Protokoll der Sitzung vom 31.05.2001

Das Bundesverfassungsgericht bewertet das geltende Recht offensichtlich nur deshalb als keinen Verstoß gegen das Übermaßverbot, weil das Gesetz an vorangegangene Verurteilungen anknüpft und die an bestimmte Tatsachen geknüpfte negative Prognoseentscheidung voraussetzt.

Die Feststellung, die Speicherung und die zukünftige Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greift in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht sichert, dem Gedanken der Selbstbestimmung folgend, dem einzelnen Menschen zu, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offen gelegt werden. Dieses Recht darf nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden und - ich wiederhole das - wenn ein begründetes öffentliches Interesse, ein Interesse der Allgemeinheit vorliegt.

Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Speicherung des so genannten genetischen Fingerabdrucks nur unter ganz engen Voraussetzungen zulässig ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Gott sei Dank!)

- Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu!

Allein die Annahme einer Rückfallgefahr eines vor langer Zeit verurteilten Betroffenen sei - Zitat - „nicht sicher auszuschließen“, genügt den an eine Gefahrensprognose von Verfassung wegen zu stellenden Anforderungen nicht, ebenso wenig wie der alleinige Hinweis auf einschlägige Vorverurteilungen des Betroffenen.

(Thorsten Geißler [CDU]: Nach dem jetzigen Gesetz!)

Das Bundesverfassungsgericht hat sehr ausführliche Erläuterungen dazu gemacht. Leider reicht meine Zeit nicht, Herr Abgeordneter, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Gänze vorzutragen. Es würde vielleicht erhellend wirken. Ich empfehle seine Lektüre.

Die Landesregierung führt deshalb weiter aus: Eine Gesetzesinitiative mit dem Ziel, bei bestimmten Katalogtaten eine Anordnung der Feststellung des DNAIdentifizierungsmusters auch ohne Gefährlichkeitspro

(Ministerin Anne Lütkes)

gnose zu erreichen, zu ermöglichen, ist höchst problematisch und begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken.

Wir, die Landesregierung, verschließen uns nicht der Debatte, die im Frühjahr dieses Jahres auf der Innenministerkonferenz begonnen worden ist, über die Rechtsgrundlagen des genetischen Fingerabdrucks.

Erlauben Sie mir zwei Ergänzungen zum schriftlichen Bericht.

Zum einen bin ich - wenn ich das hier so klar sagen darf - nicht der Auffassung meines Generalstaatsanwalts, dass eine Gesetzesänderung notwendig ist. Das geltende Recht reicht aus, mit einer Negativprognose auch Altfälle in die Datei aufzunehmen. Das ist bekannt. Das hat die Landesregierung - das Justizministerium gemeinsam mit dem Innenministerium - in einer dem Ausschuss vorgetragenen Vereinbarung geklärt. Wir haben alles denkbar Mögliche getan, um eine rechtlich und auf Verfassungsebene korrekte Speicherung von Daten von Sexualtätern, die in der Vergangenheit verurteilt worden sind, von so genannten Altfällen, vorzunehmen.

Zum anderen möchte ich den Bericht dahin gehend ergänzen, dass aus den Vorbereitungsverhandlungen zu der Justizministerkonferenz, die im Juni in Trier stattfindet, bekannt ist - das sage ich hier ganz deutlich -, dass kein Landesjustizminister vorschlägt, auf die Prognoseentscheidung zu verzichten, auch nicht beispielsweise der Kollege Weiß aus Bayern oder dies halte ich für von besonderer Bedeutung - der Kollege Kolbe aus Sachsen. Insofern gehe ich davon aus, dass die Justizministerkonferenz keinen Handlungsbedarf sieht. Natürlich werden wir das auf der Konferenz diskutieren. Das Thema steht auf der Tagesordnung. Ich denke aber, dass das Verfassungsgericht sehr deutliche Worte gesprochen hat.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Geißler.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Generalstaatsanwalt unseres Landes hat vor etwa zwei Wochen mit eindrucksvollen Argumenten eine gesetzliche Vereinfachung der Vorschriften über die Speicherung genetischer Daten von Straftätern gefordert,

(Beifall des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

um schwere Verbrechen besser aufklären und Täter überführen zu können. Zu Recht macht er darauf aufmerksam, dass eine funktionstüchtige Gendatei bei der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht aufgebaut werden kann. Denn eine Feststellung und Speicherung des so genannten genetischen Fingerabdrucks ist auch bei verurteilten Straftätern nach der gegenwärtigen Rechtslage nur dann zulässig, wenn eine so genannte Negativ- beziehungsweise Gefährlichkeitsprognose vorgenommen wird.

Der Generalstaatsanwalt gab Beispiele, die die Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung aufzeigen. Wenn beispielsweise das Gericht bei einem Ersttäter nach einem Sexualverbrechen die Haftstrafe zur Bewährung aussetzt, ist es äußerst schwierig, die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall hoch anzusetzen.

Bei bereits einsitzenden Straftätern, die vor ihrer Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haft stehen, ergibt sich folgendes Problem. Einerseits müsse ein Gutachter bescheinigen, dass keine Wiederholungsgefahr bestehe, gleichzeitig müsse ein Richter entscheiden, dass ein Rückfall wahrscheinlich sei, damit eine Speichelprobe genommen werden könnte. Der Generalstaatsanwalt hat daher einen gesetzlich festgelegten Katalog von Straftaten gefordert, bei dem ein Gentest obligatorisch ist oder aber richterlich angeordnet werden kann. Das vergrößere die Chance, dass Sexualstraftäter in der beim BKA geführten Gentdatei aufgelistet seien. Denn - so sagt der Generalstaatsanwalt - wer ein Kind sexuell missbrauche und anschließend töte, sei erfahrungsgemäß fast nie ein Ersttäter. Die Sexualstraftäter müssten sich gefallen lassen, dass auch ohne Wahrscheinlichkeitsprognose eine Speichelprobe genommen werde, so Erhard Rex.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Da wir uns in der CDU-Fraktion der Tatsache bewusst sind, dass die Feststellung und Speicherung des so genannten genetischen Fingerabdrucks einen erheblichen Grundrechtseingriff darstellt, haben wir die Landesregierung gebeten, dem Landtag einen Bericht zu erstatten, in dem sie darlegt, ob die von dem Generalstaatsanwalt geforderte rechtliche Änderung nach ihrer Einschätzung zulässig wäre.

Der Bericht ist auch zügig erstattet worden. Dafür danke ich ausdrücklich. Leider flüchtet er sich in die Feststellung, die geforderte Rechtsänderung sei „höchst problematisch“ - was immer das heißen mag.

(Thorsten Geißler)

Ob die Behauptung, dass das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Änderung des DNAIdentitätsfeststellungsgesetzes beziehungsweise der Strafprozessordnung wegen eines Verstoßes gegen das Grundrecht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung für verfassungswidrig erklären würde, kann man durchaus bezweifeln. Denn entscheidend sind dabei auch die Ausführungen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung gemacht hat, in der es die bisher geltende Rechtslage für verfassungsgemäß erklärt hat.

Der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, mit der die Feststellung und die Speicherung des nicht codierenden Anteils der DNA einhergehe, sei gerechtfertigt, da er die Erleichterung der Aufklärung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung bezwecke und damit einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege diene, der ein hoher Rang zukomme. Die vorsorgliche Beweisbeschaffung verstoße auch nicht gegen das Übermaßverbot. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht auf die Anknüpfung an die vorangegangene Verurteilung, auf die Gefahrenprognose, den Richtervorbehalt, die Tilgungsfristen zur Wahrung des Rehabilitationsinteresses des Betroffenen und die strengen Zweckbindungsvorschriften verwiesen.

Der Schluss, dass das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen das Übermaßverbot bereits dann bejahen würde, wenn von all diesen Einschränkungen die Gefahrenprognose entfiele, ist aus meiner Sicht alles andere als zwingend.

Prüfungsmaßstab bei der von Ihnen zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden wegen richterlicher Anordnung über die Feststellung des genetischen Fingerabdruckes war im Übrigen die gegenwärtige rechtliche Regelung, sodass sich aus der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht hierbei eine konkrete Gefahren- beziehungsweise Negativprognose gefordert hat, keineswegs der Schluss ableiten lässt, eine anders lautende Regelung sei verfassungswidrig.

Die Landesregierung verweist nun in ihrem Bericht auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz vom 10. Mai diesen Jahres, nach dem die Möglichkeiten einer Erweiterung der gesetzlichen Grundlagen für die molekulargenetische Behandlung von Straftätern zunächst praktisch und rechtlich geprüft werden sollen. Frau Ministerin, Sie haben allerdings vergessen darzulegen, dass neun Bundesländer - darunter auch Bundesländer mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung - diesem Beschluss eine Protokollnotiz angefügt haben. Sie halten es unabhängig von der Notwendigkeit eines besonderen verfassungsrechtlichen Prü

fungsbedarfs für erforderlich, dass sobald wie möglich gesetzgeberische Schritte eingeleitet werden, um den Einsatz der DNA-Analyse für die künftige Strafverfolgung zu erweitern. Geboten und kurzfristig umsetzbar ist insofern eine Erweiterung bei den Taten, die Anlass für eine DNA-Behandlung sein können, auf alle Delikte mit sexuellem Hintergrund sowie auf Straftaten, wegen derer sich der Betroffene aufgrund rechtskräftiger Verurteilung in Strafhaft befindet oder befinden sollte. Das ist auch die Auffassung meiner Fraktion.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist durch das Grundgesetz verbürgt. Das ist auch gut so. Eingriffe im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sind aber zulässig. Hier geht es um den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftaten. Diesem Gesichtspunkt sollten wir Aufmerksamkeit zollen.

(Beifall bei der CDU)

Der Generalstaatsanwalt hat zu Recht deutlich gemacht, dass im Interesse einer verbesserten Prävention Handlungsbedarf besteht, aber auch im Interesse besserer Aufklärungsmöglichkeiten von schwersten Straftaten.

Ich hoffe, dass es gelingt, im Innen- und Rechtsausschuss eine Verständigung zwischen den Fraktionen zu erzielen, damit das Bundesland Schleswig-Holstein im Bundesrat konstruktiv an einer Änderung des DNAIdentitätsfeststellungsgesetzes mitwirken kann.

(Beifall bei der CDU - Zuruf des Abgeord- neten Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich erteile Herrn Abgeordneten Rother das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die für die CDU-Fraktion von Herrn Geißler gestellte Frage zum Bericht ist beantwortet worden, das hat die Ministerin auch schon gesagt. Die Landesregierung hält die DNA-Identitätsfeststellung - so wie gefragt wurde für höchst problematisch. Übersetzt heißt das, sie sagt eher Nein dazu.

Grund für diese Auffassung, die ich teile, sind vor allem die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2000 und März 2001.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Und eine eigene politische Überzeugung - dankenswerterwei- se!)

(Thomas Rother)

Demnach stellt die Feststellung, Speicherung und Verwendung des DNA-Identifikationsmusters einen nicht unerheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dieses Recht darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durchgesetzt oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Die Einschränkung darf aber nicht weiter gehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses erforderlich ist. Das hat die Ministerin auch schon vorgetragen.

Das geltende Recht gestattet die Erhebung, Speicherung und Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters unter Beachtung dieser verfassungsmäßigen Vorgaben. Zulässig sind diese Maßnahmen insbesondere auf dem Gebiet der Sexualstraftaten - es gibt da den im CDU-Antrag erwähnten Straftatenkatalog - bei Personen, bei denen der Grund zur Annahme besteht, dass gegen sie künftig erneut Strafverfahren wegen einer solchen Straftat zu führen sind, wenn also die so genannte Gefahrenprognose gestellt wird. Die Bedeutung der Gefahrenprognose hat das Bundesverfassungsgericht in seinen bereits genannten Entscheidungen hervorgehoben. Der Gefahrenprognose muss demnach eine ausreichende Sachaufklärung, insbesondere durch die Hinzuziehung der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten, des Bewährungsheftes und zeitnaher Auskünfte aus dem Bundeszentralregister vorausgegangen sein. Die für sie bedeutsamen Umstände müssen nachvollziehbar abgewogen werden. Dabei ist eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung notwendig.

Es ist ja bekannt, dass es Bundesländer gibt, die gern die Erfassung vereinfachen und eine Erfassung auf alle bekannten Straftäter ausdehnen wollen, um erneut straffällig Gewordene eher fassen zu können oder eine Abschreckung zu erzielen. Es ist eine sehr gute Botschaft, dass die Justizministerkonferenz dieses Thema nicht aufgreifen will.

(Beifall der Abgeordneten Lothar Hay [SPD], Renate Gröpel [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es muss in jedem Fall das Verfassungsgrundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleiben. Erst gestern haben wir ja in Bezug auf die Telekommunikation darüber diskutiert, dass es durchaus die Gefahr gibt, dass der überwachende Staat zu einem Überwachungsstaat werden kann und nicht werden darf. Das hat auch Ihre Kollegin Frau Schwalm gestern ausgeführt.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Es ist also Vorsicht - Vorsicht vor allzu einfachen Lösungen - geboten. Das sage ich auch in Kenntnis der Tatsache, dass heute in den „Kieler Nachrichten“ zu lesen ist, dass der Generalstaatsanwalt eine Vereinfachung dahin gehend fordert, den Straftatenkatalog ohne Prognose für die genetische Erfassung von Straftätern anzuwenden.

(Thorsten Geißler [CDU]: Zu Recht!)

Wir sollten in unseren weiteren Beratungen sorgfältig prüfen und abwägen, ob ein solcher Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch verhältnismäßig wäre, Herr Geißler!