Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hentschel?

Wenn es seiner Weiterbildung dient, gern.

(Heiterkeit)

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kubicki, ist Ihnen bekannt, dass das Deutsche Institut für Wirt- schaft in Berlin prognostiziert hat, dass die Flutopferhilfe als ein zusätzliches Investiti- onsprogramm wirkt, das eine stärkere Wir- kung hat als die Verschiebung der Steuerre- form, sodass diese sogar überkompensiert wird? - Zunächst einmal bin ich Ihnen für diese Frage sehr dankbar, Herr Kollege Hentschel, und zwar deshalb, weil sie deutlich macht, dass man die Ausgaben- von der Einnahmenseite unterscheiden muss. Wir sind jetzt bei der Finanzierungsfrage, nicht bei der Frage, ob die Ausgaben, die direkten staatlichen Investitio- nen nicht auch konjunkturelle Effekte auslösen kön- nen. (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt auf den Gesamteffekt an, wenn Sie ökonomisch rechnen und nicht als Haushälter!)

- Ich rechne immer ökonomisch, Herr Kollege Hentschel. Sie müssen weiter lesen. Das DIW hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei Auftragslagen dieser Art in der Vergangenheit dokumentiert worden ist, dass Mitnahmeeffekte durch Preissteigerungsraten die konjunkturellen Effekte deutlich überwiegen und auffressen können. Sie lesen immer nicht zu Ende. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei FDP und CDU - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Frage nicht beantwortet!)

- Alle Programme, die der Staat bisher aufgelegt hat, haben dazu geführt, dass es aufgrund des punktuellen

(Wolfgang Kubicki)

Nachfrageschubes und mangelnder Kapazitäten zunächst zu Preissteigerungen gekommen ist und nicht zu einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Fragen Sie einmal Herrn Müller. Er hat Volkswirtschaft studiert. Er kann Ihnen die Zusammenhänge vielleicht erklären.

Die Frage, ob höhere Steuern sinnvoller sind als niedrigere Ausgaben an anderer Stelle, hat sich die Bundesregierung anscheinend nicht gestellt. Die deutsche Staatsquote beträgt 2002 knapp 50 % und die Abgabenquote 42 % des Bruttoinlandsproduktes, die Einkommensbelastungsquote 54 % des Volkseinkommens. Das können Sie im letzten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank nachlesen. Die Haushalte des Bundes und der Länder betragen zusammen über 700 Milliarden €. Da gibt es genug Möglichkeiten, Ausgaben so zu kürzen, dass ein Höchstbetrag von 25 Milliarden € finanziert werden kann - vor allen Dingen, wenn sich dieser Betrag auf mehrere Jahre verteilt.

Wer behauptet, die Beseitigung der Flutschäden könne nicht finanziert werden, ohne den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, täuscht falsche Tatsachen vor.

(Beifall bei der FDP)

In Wirklichkeit will er oder sie keine Ausgaben kürzen. So einfach ist das.

Da Deutschland nachgewiesenermaßen unter zu viel Staatsengagement an falschen Stellen und zu hohen Steuern leidet, ist das den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber zynisch - übrigens auch gegenüber den Opfern. Hätten sie das Glück, nächstes Jahr wieder Steuern zahlen zu müssen, wären sie ebenfalls betroffen.

Die Steuererhöhung bringt in Zusammenhang mit der Konjunktur zwei Probleme. Erstens schwächen höhere Steuern die Binnennachfrage. Der Aufschwung, auf den alle hoffen, der aber in immer weitere Ferne rückt, wird schwächer ausfallen als ohne Steuererhöhung. Herr Kollege Hentschel, ich nehme an, Herr Metzger ist immer noch Mitglied Ihrer Partei. Er lässt sich in gleicher Weise vernehmen, wie ich das gerade vorgetragen habe.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

- Herr Kollege Neugebauer, möglicherweise hat das damit zu tun, dass die wenigen Sachverständigen bei den Grünen nicht mehr aufgestellt worden sind, weil die anderen dem nicht folgen wollen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Zweitens sind die veranschlagten Mehreinnahmen virtuell. Wenn der Aufschwung nicht so kommt wie vorhergesagt, dann werden auch die Steuereinnahmen nicht entsprechend wachsen. Deshalb erneut die Frage: Woher nehmen wir dann das Geld, um den Opfern die dringend notwendigen Hilfen zu gewähren? Woher nimmt das Land das Geld, um seinen solidarischen Beitrag von 106 Millionen € zu leisten?

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Kollege Hentschel, das geht ja wieder nur auf zwei Wegen, weil wir keine eigenen Möglichkeiten haben, die Steuereinnahmen bei uns zu erhöhen. Wir erhöhen dann entweder unsere Verschuldung oder wir kürzen bei unseren Ausgabepositionen. Jedenfalls werden Sie uns erklären müssen, wie Sie es dann finanzieren wollen.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nein, meine Damen und Herren, die Steuererhöhung ist der teurere Weg, auch wenn er politisch bequemer ist, als die Ausgaben zu kürzen. Aber politische Bequemlichkeit sollte nicht unser Maßstab für den Umgang mit dem Geld der Menschen sein. Deshalb schlagen wir vor, die Fluthilfen ab dem nächsten Jahr durch Ausgabenkürzungen zu finanzieren, und zwar durch lineare Kürzungen bei allen Subventionen. Dadurch schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens bürden wir den Menschen keine zusätzlichen Steuern auf, zweitens verringern wir die gesellschaftlichen Lasten der Subventionen, die die Gesellschaft regelmäßig mehr kosten, als sie den Begünstigten einbringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Vorschlag stimmt übrigens auch mit denjenigen überein, die wir dafür bezahlen, solche Fragen fachmännisch zu beantworten: den Wirtschaftsforschungsinstituten und dem Sachverständigenrat. Ich bin gern bereit - meine Mitarbeiter hören ja mit -, dem Kollegen Hentschel die entsprechenden Passagen auch noch schriftlich in einer Umlaufmappe zu übermitteln.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch bei ihnen gilt die Steuererhöhung durch Verschiebung der Steuerreform nur als der höchstens zweitbeste Weg. Der beste Weg sind Ausgabenkürzungen.

Wir alle sind gewählt, um die Geschicke des Landes politisch auf dem besten Weg zu verwirklichen, nicht auf dem höchstens zweitbesten. Wir sollten auch nicht den selbstlosen Einsatz der vielen Helferinnen

(Wolfgang Kubicki)

und Helfer und die Hilfsbereitschaft der Spenderinnen und Spender dadurch herabwürdigen, dass wir ihr Geld verschwenden, indem wir nicht den besten, den preiswertesten Weg wählen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt ein letzter Punkt: die Vorsorge gegen die Folgen zukünftiger Flutwellen. Die denkbar schlechteste Vorsorge erscheint mir, über die Ergebnisse des UN-Gipfels von Johannesburg zu meckern. Wenn wir in näherer Zukunft mit ähnlichen Flutwellen zu rechnen haben, dann gilt zunächst eines: Wer nicht will deichen, muss weichen - auch Landesregierungen.

(Beifall des Abgeordneten Peter Jensen-Nis- sen [CDU])

Die Landesregierung, Herr Kollege Hentschel, hat sich beharrlich geweigert, den Deich bei Lauenburg zu erhöhen,

(Beifall bei FDP und CDU)

obwohl er auf niedersächsischer Seite schon höher ist als bei uns und die Kollegin Happach-Kasan diese Deicherhöhung schon 1997 in diesem hohen Hause gefordert hat. Die Landesregierung hat diese Vorsorge sträflich unterlassen. Dass der Deich jetzt erfolgreich verteidigt wurde, schmälert diese Schuld nicht. Jetzt, da der Bund alles bezahlt, stimmt die Landesregierung großzügig zu.

Da haben die Menschen im Lauenburgischen noch einmal Glück gehabt, dass der „blanke Hans“ Eichel die Euros locker macht. Müssten sie sich nur auf die Landesregierung verlassen, wären sie beim nächsten Mal vielleicht verlassen.

Ich frage auch in dieses hohe Haus hinein noch einmal, wie angesichts der Tatsache dieser Flutkatastrophe die Landesregierung es verantworten kann, in den letzten Jahren erhebliche Mittel für Deichbaumaßnahmen an den Bund zurückgegeben zu haben, weil sie die Kofinanzierung nicht bereitgestellt hat.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wir haben noch einmal Glück gehabt. Das Glück des Tüchtigen aufseiten der Landesregierung war es nicht.

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Abgeordneter Kubicki, Ihr Ausspruch gegenüber Herrn Abgeordneten Hentschel, wenn er Sachverstand besäße, säße er nicht im Parlament, sondern würde sein Geld anderswo verdienen, dient in keiner

Weise dazu, das Ansehen dieses Hauses zu mehren. Ich erteile Ihnen dafür einen Ordnungsruf.

(Beifall bei SPD und SSW - Ursula Kähler [SPD]: Solange Herr Kubicki auch hier sitzt, was soll’s? - Wolfgang Kubicki [FDP]: Nicht mehr lange!)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Steenblock.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hochwasserkatastrophe des Sommers 2002 hat das Leben - das haben die Vorrednerinnen und Vorredner betont - in Deutschland verändert. Ein kurzer Blick auf die Fakten macht das ganze Ausmaß dieser Katastrophe deutlich. Auf 800 Flusskilometern von Elbe, Donau und Mulde hat es Überschwemmungen gegeben. - 800 Flusskilometer, das muss man sich einmal vorstellen!

Menschen haben ihr Leben verloren, viele haben gesundheitliche Schäden erlitten, haben ihr Hab und Gut verloren. Zigtausende von Wohnungen und Häusern sind beschädigt oder unbewohnbar geworden, berufliche Existenzen wurden zerstört. Allein im Freistaat Sachsen sind über 700 km Straßen zerstört worden.

Dieses persönliche Leid und diese materiellen, wirtschaftlichen Schäden sind auch heute von uns noch gar nicht zu ermessen. Die ökologischen Folgekosten lassen sich zurzeit überhaupt noch nicht quantifizieren.

Die Ursachen dieser Katastrophe liegen auf der Hand; sie sind im Grunde genommen leicht in drei Kategorien einzuteilen. Zum einen ist diese Katastrophe eine Folge unserer unbekümmerten Energieverschwendung in den letzten 100 Jahren, insbesondere mit der Verbrennung der fossilen Energieträger, zum Zweiten ist es der voranschreitende Ausbau unserer Fließgewässer zu Kanälen und zum Dritten ist es die zunehmende Flächenversiegelung. Alle drei Punkte haben bei dieser Katastrophe zusammengewirkt.

Hinzu kommt, dass die Wälder, durch die Luftverschmutzung geschwächt, nicht in der Lage sind, ihre Funktion als Wasserspeicher ausreichend zu erfüllen. Hinzu kommt weiter, dass durch die konventionelle Landwirtschaft und den starken Maschineneinsatz auf den Feldern Boden verdichtet wurde, sodass das Oberflächenwasser immer schneller und in immer größerem Maße in die Vorfluter und damit in die Flüsse hineinkommt.

Wir haben allein im Freistaat Sachsen in den letzten zehn Jahren mehr Fläche versiegelt als in den

(Rainder Steenblock)