Protokoll der Sitzung vom 13.09.2002

Bereits 1993 hat die UNO-Vollversammlung die so genannten Standard Rules beschlossen. Nummer 5 dieser Rahmenregelung sieht vor, dass die Staaten Handlungsprogramme für Barrierefreiheit einführen sollen. Ziel ist, die physische Umwelt zugänglich zu machen und den Zugang zu Information und Kommunikation zu gewährleisten. Bis zum Jahre 2002 soll erreicht werden, dass bei Neubauten keine neuen Barrieren entstehen. Von 2002 bis 2007 sollen bestehende Barrieren beseitigt werden. In diesem Sinne kommen wir mit dem vorliegenden Gesetz in letzter Minute internationalen Verpflichtungen nach.

Nachdem in einem ersten Schritt 1999 die Landesbauordnung geändert wurde, unternimmt SchleswigHolstein mit diesem Gleichstellungsgesetz einen weiteren überfälligen Schritt in Richtung Barrierefreiheit. Zukünftig soll in öffentlichen Gebäuden eine Gestal

(Silke Hinrichsen)

tung vermieden werden, wie sie in alten Behörden und Einrichtungen eher die Regel ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Der Zugang für Behinderte ist häufig nur über Hintertüren, Nebeneingänge, Rampen oder Treppenlifte möglich.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Landeshaus!)

Ohne Ortskenntnisse wird der Weg zum gewünschten Büro oder Raum zu einer Schnitzeljagd durch Kellergänge und gleichförmige Behördenflure. Es gibt ein sehr gutes Beispiel; wir befinden uns in einem solchen Gebäude. Der Orientierungssinn wird auf eine harte Probe gestellt. Von allgemeiner Zugänglichkeit kann da nicht die Rede sein.

Bei Neubauten lässt sich schnell auf Barrierefreiheit umschwenken. Es gibt schon entsprechende DINNormen, die jeder Architekt im Schlaf kennen sollte. Die wirklichen Probleme entstehen bei Altbauten, die umgestaltet werden müssen. Leider wird das Gesetz hier keine schnelle Abhilfe schaffen, weil gleich mehrere Einschränkungen gemacht werden. Nur bei großen Um- und Erweiterungsbauten besteht die Verpflichtung zur Barrierefreiheit. Darüber hinaus kann davon abgewichen werden, wenn es andere Lösungen gibt, die die Anforderungen erfüllen, oder wenn die Anforderungen nur mit einem unverhältnismäßigen Kostenaufwand erfüllt werden können. Es bleibt zweifelhaft, ob so das Ziel der Barrierefreiheit tatsächlich bis 2007 erreicht wird. Es ist unwahrscheinlich, dass an einer bedeutenden Zahl von Gebäuden überhaupt größere Umbauten stattfinden werden. Und bei denkmalgeschützten Häusern steht zudem ein Konflikt mit Denkmalschützern bevor.

Angesichts dieser Probleme ist es erwägenswert, ob wir nicht eine zeitliche Frist zur Erfüllung der Ziele in das Gesetz einbauen sollten oder ob dieses Gesetz nicht zumindest nach einer Probezeit erneut auf die Tagesordnung gesetzt werden muss.

Das Wort Barrierefreiheit läst einen zunächst an dichte Mauern denken. Viele Hindernisse für Menschen mit Behinderung haben aber überhaupt nichts mit diesen greifbaren Dingen zu tun. Barrieren sind nämlich alles, was der selbst bestimmten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Wege steht. Zur Teilhabe gehört heute nicht zuletzt die Nutzung moderner Kommunikationsmittel und der Medien. Um Benachteiligungen zu beseitigen oder zu verhindern, muss der Zugang zu Fernsehen, Internet, Telefonie und Co. geöffnet werden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Gerade in diesem Bereich gibt es aber noch sehr große Barrieren. Es geht um Hilfen für die Nutzung von Kommunikations- und Informationsmedien. Aber es geht auch um das Verständnis für Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Zukünftig muss mehr Wert auf Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit für Menschen mit Behinderung gelegt werden. Das verlangt nicht nur nach Technik. Auch von den öffentlichen Verwaltungen wird erwartet, dass sie sich um mehr Verständlichkeit bemühen.

Bei den Stichworten „Behinderung“ und „Kommunikation“ fällt vielen natürlich die Gebärdensprachendolmetscherin bei der Tagesschau ein. Gerade für Menschen mit eingeschränktem Gehör hat Deutschland lange einen höchst zweifelhaften Sonderweg beschritten. Dieser wird nun verlassen.

Ich möchte nur noch ganz kurz - ich komme zum Schluss - Folgendes sagen: Für mich gibt es innerhalb der öffentlichen Verwaltung noch ein Problem. Im Gesetz ist ausgeführt, dass die Verwaltung bei kurzen Erklärungen davon absehen kann, einen Dolmetscher herbeizuziehen. Als Juristin habe ich festgestellt, dass häufig in sehr kurzen Erklärungen die schwierigsten Dinge gelöst werden. Deshalb würde ich gerade bei diesen Fragen davon absehen, auf kurz oder lang abzustellen, sondern auf den Inhalt der Erklärungen, um zu entscheiden, ob jemand beigezogen wird.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Holger Astrup [SPD]: Sehr vernünftig! Sehr gut!)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.

Bevor wir zu Tagesordnungspunkt 29 kommen, weise ich darauf hin, dass sich die Fraktionen wie folgt geeinigt haben: Der Tagesordnungspunkt 17 soll in der Oktober-Sitzung behandelt werden. Wir werden nach Tagesordnungspunkt 29 noch die Punkte 32 und 36 behandeln und uns dann die Tagesordnungspunkte ohne Aussprache vornehmen.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:

Olympiabewerbung 2012

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/2087

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Eisenberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Ich frage mich wirklich, was in diese Landesregierung eigentlich gefahren ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Der Teufel!)

Ich frage mich, ob diese Landesregierung dieses Land schon aufgegeben hat und ob sie auf jedwede Chance verzichtet, die mit der Ausrichtung der Olympischen Segelwettspiele hier in Schleswig-Holstein verbunden ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was erwarten Sie von dieser Regierung?)

Ich frage mich: Wird hier nur noch klein-klein gearbeitet und werden damit alle Zukunftschancen verspielt?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Richtig!)

Da bewerben sich zwei Städte Schleswig-Holsteins um die Ausrichtung der Segelolympiade 2012 bereits jetzt mit erheblichem finanziellen und ideellen Aufwand und mit Unterstützung aus der jeweiligen Region. Wir haben das in der Anhörung des Innen- und Rechtsausschusses gehört. Was tut unsere Landesregierung? Sie gründet eine hochrangige Arbeitsgruppe, angeblich zur überregionalen Unterstützung der Bewerbung, lässt diese Arbeitsgruppe Projekte entwickeln hinsichtlich der Darstellung des Landes Schleswig-Holstein als sportliches Land, lässt den Arbeitskreis Kosten für die unterschiedlichsten sinnvollen Projekte aufstellen, unter anderem zum Beispiel für Sonderaktionen im Bereich Sport für Menschen mit Behinderung. Und das war es denn.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist der In- nenminister!)

Lapidar wird als Ergebnis formuliert - ich darf auf meine Kleine Anfrage verweisen -: Das Land hat kein Geld. Es wird die Bewerbung ideell unterstützen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Genau!)

Ideell, denke ich mir, heißt wahrscheinlich: Promisegeln vor Schilksee, Herr Minister Buß. Das ist zwar auch eine schöne Sache, aber es muss nicht sein.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich behaupte hier und befinde mich mit dieser Behauptung natürlich nicht allein: Das ist ein Armutszeugnis für diese Landesregierung.

Ich will gar nicht darauf eingehen,

(Holger Astrup [SPD]: Dann lassen Sie es doch!)

dass die ursprüngliche Idee der Bewerbung für die Olympiade 2012, bezogen auf die Segelwettbewerbe, natürlich von der CDU ausging. Ich begrüße Herrn Dieckmann, der bereits im Oktober 2000 diese Idee entwickelt hat.

(Beifall bei der CDU)

Damals wurde diese Idee von allen führenden Stellen belächelt.

In der Zwischenzeit sind alle dafür, allerdings nur mit Worten. Mir fehlen immer noch - das sage ich ganz eindeutig - die Taten. Ich frage Sie auf der linken Seite, auf der Regierungsseite, und all diejenigen, die mir nicht zustimmen: Wie muss die jetzige Entscheidung der Landesregierung nach außen wirken, die Entscheidung, die Projekte, die aufgestellt worden sind, nicht zu finanzieren? Wie muss diese Entscheidung auf die Öffentlichkeit, auf das Nationale Olympische Komitee, das im April nächsten Jahres über den Austragungsort der Segelolympiade entscheiden soll, wirken?

Es wirkt so, als habe die Landesregierung überhaupt kein Interesse an der Ausrichtung der Segelolympiade, als habe es die Bemühungen um den Austragungsort bereits aufgegeben und sei nicht weiter daran interessiert. Hinzu kommt die geplante Kürzung der institutionellen Sportförderung für das Haushaltsjahr 2003, die zwar erst im nächsten Jahr wirksam wird, aber im Zusammenhang mit der Olympiabewerbung kontraproduktiv wirkt und schädlich ist.

Meine Damen und Herren, ich fordere Sie hier und heute auf - Sie auch, Herr Kubicki -: Verzichten Sie nicht auf eine weitere Zukunftschance, das Land Schleswig-Holstein nach vorn zu bringen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn Sie, wie ja immer üblich, nach einem Finanzierungsvorschlag fragen, so kann ich Ihnen nur raten, im Haushalt des Wirtschaftsministers nachzugraben. Denn die olympischen Segelwettbewerbe, meine Damen und Herren, stellen im besten Sinne des

(Sylvia Eisenberg)

Wortes auch Wirtschaftsförderung dar. Das ist ja wohl das ureigenste Interesse dieses Landes.

(Beifall bei der CDU)