Protokoll der Sitzung vom 12.07.2001

Das alles sind Fragen, die wir uns bewusstmachen müssen: Was läuft in unserem Kopf? Was läuft in unserer Seele, was ist mit unseren Gefühlen? Ich finde, sich darüber Rechenschaft abzulegen, ist unbedingt notwendig, um in dieser Diskussion weiterzukommen.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik befindet sich insgesamt noch in einem experimentellen Stadium. National wie international gibt es darüber Kontroversen. Das gilt aber für viele medizinische Verfahren. Wir müssen uns zudem auch darüber im Klaren sein - das hat hier noch niemand angesprochen -, dass es weitere Anwendungsmöglichkeiten geben wird. Mit der schlichten Verwerfung eines Embryos wird es nicht sein Bewenden haben. So wird sich die Möglichkeit ergeben, einen Defekt mit einem relativ kleinen Eingriff in die Genbahn für die folgenden Generationen zu beseitigen.

Das ist im Moment noch nicht in der Anwendung, aber die Methode ist in den Gedanken der Forscher, insbesondere auch der Kinderärzte, mit denen ich darüber gesprochen habe, durchaus als Möglichkeit vorhanden. Das heißt, wenn wir jetzt die Frage über die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik mit Ja beantworten, wird uns diese Frage als Nächstes beschäftigen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Dann ist es unsere Pflicht, auch da wieder eine verantwortungsbewusste Entscheidung zu treffen. Die Fragen sind also gestellt. Sie müssen beantwortet werden und sie müssen in dem Bewusstsein beantwortet werden, dass unsere Antworten nicht global sein können. Das sehe ich anders, als Herr Dr. Wadephul. Sie müssen in dem Bewusstsein beantwortet werden, dass sie nicht letztgültig sind. Es gibt keine letzten Antworten,

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

auch im Reichstagsgebäude, im Deutschen Bundestag, werden keine letzten Worte fallen.

(Jürgen Weber [SPD]: Da schon gar nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir den Mut, diese Tatsache, dass es keine letzten Antworten gibt, als Konsequenz menschlicher Natur und ihrer Neugier sowie ihrer Möglichkeiten zu akzeptieren.

(Glocke des Präsidenten)

- Entschuldigung, Herr Präsident. Ich komme zu meinen letzten Sätzen darüber, wie wir mit dem Antrag umgehen sollten. Lassen Sie uns für diese Entscheidung die Ergebnisse der „Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages und des Nationalen Ethikrates abwarten, beziehungsweise sie in unsere Antworten mit einbeziehen. Ich weise Sie noch darauf hin, dass die Gesundheitsministerkonferenz in diesem Jahr einstimmig die Bundesregierung aufgefordert hat, ein Fortpflanzungsmedizingesetz zu schaffen und in diesem Gesetz

(Ministerin Heide Moser)

die Präimplantationsdiagnostik in Deutschland eindeutig zu regeln, ohne dass die Gesundheitsminister gesagt haben, in welcher Richtung entschieden werden soll. Wir brauchen eine Regelung. Wir müssen jetzt aber keine Bundesratsinitiative ergreifen, weil darüber schon in der politischen Landschaft diskutiert wird und eine Entscheidung demnächst ansteht.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich rufe weitere Kurzbeiträge auf. Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Beran.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte bestimmte Dinge so nicht im Raum stehen lassen. Bei allem Respekt, Herr Dr. Klug, ich kann Ihren Standpunkt verstehen, aber es gibt auch den Standpunkt der drei Kinder und der Frage, ob sie ihr Leben für lebenswert gehalten hätten oder nicht. Diese Frage vermag ich nicht zu beantworten, aber ich möchte die Frage gern stellen.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Dann müssen Sie jede Abtreibung verbieten, wenn Sie dieser Auffassung sind!)

Ich komme zum nächsten Punkt. Ich möchte zunächst das persönliche Bekenntnis ablegen, dass ich kein großer Befürworter der Abtreibung bin. Das mag mit meiner religiösen Herkunft zusammenhängen. Ich gehöre der katholischen Kirche an. Wenn aber ein breites Spektrum der Gesellschaft den § 218 StGB trägt, muss ich das akzeptieren und ich kann es auch akzeptieren. Das bedeutet für mich jedoch nicht, dass ich in einer Phase, in der wir über neue Methoden in der Medizin reden, nicht all das, was ich dazu beitragen kann, versuche, um Eingriffe, die für mich nach Selektion aussehen, zu verhindern.

Eins möchte ich außerdem noch dazu sagen: Wenn wir von Abtreibung reden und gesagt wird, es sei möglich, behinderte Kinder im Nachhinein abzutreiben, weise ich darauf hin, dass dies nicht richtig sein kann. Ich beziehe mich hier auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage aus der vorigen Legislaturperiode. Dort steht:

„Die Bundesregierung ist der Ansicht, dass die medizinische Indikation zu einem Schwangerschaftsabbruch, insbesondere in einem späteren Stadium, äußerst streng gestellt und auf Fälle beschränkt werden soll, in denen das Leben der Mutter in Gefahr ist.“

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zurufe von der FDP: Nein, nein!)

Ich finde, das ist ein entscheidender Unterschied zu dem, was Sie hier geäußert haben. Ich kann auch sagen, woher ich das habe. Das steht in der Drucksache 13/5364, in der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der CDU-Bundestagsfraktion. Ich gehe davon aus, dass das auch hier im Land rechtliche Praxis ist. Zumindest ist mir nichts anderes bekannt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Nein, das stimmt nicht!)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Weber.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus meiner Sicht hat die Ministerin das Wesentliche schon gesagt. Erlauben Sie mir trotzdem, der Debatte einen kleinen Aspekt hinzuzufügen. Ich glaube, wir kommen in immer größere Schwierigkeiten, wenn wir die Frage PID, wie andere Fragen auch, unter der Fragestellung gut oder böse diskutieren.

(Beifall bei der FDP)

Es geht nicht darum, ob es gut ist, PID anzuwenden meiner Ansicht nach ist es grundsätzlich nicht gut, so wie auch eine Abtreibung per se nichts Gutes ist -, sondern es geht eigentlich um die Frage der Grenze des Strafrechts, nämlich die Frage, ob das Strafrecht als stärkste Waffe des Staates gegen Menschen eingesetzt werden soll, die solche Maßnahmen und Möglichkeiten nutzen wollen. Das ist die Frage, vor der wir stehen. Die Frage kann man unterschiedlich beantworten. Aber meines Erachtens ist das ein Gesichtspunkt, der immer ein bisschen aus dem Blickfeld gerät. Mit Rücksicht auf die schwer belasteten Paare, über die wir hier reden, müssen wir über die Frage nachdenken, ob das sinnvoll ist und ob wir sie überhaupt noch mit einem Knüppel Strafrecht treffen können.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

Das kann man meines Erachtens sehr rational, von unterschiedlichen ethischen Standpunkten aus beantworten. Ich fürchte nur, wenn wir in Deutschland keine Regelung hinbekommen, werden wir dasselbe wie in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren haben: Die Leute werden nach Holland, Schweden und sonst wo hinfahren. Lassen Sie uns das in der Diskussion nicht völlig

(Jürgen Weber)

beiseite wischen und lassen Sie uns daraus keine Diskussion über Gut oder Böse machen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Weber, ich fand die Debatte, die wir hier geführt haben, schon deshalb qualitativ hochwertig, weil sie aus meiner Sicht keine Debatte über Gut oder Böse war - nicht in dem Sinne, wie Sie es hier beschworen haben. Ich finde, es war eine gute Debatte; denn es wurde versucht, so wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das auch erreichen möchte, im Vorhinein abzuwägen und einzuschätzen, welche Auswirkungen es hat, wenn wir etwas Bestimmtes tun. Das müssen wir in allen möglichen Bereichen, aber bei solchen schwerwiegenden lebensberührenden Entscheidungen müssen wir das auf jeden Fall tun.

Jetzt komme ich zum Vertrauen in die Mütter. Frau Happach-Kasan, ich habe Vertrauen in die Mütter, aber ich möchte sie auch von dem ungeheuren gesellschaftlichen Druck freistellen, unter den sie zu geraten drohen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Mein Gott!)

Sie drohen unter einen Druck zu geraten. Darüber haben wir uns in der Enquetekommission schon einmal ausgetauscht. So geraten sie schon jetzt unter einen ungeheuren Druck, wenn sie bei einer ganz normalen Schwangerschaft nicht zu jeder Vorsorgeuntersuchung gehen, weil sie sich nicht krank fühlen und keine Lust dazu haben. Schon dann geraten sie unter Druck. Und das ist ein wirklich harmloser Fall. Wenn sie dann ein behindertes Kind bekommen und damit im Kinderwagen zum Einkaufen gehen, kommt es dazu, dass Menschen die Mütter abschätzend angucken und fragen: War das denn nötig? Das ist genau der Punkt. Da fokussiert sich das Problem nicht auf das Vertrauen in die Mütter, sondern auf die Gesellschaft, die mit einer solchen Gesetzesdebatte und den Möglichkeiten, die sie ihnen gibt, umgehen können muss. Darum ist es aus meiner Sicht keine Frage des Vertrauens in die Mütter, sondern es ist eine Frage, wie wir Menschen, die sich trotz vieler Risiken eine Schwangerschaft und ein Kind wünschen, von dem gesellschaftlichen Druck befreien können, dass das Kind bestimmten Vorstellungen entsprechen muss.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal muss eine Bemerkung der Kollegin Fröhlich richtiggestellt werden, wonach eine Abtreibung aus eugenischen Gründen nicht mehr möglich sein soll.

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das habe ich nicht gesagt! - Zuruf: Das war Herr Beran!)

- Das ist mir egal; vielleicht war es auch Herr Abgeordneter Beran. Wenn es Herr Abgeordneter Beran war, entschuldige ich mich.

Ich möchte Ihnen § 218 a StGB vorlesen, in dem sich der Gesetzgeber entschieden hat:

„Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.“

Das bedeutet - und so wird übrigens auch verfahren -, dass bei sehr schweren Behinderungen des Kindes im Mutterleib, die zu einer unerträglichen seelischen Belastung für die Mutter werden würden, die Abtreibung vorgenommen werden kann, wobei das immer schwieriger wird, je älter das Kind im Mutterleib ist.

Ich akzeptiere, Herr Kollege Beran, Ihre Position - das ist keine Frage - aber Sie müssen konsequenterweise beantworten, wie wir damit umgehen wollen, dass wir beispielsweise die Genehmigung erteilen und die Mutter eine In-vitro-Fertilisation vornehmen lässt und, bevor die befruchtete Eizelle eingepflanzt wird, zu dem Arzt sagt, entweder sie nehmen eine PID vor, oder ich lasse die Eizelle nicht einpflanzen.

Jetzt müssten Sie konsequenterweise sagen, wir müssten die Mutter verpflichten, das Ei auszutragen, denn sonst stoßen wir genau an dieses Problem, vor

(Wolfgang Kubicki)

dem wir stehen, dass Menschen erklären, bevor ich in eine Notlage gerate, aus der mir niemand hilft, erwarte ich einfach, dass die Wissenschaft von ihren Möglichkeiten Gebrauch macht, damit ich gar nicht erst in eine Situation komme, in der ich möglicherweise von § 218 Abs. 2 Gebrauch machen muss. Das wäre dann eine konsequente Haltung. Da wir das nicht können und dürfen, besteht für mich persönlich die gesellschaftliche Verpflichtung, der Frau die Möglichkeit zu geben, vorab festzustellen, ob sie mit einer solchen Situation konfrontiert werden will, die in § 218 Abs. 2 beschrieben ist, oder nicht. Deshalb bin ich dafür, wenn auch teilweise aus anderen Gründen als meine Fraktion -, die PID zuzulassen.

(Beifall bei der FDP)