Das Wort erteile ich jetzt der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur, Frau Ministerin Erdsiek-Rave.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kultur ist ja in einem sehr weiten Sinne Teil einer umfassenden Bildung und, wie ich finde, auch Merkmal einer zivilisierten Gesellschaft. Ich glaube, gerade vor dem Hintergrund der Debatte, die wir soeben geführt haben, muss man das in aller Deutlichkeit feststellen. Kulturlosigkeit und auch Geschichtslosigkeit führen zu Intoleranz und Barbarei.
Deshalb ist Kulturpolitik unter dem Vorzeichen einer demokratischen Teilhabe aller Menschen daran so ungeheuer wichtig und keine Nebensache von Politik.
Kultur muss also in diesem so verstandenen Sinne eine Lebensweise für alle sein. Das heißt, staatliche Kulturpolitik - staatliche Kulturförderung zumal - ist zu rechtfertigen unter dem Vorzeichen der Demokratisierung. Darunter verstehe ich zum einen, begabten Künstlern eine Chance zu geben, Kulturschaffende zu unterstützen, deren Arbeit anzuerkennen und zu fördern. Darunter verstehe ich zum anderen, einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich gerade die so genannte hohe Kunst einem breiten Publikum öffnen kann. Das
geschieht durch eine allgemeine Kulturförderung genauso wie durch Maßnahmen wie offene Museen, Tage der offenen Tür, Museumspädagogik zumal.
Drittens gilt es nachdrücklich, die Kunstdisziplinen zu fördern, die eben nicht zum klassischen Kanon, zu den hergebrachten Kulturdisziplinen, gehören, die sozusagen nicht die antiken Weihen haben, aber Ausdruck eines dynamischen Kulturbegriffs sind. Darunter verstehe ich die Soziokultur, darunter verstehe ich alle neuen Formen von Kunst, Film, Video, Kunst in den neuen Medien.
Wir haben lange Zeit ein Prinzip definiert, das hieß: Wir fördern, was es schwer hat. - Dies bedarf der Aktualisierung, denke ich, in dem Sinne, dass wir sagen: Wir fördern Kultur von und mit allen. Deshalb würden starre, formalisierte Förderrichtlinien - das sage ich in Bezug auf den Antragsteller dieses Berichtes - diesem offenen Ansatz und dem zeitgenössischen und flexiblen Kulturverständnis zuwiderlaufen.
Gegenüber unserer Antwort auf die Große Anfrage aus dem Jahre 1996, die damals eine umfassende Bestandsaufnahme der Kulturpolitik war, haben sich die Rahmenbedingungen für Kulturförderung geändert. Die Übergänge zwischen den Bereichen des öffentlichen und des gemeinnützig finanzierten Kulturlebens zum einen und dem privatwirtschaftlich und kommerziell organisierten zum anderen sind fließender geworden, sind unschärfer geworden. Nicht selten stehen beide Sektoren sogar in Konkurrenz miteinander, wenn Sie etwa an die öffentlichen und privaten Musikschulen denken.
Die Begründungszusammenhänge für öffentliche Kulturförderung sind nicht mehr in dem Maße politisch gesichert, wie es noch vor wenigen Jahren der Fall war. Denken Sie etwa an die Diskussion um Theater- und Opernsubventionen. Öffentliche Kulturförderung muss sich immer wieder im Wettbewerb mit allen Politikfeldern behaupten und wir müssen den hohen Stellenwert von Kultur auch politisch durchsetzen. Das wird uns umso besser gelingen, als wir auch konsequent mit modernen Methoden Kulturpolitik machen, das heißt, auch mit modernen Managementmethoden.
Der Bericht, der Ihnen vorliegt und für den ich hier herzlich wenig Zeit zur Verfügung habe, versteht sich als Zwischenbilanz der Arbeitsgruppe „Evaluation der Kulturförderung“. Sie hat Mitte des Jahres 2000 die Arbeit aufgenommen. Der Abschlussbericht wird im Jahr 2003 vorliegen.
Diese Arbeitsgruppe konzentrierte sich auf den Abgleich inhaltlicher Angebote und Ziele der Kultur, auf die notwendigen Strukturen und Finanzierungen, auf
individuelle und kollektive Nachfrage und auf die Möglichkeit einer Effizienzsteigerung öffentlicher Kulturförderung. Gerade in Zeiten sehr enger Finanzspielräume kann dies nur in direkter Kooperation mit den Institutionen selbst und mit den Initiativen geschehen. Gleiche Augenhöhe also zwischen dem Ministerium und den Einrichtungen. Der offene Dialog ist dabei Prinzip.
Was wollen wir erreichen? - Einen umfassenden Zugang zu Kunst und Kultur für alle Bürgerinnen und Bürger, Qualitätssicherung auch hier also durch Profilierung und durch Verbesserung der Vermittlung und einen effizienten Einsatz öffentlicher Mittel.
Ich kann Ihnen diesbezüglich bereits eine Reihe von sehr guten Beispielen nennen, etwa den Kultursommer mit dem Festival im Zentrum, ergänzt aber durch den Literatursommer und den Museumssommer - übrigens auch in touristischer Hinsicht, auch im Sinne der Standortstärkung wichtig.
Ich kann Ihnen die Ars Baltica als multilaterale kulturelle Kooperation nennen oder - als jüngstes Beispiel die Bürgerstiftung der schleswig-holsteinischen Gedenkstätten, die sehr erfolgreich - zum Glück erfolgreich - angelaufen ist.
Auch die Zusammenführung und das Überführen von Einrichtungen in neue Rechtsformen wie Stiftungen generell sind, glaube ich, ein viel versprechender und richtiger Weg.
Ich will auch auf neue Kulturmarketingmethoden verweisen, die wir eingeführt haben, zum Beispiel auf das sehr nachgefragte Internetprojekt Kulturnetz. Zurzeit etablieren wir darüber hinaus eine Arbeitsgruppe Kultur und Tourismus, in die das Wirtschaftsministerium und das Ministerium für ländliche Räume mit dem Tourismusreferat eingebunden sind. Auch dazu werden wir in Kürze ein umfassendes Arbeits- und Konzeptpapier vorlegen.
Indirekt habe ich damit, Frau Spoorendonk, die Frage nach der Einrichtung eines kulturellen Innovationsfonds bereits beantwortet. Wir verstehen die gesamte Projektförderung als kulturellen Innovationsfond. Sie setzt Impulse und Akzente, wie ich denke, für ein vielschichtiges und lebendiges kulturelles Angebot in Schleswig-Holstein.
Nein, die Antragstellerin hat zunächst das Wort, es sei denn, die Fraktionen einigen sich. Aber dies ist so üblich, daher erteile ich Ihnen, Frau Spoorendonk, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst kommt das Fressen, dann die Kultur - könnte man heute in Abwandlung des Brecht-Klassikers sagen. In Zeiten, in denen die Politik nicht genug Mittel hat, um Armut und Arbeitslosigkeit zu verhindern, steht die Kultur selten ganz oben auf der Prioritätenliste. Trotzdem brauchen wir Kultur für ein menschliches Leben. Es stellt sich also die Frage, ob und wie wir heute eine öffentliche Kulturpolitik gestalten sollen. Die Ministerin sprach dieses Thema eben an.
Die Kulturpolitik steht heute angesichts der gesellschaftlichen Situation vor großen Herausforderungen. Für uns steht aber außer Zweifel, dass es weiterhin eine öffentliche Kulturförderung geben muss. Kultur zu fördern ist eine staatliche Aufgabe, die durch private Initiative bereichert, aber nicht ersetzt werden kann.
Aus dem Bericht geht hervor, dass die Landesregierung es genauso sieht. Das begrüßen wir. Auch das ist heute schon gesagt worden.
Trotzdem ist auch klar: Die öffentlichen Gelder für Kultur können nicht mehr erhöht werden, sie müssen vielerorts sogar zurückgefahren werden. Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, dass das Interesse an Kultur steigt. Die Nachfrage ist rasant gestiegen und wird von einem immer vielfältigeren Angebot begleitet. Auch die Wirtschaft hat die Kultur als Marketinginstrument entdeckt. Die Grenzen zwischen öffentlich geförderter Kultur und kommerziellem Event verschwinden zusehends. Was machen wir da also mit der Kulturpolitik?
Wir sind in einer paradoxen Situation. Einerseits erschwert diese zunehmende Unschärfe die Diskussion über Struktur, Inhalte und Finanzierung der Kultur, andererseits ermöglicht erst diese Diskussion die seit langem überfällige Auseinandersetzung über einen Strukturwandel in der Kulturförderung; denn die einzige Antwort auf die knappen Mittel und die hohe Nachfrage ist eine Änderung von Strukturen. Nur ein intelligenter Umgang mit dem wenigen Geld kann verhindern, dass die Vielfalt leidet.
Für uns als Parlament stellt sich die Frage, wie wir im Dreieck von öffentlichem Sektor, gemeinnützigem Bereich und Privatwirtschaft am ehesten unserem Anspruch als Gesetzgeber gerecht werden.
Aus Sicht des SSW tun wir dies am besten, indem wir uns einmischen. Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, sagte Karl Valentin. Wir sollten also die Ärmel aufkrempeln.
Es war unser Anliegen, mit diesem Berichtsantrag den Ball auf die Spielfeldhälfte des Landtages zu holen, und wir hoffen auf viele engagierte Mitspieler.
Der vorliegende Bericht zur Weiterentwicklung der Kulturpolitik ist - auch das ist gesagt - ein Zwischenbericht. Seit Mitte des Jahres 2000 arbeitet eine von der Bildungsministerin eingesetzte Arbeitsgruppe an der Evaluation der Kulturförderung. Deren Tätigkeit wird erst Ende des I. Quartals 2003 abgeschlossen sein. Das Arbeitsergebnis wird dann Grundlage für weitere Beratungen des Landtages sein können. Aber der Zwischenbericht gibt schon jetzt wichtige Fingerzeige dafür, wohin die Reise geht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verzichte darauf, mich jetzt im Detail mit den Ausführungen des Berichts zu befassen. Gerade weil wir in Erwartung des Ergebnisses der interministeriellen Arbeitsgruppe das Thema nicht schnell abhandeln müssen, sollten wir uns Zeit für vertiefende Gespräche und auch konkrete Nachfragen nehmen.
Themen gibt es reichlich. Ich erwähne beispielhaft nur Ars Baltica, die Nordischen Filmtage, das SchleswigHolstein Musikfestival und die neuen Zielvereinbarungen mit den Volkshochschulen. Ich möchte auch noch einmal das Problem des Innovationsfonds aufgreifen. Ich denke, das könnte man präziser formulieren. Es ist vielleicht ein bisschen einfach zu sagen, alles sei Innovation. Nicht zuletzt ist auch eine verstärkte Kooperation zwischen Land und Kommunen wichtig.
Wir meinen, dass der Landtag schon jetzt seine Auseinandersetzung über die Zukunft der Kulturpolitik beginnen muss. Bei der Weiterentwicklung der Kulturförderung geht es nicht allein um die Reformierung von Fördermodalitäten. Solche strukturellen Änderungen bedürfen auch einer kulturpolitischen Diskussion, denn andere Finanzierungsinstrumente wirken sich auch auf die Inhalte und Programme aus. Deshalb hoffe ich, dass die Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker hier im Haus unsere Vorlage dafür nutzen, in eine Debatte über die zukünftige Kulturpolitik des
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herzlichen Dank, Anke Spoorendonk, für die Anfrage. Immerhin wird jedenfalls wieder einmal ein Stein ins Wasser geworfen. Er sollte Kreise ziehen. Um die grundsätzliche Kulturpolitik war es in der letzten Zeit etwas ruhig geworden.
Ich bin auch der Landesregierung für ihre Antwort dankbar. Sie rückt einiges ins rechte Licht. Koordination und Kooperation sind wichtig. Sie sind ressourcensparend, was in Zeiten knapper Kassen wesentlich ist. Die Regierung hat aber auch eines deutlich gemacht, nämlich dass auch sie weiterhin die Freiheit von Kunst und Kultur in den Mittelpunkt stellt und deswegen Kooperationen nur Hilfestellung geben kann und keinen Einfluss auf Inhalte üben darf. Hier schien mir die Anfrage - mit Verlaub - etwas diffus zu sein.
Die Antwort der Regierung weist aber auch auf eine erschreckend andere Entwicklung hin. Der Konsens über kulturelle Grundvorstellungen geht anscheinend verloren. Die Erlebnis- und Eventkultur verdrängt die herkömmliche Kultur. Innovation und Qualität, auch Unbequemlichkeit werden unwichtiger. Was zählt, ist der Reiz, ist der Kick auf breitem, wenn auch niedrigem Niveau.
Wenn wir diese Feststellung der Regierung zu Ende denken, bedeutet das, auf Dauer verlieren wir einen wichtigen Garanten unserer Identität, aber auch unserer geistigen Mobilität. Gerade unser bisheriger Kulturbegriff war Motor, Movens und Agens für neue, innovative Entwicklungen, die sich zuerst in Kunst und Kultur, schließlich in Wirtschaft und vor allen Dingen in Wissenschaften niedergeschlagen haben. Eine gewisse Wissenschaftsfeindlichkeit, also der grundsätzlichen Einstellung gegenüber der Naturwissenschaft, könnte vielleicht der Vorläufer einer kommenden Kulturfeindlichkeit insgesamt sein.
Wenn sich nun unser Begriff von Kultur ändert, hat dies weit reichende Folgen, die wir noch nicht überblicken können. Dieser Vorfall fällt außerdem zusammen mit den für uns sehr alarmierenden Feststellungen der PISA-Studie. Wenn wir deutlich merken, dass das Interesse an Kultur und der Konsens über Kultur
schwinden, wie im Bericht nachzulesen ist, so ist bereits jetzt wissenschaftlich belegt, dass auch die Beherrschung von Kulturtechniken in den Schulen dramatisch zurückgeht. Mit der Kulturtechnik verschwindet auch die Kultur.
Hier bestehen offenbar Zusammenhänge. Wer kein Interesse mehr am Lesen hat, wird auch sonst kein Interesse an Kultur entwickeln. Die verbreitet mangelnde Bereitschaft, Kenntnisse in Mathematik, Physik, Chemie und Biologie zu erwerben, wird unseren Rang als Wissenschaftsnation gefährden.
Wenn wir in Zukunft unsere Identität erhalten und unsere Lebensqualität sichern wollen, müssen wir handeln. Insofern kommt die Große Anfrage zur rechten Zeit.