Protokoll der Sitzung vom 12.07.2001

Gerade weil wir meinen, dass die letzten Worte wohl im Reichstagsgebäude und eventuell im Bundesrat fallen, unterstützen wir auch die von der CDU gestellte Forderung nach einem Moratorium für den Import embryonaler Stammzellen. Solange das Parlament noch nicht entschieden hat, macht es keinen Sinn, diese Zellen zu importieren, und es wäre ein falsches Signal. Ein Appell an die Forscher - wie von SPD und Grünen vorgeschlagen - wäre nach unserer Ansicht nicht ausreichend.

Die von der FDP eingeforderte Forschungsfreiheit ist ein hohes Gut und soll undemokratischen Missbrauch verhindern. Sie findet aber ihre Grenzen, wo der Gesetzgeber Einhalt gebietet. Die Politik muss in einer solchen Frage das letzte Wort einfordern, sonst nehmen wir selber die parlamentarische Demokratie nicht mehr ernst.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile jetzt Frau Ministerpräsidentin Simonis das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Debatte über Stammzellenforschung und Gentechnik liegen schwierige ethische Fragen vor uns, die wir nicht einfach mit richtig oder falsch beantworten können. Ethische Fragen sind immer Gewissensfragen. Deswegen kann man in diesen Fragen

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

auch keinen Fraktions-, Gruppen- oder Kabinettszwang einklagen.

(Beifall bei SPD, SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der CDU)

In der Frage der Forschung mit humanen Stammzellen stehen zwei Probleme im Vordergrund: erstens der Schutz der Menschenwürde von Embryonen und zweitens die Dynamik der Forschungs- und Technologieentwicklung. Dieser Abwägungsprozess fordert Antworten, die wir alle uns noch erarbeiten müssen. Dass wir diese Antworten noch nicht haben, hat nichts damit zu tun, dass wir - wie heute Morgen angeführt unsere Hausaufgaben noch nicht getan hätten, sondern hat zu tun mit der Dynamik der Forschung, der wir nicht immer standhalten können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Bei der Stammzellenforschung ist es äußerst schwierig, darüber zu entscheiden, was wir wollen und was wir nicht wollen dürfen. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir oft genug erfahren, dass technische Entwicklungen nie nur das bewirken, was ihre Urheber als Fortschritte für das Leben der Menschen beabsichtigt hatten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir müssen immer mit unerwarteten Neben- und Spätfolgen einer Technologie rechnen. Das gilt in der Biomedizin- und in der Gentechnik erst recht.

Wir stehen vor einer Vielzahl offener Fragen, von denen ich nur einige nennen möchte. Welche Techniken und Kenntnisse fallen in der Stammzellenforschung als Nebenprodukte an? Stehen sie selbst dann zur Verfügung, wenn sich die Hoffnungen auf Stammzellentherapien zerschlagen sollten? Können sie anderswo missbräuchlich eingesetzt werden? Wer wären die Nutznießer dieser Technologieentwicklungen? Wer würde darunter zu leiden oder dafür zu zahlen haben? Was bedeutet die embryonale Stammzellenforschung für die Rolle der Frau? Wird sie - wie es ein Artikel in den „Kieler Nachrichten“ heute andeutete - zur bloßen Rohstoffquelle für Forschungs- und Wirtschaftszwekke? Würde sie zur bloßen Produzentin gesunder, schöner Kinder?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Der Mann doch auch! Das geht ohne Männer nicht!)

Wie steht es mit ihrer Menschenwürde?

Bei der Diskussion von Pro und Kontra der Stammzellenforschung geht es im Grunde nicht um die Tech

nik, sondern um die gesellschaftlichen Konsequenzen der Wissenschaft. Darf der Mensch die Evolution beschleunigen? Wird am Ende eine darwinistische Gesellschaft stehen, in der nur noch die Stärksten, die Besten, die Schönsten ihr Recht haben? Ich will keine Gesellschaft, in der alles gesellschaftlich Unerwünschte als Krankheit definiert wird und durch Gentechnik korrigiert werden kann.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei CDU und FDP)

In welche Gewissenskonflikte stürzen wir damit Eltern, die sich gegen den gesellschaftlichen Druck für ein behindertes Kind entscheiden, auch wenn sie rechtzeitig davon erfahren?

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, den Ängsten in unserer Gesellschaft müssen wir uns stellen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir müssen sie aber nicht schüren!)

Am Ende müssen wir entscheiden, was der ethische Grundkonsens ist und wie es mit der Stammzellenforschung weitergeht. In diesen Abwägungsprozess gehört aber auch die faire Betrachtung der Chancen der Stammzellenforschung. Wir dürfen unsere Ängste nicht zum alleinigen Maßstab unserer Entscheidungen machen. Viele Menschen versprechen sich Heilung von Krebs, Diabetes, parkinsonscher Krankheit, Herzfehlern und von anderen schweren Leiden. Das sind berechtigte Wünsche. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass Art. 2 des Grundgesetzes Leben und körperliche Unversehrtheit unter Schutz stellt. Nach Art. 12 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat jeder das Recht auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Dieser Vertrag bindet Deutschland völkerrechtlich. Ich glaube, jeder von uns in diesem hohen Hause steht dazu. Damit sind solchen Gesetzen Grenzen gesetzt, die die Entwicklung therapeutischer Maßnahmen einschränken, soweit sie nicht ein höherrangiges Rechtsgut schützen. Auch das Streben nach neuem Wissen hat eine verfassungsrechtliche Basis, deren grundsätzlichen ethischen Werte wir nicht in Frage stellen können.

Im Kern wird die Forderung, die Forschung mit embryonalen Stammzellen zu erlauben, mit der Hochrangigkeit der Forschungsziele und damit implizit mit dem

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

internationalen Konkurrenzdruck begründet. Es schwingt die Sorge mit, dass alle anderen neue Verfahrenspatente beantragen könnten und dass damit der Standort Deutschland gefährdet würde. Für mich ist dieses Argument hinsichtlich einer ethischen Betrachtung zumindest heikel, vielleicht sogar von der Diskussion ausgeschlossen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Der Druck durch andere Rechtsverhältnisse und durch abweichende moralische Einschätzungen in anderen Ländern ist kein ethisch oder moralisch gültiges Argument. Bei der Frage der Anwendung der Todesstrafe akzeptieren wir das übrigens; wir müssen es auch in anderen Bereichen akzeptieren. Dass andere etwas tun, was wir selbst für moralisch nicht gerechtfertigt halten, ist kein Grund dafür, es ihnen gleich zu tun.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Geduld und eine sachliche Diskussion sind die Gebote der Stunde. Wir brauchen eine behutsame Diskussion über gesellschaftliche Wertvorstellungen, historische Erfahrungen und religiöse Bindungen in unserem Land. Die Erfahrungen unserer Nachbarn können wir nicht konturengenau auf unsere Gesellschaft übertragen. Das Tempo der Forschung darf das Tempo unserer Diskussion auf keinen Fall bestimmen - eher im Gegenteil.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Bevor über Änderungen des Embryonenschutzgesetzes entscheiden, brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte. Darin sehe ich eine große Verantwortung für den Schleswig-Holsteinischen Landtag. Unsere heutige Debatte über die drei vorliegenden Anträge kann nur ein Anfang sein. Kein Ethikrat und keine Enquetekommission kann uns unsere Verantwortung abnehmen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU)

Am Ende muss jeder Parlamentarier wissen, muss jeder Einzelne wissen, was er vor seinem Gewissen verantworten kann.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

An die Wissenschaftler appelliere ich, bis zur Entscheidung durch die Parlamente keine vollendeten Tatsachen zu schaffen, die nicht mehr reversibel sind. Ohne gesellschaftliche Akzeptanz ist Forschung in so sensiblen Feldern auf Dauer nicht zu machen - gegen die Menschen erst recht nicht.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie vereinzelt bei CDU und FDP)

Ich erteile jetzt dem Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich mit dem Antrag der CDU zum Moratorium bei der Embryonenforschung etwas näher beschäftigen und dabei feststellen, dass jeder von uns im Haus aus seiner eigenen inneren ethischen Grundüberzeugung heraus argumentiert und dass niemand - Frau Kollegin, das gilt übrigens auch für mich in Bezug auf Sie - dem anderen abspricht, wohl überlegt, wohl fundiert und im Rahmen seiner eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen zu diskutieren. Gleichzeitig will ich festhalten, dass schon wir - egal, wie lange das Moratorium dauert; egal, wie intensiv wir diskutieren - in diesem Hause mit Sicherheit keinen allgemeinen ethischen Grundkonsens finden werden, der Allgemeinverbindlichkeitscharakter hat.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Wenn wir bei der Frage der Änderung des § 218 des Strafgesetzbuches so verfahren wären, wie die Frau Ministerpräsidentin und einige andere Redner es gefordert haben, dann hätten wir die Vorschrift heute noch nicht; denn bei der Frage, ob Schwangerschaftsabbrüche überhaupt - und wenn ja, bis zu welchem Zeitpunkt - straffrei gestellt werden sollten, haben wir auch heute noch keinen Konsens. Wenn wir uns damals darauf verständigt hätten, dass wir Konsens mit dem Vatikan herstellen sollten, wären wir noch nicht so weit, wie wir heute sind. Egal, wie weit wir in der Diskussion sind: Wir werden die katholische Kirche niemals davon überzeugen können, dass auch nur die In-vitro-Fertilisation rechtmäßig sei und möglich gemacht werden solle. Die katholische Kirche hält nämlich bereits das für ein Verbrechen.

Herr Kollege Wadephul, aus diesen Gründen verstehe ich Ihren Antrag nicht. Sie erwarten, dass wir nach einer weiteren Diskussion - wie lange soll die eigentlich dauern? - einen allgemeinen Konsens haben und dass die Gesellschaft dann so weit wäre, sich mit 80, 90 und 100 % Zustimmung für eine bestimmte Entwicklung zu entscheiden.

Die ethischen Grundfragen, die sich hier stellen, sind ganz einfach und die kann jeder von uns heute oder in drei Monaten beantworten. Die ethischen Grundfragen

(Wolfgang Kubicki)

lauten: Wann glauben wir, dass menschliches Leben wirklich entsteht?

Die zweite ethische Grundfrage ist die: Was glauben wir, darf mit dem Menschen oder seinen Vorformen bis zu welchem Stadium geschehen? Wenn man diese Grundfragen beantwortet, indem man sagt, man glaubt, dass der Mensch an sich bereits mit der Zeugung zwischen Ei- und Samenzelle entsteht, und wenn man gleichzeitig sagt, man lässt jede Verhältnismäßigkeitsprüfung der Frage, was damit entstanden ist oder was damit anderes geschehen kann, nicht mehr zu, dann muss man sagen, dass mit dieser Forschung ab heute Schluss ist. Die Frage kann man sehr stringent beantworten, wie es das Bundesverfassungsgericht möglicherweise getan hat.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: In Deutschland!)

In Deutschland.