Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Aber nun zur Sache: Durch die letzten zehn Jahre der Geschichte unserer Republik zieht sich eine Blutspur, eine Blutspur, deren Ursache die Gewalt von Rechts außen ist. Genau darüber haben wir in den letzten Tagungen auch zu Recht geredet. Genau das hat Herr Kubicki auch zu Recht eingangs seiner Rede betont. Nun gibt es keine rechtsextreme braune Armeefraktion oder so etwas, die organisiert Gewalttaten begeht. Diese Taten geschehen oft spontan und unvorbereitet. Und vielleicht auch deshalb geschehen sie mit brutaler Härte. Allen diesen Taten gemeinsam ist ein ähnlicher ideologischer Hintergrund. Dieser Ideologiebedarf wird aus verschiedenen Quellen des rechtsextremen Spektrums gespeist.

In den letzten Jahren hat sich die NPD zum ideologischen Zentrum des Rechtsextremismus - und zwar des gewaltbereiten Rechtsextremismus - entwickelt. Die Partei der alten Herren hat sich für Neonazis geöffnet, die die Partei als organisatorischen Mantel gebrauchen dürfen. Damit definiert sich die NPD nicht wie früher in erster Linie als Wahlpartei, sondern als Ideengeber für die gesamte radikale Szene. In ihrer Dreisäulentheorie nennt die NPD an erster Stelle die „Schlacht um die Köpfe“. Wahlergebnisse sind somit für sie nachrangig. Genau das unterscheidet die NPD von Parteien wie den Republikanern oder der DVU.

Die NPD lehnt die freiheitlich-demokratische Grundordnung ab, bekämpft den Parlamentarismus, missachtet die Menschenrechte, ist antisemitisch, rassistisch, fremdenfeindlich und widersetzt sich mit geschichtsrevisionistischem Gedankengut der Völkerverständigung. Sie ist mit der NSDAP wesensverwandt durch ihre Beschreibung eines biologistischen Menschenbildes, ihrer Nähe zur NS-Ideologie, der Verherrlichung der NS-Zeit, der Verwendung einer entsprechenden Diktion und der Verehrung von hohen Repräsentanten des NS-Regimes. Zur Umsetzung ihrer Ziele scheut die NPD bei ihren Aktivitäten nicht vor Aggressivität - und das nicht nur theoretisch - zurück. Die zweite Säule der NPD ist nämlich der „Kampf um die Straße“, erst dann folgt die „Schlacht um die Wähler“.

Daher stellt die NPD tatsächlich eine ernsthafte Gefahr für die Verfassungsordnung dar. So war es auch nur folgerichtig, dass nach der Welle der Gewalt des Jahres 2000 die Forderung nach einem NPD-Verbot gestellt wurde. Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag haben nacheinander die Zustimmung für ein Verbotverfahren erteilt und Anfang 2001 die entsprechenden Anträge beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes ermöglicht es, Parteien zu verbieten, die nach ihrem Ziel oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger - auch das gehört dazu - darauf aus sind, die freiheitliche demo

(Thomas Rother)

kratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Dass die Voraussetzungen für so ein entsprechendes Verbot bestehen, ist nicht nur zu 100 %, sondern wirklich zu 150 % bewiesen. Das Verfahren ist das letzte Mittel der wehrhaften Demokratie, um Ideologie und NPD wirksam zu bekämpfen. Alles andere hat bisher ja leider nicht gezogen. Die NPD darf sich nicht weiter hinter dem Parteienprivileg mit all dem, was damit verbunden ist, verstecken.

Gut ein Jahr nach den Antragstellungen haben wir ein V-Mann-Problem. Unter den vom Verfassungsgericht geladenen Auskunftspersonen aus dem Führungskreis der NPD befindet sich ein - nur einer und nicht mehrere - so genannter V-Mann, also Herr Wolfgang Frenz, dessen Äußerungen in der Begründung des Verbotsantrags erwähnt sind. Herr Frenz ist allerdings bereits 1995 als V-Mann „abgeschaltet worden“, wie es so schön heißt. Hintergrund für die Abschaltung durch den Verfassungsschutz war seine zunehmende Neigung zu Straftaten. Er war zu keiner Zeit ein Agent Provocateur, andere V-Leute ebenfalls nicht. Und es besteht auch kein Anlass zu der Annahme, dass diesem Verbot zuwider gehandelt worden wäre. Denn auch der von Ihnen genannte Herr Berberich von der Deutschen Polizeigewerkschaft in Baden-Württemberg hat seine diesbezüglichen grundsätzlichen Bemerkungen ja schon etwas relativiert. Er spricht tatsächlich nur noch von Redenschreibern. Ich denke, es wäre auch gefährlich, die Qualität der NPD-Führung zu unterschätzen, indem man sagt: Die sind alle zu doof, um sich allein eine Rede zu schreiben. Damit wäre ich sehr vorsichtig.

Und auch so genannte Undercoveragents, also Leute, die sich einschleusen lassen und eventuell auch verfassungswidrige Symbole verteilen, um sie hinterher wieder einzuladen, hat es nicht gegeben. Das ist ganz einfach so. Sie werden nicht zur Beobachtung der NPD eingesetzt. Und genauso sind die zurzeit genannten Summen einer Umwegfinanzierung der NPD durch den Verfassungsschutz reine Fantasie. Herr Kubicki spricht da von 500.000 € des Verfassungsschutzes. Sie sind reine Fantasie. Auch Wolfgang Frenz hat nur zu Beginn seiner Tätigkeit einen Teil seiner Honorare der DRP beziehungsweise NPDKasse zugeführt.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] - Unruhe)

- Ja. Nach seiner Tätigkeit als V-Mann hat Herr Frenz allerdings sein antisemitisches Machwerk „Der Verlust der Väterlichkeit oder das Jahrhundert der Juden“ 1998, also drei Jahre nach seiner Abschaltung, veröffentlicht.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit.

Das ist durchaus relevant für das Verbotsverfahren, zumal sich die NPD von Frenz’ Ausfällen nie distanziert und ganz im Gegenteil sein Buch immer wieder beworben hat.Herr Kubicki, bei seinem Buch hat ihm, wie Sie in den „Lübecker Nachrichten“ vom 12.02.2002 offenbar nahe legen wollen, der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen ganz bestimmt nicht die Feder geführt. Das ist schon ziemlich dreist!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er hat auch nicht den Antrag nach Artikel 18 gestellt!)

Weitere Mitteilungen von V-Leuten sind in den Verfahrensbegründungen genannt. Sie haben die zehn Leute, die entdeckt oder gemeldet wurden, genannt. Dabei handelt es sich jedoch - wie auch bei Herrn Frenz - um Informationsbeschaffer. Informationsbeschaffung ist genau die Aufgabenstellung für V-Leute. V-Leute dürfen - wie es so schön heißt - keine steuernde Einflussnahme auf das Beobachtungsobjekt ausüben. Das ist unzulässig und auch nicht erfolgt. Dass V-Leute auch in diesem Fall der Informationsbeschaffung dienen, wusste das Bundesverfassungsgericht natürlich schon vor dem Verfahrensbeginn. So gewonnene Informationen sind rechtlich zulässig und im Verbotsverfahren verwertbar. Leider - und das ist die Crux an der Sache - haben die Landesämter für den Verfassungsschutz den Bundesinnenminister nicht rechtzeitig über alle V-Leute informiert. Das ist ein böser Schnitzer, der aber nicht das Verbotsverfahren, sondern eher die Art der Aufgabenwahrnehmung der Verfassungsschutzämter infrage stellen sollte. Das ist das einzige Problem.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Herr Kollege Rother, ich habe nur eine Frage: Habe ich Sie richtig verstanden, dass nach Ihrem Kenntnisstand Landesvorsitzende keine steuernde Funktion in einer Partei ausüben?

(Martin Kayenburg [CDU]: Das gilt für die SPD!)

(Thomas Rother)

Es geht um einen Landesvorsitzenden aus NordrheinWestfalen. Ich glaube, er heißt Herr Holtmann. Auch Herr Holtmann hat sich selbst gegenüber der Öffentlichkeit nicht als ideologischer Kopf beschrieben, sondern als Parteisoldat, der die Anweisungen der Zentrale ausführt. Da sind wir wieder beim Thema. Das heißt, er handelt eher als Verwaltungsmensch, nicht so sehr als politischer Kopf. Ich denke, das sollte als Antwort reichen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist eine reine Schutzbehauptung!)

Mittlerweile haben Bundesregierung und Bundesrat in einem gemeinsamen Papier gegenüber dem Bundesverfassungsgericht dargelegt, dass die V-MannProblematik das Verfahren nicht berührt. Die Beweislast bleibt - trotz aller juristischen handwerklichen Fehler - erdrückend. Die NPD muss hierzu noch Stellung gegenüber dem Gericht beziehen. Ihr Bevollmächtigter, Horst Mahler, versucht zwischenzeitlich, möglichst viel Verwirrung zu stiften, insbesondere zur Person von Herrn Frenz. Darauf sollte man sich aber nun wirklich nicht einlassen.

Daneben gibt es noch ein Verfahrensproblem, weil die Amtszeit der Gerichtspräsidentin am 31. März 2002 endet und somit wohl eine Verzögerung eintreten wird. Mit einem NPD-Verbot ist vor der Bundestagswahl leider kaum noch zu rechnen. Dem Verfahren sollte nach den V-Mann-Vorfällen allerdings die Hektik genommen werden.

Es gibt also keinen Grund, die Verbotsanträge zurückzuziehen. Es gibt allen Grund, den FDP-Antrag abzulehnen. Wir sollten an unserem Ziel festhalten. Es muss im Kern all unserer Bemühungen bestehen bleiben, dass das NPD-Verbotsverfahren möglichst zügig durchgeführt wird und dass diese Partei so schnell wie möglich verboten wird.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Wadephul das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte für meine Fraktion feststellen, dass die Bekämpfung des politischen Extremismus einen hohen Stellenwert hat. Wir sind aus guten Gründen eine wehrhafte Demokratie und werden Gruppierungen, die der Abschaffung oder Einschränkung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung das Wort reden, keinen Raum für ihre Agitation lassen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Deshalb bleibt es dabei: Die NPD ist eine antidemokratische Partei, die nach ihren politischen Vorstellungen und nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf abzielt, unsere Grundordnung nicht nur zu beeinträchtigen, sondern sie gar zu beseitigen. Ein entschlossenes Vorgehen gegen Parteien und Organisationen, die sich bewusst und zielgerichtet gegen die Ordnung des Grundgesetzes wenden, ist eine gemeinsame Aufgabe aller Demokraten in unserem Land.

(Beifall bei CDU und FDP)

Herr Kollege Kubicki, ich möchte an dieser Stelle zum Thema Parteiverbot einen etwas anderen Akzent setzen als Sie. Aus bewusster Erfahrung aus der Weimarer Republik haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes auch das Parteiverbot in unser Grundgesetz aufgenommen. Deswegen stehe ich dazu, dass wir von diesem Instrumentarium auch Gebrauch machen, wenn es Parteien gibt, die verfassungsfeindlich und verfassungswidrig sind und unsere Grundordnung bedrohen. Wir müssen im Zweifelsfall bereit sein, Instrumentarien, die wir uns rechtlich im Grundgesetz schaffen, einzusetzen. Auch das ist eine Lehre aus Weimar.

Sehr verehrte Damen und Herren gerade von der sozialdemokratischen Fraktion! Ein zweiter Punkt ist die Gemeinsamkeit der Demokraten, die wir hier in allen Debatten immer wieder beschwören. Es hat gut getan, dass Kollege Rother hier einiges zu dem unseligen Geschwätz des Kollegen Stiegler auf Bundesebene gesagt hat, weil der nämlich zu dem Schluss kommt, die bürgerlichen Parteien würden mit ihrer Kritik am Gang des Verbotsverfahrens der NPD helfen. Nach seinen Aussagen sei dies gerade deshalb verwerflich, weil ihre - gemeint sind CDU und FDP - Vorgängerparteien schließlich Hitler den Steigbügel gehalten hätten. Davon hat er gesprochen. Diesem Mann ist klarzumachen, dass er sich mit diesen Äußerungen außerhalb der Gemeinschaft der Demokraten gestellt hat.

(Beifall bei CDU und FDP)

Herr Kollege Kubicki, ich bin nicht der Auffassung, dass die Sache unbedingt mit der Situation der Zwangsvereinigung von SPD und KPD vergleichbar ist. Ich würde daraus keine Verantwortung der Sozialdemokratie machen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das mache ich auch nicht, keine Sorge!)

- So konnte man Sie vorhin verstehen.

(Lothar Hay [SPD]: Man muss bei Verglei- chen immer aufpassen!)

(Dr. Johann Wadephul)

Ich fand diesen Vergleich nicht 100-prozentig passend.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir müssen schon zur Kenntnis nehmen, dass manch einer aus späteren demokratischen Parteien - übrigens nicht nur von CDU und FDP, sondern auch aus anderen Parteien und auch den Gewerkschaften - Fehler gemacht und dazu beigetragen hat, dass Adolf Hitler an die Macht gekommen ist. Es sei den Sozialdemokraten jedenfalls angeraten, in diesem Hause und Kollege Hay - vielleicht von verantwortlicher Stelle aus klarzustellen, dass sie mit Herrn Stiegler nicht übereinstimmen. Das wäre ein guter Beitrag zum gemeinsamen Gang unsererseits.

(Beifall bei CDU, FDP und SSW - Lothar Hay [SPD]: Das hat Herr Rother getan!)

Die Bundestagsfraktionen von CDU und CSU haben sich aus gutem Grund gegen einen eigenen Verbotsantrag des Deutschen Bundestags ausgesprochen. Das erweist sich jetzt in diesen Tagen ganz besonders. Heute sehen wir auch den Grund: Die Parlamentarier des Bundestages verfügen selber nur über einen Bruchteil der Informationen, die den zuständigen Ministerien in Bund und Ländern vorliegen und die auch aus gutem Grunde nicht auf Bundesebene - und im Übrigen auch hier nicht - ausgebreitet werden. Ein Verbotsantrag der Bundesregierung hätte nach meiner Auffassung - wie bei allen bisherigen Verbotsanträgen auch - an dieser Stelle vollauf genügt.

(Beifall des Abgeordneten Uwe Greve [CDU])

Einen Antrag auf Parteiverbot vor dem Bundesverfassungsgericht zu stellen und zu begleiten, ist klassische Aufgabe der Exekutive, also der Regierung. Wenn wir nun zu unserem Bedauern feststellen müssen, dass insbesondere das Bundesinnenministerium an der Spitze der Sozialdemokrat Otto Schily - bei der Begründung des Verbotsantrags offenbar schwerste handwerkliche Fehler begangen hat, dann ist es die natürliche Aufgabe der Opposition, auf eine umgehende Beseitigung dieser Fehler zu drängen und auch eine politische Bewertung dieses Vorgehens vorzunehmen. Das sage ich zur Stiegler-Kritik und allen anderen kritischen Bemerkungen seitens der Bundesregierung.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich halte es schon für böswillig, daraus eine Behinderung des Verfahrens zu konstruieren. Das Gegenteil ist richtig. Wir wollen verhindern, dass sich die Demagogen der NPD aufgrund der Schlamperei einiger Verantwortlicher im Bundesinnenministerium am Ende damit brüsten können, mit höchst richterlichem Plazet weiter ihr Unwesen treiben zu können.

Im Unterschied zur Fraktion der FDP sind wir allerdings nicht der Auffassung, dass das schleswigholsteinische Landesparlament über das weitere Verfahren im NPD-Verbotsverfahren entscheiden kann und sollte. Es gibt ernst zu nehmende juristische Stimmen, die Zweifel am weiteren Erfolg haben. Das wissen wir alle. Dazu sind uns auch Tatsachen bekannt. Es gibt auch ernst zu nehmende Juristen, die sagen: Die Einlassung des Rechtsanwaltskollegen Mahler als Erwiderungsschrift der NPD würde ausreichen, die NPD zu verbieten. Ich verweise auf einen sehr interessanten Artikel, der in der vergangenen Woche in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen ist.

Ich stelle hier für meine Fraktion fest: Die Verantwortung für die Einleitung und für die Weiterführung dieses juristischen Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht trägt die Bundesregierung, trägt Bundesminister Otto Schily. Aus dieser Verantwortung werden wir ihn und die Bundesregierung nicht entlassen.