Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

Neben diesem zentralen Punkt, um den es nach meiner Auffassung in der Diskussion um PISA gehen muss, ist der zweite der Folgende: Wie gestalten wir die Ganztagsangebote aus? Es ist ja erfreulich, dass der Bund Gelder gibt. Ich möchte mich aber wirklich sehr dafür einsetzen, dass es für die Länder Spielräume in der Ausgestaltung gibt. Es kommt sehr stark darauf an, welches Ganztagskonzept man umsetzt und wo man bei diesen Maßnahmen ansetzt. Darüber haben wir schon verschiedentlich diskutiert und wir sollten uns dieses Thema dann, wenn das Angebot aus Berlin ganz konkret auf dem Tisch liegt, noch einmal vornehmen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Eisenberg das Wort.

Meine Damen und Herren! Herr Weber, zuerst zu Ihnen. Sie sollten zunächst einmal genauer definieren, was Sie unter Ganztagsschule und was Sie unter Ganztagsbetreuung verstehen. Ich denke, das ist für dieses Haus und für die Öffentlichkeit notwendig. Wir alle müssen wissen, was Sie in Ihrem Antrag meinen. Das eine Mal ist in der Diskussion nämlich von Ganztagsbetreuung und ein anderes Mal von Ganz

tagsschule die Rede. Sie selbst wissen doch genau genug, dass es da erhebliche Unterschiede gibt.

Nun noch ein Wort zu Ihnen, Frau Spoorendonk. Wir haben uns ja in der letzten Zeit auf so einigen Diskussionsveranstaltungen durchaus gestritten. Wir alle wollten ergebnisoffen, also ohne Scheuklappen, über PISA diskutieren, und in einen Wettbewerb um die besten Schulformen eintreten. Warum, Frau Spoorendonk, fühlt sich der SSW nicht dazu eingeladen?

Sie leiten - das wissen Sie und haben es auch so gesagt - eine Strukturdebatte ein. Es stellt sich wirklich die Frage, ob wir als Ergebnis der PISA-Studie tatsächlich eine Strukturdebatte brauchen. Der vorgelegte Antrag des SSW hat zum Ziel die ungeteilte Schule. Eine solche Forderung mit dem guten Abschneiden der finnischen Schüler zu begründen, grenzt schon, mit Verlaub, an Volksverdummung.

(Widerspruch bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Konrad Nabel [SPD]: Dafür sind Sie doch sonst zuständig!)

- Meine Damen und Herren, hören Sie doch erst einmal zu! Die Gesamtschule nach finnischem Konzept, also die additive Gesamtschule, ist eine extrem und offensichtlich erfolgreich differenzierende Schulform. Die Schülerinnen und Schüler erhalten entsprechend ihrem Leistungsvermögen eine individuelle Förderung.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie denn da?)

Leistung steht im Vordergrund, und zwar in einer Weise, die vielen Befürwortern unseres vielgliedrigen Schulsystems die Tränen in die Augen treiben würde. Die additive Gesamtschule in Finnland hat so gut wie nichts mit dem integrativen Gesamtschulsystem unseres Landes zu tun.

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist es!)

Ich fordere Sie um der Redlichkeit Willen auf, dies den Menschen in unserem Lande zu sagen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile jetzt zunächst Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hatte mich doch gemeldet! - Anke Spoorendonk [SSW]: Ich hatte mich auch gemeldet!)

- Ja, es liegen mir eine ganze Reihe von Meldungen zu Kurzbeiträgen vor. Die Liste verlängert sich. Deshalb

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

gebe ich jetzt zunächst der Frau Ministerin das Wort. Anschließend kommen Sie mit den Kurzbeiträgen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles klar! Danke!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will zur Klärung vorausschicken: Ich beteilige mich jetzt nicht an der Sterndeuterei der letzten Tage, ich befasse mich nicht mit PISA-E und den möglichen Ergebnissen.

(Beifall bei der SPD)

Das werden wir sicherlich später noch tun. Von dem, was zurzeit diskutiert wird, ist vermutlich einiges wahr, manches ist aber auch falsch. Ich erwarte für Schleswig-Holstein nicht, dass wir an der Spitze liegen. Das scheint nämlich in der Tat nicht so zu sein.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Schade!)

- Das ist schade. Ja, da gebe ich Ihnen Recht. Es wäre aber auch nicht lustig, am Ende zu liegen.

(Lothar Hay [SPD]: Die CDU liegt ja auch nicht an der Spitze!)

Wenn wir nun aber in der Mitte liegen, ist das für mich allerdings kein Anlass zur Beruhigung. Damit das ganz klar ist!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte die Gelegenheit vielmehr nutzen, um einiges klarzustellen. Wir kennen die genauen Ergebnisse noch nicht. Das System Schule ist auch ein bisschen komplexer als der Fußball.

(Jürgen Weber [SPD]: Fußball ist sehr kom- plex!)

Das heißt, es wird nicht nur eine „Bundesligatabelle“ geben, sondern eine ganze Reihe von Auswertungen. Es wird hilfreich sein, wenn wir uns das genau anschauen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die PISA-Studie ist kein Selbstzweck. Es handelt sich um eine Messlatte, die uns zeigt, wo wir stehen. Aus diesen Tabellen kann man und muss man für die weitere Arbeit Rückschlüsse ziehen. Man darf die Studie aber auch nicht zu einem Fetisch machen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

In der Studie werden bestimmte Kompetenzen abgefragt, andere aber nicht.

Haben Sie sich eigentlich einmal gefragt, warum sich zum Beispiel Bayern und Baden-Württemberg nicht an „Schüler Helfen Leben“ und der Initiative der Schüler beteiligen? Haben Sie sich einmal gefragt, warum das von Schleswig-Holstein ausgegangen ist?

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich will Ihnen sagen, womit das, wie ich glaube, etwas zu tun hat. Wir sind ein Land, in dem demokratische Erziehung, Beteiligung und soziales Lernen einen hohen Stellenwert haben. Das steht bei uns nicht nur im Gesetz, sondern zeigt sich auch in der Praxis. In Bayern aber gibt es noch nicht einmal eine verfasste Studentenschaft. So viel zum Thema Bayern!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Bei allen Tabellenplätzen, die jetzt veröffentlicht werden, darf man nicht vergessen: An der Spitze des internationalen Vergleichs steht keines unserer Bundesländer. Das müsste man einmal ins Kalkül ziehen.

Ich bin davon überzeugt, dass wir, wenn wir eine bessere Schule wollen, in erster Linie eine andere Lernund Leistungskultur brauchen: Leistung und Eigenständigkeit im Denken, Freude am Lernen und am Lehren und eine positive Grundeinstellung zu Schule und Bildung.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass das vor allen Dingen eine Frage der Haltung und nicht eine des Honorars ist. Das kann man nun wirklich in Finnland beobachten.

Liebe Frau Eisenberg, es könnte wirklich nicht schaden, wenn Sie sich mit Finnland etwas genauer auseinander setzen würden.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was Sie eben zitiert haben, ist nicht zutreffend. In Finnland haben wir bis zur neunten Klasse ein absolut integratives Schulsystem. Das stelle ich einmal fest.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe mir das vor Ort angeschaut. Ich habe darüber diskutiert, und ich habe nachgefragt. In Finnland gibt es weder Sonderschulen noch findet bis zur neunten Klasse irgendeine Form der äußeren Differenzierung statt. Dafür gibt es aber eine hohe Eigenverantwortung der Schulen bei gleichzeitiger straffer und organisierter Leistungskontrolle. Anders ist auch Folgen

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

des: Lehrer sind als Pädagogen und Menschen geachtet, die eine hervorragende Arbeit leisten, die in der Gesellschaft hoch geschätzt wird.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])