Protokoll der Sitzung vom 13.09.2002

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zeugt von einem neuen Selbstverständnis behinderter Menschen und auch von einem neuen Denken in der Behindertenpolitik. Er setzt das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes in Landesrecht um.

Benachteiligungsverbot statt bloßer Nachteilsausgleich, das kennzeichnet einen gesellschaftlichen Wertewandel und auch einen politischen Paradigmenwechsel. Auf Bundesebene wird das verdeutlicht durch das Gesetz zum Abbau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter, durch das neue SGB IX, auf das wir 20 Jahre und mehr gewartet haben, und das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz.

Auch das Landesgesetz wird die Situation von Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein dadurch verbessern, dass eben nicht allein gegebenenfalls weiter bestehende oder auch unvermeidbare Nachteile ausgeglichen werden, sondern dass Menschen mit einer Behinderung einen Anspruch darauf haben, das eigene Leben so weit wie möglich normal, das heißt individuell selbst zu gestalten, frei von Ausgrenzung und Diskriminierung.

(Beifall bei der SPD)

Für diese gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung sollen insbesondere in der öffentlichen Verwaltung neue Impulse gegeben werden. Das Gesetz verpflichtet in seinem Kernstück die Träger

der öffentlichen Verwaltung zur Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr sowie in dem Bereich Kommunikation. Es geht also nicht nur um Barrieren, die man sehen und anfassen kann.

Um diese Verpflichtung finanzierbar zu gestalten, wird sie im Bereich Bau und Verkehr für Neubauten und große Um- und Erweiterungsbauten und im öffentlichen Personennahverkehr für die Neubeschaffung von Fahrzeugen verbindlich vorgeschrieben.

Barrierefreiheit - ich sagte es eben schon - bedeutet aber nicht nur die Beseitigung räumlicher Barrieren für Rollstuhlfahrer oder gehbehinderte Menschen. Sie betrifft auch Kommunikationsbarrieren, zum Beispiel für Sehbehinderte und für hörbehinderte Menschen. Blinde und sehbehinderte Menschen können in Zukunft verlangen, dass Ihnen Verwaltungsakte, Vordrucke, amtliche Informationen aller Art in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden. Die ungehinderte Teilnahme an geheimen Wahlen - dies ist ein wichtiges Beispiel - sollte in einer Demokratie natürlich selbstverständlich sein. Bisher aber konnten blinde und sehbehinderte Menschen nur wählen, wenn sie eine Hilfsperson mit in die Wahlkabine genommen haben. Das wird sich ändern. Künftig werden blinden und sehbehinderten Menschen Wahlschablonen zur Verfügung stehen, mit denen sie ihren Stimmzettel allein ausfüllen können.

(Beifall bei SPD, SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Hörbehinderte Menschen sollen in Zukunft das Recht haben, mit den Trägern der öffentlichen Verwaltung im Verwaltungsverfahren in deutscher Gebärdensprache oder mit lautsprachbegleitenden Gebärden zu kommunizieren.

Der Gesetzentwurf unterstreicht auch die Position des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, indem Stellung und Aufgabenbereich jetzt gesetzlich geregelt werden. Das hatten wir bisher nicht. Nachdem das Amt des Bürgerbeauftragten und des Beauftragten für Menschen mit Behinderung getrennt worden sind, stand dieses aus.

Mit diesem Gesetzentwurf werden auch die Rechte von Interessenverbänden für Menschen mit Behinderungen gestärkt. Sie sollen die Möglichkeit zur Prozessvertretung und auch ein Verbandsklagerecht erhalten. Damit können sie unabhängig von einem konkreten Einzelfall die Gleichstellung behinderter Menschen auch gerichtlich durchsetzen.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD] und Silke Hinrichsen [SSW])

(Ministerin Heide Moser)

Ein weiterer wichtiger Punkt ist folgender: Schwerbehinderte Frauen, Frauen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen sind oft einer doppelten Benachteiligung ausgesetzt - unter Umständen nicht nur einer doppelten Benachteiligung; denn vielleicht potenziert es sich sogar - nämlich als Frau und als Mensch mit einer Behinderung. Das Gleichstellungsgesetz fördert daher auch Maßnahmen, die der Gleichstellung und Antidiskriminierung behinderter Frauen dienen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich bin mir sicher, dass wir mit diesem Gesetzentwurf in der Politik zugunsten der Menschen mit Handicaps einen wichtigen Schritt nach vorn machen und dass damit der Anspruch auf größtmögliche Normalität für die Mitbürgerinnen und Mitbürger mit einer Behinderung in Zukunft noch stärker Beachtung findet, und zwar zunächst bei den Trägern der öffentlichen Verwaltung und quasi als Reflex auch in der breiten Öffentlichkeit. Diesen Reflex zu verstärken, dazu sind wir Politikerinnen und Politiker aufgerufen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich möchte zunächst in der Loge einen weiteren Gast begrüßen, den Beauftragten für Menschen mit Behinderungen, Herrn Ulrich Hase.

(Beifall)

Ich eröffne die Grundsatzberatung. Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Geerdts.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Das heute vorgelegte und in Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen erarbeitete Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen wird in der Zielsetzung von der CDULandtagsfraktion unterstützt. Wir haben vor einigen Jahren, als wir eine landesweite Debatte darüber führten, ob es sinnvoll ist, die Belange der Menschen mit Behinderungen in der Landesverfassung aufzuführen, zugesagt, dass wir statt dessen ein Landesgleichstellungsgesetz unterstützen werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Unser Ziel ist, möglichst konkret die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Wir wollen eine möglichst umfassende Gleichstellung behinderter Mitbürgerinnen und Mitbürger. Sie sollen

in einer möglichst großen Selbstständigkeit ihr Leben nach ihren Wünschen und Fähigkeiten gestalten können. Daher ist es richtig zu fragen, wie die Integration behinderter Menschen in möglichst allen Lebensbereichen überhaupt erreicht werden kann. Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern, damit Menschen mit Behinderungen möglichst eigenständig und, soweit es ihre Behinderung zulässt, in den eigenen vier Wänden leben können.

Ebenfalls von größter Bedeutung ist die berufliche Integration. Zur selbstständigen Lebensführung zählt aber auch die Erreichbarkeit aller öffentlichen Gebäude und behördlichen Einrichtungen. Wie wichtig eine Regelung gerade dieser Frage ist, zeigt ein Beispiel aus der Stadt Neumünster. Dort ist vor wenigen Monaten das Kulturamt in ein Gebäude umgezogen, das von Menschen mit Behinderungen nicht aufgesucht werden kann. Selbst dem zuständigen Kulturdezenten, der gleichzeitig auch Sozialdezernent ist, ist dieses Problem schlichtweg nicht aufgefallen.

Die Barrierefreiheit muss aus unserer Sicht in der zeitlichen Zielsetzung in dem Gesetz klarer formuliert werden.

(Beifall bei der CDU)

In dieser Frage ist die Chance am größten, einen politischen Beitrag zur selbst bestimmten Lebensführung behinderter Menschen zu leisten. Hier liegt die Kompetenz beim Parlament.

Von den Behindertenverbänden ist immer wieder der Wunsch der Behinderten vorgebracht worden, die Gebärdensprache und die lautsprachebegleitenden Gebärden anzuerkennen. Die Aufnahme dieser Forderung in das Landesgesetz ist richtig und trägt dazu bei, die Kommunikation der Menschen mit einer sprachlichen Behinderung sicherzustellen.

Wir halten es für richtig, dass auch der Arbeitsmarkt nicht unbeachtet bleibt. Das Gesetz ist richtigerweise auf Freiwilligkeit ausgerichtet. Nur so kann nach unserer Überzeugung das Ziel erreicht werden, Menschen mit Behinderung in den Arbeitsalltag zu integrieren. Das Instrument der Zielvereinbarung zwischen den Behindertenverbänden und Unternehmen oder Unternehmensverbänden zur Erreichung der Barrierefreiheit macht Sinn und findet unsere Unterstützung.

Diskussionsbedarf sieht die CDU-Landtagsfraktion bei dem vorgeschlagenen Verbandsklagerecht der Interessenverbände behinderter Menschen. Auch aus diesem Grunde halten wir es für richtig, dass wir während der Ausschussberatungen eine Anhörung, insbesondere der kommunalen Spitzenverbände,

(Torsten Geerdts)

durchführen. Denn alles, was Sie hier im Hause beschließen, muss auf kommunaler Ebene umgesetzt werden können.

Zu der Funktion des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung erlaube ich mir den Hinweis auf die seit langem bekannte Position der CDULandtagsfraktion. Wir sind mit dem Zuschnitt und der Zuordnung des Amtes nicht einverstanden. Denn wir wollen als CDU-Landtagsfraktion grundsätzlich die Zahl der Beauftragtenstellen deutlich reduzieren. Das bedeutet aber nicht, dass wir auf die vorhandene, weit über die Landesgrenzen hinaus anerkannte Kompetenz des Stelleninhabers verzichten wollen. Ganz im Gegenteil, wir streiten uns über den Zuschnitt der Ministerien und Zuständigkeiten einer Regierung. Daher kann ich für die CDU-Landtagsfraktion bei einer Festschreibung der Beauftragtenstelle im Landesgleichstellungsgesetz keine Zustimmung signalisieren.

Insgesamt trägt der vorgelegte Gesetzentwurf in seiner Zielrichtung dazu bei, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen ganz konkret zu verbessern. Daher kann ich zu weiten Teilen des Gesetzes schon heute die Zustimmung der CDU-Landtagsfraktion signalisieren. Über trennende Punkte werden wir die Diskussion im Fachausschuss führen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Baasch.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es nicht nur darum, einen weiteren Schritt zur Beseitigung von Benachteiligungen behinderte Menschen zu leisten, sondern vor allem darum, behinderten Menschen offensiv die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und die Führung eines selbstbestimmten Lebens zu erleichtern. Gleichstellung und Barrierefreiheit sind die zentralen Ziele des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Gleichstellung behinderter Menschen. Die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen in Schleswig-Holstein wird hiermit noch konkreter gefasst.

Der Gesetzentwurf basiert auf den formulierten Zielen des am 1. Mai 2002 in Kraft getretenen Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen auf Bundesebene. Dieses von der SPD lange geforderte und von der rot-grünen Bundesregierung umgesetzte Gesetz bildet den Rahmen für weitere Verbesserun

gen von Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen. Menschen mit Behinderungen sind nicht länger Objekt staatlichen Handelns, sondern nehmen als Expertinnen und Experten in eigener Sache selbstbewusst ihre Rechte wahr.

Ein Teil des Gesetzes ist die Gestaltung barrierefreier Lebensbereiche. Barrierefreiheit umfasst neben der Beseitigung räumlicher Barrieren wie Treppen auch die kontrastreiche Gestaltung der Lebensumwelt für sehbehinderte Menschen. Hierzu gehören die barrierefreie Kommunikation im Verwaltungsverfahren mit Gebärdensprachen oder mit barrierefrei gestalteten elektronischen Medien für sehbehinderte und blinde Menschen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr. Neubauten beziehungsweise große Um- und Erweiterungsbauten öffentlicher Verkehrsanlagen müssen in Zukunft so gestaltet werden, dass sie von behinderten und älteren Menschen sowie von Personen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen selbstständig genutzt werden können.

Mit der Einführung des Verbandsklagerechts werden die Klagerechte behinderter Menschen erheblich verbessert. Wir sehen, dass das Verbandsklagerecht ein wichtiger Schritt für Menschen mit Behinderungen ist.

(Beifall bei SPD und SSW)

Mit dem in § 3 formulierten Klagerecht können Verbände behinderter Menschen künftig Verstöße gegen Gleichstellungsrechte in Fällen von allgemeiner Bedeutung selber geltend machen. Dies stärkt die Rechte der Menschen mit Behinderungen und ihrer Interessenvertretung.

Besonders hervorzuheben ist in dem Gesetzentwurf auch der Abschnitt, der sich mit den Aufgaben des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung beschäftigt. Wir begrüßen, dass das Amt des Landesbeauftragten gesetzlich verankert wird. Dies führt zu seiner Stärkung.

Wir begrüßen auch die Festlegung der Aufgabenbereiche. Der Landesbeauftragte wird in Zukunft die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft aktiv fördern. Der Landesbeauftragte wird darauf hinwirken, dass es die Verpflichtung des Landes ist, für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderung in unserem Land zu sorgen. Der Landesbeauftragte wird die Landesregierung und den Schleswig-Holsteinischen Landtag in Grundsatz-angelegenheiten von Menschen mit Behinderungen beraten.

(Wolfgang Baasch)

Diese Aufgabenbereiche werden bereits jetzt von dem Beauftragten für Menschen mit Behinderungen, Dr. Ulrich Hase, ausgezeichnet wahrgenommen.