Protokoll der Sitzung vom 10.05.2001

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Bundesrepublik hat ein Arbeitsvermittler 600 bis 800 Arbeitslose zu betreuen.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Genau!)

Wie weit hier eine individuelle Betreuung im wahrsten Sinne des Wortes möglich ist, mögen Sie alle selber entscheiden. Nur zum Vergleich: Jenseits der Grenze damit meine ich meine alte Grenze, nämlich die zur Schweiz - sind es je nach Kanton 60 bis 80 Arbeitslose.

Es ist mir zu einfach, die Ablehnung schärferer Sanktionen damit begründen zu wollen, man könne auf die Arbeitsverwaltung vertrauen. Etwas ganz anderes wäre die Forderung, die gegenwärtigen Möglichkeiten zur Sanktionierung unverzüglich anzuwenden und konsequent auszuschöpfen, und die ebenso strikte Verpflichtung des Staats im Gegenzug dazu, eine Beschäftigungsbeziehungsweise Qualifizierungsmöglichkeit anzubieten. Dahin geht der Änderungsantrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Diese Forderung lässt sich zwar auch aus der Begründung des Antrags der Kollegen vom SSW erahnen. Ich frage Sie aber, Frau Hinrichsen: Warum stellen Sie diese Forderung nicht explizit in Ihrem Antrag? Könnte es möglicherweise daran liegen, dass Ihnen die

(Dr. Heiner Garg)

konsequente dänische Praxis eben doch zu drakonisch erscheint?

(Zuruf der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Ich sage es noch einmal: Genau darin liegt der Erfolg der dänischen Arbeitsmarktpolitik.

Liebe Kollegin Hinrichsen, ich möchte Sie noch erfreuen: Mit Punkt 3 Ihres Antrags habe ich überhaupt kein Problem. Ich ermuntere die schleswig-holsteinische Arbeitsministerin gern und immer wieder, den von ihr eingeschlagenen Weg einer aktiven Arbeitsmarktpolitik fortzusetzen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

- Sie weiß das ja auch. - Frau Ministerin, lassen Sie sich von den Nörglern und Bedenkenträgern - Sie wissen am besten, wo die wirklich sitzen - nicht beeindrucken. Es ist schön, dass sich neben der FDP auch der SSW hinter den vollzogenen Kurswechsel bei ASH 2000 stellt und dafür stark macht. So jedenfalls verstehe ich die Aufforderung, die sich im letzten Punkt Ihres Antrags findet.

Gerade dieser Kurswechsel hin zu einer kontrollierbaren erfolgsorientierten Arbeitsmarktpolitik nutzt nämlich den Arbeitslosen. Der Paradigmenwechsel bei ASH erfüllt zentrale liberale Forderungen und Anforderungen an eine Erfolg versprechende aktive Arbeitsmarktpolitik. Wenn der SSW wünscht, dass genau dies zum Vorbild für das weitere Handeln der Bundesregierung wird, unterstützen wir dies.

Das waren sie, die Forderungen im SSW-Antrag. An dieser Stelle frage ich Sie, liebe Kolleginnen und lieber Kollege vom SSW: Welche zentrale Botschaft für die weitere Arbeitsmarktpolitik in Schleswig-Holstein geht von Ihrem Antrag aus?

Ich fasse einmal kurz zusammen: Arbeitslose sind nicht faul, die Arbeitsverwaltung erledigt ihre Aufgaben im Rahmen ihrer Möglichkeiten angemessen, sodass wir ihr vertrauen können, und der eingeschlagene Weg der aktiven Arbeitsmarktpolitik soll fortgesetzt werden.

Nach wie vor bleiben aber folgende - jedenfalls für die FDP zentrale Fragen offen:

Erstens. Was passiert in Zukunft mit den Menschen, die über ASH weder qualifiziert noch in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können? In welcher Form können sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten für diese Menschen gefunden werden?

Zweitens. Wie groß ist die Bereitschaft - auch die des SSW -, die herrschenden Überregulierungen des Arbeitsmarktes abzubauen?

Sie alle kennen meinen Standpunkt zu dieser Frage, deshalb will ich hier nur so viel dazu sagen.

Wer sagt, es gebe zu wenig Arbeitsplätze, wer fordert, diese müssten geschaffen werden, und wer argumentiert, so lange dürften auch die Kontroll- und Sanktionsmechanismen der Arbeitsmarktpolitik nicht verschärft oder ausgedehnt werden, der vergisst manchmal, unter welchen Voraussetzungen Arbeitsplätze eigentlich geschaffen werden. Arbeitsplätze schaffen weder Sie, Frau Hinrichsen, noch Frau Engelen-Kefer. Die Schaffung von Arbeitsplätzen wird durch bestimmte politische Entscheidungen entweder positiv oder negativ beeinflusst.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrte Frau Ministerin, eine erfolgreiche Politik für Arbeit Suchende muss aus unserer Sicht drei Anforderungen erfüllen:

erstens einen flexiblen Arbeitsmarkt, der in der Lage ist, seine eigene Dynamik zu entfalten, weil er eben nicht durch und durch reguliert ist, flankiert von einer entsprechenden Steuerpolitik - von einem solchen Arbeitsmarkt sind wir allerdings noch meilenweit entfernt -,

zweitens eine aktive erfolgsorientierte Arbeitsmarktpolitik, die sich auf Qualifizierung und Integration in den eben skizzierten Arbeitsmarkt konzentriert - hier sind wir mit ASH 2000 einen Riesenschritt vorangekommen - und

drittens die Schaffung sinnvoller Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen, die keinerlei Chancen haben auf Einstieg oder auf Rückkehr - auch nicht durch Qualifizierung - in eben diesen Arbeitsmarkt.

Das muss im Zusammenwirken von Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Finanz- und Sozialpolitik geschehen, und zwar in der Schaffung von eben diesen sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine reelle Chance haben. Daran müssen wir noch ein gutes Stück arbeiten. Mir hat die zum Teil verquaste Kritik und die Aufgeregtheit um ASH 2000 gezeigt, dass wir uns an dieser Stelle keine offene Flanke leisten dürfen. Sonst droht das ganze Projekt ASH 2000, so wie es angelegt ist, zu scheitern oder zumindest kaputtgeredet zu werden.

Ich bin dafür, alle drei Anträge in den Ausschuss zu überweisen. Ich hätte keine Probleme damit, etwa dem Antrag von Wolfgang Baasch sofort zuzustimmen. Ich bin dafür, alle drei Anträge in den Ausschuss zu überweisen und uns inhaltlich über die Anträge von CDU,

(Dr. Heiner Garg)

SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu unterhalten und wirklich zu versuchen, das nächste Mal eine anständige produktive Debatte über die Arbeitsmarktpolitik in diesem Land zu führen.

(Beifall bei der FDP - Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abstim- mung in der Sache!)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt den Antrag des SSW. Wir würden allerdings heute gern in der Sache abstimmen. Ich glaube nicht, dass wir das noch groß im Ausschuss erörtern müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sagen klar: Wenn ein Bundeskanzler pauschal Arbeitslose als faul diffamiert,

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Hat er doch gar nicht!)

muss er mit Kritik von unserer Seite rechnen, auch wenn er Kanzler einer rot-grünen Bundesregierung ist.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Spoorendonk [SSW])

Ich erinnere mich noch, als Bundeskanzler Kohl den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern vorgeworfen hat, sie ruhten sich auf Kosten der Allgemeinheit in der sozialen Hängematte aus.

Erschreckend ist, dass wohl jeder Kanzler, egal aus welchem politischen Lager er kommt, einmal pro Legislaturperiode eine derartige Schuldzuweisung braucht. Die CDU hat es angedeutet: Es kann auch etwas damit zu tun haben, dass man nicht so genau weiß, ob man die versprochene Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen hinbekommt.

Erschreckend ist es deshalb, weil wir alle wissen, dass Arbeitslosigkeit überwiegend kein vereinzeltes, individuelles Schicksal ist, sondern ein strukturelles Problem. Es gibt schlicht und ergreifend immer noch zu wenig Arbeitsplätze für alle Arbeit Suchenden. Es ist aber auch erschreckend, weil die Politik darauf angewiesen ist, dass soziale Lasten durch soziale Sicherungssysteme wie die Arbeitslosenversicherung, aber auch steuerfinanziert wie durch die Sozialhilfe solidarisch von der Allgemeinheit getragen werden.

Wer diesen bestehenden gesellschaftlichen Konsens sprengt, legt Zündstoff - die entsprechenden Überschriften in den Zeitungen haben uns gezeigt, was aus dem Kanzlerwort gemacht worden ist -, der leicht entflammbar ist.

Da ist es für die CDU natürlich ein Leichtes, in einer Pressemitteilung - Herr Wadephul hat es gemacht mehr Sensibilität in der Diskussion über Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger und Arbeitslose zu fordern. Aber war es nicht die CDU, welche über Jahre hinweg zu einer Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft beigetragen hat, zu einer Gesellschaft, in der nur noch Ellenbogen zählen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Und jetzt?)

Das Ergebnis dieser Politik wird im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung überdeutlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das Ergebnis die- ser Politik ist Kanzler Schröder!)

Es sind die Arbeitslosen, welche überwiegend von der sozialen Ausgrenzung betroffen sind.

Wenn Arbeitslose jetzt glauben, bei Wadephul Schutz zu finden, sollten Sie sich das Märchen vom Rotkäppchen und dem Wolf durchlesen. Nicht jedes mitfühlende Wort ist ernst gemeint.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das zeigt auch der heutige Antrag der CDU. Die mitfühlenden Worte des Landesvorsitzenden sind Schnee von gestern. Jetzt wird wieder Klartext geredet. Da bleibt es bei der Androhung von Repressalien.

Der Vorschlag der CDU, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenzuführen, greift eine bundesweit laufende Debatte auf. Allerdings gibt es hier sehr unterschiedliche Aussagen zur Ausgestaltung. Während BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dies immer im Rahmen einer Grundsicherung für alle vorgeschlagen haben, will Arbeitgeberpräsident Hundt die Arbeitslosenhilfe der Sozialhilfe angleichen. Da halte ich es mit dem sozialpolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, der sagt, dass, wer in die Arbeitslosenversicherung einzahlt, auch Anspruch auf angemessene Leistung hat.

Deshalb können wir dem Vorschlag der CDU-Landtagsfraktion so pauschal nicht zustimmen. Das ist allerdings eine Sache, die man im Ausschuss - unabhängig von dem Antrag - durchaus einmal beleuchten könnte und müsste. Wir könnten aus Schleswig

(Monika Heinold)