Protokoll der Sitzung vom 15.11.2002

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Kollege Neugebauer, wie viel Peinlichkeit und Unehrlichkeit wollen Sie eigentlich diesem Parlament noch zumuten?

(Beifall bei FDP und CDU)

Jetzt, wo der Karren finanzpolitisch richtig in den Dreck gefahren wurde, winseln Sie die Opposition - das tun Sie in Berlin, das tun Sie in Kiel - um ihre Mithilfe an, nachdem Sie jahrelang jeden konstruktiven Vorschlag von CDU und FDP abgelehnt haben.

(Beifall bei FDP und CDU - Klaus Schlie [CDU]: Richtig!)

Jeder noch so konstruktive Vorschlag zur Haushaltskonsolidierung war entweder umweltfeindlich, frauenfeindlich oder sonst wie feindlich und wurde von Ihnen einfach vom Tisch geweht. So, lieber Kollege Neugebauer, kann man nicht mit der Unterstützung der Opposition rechnen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie hätten - das sage ich auch Ihnen, Herr Finanzminister - in einer solch schwierigen Lage jedes Recht, die gesamtgesellschaftliche Unterstützung, auch die Unterstützung der Opposition, einzufordern. Aber es wäre auch das Recht der Opposition gewesen, nicht monatelang vor der Wahl belogen und betrogen zu werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Finanzminister, ich kann mich noch gut an die Wahlkämpfe an den Wahlständen erinnern, wo ich

(Dr. Heiner Garg)

von Sozialdemokraten - das ist nicht zitierfähig - aufs Übelste beschimpft wurde, wenn ich gesagt habe: Diese Bundesregierung wird das Maastrichtkriterium reißen. - Ich möchte Ihnen ersparen, wie man mich damals tituliert hat. Sie wussten lange vor der Wahl, dass das Staatsdefizit mitnichten 2,8 % betragen wird. Sie wussten, dass der blaue Brief aus Brüssel kommt. Kurz nach der Wahl war es auf einmal allen klar. Kurz nach der Wahl wurde das angekündigt. Das lässt sich auf die einfache Formel reduzieren: Vor der Wahl gelogen, nach der Wahl betrogen, Herr Finanzminister Möller!

(Beifall bei FDP und CDU)

Es ist immer ganz gut, wenn man Volkswirtschaftslehre studiert hat, sodass man in einer solchen Debatte keine Ghostwriter braucht. Lieber Herr Finanzminister, Herr Kollege Neugebauer, ich finde, bei Ihren Ausführungen zur Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verwechseln Sie Ursache und Wirkung. Der Bundesfinanzminister hat am Mittwoch in der Tat die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt, damit die geplante Überschreitung der Kreditobergrenze durch den Nachtragshaushalt des Bundes für 2002 nicht verfassungswidrig ist. Sehr geehrter Herr Finanzminister, das ist in der Tat die Umkehrung des verfassungsrechtlich gewollten Ursache- und Wirkungzusammenhanges.

Ich möchte Ihnen das einmal erläutern. Nach Artikel 115 des Grundgesetzes ist die Überschreitung der Kreditobergrenze zulässig, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist, also eine solche Störung bevorsteht. Herr Finanzminister Möller, im Grundgesetz steht mitnichten: Die Regierung soll eine Störung des Gleichgewichtes vorschlagen, um eine selbstverschuldete Liquiditätskrise im Bundeshaushalt durch neue Schulden decken zu können. - Das steht nicht im Grundgesetz. Genau das versuchen Sie uns aber hier weiszumachen. Ich will Ihnen deutlich sagen: Die FDP-Fraktion lässt sich von Ihnen nicht hinters Licht führen, nie wieder, Herr Finanzminister!

Die Haushaltsdefizite Schleswig-Holsteins sind nicht auf eine schwerwiegende Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zurückzuführen. Die Wachstumsrate - schade, dass der Wirtschaftsminister nicht da ist - des Bruttoinlandsprodukts für das erste Halbjahr 2002 betrug in Schleswig-Holstein 1,3 %. Das haben wir hier doch immer als Jubelarie verkauft bekommen.

(Zuruf von der CDU: Genauso ist es!)

Von der selbstverschuldeten Liquiditätskrise der Landesregierung auf eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu schließen, wäre eine Umkeh

rung von Ursache und Wirkung. Herr Finanzminister Möller, das Problem, das Sie haben, ist das strukturelle Defizit im Landeshaushalt. Das beträgt ungefähr 500 Millionen €.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie wissen es zumindest jetzt: Dieses Defizit hätten Sie auch bei guter Konjunkturlage. Das ist doch Ihr eigentliches Problem, dass Sie auch bei ordentlichen konjunkturellen Daten immer mehr ausgegeben haben, als Sie tatsächlich eingenommen haben.

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Die jetzige konjunkturelle Schwächephase verschärft diese Probleme nur, sie deckt sie gnadenlos auf, Herr Finanzminister.

Wenn am Anfang einer solchen Debatte ein wenig Selbstkritik und ein wenig Ehrlichkeit stünde, dann hätten Sie auch wieder das Recht, die Mitarbeit der Opposition zu verlangen. Aber so, wie Sie uns belogen haben, mit Sicherheit nicht.

(Lebhafter anhaltender Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Garg, so, wie Sie geredet haben, erwecken Sie den Eindruck, als existierten die Steuereinbrüche, die allein für Schleswig-Holstein eine Größenordnung von 430 Millionen € betragen - das sind fast 900 Millionen DM -, gar nicht und die Landesregierung erzähle Ihnen das nur.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Nein, nein! - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Sie sind durch die Steuerreform verursacht! - Rainer Wiegard [CDU]: Hausgemacht!)

Angesichts der Situation, vor der wir stehen, stellen wir uns natürlich die Frage: Haben wir die Entwicklung falsch eingeschätzt? War die Entwicklung voraussehbar?

(Rainer Wiegard [CDU]: Nicht falsch einge- schätzt! - Klaus Schlie [CDU]: Was haben Sie falsch gemacht?)

(Karl-Martin Hentschel)

Die Antwort ist schwer. Ich stelle fest: Erstens. Auch die Wirtschaftsweisen lagen mit ihren Prognosen voll daneben.

(Holger Astrup [SPD]: Dauernd!)

Zweitens. Beide Oppositionsparteien haben bei den Haushaltsberatungen im letzten Jahr deutliche Mehrausgaben gefordert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Holger Astrup [SPD]: Jede Menge! - Martin Kayenburg [CDU]: Das ist definitiv falsch! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Bitte auch die Deckungsvorschläge dazu! - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Auch die Kür- zungsvorschläge!)

Das sind Fakten. Frau Heinold wird Ihnen nachher Ihre eigenen Anträge vorlesen. - Sie haben Mehrausgaben gefordert und fiktive Deckungsvorschläge vorgelegt.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sie haben es damals nicht verstanden und heute auch noch nicht!)

Wir haben Ihnen schon damals gesagt, dass die Steuereinnahmen das niemals erbringen werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wenn uns weder die Weisen noch die Opposition helfen, müssen wir selbst Entscheidungen treffen.

(Zurufe)

Es ist notwendig, dass die Regierung in diesem Land - das gilt für alle - Entscheidungen trifft. Ich möchte fünf Punkte nennen.

Erstens. Wir halten es für notwendig, auch für Schleswig-Holstein das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht für gestört zu erklären. Damit sichern wir die Handlungsfähigkeit des Landes.

Zweitens. Wir halten es für notwendig,

(Zurufe)

noch in diesem Jahr einen Haushalt zu verabschieden - Herr Präsident, können Sie einmal für Ruhe sorgen? -, und plädieren deshalb für eine Sondersitzung vor Weihnachten.

Gerade weil wir enorme Einsparungen vornehmen müssen, ist es wichtig, dass die Verbände, Initiativen, Betriebe, Kommunen und so weiter wissen, woran sie sind, und wir durch die Verabschiedung des Haushalts Klarheit schaffen.

Drittens. Wir brauchen Einnahmeverbesserungen zugunsten der Länder und der Kommunen. Wir haben ein Wirtschaftswachstum von 0,2 oder 0,5 %. Wir haben aber - Herr Garg, das haben Sie verwechselt - Steuereinbrüche in Milliardenhöhe.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das stimmt doch gar nicht! Wir haben Steuermehreinnah- men! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich habe gar nichts verwechselt!)

Hier sind auch Fehler von Rot-Grün gemacht worden. Aber Schwarz-Gelb braucht sich auch da nicht aufzublasen. Bei keiner Steuersenkung in Berlin hat die Opposition gerufen: Das ist zu doll. Bei jeder Steuersenkung hat die Opposition gerufen: Das ist zu wenig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Viertens. Wir brauchen weitere Einsparungen im Landeshaushalt. Kurzfristig ist wenig möglich. Es muss erneut über kofinanzierte Förderprogramme und über Personalkosten geredet werden.