Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Ich stelle hier für meine Fraktion fest: Die Verantwortung für die Einleitung und für die Weiterführung dieses juristischen Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht trägt die Bundesregierung, trägt Bundesminister Otto Schily. Aus dieser Verantwortung werden wir ihn und die Bundesregierung nicht entlassen.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte an dieser Stelle dazu sagen, dass ich selber und viele andere auch mit großer Verwunderung, ja mit Erschrecken von den Berichten über V-Leute innerhalb der NPD gehört haben. Dazu gehört, dass ich in aller Klarheit sage - Sie wissen, dass wir verschiedene Initiativen unternommen haben, auch in diesem Hause, den Verfassungsschutz personell und auch gesetzlich zu stärken -, dass wir einen effektiven Verfassungsschutz brauchen und dass auch das Instrumentarium der V-Leute rechtsstaatlich legitim ist, dass es demokratisch und parlamentarisch kontrolliert werden muss. Aber wir bekennen uns zu einem funktionierenden Verfassungsschutz, der sich in gewissen Situationen auch des Einsatzes von V-Leuten bedienen muss.

Auf der anderen Seite habe ich mit einigem Erschrekken gehört, wie in Sachen NPD hier offenbar verfahren worden ist. Ich habe mit besonderem Erschrecken gehört, dass es eine Konferenz des Bundesverfassungsschutzes und der Landesverfassungsschutzbehörden gegeben hat mit dem ausdrücklichen Ziel klarzustellen, welche V-Leute denn innerhalb der NPD eingesetzt worden sind, welche Äußerungen von VLeuten auch im Vortrag der drei Bundesorgane verwandt worden sind und dass es in dieser gemeinsamen Konferenz nicht gelungen ist, Klarheit darüber zu schaffen, sondern dass die peinliche Situation eingetreten ist, dass es einen ergänzenden Vortrag aller drei Bundesorgane vor dem Bundesverfassungsgericht gegeben hat und sich danach herausstellte, dass es weitere V-Leute in diesem Verfahren gibt. Ich muss

(Dr. Johann Wadephul)

schon sagen: Dies ist auch ein rechtsstaatlich sehr bedenkliches Vorgehen.

(Beifall bei CDU, FDP und SSW sowie ver- einzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen müssen wir uns darüber unterhalten. Ich habe keinen Zweifel, dass wir in den zuständigen Gremien dieses Parlaments wie in der Parlamentarischen Kontrollkommission umfangreich über das Vorgehen des Verfassungsschutzes in Schleswig-Holstein unterrichtet werden. Aber es kann auf Dauer nicht angehen, dass jedes Landesamt für Verfassungsschutz sein eigenes Ding macht, seine eigenen V-Leute im Einsatz hat und niemand vom anderen weiß, was er eigentlich innerhalb eines solchen Verfahrens macht. Deswegen brauchen wir an dieser Stelle eine erweiterte parlamentarische Kontrolle, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei CDU, FDP und SSW sowie ver- einzelt bei der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum jetzigen Zeitpunkt bleibt es dabei, dass wir die Erwartung haben, die NPD in erster Linie politisch zu bekämpfen. Wir sollten zur Kenntnis nehmen: Die NPD ist nicht die erste und auch nicht die einzige extremistische Partei, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Sie wird auch nicht die letzte sein. Wir werden ständig damit rechnen müssen, dass es neue gibt. Deswegen bleibt es dabei: Wir Demokraten müssen aufgrund der Erfahrungen aus der Weimarer Republik weiterhin wachsam sein. Unsere Demokratie ist stabil und wir sind entschlossen, jede antidemokratische, verfassungsfeindliche Gruppierung mit aller Härte rechtsstaatlich zu bekämpfen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rechtsextremismus bekämpft man nicht allein durch das Verbot einer rechtsextremistischen Partei.

(Beifall bei der CDU)

Eine selbstbewusste Demokratie braucht selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger. Die Ermittlung von Werten, die Erziehung hin zu Toleranz und Kritikfähigkeit, die Förderung der politischen Bildung, die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte,

eine offene Auseinandersetzung mit den Folgen der Globalisierung, das Aufzeigen von Perspektiven für junge Menschen in unserer Gesellschaft - das alles sind wichtige Ansätze, an denen wir weiterarbeiten müssen. Es gab gute Gründe für und es gab auch gute Gründe gegen den NPD-Verbotsantrag. Sicher hat das Verbotsverfahren das Medieninteresse stark auf die NPD gelenkt. Ein Verbotsantrag birgt auch immer die Gefahr, dass er scheitert, dass sich diese Partei als moralischer Sieger feiern und den demokratischen Rechtsstaat verhöhnen kann.

Die NPD erfüllt allerdings alle Voraussetzungen für ein Parteienverbot. Niemand wird ernsthaft den verfassungsfeindlichen Charakter dieser Partei, ihr aggressiv-kämpferisches Verhalten und ihren eindeutigen Bezug auf die NSDAP bezweifeln können. Ich sage hier ganz deutlich: Nationalsozialismus ist keine Gesinnung, sondern ist ein Verbrechen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Warum sollen wir diesen Extremisten mit dem Parteienprivileg auch noch den Schutz und die Unterstützung des demokratischen Rechtsstaates und die Steuermittel des Staates zukommen lassen?

Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat haben sich für einen Verbotsantrag entschieden. Ich kann und will an dieser Stelle nicht beurteilen, ob es juristisch Sinn macht, dieses Verfahren zu Ende zu bringen. Wir können hier nicht und ich sowieso nicht, weil ich kein Jurist bin, eine juristische Fachdebatte führen. Da stimme ich mit dem Kollegen Wadephul überein. Aber die V-Mann-Affäre ändert nichts an den Gründen für den Antrag. Diese Folge von Pannen ist äußerst ärgerlich und wirft ein peinliches Bild auf die verantwortlichen Verfassungsschutzbehörden.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Aber sie geben keinerlei Anlass, die NPD anders zu bewerten und zu behandeln als zuvor. Die NPD lehnt das System der Bundesrepublik Deutschland ab. Sie ist demokratie- und rechtsstaatfeindlich. Sie negiert die Menschenwürde, sie ist antisemitisch und sie ist fremdenfeindlich. Sie legt ein aktives kämpferisches Verhalten an den Tag, egal, ob Sie nun die so genannten befreiten Zonen nehmen oder die Drohungen und Angriffe auf ihre politischen Gegner. Sie ist, wie Juristen das ausdrücken, wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus.

Die V-Mann-Pannen rechtfertigen auch in keiner Weise, die getroffene politische Entscheidung von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat für einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht infrage zu

(Karl-Martin Hentschel)

stellen. Wer jetzt einen Rückzug des Verbotsantrages gegen die NPD fordert, macht etwas Gefährliches. Jeder würde eine solche Rücknahme als Einknicken der Demokraten vor der NPD interpretieren.

(Widerspruch bei der FDP)

Die NPD ginge gestärkt aus dem Verfahren.

Die V-Mann-Affäre wirft allerdings ein Licht auf die Probleme unserer Geheimdienste. Das ist, meine ich, die Debatte, die wir jetzt auch unbedingt führen müssen. Ich möchte Sie deshalb herzlich zu einer grundsätzlichen offenen und konstruktiven Debatte um die Nachrichtendienste einladen. Denn die Strukturen und Aufgaben der verschiedenen Nachrichtendienste müssen nach meiner Ansicht und nach Auffassung meiner Partei grundlegend überprüft werden.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es kann nicht sein, dass die V-Leute die Führung solcher Parteien darstellen. Dieser Grundsatz wurde in der Vergangenheit offenbar nicht eingehalten. In der nordrhein-westfälischen NPD waren sowohl der Vorsitzende Herr Holtmann als auch der stellvertretende Vorsitzende der NPD V-Männer verschiedener Verfassungsschutzämter. Angesichts der bisherigen Praxis in Verfassungsschutzbehörden kann wahrscheinlich niemand ausschließen, dass V-Leute an Parteiprogrammen mitgeschrieben haben und wie V-Leute an Parteitagsbeschlüssen beteiligt waren. Wenn am Ende Verfassungsschutzgelder Teile der NPD-Aktivitäten ermöglicht haben, wie das in Thüringen der Fall war, ist das eine Katastrophe. Mit den beiden genannten VLeuten ist gleich das nächste Problem angesprochen.

Wir müssen dringend konkurrierende Arbeit und gegenseitige Beobachtung vermeiden. Es ist absurd, was seit Jahren bekannt ist und immer wieder weiter toleriert wurde. Wir haben das auch hier in SchleswigHolstein schon mehrfach diskutiert. Es ist absurd, wenn sich V-Leute von verschiedenen Diensten jeweils gegenseitig berichten, was der andere V-Mann gesagt und getan hat und diese Informationen in den Ämtern aus kleinlichem Konkurrenzdenken nicht einmal abgeglichen werden. Darüber hinaus sind V-Leute in der NPD fast immer überzeugte Rechtsextremisten. Zu glauben, sie würden wirklich brisante Informationen weitergeben, ist naiv. Auch das muss man wissen, denn es birgt die Gefahr, dass sich in kritischen Situationen der Rechtsstaat in Sicherheit wiegt und auf Fehlinformationen angewiesen ist.

Wie schaffen wir es, dass die Nachrichtendienste kein Eigenleben entwickeln und die Politik in die falsche Richtung steuern? Wir müssen uns immer bewusst sein: Nachrichtendienste sind und bleiben - und zu

dieser Aussage stehe ich - ein Fremdkörper in unserer Demokratie.

(Zuruf von der CDU: Wie bitte? Warum das denn?)

Sie sind es deswegen, weil die Arbeit von Nachrichtendiensten der öffentlichen Debatte, auf der unsere Demokratie basiert, grundsätzlich nicht zugänglich ist. Das ist ein Problem. Der Leiter des Verfassungsschutzes von Schleswig-Holstein wird Ihnen sagen, dass er dies genauso sieht. Nur wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir überhaupt damit umgehen. Deshalb muss die Kontrolle, die bislang durch die Parlamentarische Kontrollkommission wahrgenommen wird, weiter ausdifferenziert werden. Es müssen gezielte Prüfaufträge möglich werden, es muss eine gewisse Unabhängigkeit der Kontrolleure, die periodisch wechseln müssen, gewährleistet sein. Das gilt für den Datenschutz, die Kontrolle durch die Justiz, die Dienstaufsicht durch das Innenministerium und natürlich auch für die Parlamentarische Kontrollkommission.

Der NPD-Verbotsantrag stellt aber auch die heimlichen Methoden der Dienste - zumindest in Teilbereichen - grundsätzlich infrage. Wenn es um Literaturauswertung und die Auswertung von legalen Quellen bis hin zu Polizeiinformationen geht, stellt sich mir allerdings die Frage, ob nicht andere, transparentere Formen von Extremismusbeobachtung Erfolg versprechender sind als die Tätigkeit des Nachrichtendienstes. Es ist daher zu prüfen, ob Aufgaben der Geheimdienste auch anderen Behörden, wissenschaftlichen Instituten oder anderen Trägern der bürgerlichen Gesellschaft übertragen werden können.

Der Rechtsextremismus in diesem Lande muss bekämpft werden und deshalb eine Bitte zum Schluss: Lassen Sie uns für die Zukunft um die richtigen Wege streiten, den Rechtsextremismus zu bekämpfen, aber lassen wir uns nicht von dem einen Ziel in unserem Lande abbringen: der NPD als Organisationsbasis des Rechtsextremismus mit allen Mitteln den Boden zu entziehen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es irrt der

(Silke Hinrichsen)

Mensch, so lang’ er strebt. - Das gilt natürlich auch für Politiker.

(Zuruf von der SPD: Auch für Herrn Kubik- ki?)

Wir unterliegen wie alle anderen Menschen gelegentlich Irrtümern und machen Fehler. Die Beantragung des NPD-Verbots war ein solcher Fehler.

(Beifall bei SSW und FDP)

Der SSW ist aus verschiedenen Gründen von vornherein gegen ein Verbot der NPD gewesen. Wir meinen, dass dies der falsche Weg ist, sich mit dem Rechtsextremismus auseinander zu setzen.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Das NPD-Verbot ist eine vorschnelle Reaktion auf die öffentliche Erregung über den Rechtsextremismus nach dem Bombenanschlag in Düsseldorf im Sommer 2000 gewesen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Der Verbotsantrag war und ist mit anderen Worten Ausdruck von politischem Aktionismus, der zeigen will, dass man gegen Rechts vorgeht. Wirklich Probleme lösen wird er jedoch nicht.

Wir halten daran fest, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut eine längerfristigere, wirksamere Vorbeugung ist als das Verbot einer Partei.