Protokoll der Sitzung vom 28.09.2001

Deshalb wollen wir die Entgeltgrenze für geringfügige Beschäftigungen anheben. Damit bekommt zwar noch kein Mensch automatisch mehr Geld, aber die Unternehmen haben dann zumindest die Möglichkeit, geringfügig Beschäftigten höhere Löhne zu zahlen. Damit steigen die realen Verdienstchancen für Menschen - gerade - mit geringerer Qualifikation.

(Beifall bei der FDP)

Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Menschen aus der offenen oder verdeckten Arbeitslosigkeit in geringfügige Beschäftigungen wandern und so manche oder mancher von dort in den normalen Arbeitsmarkt zurückkehrt. Das entlastet auch unsere gebeutelten Sozialkassen und steigert, wie schon gesagt, das Selbstwertgefühl der Menschen, die endlich oder endlich wieder selbst für sich sorgen können. In Anbetracht der Äußerungen von allen Seiten in diesem Haus meine ich, dass es an der Zeit wäre, von Ihrer Seite Ihre Zustimmung zu unserem Antrag zu erklären.

(Beifall bei der FDP)

Selbstverständlich bin ich gern bereit, diesen Antrag wenn gewünscht - im Ausschuss zu behandeln. Ich würde den Wirtschaftsausschuss vorschlagen. Selbstverständlich bedeutet dieser Antrag nicht, dass wir uns nun mit der grundsätzlichen Neuregelung aus dem Jahre 1999 einverstanden erklären. Das habe ich heute bewusst nicht gesagt.

(Beifall bei der FDP - Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hatte mich schon gefreut!)

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Reform der geringfügigen Beschäftigung hat es die Bundesregierung geschafft, wieder mehr Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die Fehlentwicklung, die sich mit dem rasanten Anstieg der geringfügigen Beschäftigung in den Jahren vor 1999 abzeichnete, ist abgebremst. Mehr und mehr Unternehmen hatten sich Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz verschafft, indem sie reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen systematisch in sozialversicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse aufgesplittet haben. Zuletzt waren über 6 Millionen derartiger Arbeitsverhältnisse vorhanden. Die Finanzierung des hohen Standards sozialer Sicherheit in Deutschland wurde tatsächlich von immer weniger Beitragszahlern getragen.

Diese Entwicklung ist gestoppt. Mit der Reform der geringfügigen Beschäftigung ist festgelegt, dass in den alten und in den neuen Bundesländern in der Sozialversicherung eine einheitliche Geringfügigkeitsgrenze von 630 DM gilt. Diese wird nicht mehr erhöht. Damit wird auch in Zukunft eine Ausweitung der sozialversicherungsfreien Beschäftigung verhindert. Der Antrag von Frau Aschmoneit-Lücke und Herrn Garg versucht, diese Entwicklung zu konterkarieren und die Attraktivität der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse wieder zu erhöhen.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] - Christel Aschmoneit-Lücke [FDP]: Zu erhalten!)

Diesen Weg wollen wir nicht gehen. Wir sprechen uns erneut gegen eine Wiederaufnahme der Fehlentwicklungen in dem Bereich geringfügiger Beschäftigung aus.

(Beifall bei SPD und SSW - Glocke des Prä- sidenten)

Herr Kollege Baasch, der Kollege Dr. Garg bittet um eine Zwischenfrage.

Herr Kollege Baasch, würden Sie mir erklären, was aus den Menschen geworden ist, für die Sie diesen Schutzraum ziehen wollten, die vorher eine

(Wolfgang Baasch)

geringfügige Beschäftigung hatten und jetzt überhaupt keine Beschäftigung mehr haben?

- Herr Kollege Garg, da in diesem Zeitraum auch die Zahl der Arbeitslosen gesunken ist, glaube ich, dass man nicht von Schutzraum sprechen kann. Insofern glaube ich, dass die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung genauso wirkt wie auch die unserer Landesregierung. Wir sprechen uns gegen eine erneute Aufnahme der Fehlentwicklungen in diesem Bereich aus. Wir tun dies im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir tun dies im Interesse der Unternehmen, weil wir Konkurrenz über Lohndumping verhindern wollen. Wir tun dies im Interesse unseres Systems der sozialen Sicherheit, das Beitragszahler braucht, um auch in Zukunft auf hohem Standard soziale Sicherheit gewährleisten zu können. Ihr Antrag ist für uns deshalb nicht notwendig. Wir werden ihn hier und heute ablehnen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Das Wort für die CDU-Landtagsfraktion hat Herr Abgeordneter Hans-Jörn Arp.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die CDULandtagsfraktion ist es selbstverständlich, dass sie dem Antrag der FDP zustimmt. Das bezieht sich auch auf die Überweisung des Antrags an den Ausschuss, um im Wirtschaftsausschuss noch einmal darüber zu diskutieren, wenn ich die Frau Kollegin richtig verstanden habe.

(Beifall bei CDU und FDP)

Auch hier setzt nämlich die Euro-Umstellung ein positives Signal. Dass ich bei dieser Gelegenheit über das im Jahre 1999 von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene 630-Mark-Gesetz noch einmal als „Realo“ oder als Pragmatiker rede, mögen Sie bitte verstehen.

Herr Kollege Baasch, ich schätze Sie als Mann mit Charakter.

(Heiterkeit - Beifall bei der SPD)

Allerdings sind Sie - hoffentlich schadet das jetzt nicht Ihrer Karriere - bei diesem Thema hoffnungslos unrealistisch hinsichtlich dessen, was am Arbeitsmarkt wirklich vor sich geht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Sie haben über das Thema 630-Mark-Beschäftigte geredet wie der Blinde von der Farbe. Stehen wir als

Schleswig-Holsteiner bei der Wachstums- und bei der Beschäftigungsrate wieder einmal an letzter Stelle der alten Bundesländer, so sind wir - und da bitte ich Sie, jetzt einmal zuzuhören - gerade im Bereich der 630Mark-Jobs mit 18,1 % der Beschäftigten bundesweit führend. Wir haben also den größten Anteil. Darüber sollte sich das Land Schleswig-Holstein einmal Gedanken machen und auch überlegen, welche Auswirkungen es für uns hätte, wenn wir dieses Gesetz liberalisieren würden. Den positiven Effekt im Vergleich zum jetzt geltenden Gesetz kann keiner hier im Haus bestreiten.

Stolz verkündete Arbeitsminister Riester damals, das würde 3 Milliarden DM Einnahmen in die Rentenkassen bringen. Tatsache ist: Wer bekommt die dort wieder heraus? Das ist doch die Frage, die man stellen muss. Keiner der 630-Mark-Beschäftigten hat einen Anspruch darauf, sein Geld wieder herauszubekommen, oder es macht 2,17 DM im Monat aus.

(Beifall bei CDU und FDP)

Es leiden die Beschäftigten privater Haushalte, die Zeitungsboten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hotel- und Gaststättengewerbes - ohne Frage, deshalb stehe ich heute als „Realo“ hier -, die Altenpfleger, die Taxifahrer, die Gebäudereiniger und viele, viele mehr. Unter diesem Gesetz leiden aber auch vergessen Sie das bitte nicht! - die vielen ehrenamtlich Tätigen im sozialen Bereich, im Sport und in der Politik.

(Beifall bei CDU und FDP)

Auch wenn Sie, Herr Minister, bei den ehrenamtlichen Wehrführern etwas nachgebessert haben und die Bundesregierung bei den Sporttrainern den ersten Rückzug angetreten hat, weil sie erkannt hat, dass dieses Gesetz unsinnig ist, sollte man konsequent sein und das Gesetz in der jetzigen Form zurücknehmen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich will jetzt nicht in den Berliner Wahlkampf eingreifen, aber fragen Sie doch Walter Momper einmal, wie es ihm ergangen ist. Statt das Gesetz zurückzunehmen, wird hier weitergemompert.

Die Taxiunternehmer und das Schaustellergewerbe sind besonders benachteiligt. Sie haben nicht nur die höheren Energiekosten aufgrund der unnötigen Ökosteuer zu tragen, sondern sie leiden auch besonders unter diesem 630-Mark-Gesetz, weil sie ganz wesentlich von Aushilfskräften abhängig sind.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das hätte ich jetzt gern auch Frau Franzen gesagt, aber ich sehe, der Staatssekretär ist hier. Vergessen

(Hans-Jörn Arp)

Sie bitte nicht, dass Schleswig-Holstein besonders ein Tourismusland ist. Uns allen liegt sehr am Tourismus, ohne Frage. Allerdings haben wir anders als BadenWürttemberg und Bayern nur eine Saison. Bayern und Baden-Württemberg haben noch die Wintersaison und damit eine höhere Auslastung nicht nur der Betten-, sondern auch der Personalkapazitäten. Sie können ganz anders mit dem Personal arbeiten, als wir das an den wenigen schönen Tagen tun können, die wir haben, weil wir eben nur eine Saison haben.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Es ist also besonders schwierig, an den wenigen schönen Tagen, die wir haben, über ausreichend Personal zu verfügen, das wir dann kurzfristig anwerben. Auch da behindert uns das 630-Mark-Gesetz. Es führt dazu, dass wir in der Gastronomie immer weniger an Serviceleistungen bieten können. Das ist die Konsequenz daraus.

Sie wissen ja selbst - ich weiß nicht, ob das auch in Lübeck so ist -, dass die Anzahl der Schnellbedienungsrestaurants immer mehr zunimmt. Das hat seinen Grund unter anderem in diesem 630-Mark-Gesetz.

(Widerspruch bei der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, vergessen Sie auch nicht den Bereich der Call-Center. Auch sie sind wesentlich auf Unterstützung aus diesem Bereich angewiesen.

Gerade der dynamische Dienstleistungssektor, Herr Kollege, bietet also viele Möglichkeiten, wie das die Kollegin von der FDP eben schon sagte, einem flexiblen Nebenjob nachzugehen.

Dass die Minibeschäftigten den Stellenmarkt ergänzen und nicht etwa Vollerwerbsjobs kosten, das unterstreicht die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit. Dort können Sie gern hineinschauen.

Also, Frau Ministerin, erheben Sie bitte Ihre Stimme für die vielen Frauen und natürlich auch für die Männer, vor allen Dingen aber auch für die Betriebe und versuchen Sie im Bundesrat, dieses Gesetz zu ändern! Ich wäre Ihnen dafür sehr dankbar, gerade in Anbetracht der vielen ehrenamtlich Beschäftigten, der Frauen und natürlich auch der Männer. Damit würden Sie unserem Land einen großen Beitrag leisten und für mehr Wertschöpfung, für mehr Arbeitsplätze und für mehr Kaufkraft hier bei uns sorgen.