Es ist gut, dass ein Gesetzentwurf vorliegt, der zwischen der Landesregierung und dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen einvernehmlich erarbeitet worden ist. Er wird auch in Zukunft sicherstellen, dass behinderte Menschen am gesellschaftlichen Leben gestärkt und gleichberechtigt teilhaben können.
Das Ziel der Integration in allen Belangen rückt ein Stück näher. Wir unterstützen den Gesetzentwurf der Landesregierung, um die bisherige erfolgreiche Gleichstellungs- und Integrationspolitik fortzusetzen und damit die Rechte von Menschen mit Behinderungen in unserem Land zu stärken. Mit dem Gesetz wird die Gleichstellung in einen Prozess eintreten, der Menschen mit Behinderung auch zur weiteren Ausgestaltung ihrer Bürgerrechte ermutigen soll. Hierauf freuen wir uns. Wir werden diesen Prozess aktiv begleiten.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, für einen Satz in der Begründung zum vorliegenden Gesetzentwurf bin ich Ihnen ganz besonders dankbar. Sie haben geschrieben: „Die Aufnahme des Benachteiligungsverbots in das Grundgesetz“ - jetzt zitiere ich – „hat nicht die in die Verfassungsänderung gesetzten Erwartungen erfüllt und macht deshalb die Konkretisierung notwendig.“ Ich bedanke mich deshalb ausdrücklich dafür, weil das zeigt, dass man vielleicht nicht so unendliche Erwartungen an Verfassungsänderungen richten darf.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in der Sache gibt es in der Tat nur ganz wenige Differenzen. Mir ist
allerdings sehr wichtig, dass wir uns endlich daran gewöhnen, dass es Menschen gibt, die ein Handikap haben, denen die Verrichtung bestimmter alltäglicher Dinge weder leichter noch schwerer fallen als uns, die diese Verrichtung aber völlig anders organisieren müssen als wir. Sooft es nur geht - das ist für mich der entscheidende Punkt -, muss sich nicht der Mensch seinem Umfeld anpassen, sondern es muss andersherum geschehen: Das Umfeld muss sich, sooft es nur irgend geht, dem Menschen anpassen.
Ich will dafür zwei Beispiele geben. Ein kleinwüchsiger Mensch kann in seiner Küche genauso kochen, backen, spülen wie jeder andere Mensch, wenn man ihn nur lässt, wenn man nur die Voraussetzungen dafür schafft. Man muss ihm nicht einen Hocker hinstellen, sondern man muss die Küche schlicht und ergreifend entsprechend ausstatten, damit das möglich wird.
Zweites Beispiel! Natürlich können auch Contergan geschädigte Menschen Auto fahren. Sie sind nicht hilflos an einen Ort gebunden. Man muss Ihnen nur ein entsprechendes Fahrzeug zur Verfügung stellen. Dann sind sie in der Lage, dies zu bewältigen.
Erst wenn es für uns ganz selbstverständlich geworden ist, dieses Handicap als normales Merkmal wie Haut, Haar oder Augenfarbe zu akzeptieren, dann beginnen wir tatsächlich, Barrieren einzureißen, nämlich die Barrieren, die nach wie vor in den Köpfen von vielen Menschen sind.
Taubstumme können kommunizieren - nicht so wie Sie und ich, aber sie können mit uns kommunizieren. Sie brauchen dazu eben einen Gebärdendolmetscher. Wir müssen uns angewöhnen, ja möglicherweise sogar anerziehen, statt des Mitleids, das wir öfter empfinden, diese für uns möglicherweise noch fremd vorkommende Form der Kommunikation als eine von zahlreichen Facetten zwischenmenschlicher Kommunikation zu akzeptieren. Nur dann werden sich Menschen mit Behinderung auch als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft akzeptiert fühlen. Es muss in unseren Köpfen ankommen, dass Menschen mit einem Handicap mehr können, als wir wahrnehmen und als wir ihnen möglicherweise zutrauen.
Dazu bedarf es anderer Rahmenbedingungen, Rahmenbedingungen, die geeignet sind, ihnen genau diese fairen Chancen zu eröffnen.
spielraum für ihr Leben zu geben. Dazu gehört, dass sie in jedem Lebensabschnitt und in jeder Lebenssituation die Möglichkeit erhalten, ihr Leben so weit wie möglich selbst bestimmt so gestalten zu können, wie sie es wirklich wollen.
Das jetzt vorgelegte Gleichstellungsgesetz verankert deshalb für die Träger der öffentlichen Verwaltung Gebote und Verbote, um diese Barrierefreiheit im öffentlichen Raum endlich herzustellen.
Dass zur Verwirklichung dieser Barrierefreiheit Selbstverständlichkeiten wie die behindertengerechte Gestaltung von Bescheiden, amtlichen Informationen und Vordrucken gesetzlich geregelt werden muss, ist eigentlich traurig. Dennoch ist die Feststellung solch scheinbarer Selbstverständlichkeiten sinnvoll und auch wichtig. Denn erst mit der praktischen Umsetzung wird ein weiterer wichtiger und richtiger Schritt in Richtung Normalität getan.
Eines, Frau Ministerin, sollten wir machen - dazu brauchen wir eigentlich keine Ausschussberatung; das kann man relativ schnell machen; das ist mir ganz wichtig -, nämlich dass wir zu einer einheitlichen Begriffsbestimmung im Gesetz selber kommen.
Mal wird im Gesetz „Menschen mit Behinderung“ und mal von „behinderten Menschen“ gesprochen. Sie wissen - jedenfalls die Juristen unter Ihnen -, zu welch merkwürdigen Interpretationen unterschiedlicher Bezeichnungen in einem Gesetz für ein und denselben Tatbestand führen können. Da bitte ich, dass wir zu einer einheitlichen Begriffsfindung kommen.
Zu dem vorgestellten Gesetzentwurf gibt es noch eine Reihe offener Fragen, die mit Sicherheit im Ausschuss einvernehmlich geregelt werden können, hoffe ich jedenfalls: Welche Hilfestellung kann das Land den Kommunen vor Ort bei der praktischen Umsetzung gewähren? Wie können Behörden vor Ort gewährleisten, dass ein Gebärdendolmetscher tatsächlich eingesetzt werden kann, wenn er gebraucht wird? Ist derzeit überhaupt gewährleistet, dass es in Schleswig-Holstein genügend Gebärdendolmetscher gibt?
Lassen sie uns gemeinsam diese Fragen möglichst einvernehmlich klären, damit der Vollzug dieses Gesetzes für die Menschen, für die es gedacht ist, ein voller Erfolg wird.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alltag im Kleinen - wie sieht es da mit der Gleichberechtigung aus? Das ist, glaube ich, das Entscheidende für Menschen mit Behinderung. Ich gebe Ihnen Recht, Herr Garg: Allein mit Verfassungsänderungen ist es nicht getan. Das Grundgesetz 1994 zu ändern, war trotzdem ein richtiger Schritt. Denn nur auf dieser Grundlage ist es in zähen Verhandlungen gelungen - zugegebenermaßen eine Reihe von Jahren später -, ein Gesetz sowohl auf Bundesebene, was im Mai geschehen ist, als auch jetzt in den Bundesländern, das hilft, den Alltag zu verbessern, vorzulegen. Ohne den ersten Schritt mit der Verfassung wären wir sehr viel schwerer zu dem zweiten gekommen.
Insofern begrüße ich es sehr, dass wir endlich zu einem Perspektivwechsel auch in den Einzelgesetzen kommen, weg vom Objekt der Fürsorge hin zum Subjekt des eigenen Lebens. So könnte das rot-grüne Reformprojekt auf Bundesebene beschrieben werden, mit dem ab Mai dieses Jahres endlich die Gleichstellung von Behinderten auch juristisch in Einzelbereichen festgehalten wird.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich all denjenigen aus Verbänden danken, die dazu beigetragen haben, und explizit Juristinnen und Juristen mit Behinderung nennen. Ihre Kompetenz ist in das Bundesgesetzgebungswerk eingeflossen. Ähnlich hat der Sozialverband Deutschland bereits 1996 für ein Landesgleichstellungsgesetz erste Grundlagen geschaffen. Dank der stetigen Arbeit von Herrn Hase, der bei diesem Thema nicht lockergelassen hat, konnte die Landesregierung relativ schnell, nämlich schon jetzt, wenige Monate nach dem Bundesgesetz, ein Landesgesetz vorlegen. Insofern mein Dank an das Sozialministerium, aber auch an alle anderen Beteiligten, die hier rasch gearbeitet haben.
Zentrale Bausteine: das allgemeine Gleichstellungsgebot, aber auch ein Benachteiligungsverbot und konkrete Verpflichtungen zur Förderung von Beschäftigten mit Behinderungen für die öffentliche Verwaltung! Der öffentliche Dienst soll auch hier, ähnlich wie bei der Gleichstellung von Frauen und Männern, Schritt machend sein. Die explizite Berücksichtigung von Frauen mit Behinderung ist ein Punkt,
der mich im Gesetz besonders freut. Wir haben durch den umfassenden Bericht zu diesem Thema auf Landesebene eine ganze Reihe von Empfehlungen vorliegen. Natürlich werden wir dieses Gesetz auch vor dem Hintergrund dieser Empfehlungen noch einmal gegenlesen.
Zwischen Unternehmen und Verbänden der Menschen mit Behinderung ist die Basis der Zielvereinbarung geschaffen worden und - das hat Kollege Baasch besonders unterstrichen - ein Verbandsklagerecht. Dies halte ich für sehr wichtig, um insgesamt in der Rechtsmaterie zu zeigen: Es geht nicht immer nur um den einzelnen Menschen, den Mann oder die Frau, der oder die sich wehrt, sondern es geht um exemplarisches Handeln, das von Verbänden unterstützt werden kann, um eine Gleichheit für alle in einer vergleichbaren Situation zu schaffen.
Ich kann nur begrüßen, dass die Gebärdensprache endlich anerkannte Kommunikationsform wird. Wir haben auch in der Informationstechnik noch viel zu tun, bei Verwaltungsverfahren insgesamt, damit sie ähnlich wie öffentliche Räume, Straßen und Wohnungen endlich barrierefrei werden.
Zu Recht ist auch im Bildungsbereich eine Reihe von einzelnen Dingen angesprochen worden. Schulen, die alle Kinder aufnehmen wollen, müssen auch die Voraussetzungen dafür schaffen.
Wir haben die Stellung des Beauftragten für Menschen mit Behinderung durch dieses Gesetz endlich gesetzlich normiert. Es ist kein Geheimnis, dass sich die Landtagsfraktion der Grünen immer für ein Bürgerbüro stark gemacht hat, in dem Bürgerbeauftragte und andere Beauftragte gleichberechtigt nebeneinander direkt dem Landtag zugeordnet ihre Aufgaben wahrnehmen. Dies ist von der Landesregierung nicht verfolgt worden. Wir werden, trotzdem wir eine andere Lösung präferieren, dem Gesetz unsere Zustimmung geben, sind allerdings - ebenso wie die Opposition - offen für Anregungen und halten eine öffentliche Anhörung für notwendig.
Ich glaube, dass es trotzdem gelingen wird, dass das Gesetz bald in Kraft tritt. Das sollte unser Ziel sein. Da ich in grundlegenden Dingen Übereinstimmung finde, werden wir das auch erreichen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als der Bundestag 1994 das Grundgesetz änderte - das haben meine Kollegen schon ausgeführt -, wurden sehr hohe Erwartungen daran geknüpft. Die Verfassung sollte endlich den Menschen mit Behinderung ein Leben frei von Benachteiligungen ermöglichen. Die Erwartungen wurden aber enttäuscht. Die Landesregierung hat nach acht Jahren erfreulicherweise erkannt, dass sie selbst in Schleswig-Holstein mehr zur Erfüllung des grundgesetzlichen Gebots beitragen kann. Den Menschen mit Behinderung soll durch konkrete Maßnahmen die Führung eines selbstbestimmten Lebens und eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen ermöglicht werden.
Behinderung ist nämlich nicht ein Mangel des Individuums. Behinderung ist in vieler Hinsicht eher ein Konstruktionsfehler der Gesellschaft. Über 10 % der Menschen in Deutschland haben eine Behinderung. Das ist eine sehr große Minderheit. Trotzdem ist die Gesellschaft meist nur nach den Bedürfnissen der Menschen ohne Behinderung konstruiert. Aus diesem Missverhältnis ist die Forderung nach Barrierefreiheit entstanden. Es geht darum, die Umwelt so einzurichten, dass sie für Menschen mit Behinderung zugänglich wird. Es muss möglich sein, ohne Hilfe Zugang zur Wohnung, zu öffentlichen Gebäuden und auch zu Naturgebieten zu erhalten, und zwar für alle.
Jeder politische und gesellschaftliche Sektor muss die Verantwortung dafür übernehmen, in seinem eigenen Handlungsbereich Barrieren zu beseitigen und zukünftig möglichst von vornherein zu vermeiden.
Bereits 1993 hat die UNO-Vollversammlung die so genannten Standard Rules beschlossen. Nummer 5 dieser Rahmenregelung sieht vor, dass die Staaten Handlungsprogramme für Barrierefreiheit einführen sollen. Ziel ist, die physische Umwelt zugänglich zu machen und den Zugang zu Information und Kommunikation zu gewährleisten. Bis zum Jahre 2002 soll erreicht werden, dass bei Neubauten keine neuen Barrieren entstehen. Von 2002 bis 2007 sollen bestehende Barrieren beseitigt werden. In diesem Sinne kommen wir mit dem vorliegenden Gesetz in letzter Minute internationalen Verpflichtungen nach.