Ich erteile der Frau Ministerin Moser das Wort und weise darauf hin, dass damit eine neue Debattenrunde eröffnet wird.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde gern ein Wort zu dem Thema Selektion und dem befürchteten gesellschaftlichen Druck, der auf Eltern lastet, sagen. Ich habe nicht den Eindruck, dass mit den gewachsenen Möglichkeiten, Selektionen vorzunehmen - und das haben wir durch die In-vitroFertilisation und die pränatale Diagnostik -, das Problembewusstsein, dass wir alle uns mit Behinderung und Krankheit auseinander setzen müssen, unter Umständen damit leben müssen, geringer geworden ist.
Ich denke, mit einer gewissen Freiheit zur Entscheidung, die schon jetzt durch die pränatale Diagnostik gegeben ist, ist die Möglichkeit, Verantwortung wahrzunehmen, einfach größer und deutlicher geworden.
Ich will es an einem ganz persönlichen Beispiel deutlich machen. Ich habe mit 36 Jahren, mit dem zweiten Kind schwanger, die pränatale Diagnostik durchführen lassen, weil ich einfach Angst hatte - nicht Angst vor gesellschaftlichem Druck, sondern Angst vor meinem persönlichen Unvermögen, mit einer möglichen Behinderung eines Kindes umgehen zu können. Damals war ich mir ziemlich sicher, was ich tun würde, wenn ich ein Ergebnis kriegte. Heute, nachdem sich die Entwicklung wirklich fortgesetzt hat, wäre ich mir überhaupt nicht mehr sicher, wie ich entscheiden würde, wenn ich bei der Diagnostik einen Befund kriegte, die und die Problematik werde vermutlich auf mich zukommen. Ich wäre überhaupt nicht mehr sicher. Das
habe ich in den Jahren gelernt. In den Jahren hat sich mein Bewusstsein in diese Richtung weiterentwickelt. Ich denke, wir sollten diese Möglichkeit, mehr Verantwortung übernehmen zu können, in Betracht ziehen als etwas, was man auch positiv bewerten kann.
Es gehört dann natürlich auch zu den politischen Aufgabenm dieser Freiheit, die größer wird, auch die Leitplanken in Form von rechtlichen Bestimmungen zu geben. Das ist gar keine Frage. Das ist unsere Aufgabe. Aber wir sollten - um es etwas platt zu sagen; vielleicht ist das dem Ernst der Situation nicht ganz angemessen - nicht immer dazu neigen, aus Angst vor dem Tode Selbstmord zu begehen.
Wenn die Debatte schon so persönlich wird: Ich bin eine derjenigen, die die Freigabe des § 218 massiv gefordert haben. Aber ich musste mir später auch als Grüne von Behindertenverbänden sagen lassen: Ihr habt eine Debatte angestoßen, die Konsequenzen hatte, die ihr, als ihr die Debatte angestoßen habt, nicht wolltet und nicht bedacht habt. - Das ist doch mein Problem. Wir stehen wieder vor einer weiteren Debatte, in der wir versuchen, Folgeprobleme mit abzuschätzen. Ich will nicht sagen, dass aus erweiterten Möglichkeiten größere Risiken folgen, nicht immer nur, aber der Blickwinkel verschiebt sich. Ich schildere hier nicht irgendetwas, sondern ich schildere Mütter, die mir von dieser Drucksituation berichten. Das müssen wir doch mit wahrnehmen. Das gehört doch mit dazu.
Was ich aber noch sagen wollte: Ich wusste, dass Herr Kubicki hier mit dem Gesetzbuch kommt und sagt, Frau Fröhlich hat mal wieder keine Ahnung. Das gehört mit zum Spiel und ist auch in Ordnung. Ich habe aber nicht gesagt, dass es diese eugenische Möglichkeit nicht gibt, sondern die Indikation gibt es nicht. Wenn Sie, sehr geehrter Herr Kollege, sich erinnern, so hat es zu den 218-Regelungen einen Vorläufer gegeben. Da gab es drei Indikationen, die den Schwangerschaftsabbruch straffrei stellten, das war die medizinische Indikation, die eugenische und die soziale Indikation. Und diese eugenische Indikation haben wir herausgenommen.
Ich fand es sehr schön, dass Herr Beran noch einmal darauf verwiesen hat, dass dieser Paragraph, den Sie jetzt gerade vorgelesen haben, lediglich auf die soziale
Indikation für die Mutter abhebt. Ich glaube, dass es sich eingebürgert hat, an dieser Stelle die Möglichkeit der Behinderung eines Kindes automatisch mit hineinzunehmen. Das ist eine Rechtspraxis, die sich anscheinend entwickelt hat. Das haben wir erst einmal so von den Gerichten zur Kenntnis genommen. Das ist ja eben so, dass wir nur von Gerichten solche Praxis aufgezeigt kriegen können. Das hat zu einer Praxis geführt, dass in dem Falle, dass die Behinderung eines Kindes festgestellt wird, dies mit großer Automatik dazu führt, Frauen vor die Lage zu stellen: Lassen Sie es doch wegmachen! Damit habe ich ein Problem, Herr Kubicki, genau wie Herr Beran.
Ich bin eine glühende Verfechterin der Straffreiheit bei Schwangerschaftskonflikten, wenn gesagt wird: Ich schaffe es nicht, ich muss das abtreiben. Das ist eine grässliche Situation und ich wünsche sie niemandem. Ich weiß, wovon ich spreche. Wenn wir aber solche Möglichkeiten zur Verfügung stellen, müssen wir immer mit in unsere Köpfe hineinnehmen - das ist doch unsere Verantwortung hier -: Was tun wir weiter an Stellen, die wir nicht wollen? Es gibt nichts, was nicht gemacht wird. Auch das beste Gesetz hat immer seine Kehrseiten und damit wollen wir uns beschäftigen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beispiele von den Kollegen der FDP zeigen meiner Meinung nach, dass man sich schon ganz auf das Verfahren eingestellt hat. Das heißt, dass man akzeptiert, dass diese Form der Diagnostik der richtige Weg ist, und davon ausgehend argumentiert man. Ganz banal betrachtet müsste hier auch einmal die Frage gestellt werden: Gibt es keine Alternativen zu dieser PID-Diagnostik, die dann für diejenigen, die betroffen sind, vielleicht sogar noch bessere Möglichkeiten darstellen?
Überhaupt ist das Problem - wie ich finde - immer wieder das gleiche: Wir kommen mit Argumenten und Beispielen und vergessen manchmal zu fragen, ob diese Beispiele angemessen und redlich gegenüber der Diskussion sind. Und Ihre Beispiele, lieber Kollege Kubicki, fand ich nicht immer ganz redlich, sondern auch ein bisschen polemisch.
Die Debatte hat auch gezeigt, dass man Widersprüche aufdeckt. Die Ministerin sagte es vorhin ganz plastisch: Je mehr man sich damit beschäftige, je deutlicher werde, dass es Widersprüche in der Debatte gebe.
Zu diesen Widersprüchen gehört nach meiner Meinung die ganz schlichte Tatsache - dankenswerterweise hat dies die Ministerin aufgegriffen -, dass die PID-Diagnostik keine sichere Diagnostik ist. Das ist kein sicheres Verfahren!
Wie meine Kollegin Silke Hinrichsen sagte, liegt der Prozentsatz der Treffer bei dieser Diagnostik nicht höher als 30 %..
Wir haben es mit einer Forschungsrichtung zu tun, mit einem Projekt, das sich noch weiterentwickeln wird. Es ist Augenwischerei, heute zu sagen, das sei eine sichere Methode. Darum ist es natürlich angemessen, dass wir auf die Beschlüsse der Enquetekommission des Bundestages warten. Das hat nichts damit zu tun, dass wir uns selbst entmachten wollen. Das hat nichts damit zu tun, lieber Wolfgang Kubicki, dass wir den Landtag auflösen wollen, sondern es hat etwas damit zu tun, dass wir natürlich auch auf mehr Wissen beharren wollen und dass wir unsere Beschlussfassung auf ein solides Fundament stellen wollen.
Wichtig ist festzustellen, dass es Widersprüche gibt und dass wir es mit Augenwischerei zu tun haben, wenn wir Eltern und Müttern klarmachen, hier hätten wir eine neue Form der Diagnostik, die allen helfen wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung. Wir haben vereinbart, die Abstimmung über diesen Tagesordnungspunkt zu Beginn der Nachmittagssitzung durchzuführen.
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Dann eröffne ich gleich die Aussprache und erteile dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Kayenburg, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letzten Dezember haben Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, einen Haushalt für das Jahr 2001 verabschiedet, von dem die Ministerpräsidentin gesagt hat, er sei solide, sozial, gerecht und stabil. In Wirklichkeit war dieser Haushalt aber schon im Dezember Makulatur, ein Haushalt, der wieder einmal auf dem Prinzip Hoffnung aufgebaut war - mit Haushaltsrisiken von über 400 Millionen DM.
Oder hatten Sie etwa nicht globale Mehreinnahmen von circa 146 Millionen DM eingestellt? Woher sollen die überhaupt kommen? Das müssen Sie mir schon einmal erklären. Sie hatten globale Minderausgaben von circa 50 Millionen DM sowie Einnahmen aus der Veräußerung von Beteiligungen in Höhe von 210 Millionen DM. Wenn ich richtig rechne, sind das 400 Millionen DM - ganz zu schweigen vom Immobiliendeal mit der Investitionsbank, der mit weiteren 200 Millionen Mark auch noch dabei war. Damit haben Sie die Netto-Kreditaufnahme auf 1 Milliarde DM anwachsen lassen.
Für mich stellt sich heute die Frage, Herr Möller, ob dieser Haushalt tatsächlich ausgeglichen und verfassungskonform gewesen ist. Die Wirklichkeit hat Sie heute jedenfalls eingeholt. Das ist offenbar und eindeutig.
Der Haushaltsvollzug macht überdeutlich, dass dieser Haushalt eben nicht solide und schon gar nicht stabil gewesen ist. Ganz im Gegenteil! Da werfen Sie schon Steuermindereinnahmen nach der Steuerschätzung vom Mai von etwa 61 Millionen DM, also gerade mal 0,33 % des Gesamthaushaltes, aus der Bahn, Herr Finanzminister! Dann fehlen 35 Millionen DM im Bildungshaushalt, die eine „arme Seele“ irgendwo verbuddelt hat; das sind gerade mal 0,2 % des Gesamthaushalts, die sogar fast zu einer Regierungskrise geführt hätten. Ich frage mich, wie Sie eigentlich noch einen stabilen Haushalt gestalten wollen.
Herr Möller, wenn Sie sich so freuen: Früher wurden solche geringen Zahlen auf der Ebene von Sachbearbeitern telefonisch gelöst und haben nicht solche Aktion und solch einen öffentlichen Wirbel ausgelöst, wie das hier der Fall gewesen ist. Damit wird deutlich, wie angespannt die Finanzlage des Landes wirklich ist. Aber noch deutlicher wird der innere Zustand dieser rot-grünen Landesregierung.
- Ach, liebe Frau Heinold, legen Sie doch erst einmal Ihr Wollstrumpfimage ab. Dann können wir miteinander auf der gleichen Ebene reden.
Jedenfalls einige Zehntausende von Demonstranten unterstreichen in den letzten Tagen unübersehbar, was hier wirklich mit den Landesfinanzen los ist. Allmählich wird sogar der Öffentlichkeit deutlich: Die rotgrüne Landesregierung hat die Landesfinanzen an die Wand gefahren. Ohne Zweifel: Das Land steht vor dem Konkurs! Auch die wohlwollenden Fans der rotgrünen Landesregierung haben dies Gott sei Dank endlich begriffen.