkommensteuer berücksichtigt und sie bei der Erbschaftsteuer und tariflich mit dem Ehepartnern gleichgestellt werden sollen.

Jetzt appelliere ich an Sie, an die F.D.P.-Fraktion, Herr Kollege Garg, sich bei Ihren Parteifreunden in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen für eine Zustimmung im anstehenden Vermittlungsverfahren einzusetzen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Dieser Appell ist doch Quatsch! Sie müssten etwas tun!)