Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

(Irene Fröhlich)

Frage, für wen der öffentliche Raum noch offen steht. Wo ziehen Sie die Grenze beim Alkoholkonsum? Bei der Kieler Woche? Wohl kaum. Beim Weihnachtsmarkt und seinen Glühweinständen? Das nehme ich nicht an. Bei jungen Leuten, die im Sommer friedlich ein Bier im Park, am Strand oder in der Innenstadt trinken? Oder setzen Sie doch erst dann an, wenn Betrunkene manchmal rumpöbeln und andere Menschen belästigen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Beim CDU- Wahlkampf!)

Wie gesagt, das fällt unter das, was ich zu Beginn meines Beitrags gesagt habe. Das Gleiche gilt fürs Betteln. Ist es der Obdachlose, der unauffällig mit einem Schild vor sich in der Fußgängerzone sitzt und sich höflich bedankt, wenn Sie ihm ein paar Cent in seinen Hut werfen? Ist es die Punkerin, die freundlich fragt: „Hast du mal einen Euro?“ Oder ist es auch manchmal eine Zudringlichkeit, durch die manche Menschen sich unbehaglich fühlen? Auch das kommt vor. Das ist nun einmal so, wenn viele Menschen auf engem Raum miteinander leben. Das hat aber eher mit der allgemeinen Respektlosigkeit zu tun. Herr Kubicki hat es schon deutlich gesagt: Was machen Sie dann, wenn Sie diese Gruppen von bestimmten öffentlichen Plätzen und Wegen vertreiben? Das Problem, das dahinter steckt, ist ein ganz anderes, dem Sie sich nicht stellen wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten diese Diskussion um den öffentlichen Raum sehr sachlich und sehr differenziert führen,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

denn der öffentliche Raum ist ein wichtiges Gut. Jede und jeder hat Anspruch darauf, sich dort unbehelligt und angstfrei zu bewegen. Das gilt für die 80-Jährige genauso wie für das kleine Kind.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Das gilt für den Armen genauso wie für den Reichen, und das gilt für schwarzhaarige genauso wie für blonde und grünhaarige Menschen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Für Glatzenträger auch!)

Der öffentliche Raum wird dazu immer knapper. Die Innenstädte werden immer stärker durch Einkaufsgalerien und Passagen geprägt, die eben keinen öffentlichen Raum mehr darstellen. Für „Hempels“-Verkäufer oder tobende Kinder ist dort kein Platz mehr. Wir sollten daher dafür sorgen, dass der öffentliche Raum nicht noch weiter eingeschränkt wird. Vor allem soll

ten wir dafür sorgen, dass der öffentliche Raum wirklich öffentlich bleibt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Gesetzentwurf hat aber noch einen anderen Punkt: Das Fotografieren von unbekleideten Kindern. Bei diesem Satz drehte sich mir ehrlich gesagt der Magen um und mir blieb auch die Spucke weg. Ich finde Ihren Gesetzentwurf an dieser Stelle einfach geschmacklos.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Juristisch finde ich ihn so daneben, dass ich mich frage, wie ein Jurist so etwas formulieren kann. Das Recht am eigenen Bild haben Sie in jedem Fall. Über die Abgrenzung des Begriffs „unbekleidet“ hat Herr Kubicki ausführlich geredet. Ich muss mich ein bisschen ranhalten.

Wenn Sie das Problem der Pädophilie ansprechen, dann haben wir es vielleicht mit einem Problem zu tun, mit dem wir uns auseinander setzen müssen. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Man muss schauen, wie man mit einer solchen Gefährdung von Kindern umgeht. Hier würde ich allerdings auch eher Herrn Kubicki Recht geben.

Ich würde auch die Werbung unter die Lupe nehmen wollen, die uns immer mehr Vorbilder von Kindern gibt, die in einer Art und in Situationen dargestellt werden, bei denen ich mich frage, ob das wirklich sein muss. Muss man Kinder so abbilden? Warum lassen Eltern manchmal kleine Mädchen im öffentlichen Raum so und nicht anders rumlaufen? Ich würde das manchmal so nicht tun. Dahinter steckt sicherlich, dass man sein Kind süß und niedlich findet und es präsentieren möchte. Vielleicht hört man aber manchmal nicht richtig hin, was das Kind selber will. Es möchte vielleicht bequem angezogen sein und sich auch mal bekleckern können. Das ist eine andere Diskussion, die ich nicht aufmachen will. Ich möchte nur auf das Problem hinweisen, dass wir manchmal Werbebildern ausgesetzt sind, die in uns Gefühle wachrufen sollen, die bei manchen Menschen nicht mehr richtig zu kontrollieren sind. Das müssen wir wissen. Das ist ein schwieriges Problem.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dr. Wadephul, bei allem Respekt: Mit Ihrem Gesetzentwurf werden Sie es nicht lösen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich Frau Abgeordneter Silke Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rituale können etwas Schönes sein. Sie machen uns die Welt vertraut und strukturieren unser Leben. Auch in der Politik gibt es viele Rituale. Wie im richtigen Leben sind uns manche davon lieb, wogegen andere auch nur schlechte Gewohnheiten sind. Eines der irritierendsten Rituale besteht darin, dass manche Oppositionsfraktion immer wieder dieselben Vorschläge macht, um zu unterstreichen, wo sie mit der Regierung nicht zusammenpasst. Diese Vorgehensweise zeigt auf zweierlei Art unangenehme Folgen: Zum einen unterliegen die Themen dadurch einer Inflation und werden häufig leider nicht mehr mit der gebotenen Sorgfalt beachtet. Zum anderen gewinnen die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck, dass es in der Politik nur noch um Showeffekte mit Blick auf die nächste Wahl geht und weniger um konstruktive parlamentarische Demokratie.

Der vorliegende Gesetzentwurf der CDU ist eine solche rituelle Novelle, deren Inhalt uns schon seit sehr vielen Jahren immer wieder in den Kommunen und auf Landesebene begegnet. Zuletzt hat die CDU-Landtagsfraktion in der letzten Wahlperiode erfolglos versucht, durch eine Änderung des Landesverwaltungsgesetzes die öffentliche Ordnung in den Städten und Gemeinden wieder herzustellen. Der SSW meint aber, dass das bestehende Recht ausreichend ist. Gegen aggressives Betteln und öffentliches Pinkeln kann schon heute eingeschritten werden.

Für weniger brauchen wir keine Gesetzesänderung. Es soll nur eingeschritten werden, wenn Rechtsgüter geschützt werden müssen. Solange aber niemand in seinem Eigentum oder seiner körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt oder aggressiv belästigt wird, muss er oder sie die Abweichungen von der Norm dulden. Menschen wie Obdachlose, Drogenabhängige oder Bettelnde gehören zu unserer Gesellschaft. Sie haben ein ebenso großes Recht auf die öffentlichen Orte wie jene, die sich durch ihren Anblick oder ihr Betteln gestört fühlen. Wen Penner, Fixer und Bettler stören, der soll sich doch erst einmal für bessere Wohnungshilfen, eine bessere Drogenpolitik, eine bessere Sozialpolitik und eine bessere Gesundheitspolitik einsetzen, statt diese Menschen aus der Innenstadt zu vertreiben.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber letztlich müssen manche auch einfach lernen zu akzeptieren, dass nicht alle Menschen die eigenen bürgerlichen Wertvorstellungen teilen. Das gehört auch mit zum Leben dazu.

Die Regelung bezüglich des Fotografierens nackter Kinder hat einen anderen Hintergrund, ist aber in der konkreten Ausgestaltung schwer nachvollziehbar. Natürlich wollen wir nicht, dass unsere Kinder als Sexualobjekte im Internet gezeigt werden mit Bildern, die sie möglicherweise ein Leben lang verfolgen können. Aber das CDU-Verbot würde selbst zum Problem. Was will man denn tun, wenn - das haben die Kollegen auch schon ausgeführt - Eltern ihre eigenen Kinder fotografieren? Soll für sie eine Ausnahme gemacht werden, wenn sie sich ausweisen können? Wie will man verhindern, dass aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger die Ordnung selbst herstellen und erst einmal den Vätern an den Kragen gehen, ohne vorher nach dem Ausweis zu fragen? Eine solche örtliche Regelung könnte auch dazu führen, dass die Eltern ihre Kinder auch im Hochsommer nur noch vermummt draußen spielen lassen.

(Konrad Nabel [SPD]: Wir haben das Ver- mummungsverbot, Frau Kollegin!)

Ich glaube, dass die Öffentlichkeit mittlerweile ausreichend sensibilisiert ist, um lüsterne Männer zur Rede zu stellen, wenn sie sich mit Kameras nackten Kindern unsittlich nähern.

Schleswig-Holstein gehört allen Bürgerinnen und Bürgern im Land. Deshalb muss der öffentliche Raum so weit wie möglich für alle offen stehen. Dies gilt übrigens umso mehr, als der öffentliche Raum zunehmend privatisiert wird. Wir werden uns jedenfalls dagegen wehren, dass eine selbst ernannte moralische Mehrheit maßgeblich aus Gründen der Ästhetik, der Bequemlichkeit und des Egoismus den öffentlichen Raum für sich allein beansprucht.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend möchte ich nur noch einmal sagen: Ich war vorhin etwas verblüfft, dass Sie, Herr Dr. Wadephul, Bettler und Leute, die in der Öffentlichkeit trinken, in die Nähe von Straftätern stellen. Das hat mich, ehrlich gesagt, ziemlich erschreckt und das war echt furchtbar.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich habe jetzt zwei Wortmeldungen nach § 56 Abs. 4. Zunächst hatte sich der Abgeordnete Thorsten Geißler gemeldet, danach der Abgeordnete Rainer Wiegard.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Fröhlich hat einen Satz gesagt, den ich unterstreichen kann und der auch das Problem deutlich macht, vor dem wir gegenwärtig in unserer Gesellschaft stehen. Es ist richtig, Frau Kollegin Fröhlich, dass Menschen in unserer Gesellschaft zunehmend respektloser miteinander umgehen. Ich glaube, dass wir gut beraten sind, bei allen Debatten auch darauf zu achten, dass dieser Respekt ein Stück weit in unserer Gesellschaft wieder einkehrt. Wo dies durch Appelle nicht gelingt, müssen wir darüber nachdenken, wie wir das gesetzliche Instrumentarium schaffen, damit ein solcher Respekt voreinander wieder greift.

Es ist unzweifelhaft so, dass in einer freiheitlichen Gesellschaft jeder so leben soll, wie er es für richtig hält. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Es geht uns überhaupt nicht darum, Menschen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, die nicht ins Idealbild einer Gesellschaft passen. Auch hier gilt: Die freiheitliche Gesellschaft duldet so etwas selbstverständlich und respektiert es auch. Uns geht es darum, dass bestimmte Umstände mittlerweile um sich greifen, indem bestimmte Personengruppen den Respekt vor anderen völlig außer Acht lassen und in ihre Rechte eingreifen. Aber Toleranz geht nur so weit, wie nicht in die Rechte Dritter eingegriffen wird. Da ist die Grenze für uns.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie gegenwärtig durch manche Fußgängerzonen nicht mehr gehen können, ohne drei- bis viermal belästigt zu werden, dann mangelt es an diesem Respekt und dann ist eine Grenze überschritten, was viele Menschen in unserem Lande nicht mehr zu tolerieren bereit sind.

(Beifall bei der CDU)

Eines kann man nicht machen, meine Damen und Herren: Man kann nicht auf der einen Seite sagen: „Es ist ja alles schon geregelt“, und dann auf der anderen Seite feststellen: „Das, was ihr wollt, ist aber alles ganz schrecklich.“ Wenn es so ist, müssten Sie konsequenterweise daran gehen, das Landesverwaltungsgesetz und das Ordnungswidrigkeitengesetz in Ihrem Sinne zu ändern und die Eingriffsmöglichkeiten zu beseitigen. Tun Sie das ruhig, wir freuen uns auf die Debatte auch gerade in der Öffentlichkeit. Aber Sie können nicht sagen: „Es ist alles schon geregelt, und

was ihr vorhabt, ist ein Anschlag auf den demokratischen Rechtsstaat.“

(Zurufe von der FDP)

Wir können uns gern im Ausschuss fachkundig darüber unterhalten. Wir sind der Überzeugung, dass die Eingriffstatbestände, die wir wollen, gegenwärtig durch die bestehenden rechtlichen Vorschriften nicht abgedeckt werden. Das werden wir Ihnen auch nachweisen und darüber können wir sicherlich miteinander streiten. Wenn es nicht so ist, müssen Sie konsequenterweise unseren Vorschlägen zustimmen.

Ich glaube, in einem Punkt, meine Damen und Herren, greifen auch Sie zu kurz. Wir sind in einem Sozialstaat, in dem wirklich niemand durch das Netz fällt. Es gibt Sozialhilfe. Es muss niemand obdachlos sein. Es gibt Gesundheitsfürsorge. Insofern: Wenn Sie darauf verweisen, dass das alles nicht so sei, weisen Sie auf vermeintliche Mängel eines Sozialstaates hin, für den Sie Verantwortung tragen, sowohl im Bund wie auch im Lande.

(Beifall bei der CDU)

Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie Missstände sehen, dann benennen Sie sie und verweisen nicht immer auf angeblich bestehende Mängel, ohne zu sagen, worin sie denn bestehen. Ich sage Ihnen: Sie bestehen nicht in der Form, wie Sie es beschreiben.

Ich finde es sehr schade, dass manches hier ins Lächerliche gezogen wird.

(Beifall bei der CDU)

Kein Mensch will Eltern kujonieren, die am Strand ihre Kinder fotografieren. Darum geht es überhaupt nicht. Aber es ist leider eine traurige Tatsache, dass es in unserer Gesellschaft eine pädophile Minderheit gibt, die Kinder anderer fotografiert, sie hinterher ins Internet stellt und sie als Sexualobjekte missbraucht. Das kann doch niemanden gleichgültig lassen! Was wollen Sie denn den Kindern sagen, die später einmal so etwas entdecken, wenn sie alt genug sind, das zu erfassen? Aber Sie ziehen das ins Lächerliche und tun so, als wollten wir auf Leute losgehen, die am Strand ihre Kinder fotografieren. Darum geht es doch überhaupt nicht.